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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.10.2005
Aktenzeichen: 20 U 101/05
Rechtsgebiete: VVG, ZPO


Vorschriften:

VVG § 61
ZPO § 286
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Hamm Im Namen des Volkes Urteil

20 U 101/05 OLG Hamm

Verkündet am 14. Oktober 2005

in dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 14. Oktober 2005

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 17. März 2005 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Der Kläger macht als Alleinerbe seiner Mutter L (* 05.12.1923; 30.11.2003) Versicherungsleistungen wegen eines Brandschadens vom 06.11.2003 geltend.

Die Mutter des Klägers betrieb in den Betriebsräumen "straße 6 a" in C einen Handel mit Gebrauchtmöbeln; der Betrieb war bei der Beklagten gegen Feuer (Inventarversicherung) und Betriebsunterbrechung versichert.

Am 06.11.2003 gegen 16.00 Uhr kam es zu einem Feuer in dem Möbellager, das schnell gelöscht werden konnte. Die Spuren belegen eine offensichtliche Brandstiftung mit drei Brandherden im Innenbereich.

Das Ermittlungsverfahren richtete sich gegen die Versicherungsnehmerin, die allerdings alsbald nach dem Brand verstorben ist.

Die Beklagte lehnte nach Einblick in die Ermittlungsakten mit Schreiben vom 24.05.2004 die Regulierung des Schadens ab mit der Begründung, das Schadenbild lasse nur den Schluß zu, daß die Versicherungsnehmerin den Brand selbst vorsätzlich gelegt habe.

Der Kläger hat bestritten, daß seine Mutter den Brand selbst gelegt hat. Seine Mutter habe auch keine suizidalen Absichten gehabt, sei vielmehr eine allseits geachtete Persönlichkeit gewesen und habe schon die kurz bevorstehende Feier zu ihrem 80. Geburtstag vorbereitet.

Der Kläger hat Versicherungsleistungen in Höhe von 29.000,00 € eingeklagt.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und Eigenbrandstiftung behauptet.

Zu Protokoll vom 17.03.2005 haben sich beide Parteien mit einer beweismäßigen Verwertung der Ermittlungsakten 29 Js 4/04 StA Münster einverstanden erklärt.

Das Landgericht hat die Strafakten ausgewertet und die Überzeugung gewonnen, daß die Mutter des Klägers den Brand gelegt hat.

Durch das am 17.03.2005 verkündete Urteil, auf dessen Inhalt wegen weiterer Einzelheiten auch zum Sach- und Streitstand in erster Instanz Bezug genommen wird, ist die Klage abgewiesen worden.

Der Kläger greift das Urteil mit der Berufung an und verfolgt sein Klageziel weiter.

Er rügt, daß das Landgericht die von der Polizei im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen nicht erneut vernommen hat. Eine zutreffende Beweiswürdigung sei angesichts gravierender Widersprüche in den Aussagen ohne eigenen Eindruck von den Zeugen nicht möglich.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Senat hat die Ermittlungsakten 29 Js 4/04 StA Münster beigezogen; diese waren Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Aufgrund des Beweisergebnisses, wie es sich in den beigezogenen Ermittlungsakten darstellt, ist der Senat ebenso wie das Landgericht davon überzeugt, daß die verstorbene Mutter des Klägers den Brand am 06.11.2003 vorsätzlich selbst gelegt hat, so daß die Beklagte gemäß § 61 VVG leistungsfrei geworden ist.

1. Die Überzeugung des Senats gründet auf folgenden Gesichtspunkten:

a). Die Mutter des Klägers war am Brandort und hatte die Möglichkeit, das Feuer zu legen. Sie war nach den Feststellungen der Polizei allein im Innern der verschlossenen Lagerhalle, als das Feuer ausbrach.

b). Im Rahmen ihrer Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei hat die Versicherungsnehmerin wiederholt die Unwahrheit gesagt:

(aa) So hat sie angegeben, sie könne den Brand nicht gelegt haben, denn sie habe kein Feuerzeug.

Tatsächlich verfügte sie in ihrer Handtasche, die sie nach eigenen Angaben immer bei sich führte, über ein Feuerzeug. Aus welchen Gründen sie dieses Feuerzeug mit sich führte, ob wegen ihrer Zigaretten rauchenden Tochter oder um einen Gasheizofen am Marktstand des Klägers, an dem sie ebenfalls mitzuarbeiten pflegte, in Brand zu setzen, kann dahinstehen. Entscheidend ist, daß sie wahrheitswidrig den Besitz eines Feuerzeugs in Abrede gestellt hat.

(bb) Durch die Umstände widerlegt ist auch die Schilderung der Versicherungsnehmerin hinsichtlich ihrer Beschäftigung am Brandtag kurz vor der Entdeckung des Brandes.

Es ist ausgeschlossen, daß die Versicherungsnehmerin in ihrem "Zimmerchen", in dem sie sich während ihrer Anwesenheit in dem Möbellager überwiegend aufzuhalten pflegte, geschlafen hatte und dann, um einen Kontrollgang durchzuführen, beim Öffnen der Tür des "Zimmerchens" erstmals Qualm bemerkt hat. Ausgeschlossen ist dieser Geschehensablauf deshalb, weil gerade in dem Aufenthaltsraum, dem "Zimmerchen", einer der Brandherde aufgefunden wurde, und zwar der Brandherd, der nach den Feststellungen der Feuerwehr schon weit entwickelt war. Dieser Brandherd befand sich exakt im Bereich des Sessels, auf dem die Versicherungsnehmerin gesessen und geschlafen haben wollte, bevor sie sich nach ihrer Schilderung wegen des außen im Lager bemerkten Qualms schnell und direkt zum Ausgang begeben haben will.

Der Umstand, daß das Feuer im Aufenthaltsraum bereits weiter fortgeschritten war als der weitere Brandherd in der großen Lagerhalle, ist nicht darauf zurückzuführen, daß dort etwa Brandbeschleuniger verwendet wurde oder daß dort besonders brennbare Materialien gelagert waren. Die Verwendung von Brandbeschleuniger ist an keinem der Brandnester festgestellt worden.

Angesichts des festgestellten Brandfortschritts in dem Aufenthaltsraum ist es zeitlich ausgeschlossen, daß die Versicherungsnehmerin sich wie von ihr behauptet dort auf ihrem Sessel bis kurz vor Verlassen des Lagers aufgehalten haben kann, ohne Feuer in ihrem "Zimmerchen" festzustellen und ohne Brandspuren an ihrer Kleidung aufzuweisen.

c). Ein weiteres Indiz für die Eigenbrandstiftung der Versicherungsnehmerin ist der Umstand, daß die beiden Türen zu den Lagerräumen verschlossen waren. Es war völlig unüblich, daß die Versicherungsnehmerin das Lager während der Geschäftszeiten verschlossen hielt. Auch der Kläger hat bekräftigt, daß die doppelflügelige Haupteingangstür zum Lager stets offen war, zumal er seine Mutter nach Geschäftsschluß abzuholen pflegte und bei geschlossenen Türen seinerseits keinen Zutritt gehabt hätte. Gerade der Umstand, daß die Haupteingangstür bei von innen steckendem Schlüssel verschlossen war, spricht gegen eine Brandstiftung durch dritte Täter, die - abgesehen davon, daß Dritte zeitnah zu dem Brand von keinem der Zeugen bemerkt worden waren - bei von innen verschlossener Tür nach einer unterstellten Fremdbrandstiftung die Lagerhalle nicht hätten verlassen haben können.

Ob die Versicherungsnehmerin den Brand bei verschlossenen Türen in vom Kläger bestrittener Suizidabsicht gelegt hat, kann dahinstehen. Eine Eigenbrandstiftung der Mutter des Klägers war durchaus auch ohne Suizidabsicht möglich und durchführbar. Die Ereignisse haben gezeigt, daß die Versicherungsnehmerin noch in der Lage war, auf das Rufen und Klopfen der Zeugen hin die Eingangstür von innen her aufzuschließen und die Halle unverletzt zu verlassen.

d). Anhaltspunkte dafür, daß Dritte den Brand gelegt haben könnten, sind nicht ersichtlich.

Wie bereits ausgeführt, steht der Annahme einer Fremdbrandstiftung der Umstand der von innen bei steckendem Schlüssel verschlossenen Tür entgegen.

Das von außen eingeschlagene Fenster im Aufenthaltsraum deutet - anders als vom Kläger gewertet - nicht auf eine Fremdbrandstiftung. Es ergibt sich aus den Ermittlungsakten, daß dieses Fenster im Zuge der Löschmaßnahmen (vgl. Bild Nr. 34 BA im Gutachten des Brandamtmann a.D. B sowie Bericht POM W Bl. 9 BA) eingeschlagen und das davor befindliche Eisengitter von der Feuerwehr mit einem Trennschleifer (Bl. 72 BA) geöffnet worden ist. Im übrigen ist nicht ersichtlich, wie fremde Brandstifter nach Einschlagen der Scheibe des vergitterten Fensters überhaupt in der Lage gewesen sein sollen, die drei festgestellten Brandherde zu legen.

Die Verdächtigung des Klägers, der Eigentümer, der Zeuge X, habe den Brand gelegt, ist unsubstantiiert. Gegen eine Brandstiftung des Eigentümers spricht, daß die Versicherungsnehmerin auch nach ihren eigenen Angaben bei der Polizei ohnehin die Halle zum Jahresende hatte räumen wollen. Wenn der Eigentümer das Gebäude selbst (und nicht nur das Inventar) hätte abbrennen lassen wollen, wäre eine wesentlich effektivere Inbrandsetzung unter Einsatz von Brandbeschleunigern zu erwarten gewesen. Gegen eine Brandstiftung des Eigentümers spricht überdies der gewählte Zeitpunkt, zu dem sich die Mutter des Klägers in den Räumen aufhielt. Es erscheint abwegig, daß der Zeuge X deren Gefährdung durch eine Brandstiftung in Kauf genommen haben könnte, wenn er ebenso gut zu einem anderen Zeitpunkt hätte handeln können. Irgendwelche Motive von Gewicht für eine Brandstiftung des Eigentümers hat der Kläger ohnehin nicht aufgezeigt.

e). Ein mögliches Motiv für eine Eigenbrandstiftung der Versicherungsnehmerin ist hingegen auszumachen.

Die Mutter des Klägers mußte die Lagerhalle, in der sie seit vielen Jahren ihren Gebrauchtmöbelhandel betrieb, verlassen. Ein Umzug war noch nicht organisiert. Ausweislich der vom Kläger überreichten Einkommensteuererklärung und des Einkommensteuerbescheides hatte das Geschäft in den Monaten vor dem Brand nur ganz geringfügige Gewinne abgeworfen. Angesichts der Höhe der zu versteuernden Gewinne ist nicht davon auszugehen, daß die Versicherungsnehmerin in letzter Zeit noch nennenswerte Umsätze getätigt hat. In dieser Situation liegt jedenfalls die Überlegung nicht ganz fern, dem wegen des umfangreichen Inventars aufwendigen und kostspieligen Umzug durch eine Inbrandsetzung auszuweichen.

f) In der Gesamtschau erlauben die dargestellten Indizien den Schluß auf eine Eigenbrandstiftung der Versicherungsnehmerin; dabei gilt der Maßstab des § 286 ZPO, wonach es keiner unumstößlichen Gewißheit bedarf, sondern die richterliche Überzeugung aufgrund eines für das praktische Leben brauchbaren Grades einer Gewißheit gewonnen wird, die Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (so schon BGH, Urt.v. 17.02.1970 - III ZR 139/67 - NJW 1970, 946 [948 re.Sp.]).

2. Einer erneuten Vernehmung der Zeugen durch das Landgericht bedurfte es nicht, nachdem sich die Parteien in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich mit der Verwertung der Ermittlungsakten zu Beweiszwecken einverstanden erklärt hatten. Die Berufungsangriffe, die dem Landgericht vorwerfen, die Zeugen nicht erneut vernommen zu haben, sind unbegründet.

Die Zeugen sind im Zuge der polizeilichen Ermittlungen ausführlich vernommen worden. Der Umstand, daß es vor der durch den Tod der Versicherungsnehmerin ausgelösten Einstellung des Ermittlungsverfahrens noch nicht zu einer richterlichen Vernehmung der Zeugen und der Beschuldigten gekommen ist, steht einer Verwertung der Ermittlungsergebnisse zu Beweiszwecken nicht entgegen.

Die vom Kläger aufgezeigten Widersprüche oder Unstimmigkeiten der Zeugenaussagen hatten kein derartiges Gewicht, das eine Vernehmung der Zeugen durch das Landgericht oder den Senat erforderlich gemacht hätte. Der von den Zeuginnen X und G unterschiedlich beantworteten Frage, wer von ihnen den Brand zuerst entdeckt hat, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Eine möglicherweise fehlerhafte Erinnerung einer oder beider Zeuginnen zu dieser Nebensache beeinträchtigt weder den Wert ihrer Aussagen noch ihre Glaubwürdigkeit. Ob die Zeuginnen beim Entdecken des Rauchs zunächst noch die Überlegung geäußert haben, der Rauch könne möglicherweise aus einer Gaststätte "Z" aufsteigen, erscheint ebenso unwichtig und kann dahinstehen. Es ist überzogen, aus der Äußerung dieser Vermutung negative Rückschlüsse gegen die Glaubwürdigkeit der Zeugen abzuleiten.

Den entscheidenden Kernbereich des Geschehens haben alle daran beteiligten Zeugen übereinstimmend geschildert, nämlich wie man vor der verschlossenen Tür zur Lagerhalle stand und mit der Mutter des Klägers Rufkontakt aufnahm, um dann nach einem vergeblichen Versuch des Aufschließens eine gewaltsame Öffnung in Angriff zu nehmen, bevor die Versicherungsnehmerin schließlich von innen her die Tür aufschloß und heraustrat. Diesen Geschehensablauf hat auch der Kläger nicht bestritten, so daß dieser Sachverhalt der Entscheidung als unstreitig zugrundezulegen war.

Daß sich bei von innen steckendem Schlüssel die Eingangstür zum Lagerraum nicht von außen mit einem weiteren Schlüssel aufschließen ließ, hat im übrigen die Polizei überprüft und bestätigt (vgl. Vermerk des KHK Ehrlichmann v. 10.11.2003, Bl. 66 BA).

Soweit der Kläger Zweifel an der Glaubwürdigkeit der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen dadurch erwecken will, daß er sie "im Lager" des Eigentümers ansiedelt, so sind diese Verdächtigungen ebenso unsubstantiiert wie seine Anschuldigung, der Eigentümer sei der Brandstifter gewesen. Aus den Aussagen insbesondere der Zeuginnen X und G ist eine spürbare Sympathie für die Mutter des Klägers und eine deutliche Sorge um sie erkennbar; irgendwelche Tendenzen, sie zu belasten, sind nicht hervorgetreten.

Nach alldem war es nicht fehlerhaft, daß das Landgericht die Zeugen nicht erneut vernommen hat. Auch der Senat sah keine Veranlassung zu einer erneuten Vernehmung der Zeugen, zumal die oben dargelegten Indizien, aus denen der Senat seine Überzeugung von der Täterschaft der Versicherungsnehmerin ableitet, weniger auf den Zeugenaussagen denn auf unstreitigem Sachverhalt, objektiv gesicherten Spuren bezüglich der Brandherde und des Brandfortschritts sowie der damit nicht im Einklang stehenden Einlassung der Beschuldigten beruhen.

3. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. I, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlaßt (§ 543 Abs. II Satz 1 ZPO).



Ende der Entscheidung

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