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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 27.09.2000
Aktenzeichen: 20 U 126/99
Rechtsgebiete: VVG, AKB


Vorschriften:

VVG § 6
AKB § 7
AKB § 12
Leitsatz

§ 6 VVG, 7, 12 AKB

1)

Tatsachenwürdigung zur Frage der Glaubwürdigkeit eines Versicherungsnehmers bei einem streitigen Kfz-Diebstahl.

2)

Der Versicherer kann sich auch am Schluß der Berufungsverhandlung noch auf eine Obliegenheitsverletzung berufen, wenn er den zugrunde liegenden Sachverhalt bereits vorher zur Begründung seiner Leistungsverweigerung wenn auch unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt vorgebracht hat.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 126/99 OLG Hamm 6 O 634/98 LG Bielefeld

Verkündet am 27. September 2000

Spilker, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 25. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann, die Richterin am Oberlandesgericht Brumberg und den Richter am Oberlandesgericht Rüther

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. April 1999 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 19.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 03. Dezember 1998 zu zahlen.

Im übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden zu 1/10 dem Kläger und zu 9/10 der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Fahrzeugversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 300,00 DM wegen Diebstahls seines LKW vom Typ Ford Transit Turbo auf Entschädigung in Anspruch.

Er behauptet, sein Fahrzeug sei am 22.12.1997 auf dem Parkplatz vor dem IKEA-Möbelkaufhaus in B in der Zeit von 13.30 bis 17.00 Uhr gestohlen worden.

Den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs beziffert er unter Vorlage eines Gutachtens des TÜV Nord vom 15.10.1998 und unter Berücksichtigung eines angeblich reparierten Unfallschadens, den er der Beklagten Ende des Jahres 1996 nach einem Verkehrsunfall in Polen gemeldet und den die Beklagte mit 18.950,02 DM reguliert hat, mit 22.000,00 DM und verlangt unter Abzug der vereinbarten Selbstbeteiligung von 300,00 DM Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 21.700,00 DM.

Die Beklagte lehnt die Regulierung für diesen Schadensfall ab. Sie hat die Entwendung des Fahrzeugs bestritten, Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers im Hinblick auf seine Angäben zum Schadensfall im Jahr 1996 und seine Angaben zu dem jetzt behaupteten Versicherungsfall in den betreffenden Schadenanzeigen aufgezeigt, die Reparatur des Fahrzeugs nach dem Verkehrsunfall 1996 in Polen sowie die Höhe des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs bestritten.

Das Landgericht hat nach Anhörung des Klägers und Vernehmung des Zeugen S zu dem Unfall 1996 in Polen die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, der seinen erstinstanzlichen Klageantrag weiterverfolgt, während die Beklagte das angefochtene Urteil verteidigt. Erstmals in der Berufungsinstanz beruft sich die Beklagte nach der Beweiserhebung zum Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs auf Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers, dem sie vorwirft, er habe in der Schadenanzeige falsche Angaben zur Reparatur des Fahrzeugs nach dem Unfall in Polen gemacht.

II.

Die Berufung ist insoweit begründet, als der Kläger Zahlung von 19.500,00 DM verlangen kann. Im übrigen hat sein Rechtsmittel keinen Erfolg.

Der Kläger kann gem. §§ 1, 49 VVG, 12 Nr. 1 I b, 13 AKB Zahlung einer Entschädigung nach Entwendung seines Fahrzeugs am 22.12.1997 verlangen.

1.

Der Kläger hat zwar das äußere Bild eines Diebstahls nicht mit Hilfe von Zeugen beweisen können, denn er hat keine Zeugen für seine Behauptung benennen können, er habe das Fahrzeug am 22.12.1997 gegen 13.30 Uhr auf dem Parkplatz des Kaufhauses IKEA in B abgestellt und dort gegen 17.00 Uhr nicht wieder vorgefunden.

Das Fehlen von Beweismitteln für das äußere Bild des Diebstahls hat der Kläger jedoch durch seine eigenen Angaben anläßlich seiner Anhörung vor dem Landgericht und der Ergänzung vor dem Senat ersetzen können. Die Beklagte hat nicht zu beweisen vermocht, daß an der Glaubwürdigkeit des Klägers schwerwiegende Zweifel bestehen. Die von der Beklagten aufgezeigten Umstände rechtfertigen ihre Annahme nicht, daß der Kläger persönlich unglaubwürdig sei.

a)

Die Angaben des Klägers zur mehrstündigen Dauer seines Aufenthaltes im IKEA-Kaufhaus sind nicht von vornherein unglaubhaft. Auch wenn der Kläger sich zunächst nur nach einem bestimmten Möbelstück umschauen wollte, kann sich sein Aufenthalt durchaus ausgeweitet und über mehrere Stunden erstreckt haben.

b)

Soweit sich die Beklagte zum Beweis für die angebliche Unredlichkeit des Klägers auf dessen Angaben in den Schadenanzeigen beruft, rechtfertigen die von der Beklagten aufgezeigten widersprüchlichen Eintragungen in den Schadenanzeigen die Annahme der Unglaubwürdigkeit des Klägers nicht:

Bei den Gerichtsakten befinden sich insgesamt 3 Schadenanzeigen. Dabei hat nicht festgestellt werden können, daß die undatierte Schadenanzeige auf Bl. 8 f. d.A., die der Kläger mit der Klageschrift eingereicht hat und in der die Frage nach reparierten Vorschäden unbeantwortet geblieben ist, vor Zustellung der Klageschrift überhaupt in den Bereich der Beklagten gelangt ist. Die Beklagte stützt die von ihr behauptete Unglaubwürdigkeit des Klägers aber gerade auf falsche Angaben in dieser Anzeige, allerdings erstmals in diesem Rechtsstreit, nachdem sie zuvor die Regulierung des Versicherungsfalls bereits abgelehnt hatte. Vorprozessual hat die Beklagte mit Schreiben vom 10.08.1998 (Bl. 49 f. d.A.) nur die Schadenanzeige vom 27.12.1997 (Bl. 109 f. d.A.) erwähnt, in der der Vorschaden aus dem Jahr 1996 angegeben ist, und keine falschen Angaben des Klägers in dieser Schadenanzeige aufgezeigt. Auch in der weiteren Schadenanzeige vom 09.03.1998 (Bl. 38 f. d.A.) ist der Vorschaden angegeben. Es kann aber allein aus den Angaben des Klägers in der undatierten Schadenanzeige nicht zu seinen Lasten hergeleitet werden, daß er den Vorschaden der Beklagten hat verschweigen wollen und deshalb unglaubwürdig ist, zumal die undatierte Anzeige auf Bl. 8 d.A. möglicherweise nur der Vorbereitung der Schadenanzeige vom 27.12.1997 auf Bl. 109 f. d.A. gedient hat und von vorne herein nicht zur Vorlage beim Versicherer bestimmt war.

Daß die Angaben des Klägers in den Schadenanzeigen vom 09.03.1998 (Bl. 38 f. d.A.) und 27.12.1997 (Bl. 109 f. d.A.) unrichtig sind und der Kläger deshalb unglaubwürdig ist, hat die Beklagte nicht bewiesen. Der von der Beklagten regulierte Vorschaden aus dem Jahr 1996 ist in beiden Anzeigen angegeben. Soweit die Beklagte die ordnungsgemäße Reparatur dieses Vorschadens bestreitet, hat sie die zur Begründung schwerwiegender Zweifel an der Redlichkeit des Klägers erforderliche Unrichtigkeit seiner Angaben zur Durchführung der Reparatur nicht zu beweisen vermocht. Der Kläger hat dazu bei seiner Anhörung vor dem Senat erklärt, die Karosseriearbeiten seien bei der Fa. L durch seinen Bruder H R unter Hilfestellung des Firmeninhabers L und die Lackierarbeiten von der Fa. S ausgeführt worden, wobei Rechnungen nicht geschrieben worden seien. Diesen Vortrag hat die Beklagte nicht widerlegt. Sie hat keinen Beweis für ihre Behauptung angetreten, Karosserie- und Lackierarbeiten seien nicht durchgeführt worden.

c)

Auch soweit die Beklagte aus angeblich falschen Angaben des Klägers zu dem ihr 1996 gemeldeten Unfall in Polen Anhaltspunkte für seine Unredlichkeit herleiten möchte, hat sie nicht bewiesen, daß die Angaben des Klägers in der damaligen Schadenanzeige unrichtig waren. Der Zeuge hat bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht den vom Kläger geschilderten Unfallhergang und die Beschädigung des Fahrzeugs bestätigt. Daß die vom Kläger seinerzeit dem Versicherer vorgelegte Abschlepprechnung fingiert war, kann nicht festgestellt werden. Schließlich haben die eigenen Ermittlungen der Beklagten ergeben, daß eine Werkstatt unter der auf der Rechnung angegebenen Adresse früher existiert hat. Das falsche Datum auf der Rechnung kann ein Versehen des Ausstellers sein, und der Umstand, daß auf der Rechnung die Mehrwertsteuer nicht ausgewiesen ist, indiziert nicht, daß die berechneten Leistungen nicht erbracht worden sind.

Schließlich sind auch nicht deshalb Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers berechtigt, weil er in der damaligen Schadenanzeige angegeben hat, der Unfall habe sich in der Nähe des Ortes "Kostanizce" ereignet und der Zeuge S bei seiner Befragung einen Ort mit diesem Namen nicht gekannt hat. Es ist nämlich ungeklärt, ob ein solcher Ort nicht doch in Polen im Bereich von Danzig bis zur deutsch-polnischen Grenze in Frankfurt/Oder existiert oder ob sich der Kläger verhört oder unrichtig an die Ortsbezeichnung erinnert hat.

2.

Soweit sich die Beklagte erstmals nach der Beweiserhebung zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes am Schluß der letzten mündliche Verhandlung vor dem Senat auf eine Obliegenheitsverletzung des Klägers wegen falscher Angaben zur Reparatur des Vorschadens in der Schadenanzeige vom 09.03.1998 beruft, führt auch dieser Einwand, der nicht von Amts wegen, sondern erst nach Geltendmachung der Beklagten zu berücksichtigen war, nicht zur Leistungsfreiheit der Beklagten nach § 6 Abs. 3 VVG.

a)

Zwar ist die Beklagte nicht deshalb mit diesem Einwand ausgeschlossen, weil sie sich erstmals im Berufungsrechtszug nach der Beweisaufnahme auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung berufen hat und die Erhebung dieses Einwands deshalb als treuwidrig erscheint. Die späte Geltendmachung dieses Einwands kann zwar im Einzelfall treuwidrig sein. Das ist jedoch dann nicht der Fall, wenn der Versicherer das Verhalten des Klägers, das nach seinem Dafürhalten den Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung erfüllt, in anderem Zusammenhang im Rahmen seiner Leistungsprüfung beanstandet und zum Anlaß nimmt, seine Eintrittspflicht aus diesem Grunde abzulehnen.

Vorliegend hat die Beklagte die Richtigkeit der Antwort des Klägers in der Schadenanzeige auf die Frage, wo der Vorschäden repariert worden sei, mit "Fa. B + Fa. L Karosseriearbeiten", schon im ersten Rechtszug bestritten und u.a. auf die Unrichtigkeit dieser Angaben ihre Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers gestützt. Sie hat lediglich nicht die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung angesprochen. Es erscheint aber nicht treuwidrig, wenn der Versicherer aus einem von ihm beanstandeten Verhalten des Versicherungsnehmers nicht sofort alle - wenn auch naheliegenden - rechtlichen Konsequenzen zieht und erst im Laufe des Rechtsstreits insoweit sein Vorbringen ergänzt.

b)

Eine Obliegenheitsverletzung wegen falscher Angaben zur Reparatur des Fahrzeugs kann dem Kläger hier aber nicht vorgeworfen werden.

In der Schadenanzeige ist im Zusammenhang mit der Frage nach der Reparatur von Vorschäden u.a. gefragt "wenn ja welche, wo und zu welchem Preis?". Wenn der Kläger dann in der dafür vorgesehenen Rubrik die Fa. L angegeben hat, so ist die Frage nach seiner Darstellung nicht falsch beantwortet, denn er hat angegeben, die Reparaturarbeiten seien bei der Fa. L durchgeführt worden. Daß die Arbeiten nicht in dem Betriebsgebäude bzw. auf dem Betriebsgelände dieser Firma ausgeführt worden sind und die Antwort deshalb unrichtig ist, hat die Beklagte nicht bewiesen. Die Frage ist nicht dahin gestellt worden ist, wer die Arbeiten durchgeführt hat, sondern wo sie durchgeführt worden sind. Die Frage muß deshalb nicht zwingend dahin verstanden werden, wie die Beklagte wohl meint, welche Firma mit der Durchführung der Arbeiten beauftragt worden ist, sondern kann auch nur auf die Örtlichkeit bezogen werden. Der Wortlaut der Frage läßt eine Auslegung des Versicherungsnehmers, es sei nur nach der Örtlichkeit gefragt, zu. Diese Auslegung ist auch unter Berückichtigung der Interessen des Versicherers nicht abwegig. Zur Qualität der Reparatur ist auch die Örtlichkeit aussagekräftig, da aus ihr folgt, welche technischen Hilfsmittel zur Verfügung standen. Bei diesem Verständnis ist die Frage nicht unrichtig beantwortet.

3.

Der Senat geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, daß der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Diebstahls 19.800,00 DM betragen hat. Der dem Senat als erfahren und sachkundig bekannte Sachverständige Dipl.-Ing. U hat in seinem mündlich erstatteten Gutachten ausgeführt, nach der Durchführung der Reparaturarbeiten, die nach dem Unfallschaden im Jahr 1996 erforderlich gewesen seien, sei an dem Fahrzeug zwar ein Minderwert verblieben, weil das Fahrzeug vermutlich nur instandgesetzt worden sei und bei einem Wiederverkauf keine Rechnungen über die Reparaturmaßnahmen hätten vorgelegt werden können, was Kaufinteressenten mißtrauisch mache. Auch unter Berücksichtigung eines Minderwertes habe das Fahrzeug aber noch einen Wiederbeschaffungswert von 19.800,00 DM gehabt. Dabei könne auch davon ausgegangen werden, daß der Motor noch oder wieder in Ordnung gewesen sei. Entweder habe er bei dem Unfall im Jahr 1996 keinen Schaden erlitten oder er sei ordnungsgemäß repariert worden. Er hätte nämlich keine Betriebsleistung von insgesamt 85.000 km - das sind rd. 25.000 km nach dem Unfall im Jahr 1996 - erreichen können, wenn er nach dem Unfall im Jahr 1996 Schäden gehabt hätte, die nicht fachgerecht repariert worden wären.

Abzüglich der vereinbarten Selbstbeteiligung von 300,00 DM verbleibt eine von der Beklagten zu zahlende Entschädigung von 19.500,00 DM.

4.

Der zugesprochene Zinsanspruch ist gem. §§ 288, 291 BGB begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Ziff. 10, 711 und 713 ZPO.

Die Beschwer beider Parteien liegt unter 60.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

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