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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 18.01.2006
Aktenzeichen: 20 U 160/05
Rechtsgebiete: ZPO, VVG


Vorschriften:

ZPO § 343 Satz 1
ZPO § 531 Abs. 2
VVG § 6 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 5. Juli 2005 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert.

Das Versäumnisurteil des Landgerichts Essen vom 21.12.2004 wird aufrechterhalten.

Die weiteren Kosten der ersten Instanz sowie die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Der Kläger hat bei der Beklagten eine Teilkaskoversicherung für einen - am 21.05.2003 von einer oder zwei seiner Töchter zum Preis von 30.550 EUR gekauften VW Multivan TDI genommen. Er nimmt die Beklagte in Anspruch mit der Behauptung, der Wagen sei am 24./25.09.2003 in H gestohlen worden.

Die zunächst auf Zahlung an ihn gerichtete Klage hat das Landgericht durch Versäumnisurteil abgewiesen. Nach seinem Einspruch hiergegen hat der Kläger seinen Antrag umgestellt auf Zahlung an die C GmbH. Diesem Antrag hat das Landgericht in Höhe von 27.300 EUR nebst Zinsen stattgegeben. Wegen der Begründung und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Die Beklagte erstrebt mit der Berufung die Abweisung der Klage. Sie wiederholt ihre Auffassung, das äußere Bild eines Diebstahls sei nicht bewiesen und es bestehe außerdem Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung.

Der Kläger verteidigt das Urteil.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens in dieser Instanz wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akten 157 Js 619/01 und 20 UJs 716/04 StA Duisburg haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

II.

Die Berufung ist begründet.

Der geltend gemacht Anspruch besteht nicht. Gemäß § 343 Satz 1 ZPO ist daher auszusprechen, dass das Versäumnisurteil aufrechtzuerhalten sei. Dieser Ausspruch beinhaltet auch die Abweisung des Antrags auf Zahlung an die C GmbH (vgl. Zöller-Herget, ZPO, 25. Aufl., § 343 Rn. 4).

1.

Der Kläger hat schon das so genannte äußere Bild eines Diebstahls (vgl. Römer, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 49 Rn. 17 ff.) nicht bewiesen.

Er war - nach eigenem Vortrag - beim Nicht-Wiederauffinden des Fahrzeugs allein. Die Aussage seiner Ehefrau kann daher den Beweis nicht erbringen.

Aber auch durch seine eigenen Angaben ist der Beweis nicht erbracht. Die eigenen Angaben des Versicherungsnehmers genügen nur dann, wenn er glaubwürdig ist. Der Kläger ist dies nicht. Die zu seinen Gunsten streitende Redlichkeitsvermutung (vgl. zu alledem ebd. Rn. 24, 26 f.) ist widerlegt.

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger bei seiner persönlichen Anhörung in zumindest einem Punkt bewusst die Unwahrheit gesagt hat. Der Kläger hat in Bezug auf das in den Jahren 2001 und 2002 gegen ihn geführte (letztlich gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellte) Ermittlungsverfahren wegen Sozialhilfebetrugs vor dem Senat erklärt, der Vorwurf sei unberechtigt gewesen; er, der Kläger, habe seinerzeit alle (neuen) Einkünfte seiner Ehefrau und seiner Tochter der Behörde umgehend mitgeteilt gehabt. Der Senat ist davon überzeugt, dass dies nicht zutrifft. Denn im Laufe des Ermittlungsverfahrens hat der Kläger selbst eingestanden, die Mitteilungen unterlassen ("vergessen") zu haben (vgl. Protokoll der Beschuldigtenvernehmung vom 22.01.2002, Bl. 17 ff. der Beiakte 157 Js 619/01 StA Duisburg). Es ist nicht ersichtlich, warum der Kläger dies damals unrichtigerweise hätte eingestehen sollen. Er hat dafür und für den Widerspruch zu seiner Angabe vor dem Senat auch keine Erklärung gegeben.

Es kommt hinzu, dass in sonstigen Punkten die Angaben des Klägers vor dem Senat in krassem und durch nichts erklärtem Widerspruch zu seinem bisherigen Vortrag (und übrigens auch zu den Zeugenaussagen seiner Töchter vor dem Landgericht) stehen. So hat der Kläger - mit im Einzelnen stark wechselnden Angaben (vgl. S. 2 Mitte des Schriftsatzes vom 04.10.2004 = Bl. 43 d.A. einerseits sowie S. 2 der Berufungserwiderung = Bl. 168 andererseits) - bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen lassen (und haben die Töchter T und T2 vor dem Landgericht bekundet), die Kreditraten für das Fahrzeug seien von dem Konto einer dieser beiden Töchter überwiesen worden; die andere der beiden Töchter habe sich intern hälftig beteiligt. In der mündlichen Verhandlung zu Einzelheiten befragt, hat sich der Kläger darauf zurückgezogen, dass sich die Zahlungen so nicht nachvollziehen ließen; überwiegend hätten ihm T und T2 Geld in bar gegeben, welches er dann auf ein Konto des Kreditgebers eingezahlt habe. Ferner hat der Kläger zuletzt, bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat vortragen lassen (und hat seine Tochter T3 vor dem Landgericht bekundet), er habe beim Ausfüllen der Schadenanzeige seine Tochter T3 - welche unstreitig die einzelnen Antworten in das Anzeigeformular eintrug - zur Frage nach der "Gesamtfahrleistung" aufgrund eines sprachlichen Missverständnisses auf den km-Stand im Kaufvertrag (16.500 km) verwiesen. Erstmals vor dem Senat hat er erklärt, er habe seiner Tochter T3 die richtige Antwort (ca. 22.000 km) vorgegeben; diese habe versehentlich den geringeren km-Stand eingetragen.

Die unwahre Angabe zu dem Vorwurf des Sozialhilfebetrugs und die durch nichts erklärten wechselnden Angaben in diesem Rechtsstreit sind insgesamt so gewichtig, dass hiernach nicht mehr von dem Regelfall eines redlichen Versicherungsnehmers ausgegangen werden kann. Es handelt sich nicht um bloße Ungereimtheiten, welche - allein - die Redlichkeitsvermutung nicht widerlegen können.

2.

Unabhängig davon ist die Beklagte leistungsfrei, da der Kläger mit seiner Falschangabe zur Fahrleistung seine Obliegenheit zur Aufklärung verletzt hat (§ 7 AKB, § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG).

a)

Die in der Schadensanzeige angegebene "Gesamtfahrleistung" war falsch, wie sich aus dem Vorstehenden bereits ergibt. Der Kläger kannte die wahre Fahrleistung. Er hat die Obliegenheit auch selbst verletzt. Denn er hat die Schadenanzeige unterschrieben; dass seine Tochter die Antworten eingetragen hat, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.

b)

Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG ist nicht widerlegt.

Sie ist nicht widerlegt durch die von dem Kläger bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat gegebene und in erster Instanz durch seine Tochter T3 gestützte Erklärung. Denn diese Erklärung (Irrtum seinerseits aufgrund eines sprachlichen Missverständnisses) hat der Kläger vor dem Senat nicht mehr aufrechterhalten. Letzteres darf und muss der Senat bei der hier vorzunehmenden Prüfung (Widerlegung der Vorsatzvermutung) berücksichtigen, unabhängig davon, ob der neue Vortrag (Kläger habe der Tochter T3 die richtige Antwort gesagt) auch als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO beachtlich ist oder nicht.

Die Vorsatzvermutung ist aber auch nicht widerlegt durch die neue Erklärung (Kläger habe T3 die richtige Antwort gesagt). Dies gilt schon deshalb, weil der Kläger den Widerspruch zu seinem bisherigen Vortrag und der Bekundung seiner Tochter T3 vor dem Landgericht durch nichts erklärt hat. Die soeben angesprochene Frage, ob der neue Vortrag als neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO beachtlich ist oder nicht, kann dahingestellt bleiben.

c)

Auch die Voraussetzungen der so genannten Relevanz-Rechtsprechung (vgl. Römer, a.a.O., § 6 Rn. 51 ff. mit genauen Nachweisen) sind erfüllt:

Die Schadenanzeige enthielt eine ordnungsgemäße Belehrung.

Die Falschangabe der Fahrleistung war geeignet, die Interessen der Beklagten ernsthaft zu beeinträchtigen. Die Differenz zur tatsächlichen Fahrleistung ist erheblich auch bezogen auf den Fahrzeugwert.

Es handelt sich nicht bloß um ein Fehlverhalten, welches auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen kann (vgl. zu diesem Maßstab etwa BGH, VersR 1984, 228).

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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