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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 09.07.2008
Aktenzeichen: 20 U 182/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 305 c Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 02.07.2007 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Die Klägerin unterhält seit April 2001 bei der Beklagten eine Familienunfallversicherung, in der u.a. ihr Sohn T mitversichert ist.

Dem Versicherungsvertrag liegen die AUB 2000 und die Besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel BB Progression 2000 - 225 % zugrunde.

Die Versicherungssumme beläuft sich auf 57.000,00 €.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Versicherungsvertrages wird auf den Versicherungsschein mit der Versicherungsnummer ########/#### verwiesen.

Am 23.12.2004 erlitt T einen Verkehrsunfall, bei dem er sich eine retrosternale Luxation der rechten Clavicula (Verrenkung des Schlüsselbeins hinter dem Brustbein rechts) zuzog.

Die Beklagte beauftragte N mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens. In seinem Gutachten vom 26.02.2006 (Bl. 17 - 28 d.A.) stellte N als unfallbedingte Beeinträchtigung eine Subluxationsstellung im Schlüsselbein-Brustbeingelenk, eine eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Armes in der Schulter, eine Schädigung des Nervus accessorius mit Schulterblattfehlstand und verringerter Schultergürtelmuskulatur, eine Kraftminderung des rechten Armes sowie eine verminderte Tragfähigkeit und Belastbarkeit fest und bewertete die unfallbedingte, auf Dauer bestehende Beeinträchtigung mit 2/10 Armwert.

Die Beklagte zahlte dementsprechend im März 2006 an die Klägerin 7.980,00 €.

Die Klägerin hat behauptet, die erlittene Verletzung sei nicht ordnungsgemäß verheilt. Ihrem Sohn sei ein ganztägiger Dauerschmerz im Schlüsselbeinbereich und im gesamten Arm- und Haltungsbereich verblieben, der zu einer Fehlhaltung führe. Das Schulterblatt trete immer mehr aus dem Körper heraus. Die Abrechnung der Beklagten nach Armwert sei verfehlt. Da der Sachverständige N in seinem Gutachten wenigstens sechs betroffene Körperteile namentlich benannt habe, müsse für jedes dieser benannten Körperteile ein gesonderter Invaliditätsgrad bestimmt werden, der zusammenzurechnen sei. Insgesamt ergebe sich hiernach eine zumindestens 50%ige Invalidität, da nicht nur eine Beeinträchtigung des Armes, sondern zusätzlich eine Funktionsbeeinträchtigung an den einzelnen genannten Körperteilen vorliege.

Entsprechend der progressiven Invaliditätsstaffel würde sich bei einem Invaliditätsgrad von 50 % eine Leistung aus der Versicherungssumme in Höhe von 75 % ergeben. Dies wäre bei einer versicherten Invaliditätssumme am Unfalltag in Höhe von 57.000,00 € eine geschuldete Versicherungsleistung in Höhe von 42.750,00 €. Darauf habe die Beklagte bisher lediglich einen Betrag von 7.980,00 € gezahlt. Mithin verbliebe eine Differenz in Höhe von 34.770,00 €. Diese Differenz hat die Klägerin mit ihrer Klage nebst Prozesszinsen eingefordert.

Die Beklagte hat das Gutachten N und die darauf basierende Abrechnung für zutreffend gehalten.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen S vom 15.03.2007 (Bl. 59 - 72) und der Klage sodann in Höhe von 3.420,00 € stattgegeben.

Die Klage sei nur in Höhe des zuerkannten Betrages begründet.

Angesichts einer deutlichen Differenzierung nach ausdrücklich in der Gliedertaxe namentlich aufgeführten Körperteilen und nicht namentlich in den AUB 2000 genannten Körperteilen müsse die Regelung in Ziff. 2.1.2.2.4 AUB 2000 zwingend dahin verstanden werden, dass nur bei Beeinträchtigung mehrerer in der Gliedertaxe ausdrücklich aufgeführter Körperteile eine Einzelfestsetzung mit abschließender Addition vorzunehmen sei. Ein Rückgriff auf die einzelnen im Körper vorhandenen Nerven, Knochen und Zellen sei auch nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers nicht angedacht. Die von der Klägerin hier angeführten betroffenen Körperteile Schlüsselbein, Brustbein, Gelenk, Schulterblatt, Schultergürtelmuskulatur und Nervus accessorius seien in der Gliedertaxe nicht als gesondert zu bewerten aufgeführt. Vor diesem Hintergrund habe der vom Gericht beauftragte Sachverständige zutreffende Kriterien für die Bewertung angelegt. Nach seinen Feststellungen habe der Versicherte bei dem Unfall eine Sprengung des Sternoclavicula-Gelenkes rechts mit Verletzung des Nervus accessorius rechts erlitten. Diese Verletzung führe zu einem Schultertiefstand rechts, einem leicht vorstehenden Schulterblatt rechts und belastungsabhängiger Beschwerden im Bereich des Schulterblattes und des rechten Schlüsselbein-Brustgelenkes. Die Gelenke seien jedoch frei beweglich und die Durchblutung und Sensibilität sei regelgerecht. Eine Instabilität der verschobenen Stellung des Gelenkes habe der Sachverständige verneint, auch wenn eine Beschwerdesymptomatik bei Belastung bejaht worden sei. Der Sachverständige habe die hieraus resultierende Einschränkung der Funktionsfähigkeit des Armes mit 1/10 Armwert bewertet. Er habe im Gegensatz zu dem vorangegangenen Privatgutachten N eine endgradige Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk und im Ellbogengelenk nicht mehr feststellen können. Darüber hinaus habe der Sachverständige belastungsabhängige Beschwerden im Bereich der rechten Oberkörperseite, nämlich im rechten Sternoclavicula-Gelenk und im rechten Schulterblatt und eine Haltungsauffälligkeit durch Tiefertreten der rechten Schulter beschrieben. Diese Beschwerden am Rumpf habe er mit 13 % bewertet, die Gesamtinvalidität daher mit 20 %.

Die Progression nach der 225 %-Staffel beginne ab einem unfallbedingten Invaliditätsgrad von 26 %. Die Klägerin könne also insgesamt lediglich 20 % von 57.000,00 €, also 11.700,00 € wegen der Invalidität beanspruchen. Vorprozessual habe die Beklagte darauf bereits 7.980,00 € gezahlt, so dass noch restliche 3.420,00 € zuzusprechen seien.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.

Das Landgericht habe Ziff. 2.1.2.2.4 der AUB 2000 unrichtig verstanden und unrichtig ausgelegt. Es sei nicht ansatzweise nachvollziehbar und werde auch nicht nachvollziehbar begründet, warum die Formulierungen unter Ziff. 2.1.2.2.1 und 2.1.2.2.2 AUB 2000 dazu führten, dass die Regelung in Ziff. 2.1.2.2.4 nur dahin verstanden werden könne, dass nur bei Beeinträchtigung mehrerer in der Gliedertaxe ausdrücklich aufgeführter Körperteile eine Einzelfestsetzung mit anschließender Addition vorzunehmen sei. Vielmehr bestimme die Regelung unter 2.1.2.2.4 AUB 2000 klar und eindeutig, dass die nach den Ziff. 2.1.2.2.1 und 2.1.2.2.2 ermittelten Invaliditätsgrade zusammengerechnet würden. Es lasse sich aus den vorbezeichneten Ziffern der AUB 2000 nicht entnehmen, dass nur hinsichtlich der in der Gliedertaxe ausdrücklich aufgeführten Körperteile eine Addition der Invaliditätsgrade vorzunehmen sei.

Unklarheiten der AUB gingen gem. § 305 c Abs. 2 BGB zu Lasten der Beklagten.

Diese Problematik sei bereits erstinstanzlich dargelegt, aber in dem fehlerhaften Beweisbeschluss der Kammer vom 16.11.2006 nicht berücksichtigt worden. Wegen des fehlerhaften Beweisbeschlusses sei auch das gerichtliche Sachverständigengutachten unzulänglich ausgefallen. Insbesondere seien die dort getroffenen Feststellungen zur Anzahl der durch den Unfall betroffenen und beeinträchtigten Körperteile nicht richtig und vollständig gewesen. Hätte das Landgericht die Regelung in Ziff. 2.1.2.2.4 richtig angewandt und einen zutreffenden Beweisbeschluss erlassen, hätte auch ein zutreffendes Sachverständigengutachten vorgelegen und dem Landgericht wäre eine Addition der Invaliditätsgrade je Körperteil möglich gewesen. Dem Klageantrag wäre dann vollständig entsprochen worden.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 31.350,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.11.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Verteidigung des angefochtenen Urteils wiederholt und vertieft die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Ihr steht gegen die Beklagte aus dem Unfallversicherungsvertrag der Parteien ein Leistungsanspruch lediglich in der vom Landgericht tenorierten Höhe zu.

Das Landgericht ist bei der Berechnung der Höhe der Versicherungsleistung zutreffend von einem Invaliditätsgrad von 20 % insgesamt ausgegangen. Das Landgericht hat diese Einschätzung auf die Feststellungen des von ihr beauftragten Sachveständigengutachten S gestützt.

Die Angriffe der Klägerin gegen die Feststellungen des vom Gericht beauftragten Sachverständigen S überzeugen nicht.

1.

Soweit die Klägerin bemängelt, dass der Sachverständige S nicht für jedes der durch den Unfall betroffenen, aber in der Gliedertaxe nicht benannten, Körperteile einen gesonderten Invaliditätsgrad aufgeführt hat, um sodann die Einzelwerte zu addieren, ist diese Kritik unberechtigt.

Die von der Klägerin insoweit geforderte Vorgehensweise entspricht nicht der einschlägigen Ziff. 2.1.2.2.2 AUB 2000. Dort heißt es nämlich:

"Für andere Körperteile und Sinnesorgane bemisst sich der Invaliditätsgrad danach, inwieweit die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit insgesamt beeinträchtigt ist. Dabei sind ausschließlich medizinische Gesichtspunkte zu berücksichtigen." (Hervorhebung hinzugefügt.)

Das bedeutet, dass bei Vorliegen mehrerer Verletzungen, die außerhalb der Gliedertaxe zu bewerten sind, nicht Einzelwerte einfach zusammengezählt werden, sondern ermittelt werden muss, wie die Verletzungen insgesamt die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigen. Es ist also zu beurteilen, um wie viel Prozent die Funktionsfähigkeit des gesamten Körpers beeinträchtigt ist (vgl. Grimm, Unfallversicherung, 4. Aufl., § 2 AUB 99, Rdn. 36).

Dies hat der Sachverständige S in seinem Gutachten vom 15.03.2007 getan (vgl. Bl. 70 f.). Dort heißt es u.a.:

"Zusätzlich zu den unter Beantwortung der Frage Nr. 3 angegebenen Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Armes besteht eine gesundheitliche Beeinträchtigung im Bereich der rechten Oberkörperseite durch belastungsabhängige Beschwerden im rechten Sternoclavicula-Gelenk und rechten Schulterblatt sowie einer Haltungsauffälligkeit durch Tiefertreten der rechten Schulter mit leichtem Abstand des rechten Schulterblattes. Die Gesamtinvalidität wird unter Berücksichtigung der vorgenannten Invalidität des rechten Armes und der zusätzlichen Invalidität des rechten Oberkörpers (Schultergürtels) auf 20 % eingeschätzt."

Nachdem der Sachverständige bereits die unfallbedingte Minderung der Funktionsfähigkeit des rechten Armes auf 1/10 Armwert, d.h. auf 7 %, geschätzt hat, hat er also 13 % für die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der rechten Oberkörperseite ermittelt.

2.

Der Sachverständige S hat sowohl in seinem schriftlichen Gutachten vom 15.03.2007 als auch vor dem Senat erläutert, wieso er einen höheren Invaliditätsgrad als 20 % nicht festzustellen vermocht hat.

So hat er in seinem schriftlichen Gutachten bereits darauf hingewiesen, dass sich eine klinische Instabilität des rechten Schultergelenkes nicht nachweisen lasse. Auch bestünden Sensibilitäts- oder Durchblutungsstörungen der oberen Extremität klinisch nicht. Des weiteren gingen aus den Umfangmaßen der oberen Extremität keine wesentlichen Seitendifferenz mehr hervor. Die erlittenen Verletzungen bewirkten eine belastungsabhängige Funktionsbeeinträchtigung des rechten Armes, den der Sachverständige entsprechend der Gliedertaxe der AUB 2000 auf 1/10 einschätzte. Da keine endgradigen Bewegungseinschränkungen sowohl im rechten Schultergelenk als auch im Ellbogengelenk mehr festzustellen seien, komme ein unfallbedingter Beeinträchtigungsgrad von 2/10 Armwert nicht mehr in Betracht.

Des weiteren bestehe neben der Funktionsbeeinträchtigung des rechten Armes eine gesundheitliche Beeinträchtigung im Bereich der rechten Oberkörperseite durch belastungsabhängige Beschwerden im rechten Sternoclaviculagelenk und rechten Schulterblatt sowie eine Haltungsauffälligkeit durch Tiefertreten der rechten Schulter mit leichtem Abstand des rechten Schulterblattes. Der Sachverständige hat diese Beeinträchtigung entsprechend Ziffer 2.1.2.2.2 AUB 2000 mit insgesamt 13 % bewertet.

Bei der entsprechend Ziff. 2.1.2.2.4 AUB 2000 geforderten Addition der Einzelinvaliditätsgrade hat sich ein Invaliditätsgrad von insgesamt 20 % ergeben ([1/10 Armwert x 70 % =] 7 % + Invaliditätsgrad des rechten Oberkörpers bzw. Schultergürtels von 13 %).

Bei diesem Grad der Gesamtinvalidität ist der Sachverständige auch im Rahmen seiner ergänzenden Anhörung vor dem Senatstermin geblieben, nachdem der Versicherte T noch einmal seine unfallbedingten Beschwerden geschildert hatte.

Der Senat ist von der Richtigkeit dieser Einschätzung des Sachverständigen, dessen Sachkunde und Erfahrung außer Zweifel stehen, überzeugt. Auch nach der Erfahrung des Senats aus anderen Verfahren mit sachverständiger Beratung ist nicht nachzuvollziehen, wie bei dem geschilderten Beschwerdebild und den relativ leichten Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeitk des Versicherten ein Gesamtinvaliditätsgrad von über 20 % erreicht weden soll.

Da die weiteren Berechnungen des Landgerichts zur Höhe des Versicherungsanspruchs zutreffend sind, bleibt die Berufung der Klägerin erfolglos.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, § 543 ZPO.

Ende der Entscheidung

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