Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 19.03.2003
Aktenzeichen: 20 U 218/02
Rechtsgebiete: VVG, AKB


Vorschriften:

VVG § 6 Abs. 3
VVG § 6 Abs. 3 Satz 1
AKB § 7 I Abs. 2 Satz 4
AKB § 7 V Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 23.08.2002 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt nach einem Vandalismusschaden an seinem Pkw vom 14./15.02.2001 Leistung aus einer bei der Beklagten genommenen Vollkaskoversicherung. Für diese war die Geltung der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) vereinbart.

Wegen der Schadenanzeige wandte sich der Kläger an den Versicherungsagenten Q. Dieser füllte einen Formularbogen der Beklagten aus, indem er dem Kläger die Fragen mitteilte und dann die Antworten des Klägers niederlegte. In dem Bogen heißt es u.a.:

"Unreparierte Vorschäden: () ja () nein

Art der Beschädigungen: ...............................................

Reparierte Vorschäden: () ja () nein mit DM ....................

Schäden beim Vorbesitzer: () ja () nein".

Der Kläger antwortete auf die Frage nach unreparierten und reparierten Vorschäden jeweils mit nein; auf die Frage nach Schäden beim Vorbesitzer antwortete er, solche seien ihm nicht bekannt. Der Agent kreuzte jeweils nein an. Der Kläger unterschrieb das Formular, welches unmittelbar vor der Unterschrift eine fett gedruckte Belehrung gemäß der so genannten Relevanz-Rechtsprechung enthielt.

Tatsächlich hatte der Wagen bei dem Vor-Vorbesitzer - jedenfalls - folgende Schäden erlitten, welche noch unrepariert vorhanden waren: Der vordere Stoßfänger hatte auf der Beifahrerseite eine deutliche Eindellung (Fotos Bl. 150 d.A. unten und Bl. 152 d.A. unten). Die Seitenwand hinten links war im Bereich der Schlussleuchte eingedellt (Foto Bl. 151 d.A. unten). In dem Bereich darunter hatte auch der hintere Stoßfänger eine Delle (ebd.). Der Kläger hatte den Wagen am 04.12.2000 von privat zum Preis von 51.000 DM als "unfallfrei" erworben.

Der Kläger hat behauptet, die Vorschäden seien ihm weder beim Kauf noch später aufgefallen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er indessen erklärt, die Eindellung des vorderen Stoßfängers sei ihm bekannt gewesen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, sie sei leistungsfrei, da der Kläger durch die unrichtige Angabe über Vorschäden eine Obliegenheit verletzt habe.

Das Landgericht ist dieser Argumentation gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz und der Begründung des Landgerichts wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der sein Begehren - unter Berücksichtigung der ergänzenden Berechnung des von der Beklagten beauftragten Gutachters - in Höhe von 5.833,81 EUR nebst Zinsen wie in erster Instanz weiterverfolgt.

Wegen des Vorbringens der Parteien in dieser Instanz wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen; diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

II.

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers verneint.

Die Beklagte ist gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VVG in Verbindung mit § 7 V Abs. 4 AKB leistungsfrei, da der Kläger die Obliegenheit aus § 7 I Abs. 2 Satz 4 AKB verletzt hat, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes dienlich sein kann.

1.

Der Kläger hat diese Obliegenheit verletzt durch seine Antworten auf die drei oben genannten Fragen.

a)

Allerdings läge möglicherweise keine Obliegenheitsverletzung vor, wenn die in dem Formular gestellten Fragen von dem Kläger dahin hätten verstanden werden dürfen, dass unreparierte Vorschäden, welche bei einem Vor-Vorbesitzer eingetreten waren, nicht erfragt seien. Ein Versicherer muss sich in einem solchen Fall an der von ihm gewählten Fragestellung festhalten lassen (vgl. BGH, r+s 1989, 5 f.; Langheid, in: Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 34 Rn. 14; Dörner, in: Berliner Kommentar zum VVG, § 34 Rn. 13 - jeweils m.w.N.).

Der Kläger durfte die Fragen aber nicht in diesem Sinne verstehen.

Maßgeblich ist im vorliegenden Zusammenhang die Verständnismöglichkeit eines verständigen Versicherungsnehmers (vgl. ebd.).

Ein solcher Versicherungsnehmer kann ohne weiteres erkennen, dass der Versicherer mit den oben genannten Fragen jedenfalls alle unreparierten Vorschäden erfahren möchte, seien sie auch bei dem Vor-Vorbesitzer oder einem noch früheren Besitzer eingetreten. Denn der Versicherer hat ein offensichtliches Interesse daran, dass ihm solche Schäden mitgeteilt werden. Er hat nur für die Schäden aus dem jeweils geltend gemachten Versicherungsfall einzutreten; für Vorschäden hat er nicht zu leisten. Im übrigen ist die Frage auch für die Wertermittlung bedeutsam. Der verständige Versicherungsnehmer wird daher entweder schon die erste Frage (nach unreparierten Vorschäden) dahin verstehen, dass alle unreparierten Vorschäden anzugeben sind - unabhängig von dem Entstehungszeitpunkt -, oder er wird die dritte Frage (nach Schäden "beim Vorbesitzer") dahin verstehen, dass damit nach der Besitzzeit aller Vorbesitzer gefragt wird.

Der verständige Versicherungsnehmer wird hingegen nicht, wie die Berufung meint, aus der dritten Frage folgern, dass mit den ersten beiden Fragen nur nach denjenigen Schäden gefragt werde, welche zur Besitzzeit des Versicherungsnehmers eingetreten seien, und zugleich die dritte Frage dahin verstehen, dass diese sich nur auf diejenigen Schäden beziehe, welche bei dem - letzten - Vorbesitzer eingetreten seien. Eine derartige Interpretation ist zwar, wenn man allein auf den Wortlaut der Fragen abstellt, möglich; sie ist aber schon nach ihrem Wortlaut keineswegs zwingend: Die Fragen können nach ihrem Wortlaut zumindest auch dahin verstanden werden, dass die erste Frage sich auf alle unreparierten Vorschäden bezieht und dass die zweite und dritte Frage sich auf reparierte Vorschäden beziehen, wobei die zweite Frage die in der Besitzzeit des Versicherungsnehmers reparierten Schäden betrifft, bei welchen zusätzlich die Reparaturkosten anzugeben sind. Jedenfalls aber aufgrund der für den Versicherungsnehmer ohne weiteres erkennbaren, soeben dargelegten Interessenlage des Versicherers wird der verständige Versicherungsnehmer die Fragen nicht so auffassen, wie es die Berufung geltend macht.

Die Frage nach allen - jedenfalls - unreparierten Vorschäden stellt auch keine unzulässige Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar. Eine Obliegenheitsverletzung wegen einer Falschangabe liegt nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur vor, wenn der Versicherer beweist, dass der Versicherungsnehmer die wahren Tatsachen kannte (OLG Hamm r+s 93, 207; ferner OLG Düsseldorf r+s 00, 436; OLG Frankfurt VersR 00, 758).

b)

Der Kläger hätte hiernach - jedenfalls - den Vorschaden am vorderen Stoßfänger angeben müssen. Dieser Schaden war ihm, wie der Kläger vor dem Senat eingeräumt hat, bekannt. Der Schaden war auch unrepariert.

2.

Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG hat der Kläger nicht widerlegt.

3.

Auch die von der so genannten Relevanz-Rechtsprechung entwickelten weiteren Voraussetzungen für eine Leistungsfreiheit des Versicherers sind gegeben (vgl. dazu nur Römer, in: Römer/Langheid, a.a.O., § 6 Rn. 51 ff. m.w.N.):

Das Verschweigen eines Vorschadens war generell geeignet, die Interessen der Beklagten ernsthaft zu gefährden.

Den Kläger trifft ein erhebliches Verschulden. Bei dem Verschweigen der deutlichen Eindellung am vorderen Stoßfänger handelt es sich um mehr als ein Fehlverhalten, welches auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag.

Der Kläger war durch die auf dem Anzeigeformular unmittelbar über seiner Unterschrift abgedruckte Belehrung ausreichend auf die Folgen einer vorsätzlich falschen Angabe hingewiesen.

III.

Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Nichtzulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück