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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 31.05.2000
Aktenzeichen: 20 U 231/99
Rechtsgebiete: BGB, VVG


Vorschriften:

BGB § 827
VVG § 61
Leitsatz

1) § 827 S. 1 BGB ist im Rahmen des § 61 VVG anwendbar.

2) Grob fahrlässige actio libera in causa, wenn ein Fahrer vor Beginn des Alkoholgenusses die spätere Benutzung des Kfz nicht hinreichend sicher ausschließt.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 231/99 OLG Hamm 2 O 216/99 LG Bochum

Verkündet am 31. Mai 2000

Lammers, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 31. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Knappmann, die Richterin am Oberlandesgericht Brumberg und den Richter am Oberlandesgericht Meißner

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 15. September 1999 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Kfz-Kaskoversicherung, der die AKB 95 zugrunde liegen.

Am Abend des 26.07.1998 gegen 22.30 Uhr verursachte der Kläger einen Verkehrsunfall, wobei auch sein Pkw erheblich beschädigt wurde. Bei einem Wiederbeschaffungswert für ein gleichwertiges Fahrzeug von 69.000,00 DM beliefen sich die Reparaturkosten auf voraussichtlich 59.620,17 DM. Unter Abzug der vereinbarten Selbstbeteiligung von 1.000,00 DM verlangte er von der Beklagten eine Entschädigung in Höhe von 58.620,17 DM. Die Beklagte lehnte eine Entschädigung ab, weil der Kläger den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Der Verkehrsunfall sei eine typische alkoholbedingte Ausfallerscheinung. Eine dem Kläger 25 Minuten nach dem Verkehrsunfall entnommene Blutprobe hatte eine Blutalkoholkonzentration von 2,68 o/oo ergeben.

Das Landgericht ist der Argumentation der Beklagten gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit welcher er sein Begehren weiterverfolgt.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte ist gemäß § 61 VVB leistungsfrei, weil der Beklagte den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat. Es liegt ein typischer Alkoholunfall vor. Der Kläger ist, nachdem er im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit seinen Wagen gut 2 km durch die Straßen der Innenstadt gesteuert hatte, ohne Mitwirkung des Verhaltens eines Dritten in den ruhenden Verkehr hineingefahren und hat dort mehrere andere Fahrzeuge beschädigt. Wer im Zustand alkoholbedingt absoluter Fahruntüchtigkeit ein Auto steuert, läßt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders grobem Maße außer Acht (BGH VersR 85, 440).

Der Kläger behauptet, er sei infolge seiner erheblichen Alkoholisierung bereits schuldunfähig gewesen. Daß die Bestimmung des § 827 S. 1 BGB insoweit entsprechend anzuwenden ist, entspricht einhelliger Rechtsprechung (BGH, a.a.O.; VersR 89, 469 (470); Knappmann, NVersZ 1998, 13 (14) und VersR 2000, 11 (12 f.), je m.w.N.).

Eine alkoholbedingte Aufhebung der Schuldfähigkeit kann im vorliegenden Fall aber nicht festgestellt werden. Dem Kläger ist um 23.03 Uhr eine Blutprobe entnommen worden, die eine Blutalkoholkonzentration von 2,68 o/oo ergeben hat. Bei einer Rückrechnung auf den Zeitpunkt des Unfalls um 22.38 Uhr ergibt sich bei der für den Kläger günstigsten Berechnungsweise (Alkoholabbau von 0,2 o/oo pro Stunde und ein einmaliger Sicherheitszuschlag von weiteren 0,2 o/oo) eine Blutalkoholkonzentration von knapp 2,96 o/oo. Der Grenzwert von 3 o/oo, bei dem in der Regel die Annahme einer alkoholbedingten Aufhebung der Steuerungsfähigkeit naheliegt, ist deshalb nicht erreicht. Der Kläger ist im übrigen ein gesunder Mann. Anhaltspunkte dafür, daß bei ihm eine besondere pathologische Alkoholunverträglichkeit vorliegt, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Allerdings behauptet der Kläger, ansonsten abstinent zu leben und letztmals etwa 14 Jahre vor dem Unfall anläßlich seiner Meisterprüfung Alkohol zu sich genommen zu haben. Er sieht darin besondere Umstände, die die Annahme einer alkoholbedingten Aufhebung der Steuerungsfähigkeit auch unter einem BAK-Wert von 3 o/oo nahelegen. Gegen eine derartige Annahme spricht aber, wie der Senat aus eigener Sachkunde beurteilen kann, das Leistungsverhalten des Klägers. Er war nämlich keineswegs sinnlos betrunken. Nach seiner eigenen Darstellung war er, bevor er nach reichlichem Alkoholgenuß die Feier seines Bekannten verließ, zeitlich und örtlich wohlorientiert. Er war trotz seiner erheblichen Alkoholisierung in der Lage, mit dem Nachbarn seines Bekannten zu kommunizieren und ihn darum zu bitten, ihm ein Taxi zu rufen. Anschließend war er, wenn auch zu verkehrsarmer Zeit, in der Lage, seinen Pkw über mehrere Kilometer durch die nächtlichen Straßen der Innenstadt zu steuern. Auch auf den Arzt, der ihm später die Blutprobe entnommen hat, machte er keinen sinnlos betrunkenen Eindruck. Er beschrieb den Kläger, der nach seinem Bericht durchaus ansprechbar war, "lediglich" als sehr unter Alkoholeinfluß stehend. Vor diesem Hintergrund hat auch die Angabe des Klägers, sonst keinerlei Alkohol zu sich zu nehmen, keine Überzeugungskraft. Denn ungeübte Trinker erreichen, wie der in ähnlichen Fällen häufig sachverständig beratene Senat mittlerweile aus eigener Sachkunde weiß, derart hohe Blutalkoholkonzentrationen nicht.

Letztlich bedarf es aber keiner Entscheidung darüber, ob die Steuerungsfähigkeit des Klägers, wie er durch Sachverständigengutachten unter Beweis gestellt hat, aufgehoben war. Denn der Vorwurf einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls träfe den Kläger auch aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt. Auch wenn man unterstellt, daß die Steuerungsfähigkeit des Klägers aufgehoben und er deshalb im Sinne von § 827 S. 1 BGB zum Zeitpunkt des eigentlichen Unfalls schuldunfähig gewesen wäre, hätte er den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt. Denn als er sich in Kenntnis der Tatsache, daß er mit seinem Pkw dorthin gelangt war und noch den Heimweg zu bewältigen hatte, in der Wohnung seines Bekannten dazu entschloß, alkoholische Getränke zu sich zu nehmen, war er nicht beeinträchtigt. Der Entschluß zu trinken beruhte auf seiner freien Willensentscheidung. Dabei hat er nach seiner eigenen Einlassung die Möglichkeit, später mit dem Fahrzeug noch fahren zu können, durchaus gesehen, denn dies war der Grund, warum er sein Fahrzeug auf den Hof hatte fahren lassen. Dies stellte aber keine ausreichende Sicherheitsvorkehrung dar, die geeignet gewesen wäre, eine Benutzung des Fahrzeugs in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand und damit letztlich die Herbeiführung des Versicherungsfalles auszuschließen. Wer sich in Kenntnis der Tatsache, daß er noch den Heimweg zu bewältigen hat und daß sein eigenes Fahrzeug fahrbereit vor der Tür steht, dazu entschließt, weiterzutrinken, verletzt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders grobem Maße, wenn er nicht durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, daß es zu einer Benutzung des Fahrzeugs durch ihn nicht mehr kommt. Dazu reicht es nicht aus, das Fahrzeug lediglich von der Straße wegfahren zu lassen. Bei alledem war dem Kläger ohne weiteres bewußt, daß Fahren unter Alkoholeinfluß die Wahrscheinlichkeit, in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden, beträchtlich erhöht.

Der Kläger hat nach alledem bereits in willensfreiem Zustand die Ursache für den späteren Eintritt des Versicherungsfalles gesetzt. Nach den Regeln der actio libera in causa kann ihn eine etwaige Schuldunfähigkeit beim Eintritt des Versicherungsfalls daher nicht entlasten.

Ob die Einstandspflicht der Beklagten auch gemäß §§ 827 S. 2 BGB, 61 VVG ausgeschlossen wäre - die analoge Anwendung des § 827 S. 2 BGB ist hier nicht unstreitig (Knappmann a.a.O.) - braucht nicht erörtert zu werden.

Sein Rechtsmittel war deshalb mit der sich aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO ergebenden Nebenfolgen zurückzuweisen.

Die Beschwer des Klägers übersteigt 60.000,00 DM nicht.

Ende der Entscheidung

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