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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.06.2007
Aktenzeichen: 20 U 247/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 141
ZPO § 286
ZPO § 355
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 06. September 2006 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Kaskoentschädigung aufgrund einer behaupteten Entwendung eines - bei der Beklagten versicherten - Pkw DB E 420 T in Anspruch.

Die Klägerin kaufte am 20.12.2001 einen Pkw DB E 420 T mit einem Unfallschaden zum Preis von 35.000 DM. Der km-Stand ist im Kaufvertrag mit ca. 55.000 angeben. Bei der Hauptuntersuchung des Kfz am 28.6.2002 betrug der km-Stand 66.000, bei einer Reparatur am 26.9.2003 88.220 Km.

Am 09.02.2004 gab die Klägerin in einem Zwangsvollstreckungsverfahren vor dem Amtsgericht Gelsenkirchen die eidesstattliche Versicherung ab. Sie erklärte u. a, über keinerlei Einkünfte zu verfügen und von ihrem Lebensgefährten L unterhalten zu werden. Der Pkw sei dem Zeugen L sicherungsübereignet worden; das Café betreibe sie nicht mehr. Forderungen gegen Dritte habe sie nicht.

Am 12.02.2004 zeigte die Klägerin bei der Polizei in N den Diebstahl des Mercedes an. Sie meldete den Verlust dann der Beklagten und füllte auch eine Schadensanzeige aus, dies allerdings nur unvollständig. Unter dem 18.03.2004 teilte der Agent der Beklagten weitere Informationen mit, die er von der Klägerin erhalten hatte, darunter den km-Stand mit 90.000. Am 20.4.2004 füllte die Klägerin einen Fragebogen aus, der ihr von der Polizei zugeschickt worden war, und gab den km-Stand darin mit ca. 95.000 an. Weitere Informationen erteilte die Klägerin dann nicht mehr, obwohl ihr die Beklagte unter dem 23.4.2004 ein Aufforderungsschreiben zuschickte. Mit Schreiben vom 24.06.2004 lehnte die Beklagte dann den Versicherungsschutz ab, da kein Diebstahlschaden vorliege. Das Ermittlungsverfahren wurde am 19.05.2004 eingestellt.

Die Klägerin hat behauptet, dass sie den Unfallschaden an dem Pkw vollständig und fachgerecht beseitigt habe. Sie sei mit dem Fahrzeug am 12.02.2004 nach N gefahren, um ihre Eltern zu besuchen, die in der Nähe von N wohnten. Dort lebe auch der Zeuge W - ihr Cousin -, mit dem sie sich am Abend in der Innenstadt von N getroffen habe. Sie habe das Fahrzeug dann zwischen 20.00 und 21.00 Uhr auf einem öffentlichen Parkplatz in der N1 abgestellt. Als sie dorthin - in Begleitung des Zeugen W - zwischen 23.30 und 24.00 Uhr zurückgekehrt sei, habe sie das Fahrzeug nicht mehr vorgefunden. Sie habe dann bei ihrem Cousin übernachtet und sei am nächsten Tag von ihrem Freund, dem Zeugen L, abgeholt worden. Der Pkw habe einen Wiederbeschaffungswert von 18.450 € gehabt, was sich aus einem Gutachten der E ergebe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 18.450,00 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.2.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat den Diebstahl des Mercedes bestritten und die Ansicht vertreten, der Klägerin kämen keine Beweiserleichterungen zugute. Die Redlichkeitsvermutung sei widerlegt, da die Klägerin in ihrer eidesstattliche Versicherung falsche Angaben gemacht habe. Außerdem habe sie bei der Schadensmeldung widersprüchliche Angaben gemacht. Es sei auch von einer erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung eines Diebstahls auszugehen, da die Klägerin kurz zuvor die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Darüber hinaus sei sie wegen Obliegenheitsverletzungen leistungsfrei.

Das Landgericht hat im ersten Termin am 26.10.2005 durch die RinLG N2 Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen W und L (Bl. 58 ff.). Es hat dann das Gutachten zur Schadenshöhe der SV Viehmeyer eingeholt und die Beklagte am Schluss des zweiten Termins am 06.09.2006 durch die RinLG G zur Zahlung von 14.763,79 € verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht angeführt, dass der Versicherungsfall eingetreten sei. Die Klägerin habe den Diebstahl des Pkw bewiesen. Ihr komme dabei eine Beweiserleichterung zugute, da die Redlichkeitsvermutung nicht widerlegt sei. Darüber hinaus würden die Angaben durch die glaubhafte Aussage des Zeugen W bestätigt. Es liege auch weder eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung eines Versicherungsfalls, noch Obliegenheitsverletzungen seitens der Klägerin vor. Von dem durch Gutachten ermittelten Wiederbeschaffungswert i.H.v. 17.300 € sei die Mehrwertsteuer und die Selbstbeteiligung i.H.v. 150 € abzuziehen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren auf Klageabweisung weiterverfolgt:

Das Gericht habe Sachvortrag der Beklagten übergangen und die erhobenen Beweise in einer Besetzung gewürdigt, die nicht derjenigen bei Beweisaufnahme entsprochen habe. Die Klägerin könne den Diebstahl nicht beweisen, da die Redlichkeitsvermutung widerlegt sei. Jedenfalls sei aber von einer erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung auszugehen. Auch sei sie aufgrund von Obliegenheitsverletzungen leistungsfrei geworden.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil:

Sie sei überhaupt nicht auf die Redlichkeitsvermutung angewiesen, denn sie habe das äußere Bild eines Diebstahls durch den Zeugen W bewiesen. Es läge auch keine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung eines Versicherungsfalls und keine Obliegenheitsverletzungen vor.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Kläger persönlich angehört und die Zeugen L und W und die Sachverständige W1 (ergänzend) vernommen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klage ist unbegründet, da der Klägerin kein Anspruch auf Zahlung einer Kaskoentschädigung wegen der behaupteten Kfz-Entwendung zusteht. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass ihr Pkw - so wie von ihr behauptet - am 12.04.2004 entwendet worden ist.

1.) Zutreffend rügt die Beklagte, dass dem Landgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist. Das Gericht hat die erhobenen Beweise in einer Besetzung gewürdigt, die nicht derjenigen bei Beweisaufnahme entsprochen hat. Die Zeugen wurden in dem ersten Termin am 26.10.2005 von der RinLG N2 vernommen, während das Urteil und die darin enthaltene Beweiswürdigung von der RinLG G stammt. Dies verstößt im vorliegenden Fall gegen den in § 355 ZPO normierten Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Zwar erfordert ein Richterwechsel nach einer Beweisaufnahme nicht grundsätzlich deren Wiederholung. Frühere Zeugenaussagen können im Wege des Urkundenbeweises durch Auswertung des Vernehmungsprotokolls verwertet werden. Das Gericht darf bei der Beweiswürdigung aber nur das berücksichtigen, was aktenkundig ist und wozu die Parteien sich erklären können. Eindrücke, die nicht in das Verhandlungsprotokoll aufgenommen seien, dürfen daher nach einem Richterwechsel bei der Entscheidung nicht verwertet werden (BGHZ 43, 245; BGH, NJW 1991, 1180; NJW 1997, 1586). Im vorliegenden Fall enthält das Sitzungsprotokoll vom 26.10.2005 keinerlei Vermerke über die von der vernehmenden RinLG gewonnenen Eindrücke, sondern ausschließlich die Aussagen der Zeugen. Dennoch werden die Aussagen der Zeugen im Urteil ausdrücklich als glaubhaft bezeichnet, so dass die Beweiswürdigung auf Eindrücken beruht, die nicht in das Verhandlungsprotokoll aufgenommen wurden. Die vom Landgericht festgestellten Tatsachen waren für den Senat daher nicht gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend; die Beweisaufnahme war - wie geschehen - zu wiederholen.

2.) Einem Versicherungsnehmer stehen im Bereich der Fahrzeugversicherung - aus dem Inhalt des Versicherungsvertrages abgeleitete - Beweiserleichterungen zur Seite. Der Versicherungsnehmer genügt seiner Darlegungslast, wenn er ein Mindestmaß an Tatsachen vorträgt, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf eine Wegnahme des versicherten Fahrzeugs gegen seinen Willen zulassen (BGH, Urt. v. 17.05.1995 - IV ZR 279/94 - NJW 1995, 2169). Das Abstellen des Fahrzeugs an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit und das Nichtwiederauffinden - so genanntes äußeres Bild eines Diebstahls - stellen den Minimaltatbestand dar. Diesen hat der Versicherungsnehmer allerdings gemäß § 286 ZPO voll zu beweisen. Stehen dem Versicherungsnehmer keine Beweismittel, ins. in Form von Zeugen, für die vom Versicherer bestrittene Entwendung zur Verfügung oder kann der VN den Beweis nicht mit Zeugen führen, kann der § 141 ZPO persönlich angehörte Versicherungsnehmer den erforderlichen Beweis mit seiner Aussage führen, soweit das Gericht diese - im Rahmen der freien Würdigung nach § 286 ZPO - als glaubhaft betrachtet (BGH, Urt. v. 24.04.1991 - IV ZR 172/90 - VersR 1991, 917). Das setzt aber unabdingbar die aus der - vermuteten - Redlichkeit herzuleitende Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers voraus. Ist (auch) die Redlichkeitsvermutung erschüttert, kann der VN den erforderlichen Beweis für das äußere Bildes eines versicherten Diebstahls allein durch seine Angaben nicht erbringen. Auf Umstände, die die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls begründen (wofür der Versicherer beweisbelastet ist), kommt es dann nicht mehr an (vgl. zum Ganzen Prölss/Martin-Kollhosser, VVG, 27. Aufl., zu § 49, RdNr. 48 ff.)

3.) Die Klägerin hat das Vorliegen des äußeren Bildes einer versicherten Kfz-Entwendung nicht bewiesen.

a) Zwar hat der Zeuge W bekundet, dass die Klägerin am 12.04.2004 den Pkw abgestellt hat und kurze Zeit später nicht wieder vorgefunden hat. Der Senat hat aber erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Zeugen W, so dass die Klägerin mit dieser Aussage das äußere Bild nicht beweisen kann. Die Aussagen der Klägerin und des Zeugen W sind zum Teil widersprüchlich. So hat die Klägerin noch in der Schadensanzeige vom 19.02.2004 noch angegeben, am Abend des 12.04.2004 beim Zeugen W übernachtet zu haben ("Übernachtung bei Cousin W"). Demgegenüber war sich der Zeuge W sicher, dass er die Klägerin bei ihren Eltern abgesetzt hat und dass sie auch dort übernachtet habe. Dieser Wiederspruch - zu einem nicht lediglich unbedeutenden Umstand - geht zu Lasten der beweisbelasteten Klägerin.

Soweit sich die Klägerin - im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 13.06.2007 - darauf beruft, dass sowohl sie als auch der Zeuge W das Grundstück, auf welchem sowohl das Haus des Zeugen (Hstr. #) als auch das Haus der Eltern (Hstr. ##) errichtet sind, als "Einheit" betrachten, so vermag dies an den Zweifeln des Senats nichts zu ändern. Selbst wenn die Einschätzung der Klägerin zutreffend wäre, ist weder ersichtlich und nachvollziehbar, warum die Klägerin "Übernachtung bei Cousin W....." eingetragen hat. Etwas anderes würde allenfalls dann gelten, wenn die Klägerin lediglich die Adresse "Hstr. #" ohne Namensbezeichnung eingetragen hätte. Sie hat aber angegeben, bei dem Zeugen W übernachtet zu haben und muss sich deshalb daran festhalten lassen.

b) Die - zunächst auch für die Klägerin geltende - Redlichkeitsvermutung ist erschüttert. Die Klägerin hat in ihrer - 3 Tage vor dem behaupteten Diebstahl abgegebenen - eidesstattlichen Versicherung unzutreffende bzw. widersprüchliche Angaben (insb. in Bezug auf den angeblich entwendeten Pkw) gemacht. So hat sie zunächst angegeben, der Pkw befinde sich beim Zeugen L. Der Zeuge L hat dies aber gerade nicht bestätigt. Er will den Pkw nie gefahren haben; lediglich der Fahrzeugbrief habe sich bei ihm befunden. Weiterhin hat sie angegeben, den Pkw an den Zeugen L zur Sicherheit übereignet zu haben. Demgegenüber hat sie vor dem Landgericht zunächst ausgesagt, dass der Wagen niemandem zur Sicherheit übereignet worden sei. Erst nachdem das Gericht ihr den Inhalt ihrer eidesstattlichen Versicherung vorhielt, hat sie eine Vereinbarung (die sie aber nicht als Sicherungsübereignung verstanden haben will) mit dem Zeugen L eingeräumt.

In Bezug auf das Café hat sie in der eV angegeben, nur "Gewerbeinhaberin", aber nicht "faktische Betreiberin" zu sein; das Geschäft werde von dem Zeugen L geführt. Diese Angaben hat der Zeuge L ebenfalls nicht bestätigt. Danach will er das Café bis zur WM 2006 für rd. 5 - 6 Monate (also erst ab Januar 2006) betrieben haben. Des Weiteren hat die Klägerin in der eV nicht angegeben, dass sie sich zum Zeitpunkt der Abgabe der eV einer Forderung gegen die B (wegen eines Kaskounfallschadens) berühmte, die sie dann im Jahre 2005 nach Durchführung eines Prozesses (3 O 94/02 LG Essen) auch - in Höhe von 10.000,00 € - realisieren konnte. Diese Umstände lassen den Schluss zu, dass die Klägerin - evtl. unter Mitwirkung des Zeugen L - bestrebt war, ihr Vermögen dem Zugriff ihrer Gläubiger zu entziehen. Auf die Redlichkeitsvermutung kann sich eine so agierende Versicherungsnehmerin nicht (erfolgreich) berufen.

4.) Auf Umstände, die für eine erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls sprechen könnten, kam es danach nicht mehr an. Dies gilt auch für die Frage, ob die Beklagte wegen Obliegenheitsverletzungen der Klägerin leistungsfrei ist.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10. Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst (§ 543 ZPO).

Ende der Entscheidung

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