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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 18.12.2002
Aktenzeichen: 20 U 28/02
Rechtsgebiete: VVG, AVB


Vorschriften:

VVG §§ 16 ff
AVB § 2 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

20 U 28/02 OLG Hamm

Verkündet am 18.12.2002

in dem Rechtsstreit

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Lücke, den Richter am Oberlandesgericht Rüther und den Richter am Landgericht Dr. Kentgens

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das am 13. Dezember 2001 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

1. Die Beklagte wird verurteilt,

a) an die Klägerin 9.796,86 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 3.265,62 € seit dem 01.10.2000, auf weitere 3.265,62 € seit dem 01.01.2001 und auf weitere 3.265,62 € seit dem 01.04.2001 zu zahlen;

b) ab dem 01.07.2001 bis längstens 01.10.2020 eine jährliche Rente von 13.062,48 €, zahlbar in vierteljährlichen Teilbeträgen von je 3.265,62 € jeweils zum 01.01., 01.04., 01.07. und 01.10. eines jeden Jahres im Voraus zuzüglich planmäßiger Überschussbeteiligungen zu zahlen.

2. Es wird festgestellt,

a) dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 01.10.2000 bis längstens 01.10.2020 von den Beitragszahlungen für die Lebensversicherung VS-Nr. 11/1 freizustellen;

b) dass der o.g. Versicherungsvertrag entgegen der Rücktrittserklärung der Beklagten vom 19.12.2000 fortbesteht.

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der jeweils zu vollstreckenden Beträge abzuwenden, falls nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung (BUZ) auf Gewährung bedingungsgemäßer Leistungen (vierteljährliche Rentenzahlung und Beitragsbefreiung; vgl. Versicherungsschein vom 06.10.1997 - Bl. 16 ff d.A. und AVB - Bl. 222 ff d.A.) ab 22.09.2000 in Anspruch.

Unstreitig ist sie seit dem genannten Zeitpunkt in ihrem Beruf als Berufskraftfahrerin im eigenen Gütertransportbetrieb wegen Encephalomyelitis disseminata (im folgenden E.d.) bedingungsgemäß zu mindestens 50 % berufsunfähig.

Die Beklagte hält sich aufgrund eines vom ihr mit Schreiben vom 19.12.2000 (Bl. 38 f d.A.) erklärten Rücktritts für leistungsfrei. Sie hat behauptet, die Klägerin habe bei Antragstellung (August - Oktober 1997) verschwiegen, dass sie im Mai 1997 wegen Visusstörungen neurologisch untersucht und in diesem Zusammenhang am 12.05.1997 eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt worden sei, die einen Verdacht auf E.d. ergeben habe

Die Klägerin hat demgegenüber behauptet, die Verdachtsdiagnose Multiple Sklerose (= E.d.) sei ihr bei Antragstellung noch unbekannt gewesen; die Diagnose sei erstmals während eines Klinikaufenthalts im Mai 1999 gestellt und ihr mitgeteilt worden. Sie habe dem Vermittler K weder die o.g. ärztlichen Untersuchungen noch deren Anlass und Ergebnis verschwiegen. Da diese Untersuchungen nach ihrem damaligen Wissensstand jedoch ohne Befund gewesen seien und sie dies dem Vermittler auch gesagt habe, habe er dies als "Routineuntersuchungen ohne Befund" in den Antragsunterlagen vermerkt.

Durch das angefochtene Urteil, auf das verwiesen wird (Bl. 117 ff d.A.), hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Es hat den Rücktritt der Beklagten für begründet erklärt und dabei die Auffassung vertreten, der Vermittler K sei bei Antragsaufnahme nicht als Agent der Beklagten tätig geworden, so dass das von ihm angeblich erlangte Wissen dem Versicherer nicht zuzurechnen sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie - unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens - ihr Klagebegehren weiterverfolgt. Sie hält mit näherer Begründung die "Auge und Ohr"-Rechtsprechung für anwendbar.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin aus der Berufsunfähigkeits -Zusatzversicherung VS-Nr. einen Betrag von 10.118,93 € (DM 19.790,91) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 3.587,69 € (DM 7.016,91) seit dem 01.10.2000, auf 3.265,62 € (DM 6.387,00) seit dem 01.01.2001 und auf 3.265,62 € (DM 6.387,00) seit dem 01.04.2001 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, ab dem 01.06.2001 bis längstens zum 30.09.2020 eine jährliche Rente in Höhe von 13.062,49 € (DM 25.548,00) zahlbar in vierteljährigen Teilbeträgen von je 3.265,62 € (DM 6.387,00) jeweils zum 01.01., 01.04., 01.07. und 01.10. eines jeden Jahres im Voraus zu zahlen so wie zzgl. planmäßigen Überschussbeteiligungen der Beklagten zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin seit dem 22.09.2000 bis längstens 01.10.2020 von den Beitragszahlungen für die bei der Beklagten bestehenden Lebensversicherung VS-Nr. 3.225.531.012/L11/1 freizustellen,

4. festzustellen, dass die Rücktrittserklärung der Beklagten vom 19.12.2000 unwirksam ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Der Vermittler K als selbständiger Mitarbeiter des sei für die Klägerin bei Antragstellung als Gelegenheitsmakler tätig geworden, so dass für eine Wissenszurechnung kein Raum sei.

Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher Zeugenaussagen der Ärzte Prof. Dr. G S vom 07.10.2002 (Bl. 214 f d.A.) und Dr. M H G vom 08.10.2001 (Bl. 212 d.A.) sowie durch uneidliche Vernehmung der Zeugen K und D P K (vgl. Berichterstattervermerk - Bl. 238 ff d.A.).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist ganz überwiegend begründet. Die Beklagte ist ihr ab 1.10.2000 zur Gewährung der versprochenen Leistungen verpflichtet

1. Die Beklagte ist nicht nach §§ 16 ff VVG leistungsfrei geworden. Ihr mit Schreiben vom 19.12.2000 erklärter Rücktritt vom Versicherungsvertrag war unwirksam, weil sie nicht bewiesen hat, dass der Klägerin eine zum Anspruchsverlust führende vorvertragliche Anzeigeobliegenheitsverletzung zur Last fällt,

a) Allerdings ist der Beklagten zuzugeben, dass das Antragsformular vom 19.08.1997 (Bl. 52 f d.A.) sowie die beiden Nachtragserklärungen vom 10.09.1997 (Bl. 54 d.A.) und 20.10.1997 (Bl. 55 d.A.) unrichtige schriftlichen Einträge enthalten: Im Antragsformular ist die Frage zu 3 ("Haben oder hatten Sie in den letzten 10 Jahren Krankheiten, Störungen oder Beschwerden an Organen bzw. des Stoffwechsels - z.B. Herz, Kreislauf ...?") verneint.

Da die Frage zu 6 ("Sind Sie in den letzten 10 Jahren ärztlich beraten, untersucht, behandelt, bestrahlt oder operiert worden? Wenn ja, nähere Angaben bei Ziffer 12 erforderlich") im Antragsformular nicht beantwortet worden ist und die Beklagte diesbezüglich Nachfrage gehalten hat, ist diese Frage in der Nachtragserklärung vom 10.09.1997 bejaht worden mit dem handschriftlichen Zusatz: "Routineuntersuchungen".

Auf die Bitte der Beklagten um "ausführliche Angaben zu Art, Umfang und Ergebnis der Untersuchungen" ist sodann in der Nachtragserklärung vom 20.10.1997 handschriftlich vermerkt: "ohne Befund".

Tatsächlich hatte sich die Klägerin im Mai 1997 wegen Vissustörungen (mit Doppelbildersehen) zunächst zu einem Augenarzt begeben, der aber die Ursache nicht feststellen konnte. Der daraufhin von ihr konsultierte Neurologe Prof. Dr. S, verschrieb ihr nach neurologischer Untersuchung am 05.05.1997 ASS 100 (Aspirin) und riet ihr eine absolute Nikotinkarenz an (vgl. Arztbrief Prof. Dr. S vom 06.05.1997 - Bl. 42 f d.A.). Darüber hinaus veranlasste er eine MRT des Schädels, die am 12.05.1997 durchgeführt wurde und periventrikuläre Parenchymveränderungen zeigte, die nach Angaben des Radiologen zu Entmarkungsherden im Sinne einer E.d. passten; für eine tumorverdächtige Läsion ergab sich kein Nachweis (vgl. Arztbrief Hone vom 12.05.1997 - Bl. 58 d.A.). Am 12.05. und 23.07.1997 folgten weitere Arzttermine bei Prof. Dr. S.

Die Darstellung der Klägerin, ihr sei seinerzeit die Verdachtsdiagnose Multiple Sklerose nicht offenbart worden, ist von den Ärzten Dr. G und Prof. Dr. S, in ihren schriftlichen Zeugenaussagen zwar bestätigt worden, wobei Prof. Dr. S ergänzend darauf hingewiesen hat, aufgrund des damaligen Untersuchungsergebnisses sei für ihn eine hohe Wahrscheinlichkeit einer E.d. ohnehin nicht gegeben gewesen. Unwiderlegt trägt die Klägerin auch vor, der Inhalt der o.g. Arztbriefe sei ihr bei Antragstellung nicht bekannt gewesen. Gleichwohl war- da die Beklagte auch nach in den letzten 10 Jahren aufgetretenen "Störungen oder Beschwerden" gefragt hatte - bereits das Auftreten der Visusstörungen und ihre ärztliche Untersuchung und Behandlung objektiv anzeigepflichtig.

b) Diese Anzeigepflichtigkeit hat die Klägerin nach eigenen Angaben auch nicht verkannt. Sie behauptet, den Vermittler K nach ihrem damaligen Kenntnisstand zutreffend über den Anlass der ärztlichen Konsultationen, die ärztlichen Untersuchungen und ihr Ergebnis sowie die Therapiemaßnahmen informiert zu haben: Sie habe offenbart, dass sie sich wegen Visusstörungen mit Doppelbildersehen in neurologischer Behandlung befunden habe. Die radiologischen Untersuchungen seien jedoch - mit Ausnahme eines Tumorausschlusses - ohne Befund gewesen.

Der behandelnde Arzt habe gemeint, Ursache der Sehstörung könne ein Virus sein und ihr zur Therapie Aspirin verschrieben und eine Nikotinkarenz empfohlen; man müsse abwarten, was daraus werde. Die Störungen seien jedoch bereits nach kurzer Zeit abgeklungen und bis zur Antragstellung auch nicht erneut aufgetreten. Der Vermittler K habe daraufhin eine Anzeigepflichtigkeit nicht erkannt und deshalb von sich aus den Eintrag "Routineuntersuchungen" in die Nachtragserklärung vom 10.09.1997 eingetragen.

c) Wäre diese Klagedarstellung zur Antragstellung zutreffend, ließe sich bereits objektiv eine Anzeigeobliegenheitsverletzung nicht feststellen, wenn der Vermittler K (selbständiger Mitarbeiter des als Agent und damit passiver Stellvertreter der Beklagten zu sehen ist. Davon ist nach Auffassung des Senats auszugehen.

Entgegen der Darstellung der Beklagten ist H im Rahmen der Antragsverhandlung und Antragstellung nicht als "Gelegenheitsmakler" für die Klägerin tätig geworden. Weder firmiert er als Versicherungsmakler, noch ist er - wie er bei seiner Zeugenvernehmung klargestellt hat - der Klägerin gegenüber als Makler aufgetreten Aus Sicht der Klägerin war sein Vermittlerstatus vielmehr indifferent. Insoweit ist unerheblich, dass er der Klägerin gegenüber beim ersten Kontakt unstreitig geäußert hat, er wolle sich auf dem Markt nach einem günstigen Angebot für die gewünschte Risikolebensversicherung nebst BUZ umsehen. Dabei handelt es sich nicht zwingend um eine Maklertätigkeit; auch Mehrfachagenten gehen so vor. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass K bei Antragstellung Vertreter der Klägerin war und als solcher der Beklagten gegenüber auch aufgetreten ist.

Nach der Rechtsprechung des BGH (VersR 1999, 1481 1482 zu 2 b; 2001, 1498, 1499 zu II 2) ist die "Auge und Ohr"-Rechtsprechung grundsätzlich nur auf Vermittler anwendbar, die bei der Antragsentgegennahme in Ausübung der Stellvertretung für den Versicherer (passive Vertretungsmacht) tätig geworden sind. Dies setzt voraus, dass sie in seine Vertriebsorganisation eingebunden sind, so dass es gerechtfertigt ist, ihr Auftreten im Rahmen der Antragstellung der Sphäre des Versicherers zuzurechnen.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Wie der Zeuge K bei seiner Vernehmung glaubhaft bekundet hat, hat er nach dem Erstkontakt mit der Klägerin u.a. den in Warendorf ansässigen Vertrauensmann (Versicherungsagent) R der Beklagten zwecks Abgabe eines Angebots für die von der Klägerin gewünschte Versicherung angesprochen. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die von R genannten Vertragskonditionen günstig waren, hat K sich von ihm ein Antragsformular der Beklagten aushändigen lassen und mit ihm verabredet, die Antragsaufnahme durchzuführen und ihm sodann das ausgefüllte Formular zur Einreichung bei der Beklagten zurückzugeben; die von F zu erwartende Provision sollte zwischen ihm und K aufgeteilt werden. Auf diese abgesprochene Weise wurde sodann verfahren. Der Agent R unterschrieb das von K ausgefüllte Antragformular in der Rubrik "Unterschrift des Vermittlers" unter Zusatz seines Firmenstempels. Anschließend reichte er das Formular bei der Beklagten ein, die auf dem Versicherungsschein der Klägerin gegenüber das Versicherungsbüro R als "Ihr Vertrauensmann" vermerkte.

Bei dieser Sachlage kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die Beklagte bei Erhalt des Antragsformulars davon ausgehen musste, bei der Antragsentgegennahme von ihrer Agentur R (passiv) vertreten worden zu sein. Diese Auffassung war auch rechtlich zutreffend, obwohl der Beklagten weder die vom Zeugen K bekundeten Modalitäten der Antragsstellung noch der Zeuge selbst bekannt waren. Auch Mitarbeiter einer Agentur, die der Versicherer nicht namentlich kennt, sind in seine Vertriebsorganisation eingebunden. Dies gilt auch für einen vom Agenten nur gelegentlich oder - wie hier - nur einmalig im Rahmen einer Antragstellung eingeschalteten Untervermittler. Entscheidend ist, dass der Untervermittler dabei mit Wissen und Wollen des Agenten für ihn im Interesse des Versicherers tätig wird. Das ist im Streitfall anzunehmen. Ob etwas anderes dann zu gelten hat, wenn dem Agenten die Beauftragung eines Untervermittlers vom Versicherer untersagt worden ist, bedarf keiner Entscheidung, weil die Beklagte dies nicht geltend gemacht hat.

d) War der Zeuge K bei der Antragsaufnahme als Agent der Beklagten beteiligt, gilt die "Auge und Ohr"-Rechtsprechung. Da die Klägerin substantiiert behauptet hat, den Zeugen mündlich zutreffend über die erfragten Umstände informiert zu haben, hätte die Beklagte dies widerlegen müssen, um ihren Rücktritt zu rechtfertigen. Dies ist nicht gelungen. Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der im zweiten Rechtszug durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass das Klagevorbringen unzutreffend ist.

Der Zeuge K hat zwar bekundet, er könne sich nicht daran erinnern, dass auf die von ihm vorgelesenen Antragsfragen von den Eheleuten K etwas Besonderes erwähnt worden sei. Die Klägerin habe gesagt, sie sei schon mal beim Arzt gewesen; das seien aber alles Routineuntersuchungen gewesen. Auf Vorhalt der gegenteiligen Darstellung der Klägerin hat der Zeuge diese in Abrede gestellt. Was ein MRT sei, wisse er überhaupt nicht. Wenn ihm etwas von ärztlich untersuchten Sehstörungen mitgeteilt worden wäre, hätte er das auf jeden Fall ins Antragsformular eingetragen.

Demgegenüber hat der Zeuge K Ehemann der Klägerin und unstreitig bei den Antragsverhandlungen anwesend, ausgesagt, die Klägerin habe berichtet, dass sie bei Prof. S - einem Neurologen - gewesen sei und dort ärztliche Untersuchungen stattgefunden hätten. Dabei sei herausgekommen, dass sie Aspirin einnehmen und nicht mehr rauchen solle. Darüber habe man bei der Antragsverhandlung gemeinsam gelacht und gemeint, das könne ja nichts Ernstes gewesen sein. Auf Nachfragen hat der Zeuge K hinzugefügt, er denke schon, dass die Klägerin auch den Anlass der ärztlichen Untersuchungen - Schwierigkeiten mit den Augen - genannt habe. Ob sie auch die "Röntgenaufnahme" erwähnt habe, wisse er nicht.

Bei der Würdigung dieser Zeugenaussagen konnte der Senat nicht die erforderliche Gewissheit gewinnen, dass die Bekundung des Zeugen K richtig ist.

Die Darstellung der Klägerin ist nämlich keineswegs unplausibel. Nach ihrem Kenntnisstand, den sie dem Agenten vermittelt haben will, hatte es sich um ein vorübergehendes Beschwerdebild gehandelt, das nach Einnahme von Aspirin verschwunden war. Nach den durchgeführten Untersuchungen war ein Gehirntumor als Ursache der Sehstörungen ausgeschlossen worden. Als denkbare Ursache war vom behandelnden Neurologen Prof. S ein Virus genannt worden, ohne dass dies aber als gravierend oder gar bedrohlich gekennzeichnet worden war. Sein weiterer Hinweis, man müsse sehen, was daraus werde, hatte sich bereits zum Zeitpunkt des abschließenden Arzttermins am 23.07.1999 erledigt, weil inzwischen Beschwerdefreiheit eingetreten war. Nach alledem ist gut nachvollziehbar, dass weder die Klägerin noch der Zeuge K dieser kurzfristigen Beschwerdeepisode irgendeine Bedeutung für die gewünschte Versicherung beimaßen. Ob und inwieweit der Vermittler K als ehemaliger Bankangestellter und jetziger Finanzdienstleister überhaupt über ausreichende versicherungsrechtliche und -technische Kenntnisse, insbesondere zur Risikoprüfung in der Sparte Lebensversicherung/BUZ, verfügt, vermag der Senat nicht festzustellen; vorgetragen ist dazu nichts.

Hinzu kommt, dass der Zeuge K unstreitig die Frage 6 des Antragsformulars nach ärztlichen Beratungen, Untersuchungen, etc. unbeantwortet gelassen hat; weder das Ja- noch das Neinkästchen hat er angekreuzt. Das kann vernünftigerweise nur zwei alternative Ursachen haben: Entweder hat er es an der notwendigen Sorgfalt fehlen lassen und den geforderten Eintrag schlicht vergessen. Denkbar, zumindest nicht ausgeschlossen, ist aber auch, dass er im Hinblick auf die Angaben der Klägerin zur ärztlichen Untersuchung ihrer vorübergehend aufgetretenen Sehstörungen bewusst keinen Eintrag vornahm. Welches der zutreffende Grund war, hat sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit klären lassen.

Nicht ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Agent auf die Nachfrage der Beklagten in der Nachtragserklärung der Klägerin vom 10.09.1997 die Frage 6 zwar bejahte, gleichwohl aber weder die erfragten "ausführlichen Angaben zu Art, Umfang und Ergebnis der Behandlung" noch Namen und Anschrift des Arztes eintrug, sondern sich mit dem pauschalen Eintrag: "Routineuntersuchungen" begnügte.

Der Senat hat nicht verkannt, dass der Zeuge H den Klagevortrag zur mündlichen Information des Vermittlers nicht in vollem Umfang zu bestätigen vermocht hat. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Vorbringen der Klägerin, soweit ihr Ehemann es nicht erinnern konnte, unrichtig ist.

Selbst wenn die Klägerin dem Zeugen K nur das offenbart hätte, was ihr Ehemann vor dem Senat bestätigt hat, würde dies der Beklagten ohnehin nichts nützen. Immerhin wäre diese Information für ihre Antragsprüfung derart bedeutsam gewesen, dass sie für den Risikoprüfer im Rahmen der Risikoprüfungsobliegenheit Anlass zu konkreter klärender Nachfrage hätte sein müssen. Dabei wäre eine umfassende Information über die ärztlichen Untersuchungen und ihre Ergebnisse zu erreichen gewesen, und zwar auch hinsichtlich der erstmals in der Berufungsinstanz von der Beklagten erwähnten zweiwöchigen Sehstörungen im Jahre 1992, die der Klägerin seinerzeit - wie sie unwiderlegt vorgetragen hat - ärztlicherseits als stressbedingt erklärt worden sind. Da die Beklagte diese Nachforschung vor der Antragsannahme unterlassen hat, kann sie sich nach Eintritt des Versicherungsfalls insoweit nicht mehr auf Leistungsfreiheit berufen (grundlegend BGH VersR 1992, 603; Senat NVersZ 2000, 166).

Für ein kollusives Zusammenwirken zwischen der Klägerin und dem Agenten oder einen für die Klägerin evidenten Vollmachtsmissbrauch des Zeugen K (vgl. BGH VersR 2002, 254) fehlt nach Lage der Dinge jeglicher Anhaltspunkt. Dies hat offenbar auch die Beklagte nicht anders beurteilt und deshalb von einer Arglistanfechtung abgesehen. Der von K gewählte Eintrag "Routineuntersuchungen" musste der Klägerin schon deshalb nicht verdächtig vorkommen, weil sie unwiderlegt vorgetragen hat, auch Prof. Dr. S habe ihr gegenüber die MRT als Routineuntersuchung dargestellt.

2) Der Eintritt von Berufsunfähigkeit zum 22.09.2000 (§ 2 Abs. 1 AVB) ist unstreitig.

Deshalb ist die Beklagte zur Erbringung der versprochenen Leistungen ab 01.10.2000 (§ 1 Abs. 3 S. 1 AVB) verpflichtet. Soweit die Klägerin Leistungen bereits ab 22.09.2000 begehrt, ist die Klage unbegründet.

Der Klägerin ist auch ein Feststellungsinteresse für die von ihr begehrte Feststellung der Fortdauer des Versicherungsvertrages entgegen der Rücktrittserklärung der Beklagten vom 19.12.2000 zuzugestehen. Es ist derzeit nicht ausgeschlossen, dass die Leistungspflicht der Beklagten durch Reaktivierung der Klägerin - etwa nach Aufnahme eines zur Verweisung geeigneten Vergleichsberufs - endet. Für diesen Fall muss aber rechtskräftig der Fortbestand des Versicherungsvertrags geklärt sein. Außerdem bedarf es einer klärenden Feststellung für das Rechtsverhältnis der Klägerin zur Zessionarin (Kreissparkasse W).

3) Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 708 Nr. 10 und 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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