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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 22.06.2007
Aktenzeichen: 20 U 280/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB §§ 812 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 23. Oktober 2006 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufungsinstanz werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückzahlung einer gezahlten Kaskoentschädigung (und Sachverständigenkosten) in Höhe von unstreitig 17.374,58 € in Anspruch.

Der Beklagte unterhielt im Jahre 2003 bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin (Frankfurter Versicherung, im Folgenden: Klägerin) eine Kaskoversicherung für einen Seat Alhambra.

Im Juli 2003 meldete der Beklagte der Klägerin einen Schadensfall vom 14.07.2003.

Nach Darstellung des Beklagten soll sich der Unfall in der Weise ereignet haben, dass der Zeuge T2 auf der BAB ## mit seinem alten und nur noch geringwertigen Opel Ascona in Höhe der Abfahrt N von der rechten Spur nach links ausgewichen sei, um einem anderen Pkw die Auffahrt zu ermöglichen. Dabei habe er den auf der linken Spur befindlichen Seat Alhambra des Beklagten übersehen und gerammt. In dem vom Beklagten unterschriebenen und für die E (Haftpflichtversicherer des Zeuge T2) bestimmten Fragebogen heißt es:

"Ihr Versicherungsnehmer übersah mich beim Spurwechsel und rammte meine rechte Seite. Beim Versuch meinerseits auszuweichen, stieß ich mit der linken Seite gegen die Leitplanke."

Nach dem Unfall wies der Seat Streifschäden rechts und links auf.

Der Beklagte arbeitet im Autohaus I. Streitig ist, ob sich der Beklagte und der Zeuge T2 (über das Autohaus I) bereits vor dem Unfall kannten.

Im Gutachten des RWTÜV vom 23.07.2003 wurde ein Reparaturaufwand von 16.853,45 € ermittelt. In der Rechnung der Fa. I vom 24.07.2003 wird ein Betrag von 17.150,58 € ausgewiesen. Die Beklagte regulierte den Schadensfall durch Zahlung von 16.850,58 € auf die Reparatur und von 524,06 € auf die Gutachterkosten. Als sie den Schadensbetrag (nach § 67 VVG) gegenüber der E (Haftpflichtversicherer des Pkw des Zeugen T2) geltend machte, teilte die E unter Bezugnahme auf das von ihr eingeholte Gutachten des Sachverständigen J vom 01.03.2004 mit, dass der Unfall fingiert worden sei.

Daraufhin forderte die Klägerin den Beklagten unter dem 28.05.2004 zur Rückzahlung der gezahlten Entschädigung auf.

Der Beklagte hat die unter dem Aktenzeichen 2 O 307/04 LG Essen gegen die E und den Zeugen T2 erhobene Klage (auf Zahlung von durch die Klägerin nicht erstatteter Kosten - Mietwagen, Minderwert etc. - in Höhe von 5.133,14 €) im Termin vom 05.01.2005 zurückgenommen.

Die Klägerin hat behauptet, der Unfall sei fingiert und abgesprochen gewesen, was aus dem Gutachten des Sachverständigen J folge. Der Zeuge T2 und der Beklagte hätten sich bereits vor den Unfall gekannt, was u. a. aus dem Bericht der F GmbH vom 17.10.2003 folge. Eine Reparatur des Schadens am Beklagtenfahrzeug sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Entgegen der Rechnung der Fa. I seien nicht alle Teile erneuert worden.

Der Beklagte hat abgestritten, dass es sich um einen gestellten Unfall gehandelt habe. Die Ersatzteile seien schon bestellt, aber noch nicht eingebaut gewesen. Den Zeugen T2 habe er vor dem Unfall nicht gekannt. Er habe dem Zeugen T2 das Autohaus I empfohlen, wo er dann später gelegentlich gearbeitet habe.

Das Landgericht hat den Beklagten durch Versäumnisurteil vom 10.04.2006 antragsgemäß zur Zahlung von 17.374,58 € verurteilt.

Nach Einspruch des Beklagten hat es das Gutachten des Sachverständigen T vom 23.02.2006 eingeholt. Dieser hat sein Gutachten aufgrund Einwendungen des Beklagten gemäß Privatgutachten des Sachverständigen L unter dem 26.09.2006 ergänzt. Es hat sodann das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Nach dem Gutachten des Sachverständigen T sei von einer Unfallmanipulation auszugehen. Die Schäden und Spuren passten nicht zum behaupteten Unfallhergang.

Hiergegen wendet sich die Berufung des Beklagten, mit der er sich - unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages - gegen die vom Landgericht angenommene Vortäuschung des Unfalles wendet.

Der Sachverständige T gelange in seinem Gutachten zu unzutreffenden Feststellungen und Schlussfolgerungen. Der vom SV festgestellte - und zutreffende - Aufprallwinkel von 3º zwischen den Pkw sei nicht ungewöhnlich. T2 sei langsam herübergeglitten und habe vor der Berührung mindestens eine Strecke von 75 m zurückgelegt.

Es sei unzutreffend, dass es bei einer Geschwindigkeit des Seat von 100 Km/ zu einer solchen Reibungswärme hätte kommen müssen, dass außer den Streifspuren auch Materialablagerungen und wärmebedingte Anlaufverfärbungen hätten entstehen müssen. Anlaufverfärbungen entstünden erst bei sehr hohen Temperaturen. Bei einer Geschwindigkeit von 100 Km/h entstehe aber lediglich eine Reibungswärme, die 100 Kg Eisen um 12,3 ºerwärme. Dabei könnten keine Anlaufverfärbungen entstehen. Der Vergleich mit einer Schleifscheibe könne nicht gezogen werde, weil diese kreisförmig rotiere. Die Leitplanke sei aber starr.

Die Kontaktspuren auf der linken Seite des Seat würden für den vom Beklagten geschilderten Unfallhergang sprechen. Der Seat habe den Opel Ascona abgedrängt.

Die Radspuren führten nicht zum Ergebnis, dass die Fahrzeuge mit geringer Geschwindigkeit gefahren seien. Aus den Radspuren könne man nur auf die Differenzgeschwindigkeit schließen.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil:

Der Beklagte wiederhole lediglich seinen erstinstanzlichen Vortrag unter Bezugnahme auf das Gutachten L. Dieses sei aber durch den Sachverständigen T bereits widerlegt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Senat hat den Beklagten persönlich angehört und den Zeugen T2 sowie den Sachverständigen T - ergänzend - vernommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klage ist im vollen Umfange begründet. Der Klägerin steht der - der Höhe nach unstreitige - Rückforderungsanspruch aus §§ 812 ff. BGB zu. Sie hat die Entschädigung und die Sachverständigenkosten ohne Rechtsgrund gezahlt. Ebenso wie das Landgericht ist auch der Senat nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der geltend gemachte Unfall(schaden) vom Kläger (und dem Zeugen T2) manipuliert worden ist, so dass die Klägerin zur Zahlung einer Entschädigung nicht verpflichtet war.

1.) Zwar haben sowohl der Beklagte als auch der Zeuge T2 - dieser soweit er sich überhaupt erinnern konnte - übereinstimmend erklärt, dass sich am 14.07.2003 auf der BAB 52 ein Unfall bei autobahnüblicher Geschwindigkeit unter Beteiligung ihrer damaligen Pkw ereignet habe.

2.) Der Senat glaubt dem Beklagten und dem Zeugen T2 aber nicht.

a) Bedenken gegen die Richtigkeit der Darstellung des Beklagten ergeben sich bereits daraus, dass er widersprüchliche Angaben zur seiner Beziehung zum Zeugen T2 gemacht hat. So hat er im Schriftsatz vom 20.06.2005 (Bl. 75 d. A.) vortragen lassen, der Zeuge T2 habe nach dem Unfall gelegentlich beim Autohaus I gearbeitet. Im Schriftsatz vom 23.04.2007 (Bl. 213 d. A.) klingt diese Darstellung ebenfalls an. Demgegenüber hat er im Rahmen seiner persönlichen Anhörung erklärt, keine Kenntnis darüber zu haben, ob der Zeuge T2 im Autohaus I überhaupt gearbeitet hat. Diesen Widerspruch hat er nicht aufzuklären vermocht.

b) Die - subjektiven - Aussagen des Beklagten und des Zeugen T2 werden darüber hinaus durch objektive Beweismittel widerlegt. Dies folgt aus den widerspruchsfreien, von zutreffenden tatsächlichen Feststellungen ausgehenden, nachvollziehbaren und deshalb überzeugenden gutachterlichen Ausführungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. T in seinem Gutachten vom 23.02.2006, der Ergänzung vom 26.09.2006 sowie der mündlichen Erläuterung im Senatstermin vom 22.06.2007 (insoweit auch dem Privatsachverständigen J folgend). Der Unfall kann sich nicht so wie vom Beklagten (und vom Zeugen T2) geschildert ereignet haben kann. Das Schadensbild ist nicht mit dieser Unfallschilderung zu vereinbaren.

aa) Danach sind die Schäden an den beteiligten Pkw bei einer Differenzgeschwindigkeit von ca. 10 Km/h und Absolutgeschwindigkeiten von ca. 20 Km/h entstanden. Die zur Schadensbildung erforderlichen Kontaktkräfte können nur durch eine jeweils aktiv zum Unfallgegner hin gerichtete Lenkbewegung ausgeführt werden. Das kann nur im Rahmen einer bewussten Handlung erfolgt sein. Diese geringen Absolutgeschwindigkeiten stehen nicht im Einklang mit den angegebenen hohen Geschwindigkeiten von rd. 100 Km/h.

bb) Zu den in der Berufungsinstanz gegen das Gutachten vorgebrachten Einwendungen des Beklagten unter Berufung auf das Gutachten des Sachverständigen L hat sich der Sachverständige T bereits in erster Instanz mit seiner Ergänzung vom 26.09.2006 geäußert. Hierzu ist er auch vom Senat ergänzend gehört worden. Danach gilt folgendes:

Bei einem Kontakt des Pkw des Beklagten mit der Leitplanke bei einer Geschwindigkeit um die 100 Km/h hätten sich am Karosserieblech im Bereich der Türvorderkante Anlaufverfärbungen zeigen müssen (die aber nicht vorhanden waren). Denn bei den hohen Reibungskräften entsteht eine hohe Reibungswärme, die zu Anlauffarben auf der Oberfläche des Karosserieblechs führt.

Der vom Sachverständigen L angestellten Berechnung, wonach die bei einem Kontakt mit 100 Km/h entstehende Reibungswärme (580 kJ) lediglich ausreicht, um 100 Kg Eisen um rechnerisch 12,3 Grad zu erwärmen, hat sich der Sachverständige T dem Grundsatz nach angeschlossen. Den Einwand hat er im konkreten Fall - für den Senat überzeugend - aber gleichwohl nicht für berechtigt gehalten. Es geht nicht darum, die Erhöhung der Temperatur einer vergleichsweise großen Masse eines metallischen Werkstoffes insgesamt festzustellen, sondern die Folgen eines starken Anstieges der Temperatur an der Oberfläche eines dünnwandigen Karosseriebleches aufgrund von lokal eingeleiteter Reibungswärme. Im diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auf seine vielfältigen Erfahrungen im Bereich der Unfallanalytik verwiesen. Das Phänomen der Anlaufverfärbungen bei Kontakten mit relativ hohen Geschwindigkeiten hat er dabei häufig beobachtet. Der Umstand, dass der Sachverständige L dieses Phänomen noch nie beobachtet haben will, ist daher nicht von entscheidender Bedeutung.

Den Einwand, der vom Sachverständigen T angestellte Vergleich mit einer rotierenden Schleifscheibe sei fehlsam wegen des Umstandes, dass eine Schleifscheibe kreisförmig rotiere, die Leitplanke dagegen starr sei, hat der Sachverständige T - für den Senat ebenfalls nachvollziehbar - entkräftet. Denn auch die Drehzahl einer rotierenden Schleifscheibe (3000 Umdrehungen/min) lässt sich in eine Winkelgeschwidigkeit (157U/min) umwandeln, aus der sich wiederum eine Umfangsgeschwindigkeit von 36 Km/h herleiten lässt, bei der - bei entsprechend hohem Druck - ebenfalls Anlaufverfärbungen entstehen. Entscheidend dabei ist nicht die Art der Bewegung (Rotation), sondern die Geschwindigkeit, die auf die Reibungsflächen wirkt.

Die nahezu gleich bleibenden Kontaktspuren über die gesamte Fahrerseite des Opels sind nicht mit dem geschilderten Unfallhergang kompatibel. Träfen die angegebenen Geschwindigkeiten zu, wäre ein anderes Schadensbild zu erwarten gewesen. Denn jeder übertragene Impuls mit einer ausreichenden Kraft führt zu einer kollisionsbedingten Trennung der Fahrzeuge und somit bei einer größeren Kontaktstreckenlänge zu einem in der Intensität stark schwankenden Schadensverlauf.

Soweit der Sachverständige L eingewendet hat, dass in "versicherungsfreundlichen" Gutachten regelmäßig der Hinweis unterlassen werde, der Fahrer könne auch ein vitales Interesse gehabt haben, durch Gegenlenken ein gefährliches Abdrängen nach links zu verhindern, so greift auch dieser Einwand aus technischer Sicht nicht. Im Hinblick auf die angegebenen Ausgangsgeschwindigkeiten und der sich daraus ergebenden Differenzgeschwindigkeit hätte der Beklagte innerhalb seiner Reaktionszeit von rd. 0,3 sec rd. 4,4 m zurückgelegt und wäre annähernd am Pkw des Zeugen T2 vorbei gewesen, ohne eine Möglichkeit des Gegenlenkens zu haben. Demzufolge kann das festgestellte Gegenlenken nur auf geringe Ausgangsgeschwindigkeiten zurückgeführt werden.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10. Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst (§ 543 ZPO).

Ende der Entscheidung

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