Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.06.2005
Aktenzeichen: 20 U 48/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2
ZPO § 531 Abs. 2
BGB § 242
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Das Landgericht hat der Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht stattgegeben (Bl. 83 ff. d.A.). Die Beklagte ist verpflichtet, Haftpflichtversicherungsschutz zu gewähren. Die Angriffe der Berufung (Bl. 113 ff.) greifen nicht durch.

Gründe:

I. 1. Der Senat geht - zugunsten der Beklagten - von dem Sachstand aus, wie er sich aus dem Antrag der Beklagten auf Tatbestandsberichtigung vom 14.03.2005 (Bl. 103 f. = 124 f.) ergibt. Auch bei diesem Sachstand ist die Klage begründet, wie im Folgenden noch darzulegen ist. Der Umstand allein, dass das Landgericht den unstreitigen Tatbestand womöglich zu kurz gefasst hat, vermag der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen.

2. Das Landgericht hat zu Recht einen Vorsatz des Klägers in Bezug auf die Verletzung des Polizeimeisters ... verneint.

Nach dem Sach- und Streitstand in erster Instanz (wie gesagt unter Berücksichtigung des Tatbestandsberichtigungsantrags der Beklagten) ist davon auszugehen gewesen, dass der Kläger nach dem brutalen Angriff auf seine Ehefrau "mit geballten Fäusten" auf PM ... "losging", dass dieser sich sogleich mit einem gezielten Faustschlag gegen das Kinn des Klägers zur Wehr setzte und sich dabei einen Finger brach (vgl. S. 3 der Klageerwiderung, Bl. 30). Es lässt sich bei diesem Sachverhalt schon nicht feststellen, dass der Kläger den Vorsatz hatte, dem Polizeibeamten einen Fingerbruch oder eine gleichwertige Verletzung zuzufügen. Auch unter Berücksichtigung des Vorverhaltens lässt das äußere Verhalten des Klägers keinen auch nur einigermaßen sicheren Schluss auf einen Vorsatz für eine Verletzung des Polizeibeamten zu. Ob ein etwaiger Vorsatz des Klägers, den Polizeibeamten "aktiv" zu verletzen, auch die hier in Rede stehende, durch einen Präventivschlag des Polizeibeamten entstandene Verletzung erfassen würde, bedarf daher keiner Erörterung.

Soweit die Beklagte darüber hinaus Beweis dafür angeboten hat (S. 6 unten der Klageerwiderung, Bl. 33; S. 5 des Schriftsatzes vom 06.11.2004, Bl. 54), dass der Kläger eine gewisse Verletzung des Polizeibeamten billigend in Kauf genommen habe, sind die Beweisantritte unbeachtlich. Es handelt sich vorliegend um eine innere Tatsache; es ist mit keinem Wort dargetan und auch sonst nicht ersichtlich gewesen, wie die benannten Zeugen oder ein Sachverständiger diesen Beweis erbringen könnten.

Ob dies auch für die neuen Beweisantritte der Berufungsbegründung gilt, bedarf keiner Erörterung. Diese sind, jedenfalls soweit sie Zeugen betreffen, gemäß § 531 Abs. 2 ZPO unbeachtlich. Aus den Akten 190 Js 422/03 StA Dortmund ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen Verletzungsvorsatz des Klägers.

3. Zu Unrecht macht die Berufung geltend, aus der Gewährung des Versicherungsschutzes für "Gefahren des täglichen Lebens" (Abschnitt I der Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen) oder jedenfalls aus § 242 BGB ergebe sich, dass Folgen eines unredlichen oder jedenfalls eines kriminellen Verhaltens nicht versichert seien.

Die Auslegung der Versicherungsbedingungen ergibt eine solche Einschränkung nicht, wie der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 25.06.1997 (BGHZ 136, 142 = VersR 1997, 1091 unter I 2) in Bezug auf - soweit relevant - identische Bedingungen eingehend begründet hat. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an.

Ebenso wenig kann eine solche Einschränkung der Vorschrift des § 242 BGB entnommen werden (wie sich mittelbar auch aus dem vorgenannten Urteil des Bundesgerichtshofs ergibt). Es widerspricht nicht Treu und Glauben, die Beklagte an den von ihr selbst formulierten Versicherungsbedingungen festzuhalten.

4. Aber auch der Ausschluss für Gefahren "einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung" (Abschnitt I der Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen) greift vorliegend nicht.

a) Die Geltung der Ausschlussklausel ist nach gefestigter Rechtsprechung auf die seltenen Ausnahmefälle beschränkt, in denen die schadenstiftende Handlung (im Streitfall das Losgehen auf den Polizeibeamten) im Rahmen einer allgemeinen Betätigung des Versicherten vorgenommen worden ist, die ihrerseits ungewöhnlich und gefährlich ist (BGHZ 136, 142 = VersR 1997, 1091 unter II; VersR 1996, 495 unter II 2 a; zuletzt VersR 2004, 591 unter 3 a). Dass die schadenstiftende Handlung selbst ungewöhnlich und gefährlich ist, genügt nicht.

Eine derartige allgemeine Betätigung setzt nach dem Wortlaut ("Beschäftigung") eine gewisse Dauer voraus (vgl. OLG Frankfurt, VersR 1996, 964; OLG Oldenburg, VersR 1996, 1487: planmäßig und sich nicht nur auf einen ganz kurzen Zeitraum erstreckend; Voit/Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., Privathaftpfl. Nr. 1 Rn. 11 = S. 1335; noch enger OLG Düsseldorf, VersR 1994, 850 unter 2: von einer gewissen Regelmäßigkeit oder aber doch wenigstens längerer Dauer; OLG Hamburg, VersR 1991, 92 unter 3: gewisse Regelmäßigkeit). Eine impulsive, spontane Handlung ist keine allgemeine Betätigung (vgl. OLG Köln, VersR 1994, 339 unter 2).

Aus dem Wortlaut der Klausel folgt zugleich, dass eine "Beschäftigung" im Sinne des Alltagssprachgebrauchs vorliegen muss (vgl. OLG Koblenz, VersR 1996, 444), also etwas, womit sich der Versicherte "beschäftigt", eine zielgerichtete Verwendung von (Arbeits- oder Frei-) Zeit. Dies ergibt sich aus der Verwendung des Begriffs "Beschäftigung" und zudem daraus, dass die "Gefahren einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung" in einer Reihe stehen mit den "Gefahren eines Betriebes, Berufes, Dienstes, Amtes (auch Ehrenamtes)" und den "Gefahren einer verantwortlichen Betätigung in Vereinigungen aller Art". So hat die Rechtsprechung zum Beispiel bereits entschieden, dass keine "Beschäftigung" vorliegt bei der Flucht vor der Polizei (OLG Saarbrücken, VersR 2002, 351; OLG Koblenz, VersR 1996, 444) oder der Beteiligung an einer tätlichen Auseinandersetzung (Senat, VersR 1973, 1133; vgl. auch OLG Köln, VersR 1994, 339 unter 2).

b) Hiernach gilt: Das Losgehen auf den Polizeibeamten geschah nicht - in diesem vorgenannten Sinne - im Rahmen einer ungewöhnlichen und gefährlichen Beschäftigung.

aa) Allerdings ist davon auszugehen, dass dieses Losgehen auf den Polizeibeamten geschah "im Rahmen" des Angriffs, welchen der Kläger gegen seine Ehefrau unternahm, als die Polzeibeamten vor dem Haus eingetroffen waren und die Ehefrau des Klägers die Haustür offen wollte. Es handelt sich aber bei diesem Angriff nicht um eine "ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung".

Dies gilt schon deshalb, weil der Angriff sich als eine impulsive, spontane Handlung darstellt; er stellt keine Betätigung von einer gewissen Dauer dar. Der Angriff ist aber auch gar keine "Beschäftigung" im Sinne des Alltagssprachgebrauchs. Es handelte sich - wie die Beklagte an anderer Stelle selbst formuliert hat (S. 5 Mitte der Klageerwiderung, Bl. 13) - um einen (unter Alkoholeinfluss begangenen) "Gewaltausbruch", um eine (freilich sehr gravierende, keineswegs zu entschuldigende und bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen strafrechtlich zu ahnende) "Entgleisung" des Klägers, nicht um etwas, womit der Kläger sich "beschäftigt" hat.

bb) Zu einem anderen Ergebnis kommt man auch dann nicht, wenn man auf das Gesamtverhalten des Klägers nach der Rückkehr in die Wohnung abstellt, also berücksichtigt, dass der Kläger zunächst den Arm seiner Ehefrau so drückte, dass diese starke Schmerze hatte, dass er dann mehrfach auf sie einschlug und erst von ihr abließ, als es ihr gelang, sich in der Küche einzuschließen. Denn jedenfalls handelt es sich auch bei diesem vorangegangen Angriff um einen Gewaltausbruch; und auch dieses Gesamtverhalten (mit zwei Gewaltausbrüchen) ist jedenfalls keine "Beschäftigung" im Sinne der Bedingungen.

Ob man überhaupt beide Angriffe als "eine" Betätigung ansehen könnte und ob das Gesamtverhalten des Klägers wirklich eine "Rahmenhandlung" für das Losgehen auf den Polizeibeamten darstellt, kann dahingestellt bleiben.

cc) Zu Unrecht schließlich macht die Beklagte geltend, eine ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung, in deren Rahmen der Kläger auf den Polizeibeamten losgegangen sei, liege jedenfalls darin, dass der Kläger sich betrunken habe, obwohl er gewusst habe, dass er mehrmals in betrunkenem Zustand seine Ehefrau geschlagen und verletzt habe.

Dem steht bereits entgegen, dass es sich bei dem Betrinken an diesem Abend nicht um eine "ungewöhnliche" Beschäftigung im Sinne der Bedingungen handelt. Die Klausel setzt voraus eine Beschäftigung, welche sich als so außergewöhnlich darstellt, dass ein Versicherer sie nicht vorherzusehen vermag und zum Gegenstand eines konkreten Risikoausschlusses oder eines Prämienzuschlags machen könnte (vgl. Senat, VersR 1991, 217). Es ist hingegen leider nicht ungewöhnlich, dass jemand in erheblichem Umfang Alkohol zu sich nimmt und dann - gegenüber dem Ehegatten oder einem Dritten - gewalttätig wird.

Zu Unrecht auch beruft sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 02.05.1991 (VersR 1991, 1283). Allerdings sah das Gericht in dem entschiedenen Fall in der Tat eine ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung darin, dass der dortige Versicherte sich in einen Vollrausch versetzte, unter dessen Wirkung er dann eine Brandstiftung beging. Das Urteil betrifft indes, wie sich auch aus seiner Begründung ergibt, einen krassen Sonderfall, welcher mit dem hiesigen Streitfall nicht vergleichbar ist. Das Gericht sah das Betrinken bis zum Vollrausch nur deshalb als ungewöhnliche und gefährliche Beschäftigung an, weil der dortige Versicherte wiederholt im Vollrausch Straftaten begangen hatte, mehrfach wegen Vollrausches (§ 323 a StGB) verurteilt worden war und selbst seine Neigung zugestanden hatte, im Vollrausch immer wieder Straftaten zu begehen. Ein Betrinken bis zum Vollrausch unter solchen Umständen mag man als ungewöhnlich im Sinne der Bedingungen bezeichnen. Im hiesigen Streitfall hingegen hat sich der Kläger nicht in einen Vollrausch versetzt; er ist nicht mehrfach wegen einschlägiger Verhaltensweisen vorbestraft; und er hat nicht etwa selbst zugestanden, in alkoholisiertem Zustand immer wieder unerlaubte Handlungen zu begehen. Ob der Kläger tatsächlich mehrfach in alkoholisiertem Zustand seine Ehefrau geschlagen hat und ihm dies bewusst war (wie die Beklagte behauptet), kann offen bleiben. Auch nach den Maßstäben des Urteils des Oberlandesgerichts Köln würde dies das Betrinken an dem hier in Rede stehenden Abend noch nicht zu einer "ungewöhnlichen" Beschäftigung im Sinne der Bedingungen machen.

Es kann daher auch hinstehen, ob der Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln heute noch zu folgen ist (ablehnend etwa Voit/Knappmann, a.a.O., Rn. 11 = S. 1336) oder ob diese nicht vielmehr maßgeblich von der nach heutiger Erkenntnis unzulässigen Erwägung (vgl. BGHZ 136, 142 = VersR 1997, 1091 [unter I 2] und oben) geprägt ist, dass derjenige keinen Versicherungsschutz verdiene, der ein gänzlich aus dem Rahmen des "Normalbürgers" fallendes Verhalten zeigt oder sich eindeutig gegen die Solidargemeinschaft stellt.

c) Auf die von dem Landgericht angestellten Überlegungen im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10.03.2004 (VersR 2004, 591) kommt es hiernach nicht an.

II. Der Beklagten wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

Ende der Entscheidung

Zurück