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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 07.12.2005
Aktenzeichen: 20 U 91/05
Rechtsgebiete: VHB 84, VVG


Vorschriften:

VHB 84 § 21 Nr. 1 b
VHB 84 § 21 Nr. 1 d
VHB 84 § 21 Nr. 2 b
VHB 84 § 21 Nr. 3
VVG § 6 Abs. 3
VVG § 6 Abs. 3 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 11.02.2005 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten aufgrund eines (behaupteten) Einbruchsdiebstahls vom 02.10.2001 aus einer bei diesem genommenen Hausratversicherung, der die VHB 84 zugrunde liegen, in Anspruch. In der Berufungsinstanz ist (nur) noch streitig, ob der Beklagte wegen behaupteter Obliegenheitsverletzungen des Klägers leistungsfrei geworden ist.

Am 02.10.2001 meldete der Kläger der Polizei und dem Beklagten einen Einbruch in sein - in G gelegenes - Haus, das er erst kurz vorher bezogen hatte, so dass sich ein Teil des Hausrats noch in Kisten verpackt befand. Mit Schreiben vom 08.10.2001 forderte der Beklagte den Kläger auf, eine Schadensliste einzureichen, sobald diese "fertig gestellt" war. Mit Fax-Schreiben vom 10.10.2001 reichte der Kläger bei der Polizei eine "vorläufige Schadensliste" ein. Am 13.11.2001 übersandte der Kläger dem Beklagten eine - nicht unterschriebene - Schadensliste. Mit Schreiben vom 20.11.2001 forderte der Beklagte den Kläger auf, Originalbelege der entwendeten Gegenstände einzureichen. Kurze Zeit später übersandte der Kläger einige Originalbelege und mit Schreiben vom 25.11.2001 diverse Preislisten. Mit Schreiben vom 28.11.2001 kündigte der Beklagte an, dass sich ein Mitarbeiter des von ihm eingeschalteten Regulierungsbüros C4 melden würde, um einen Besichtigungs- und Besprechungstermin abzustimmen. Am 30.11.2001 meldete sich der Zeuge T aus dem Regulierungsbüro C4 telefonisch beim Kläger, um einen Termin zu vereinbaren. Da der Kläger aber den Sinn einer Besprechung in Abrede stellte, kam man überein, dass sich der Zeuge T - nach Einarbeitung - erneut melden sollte.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob es hierzu gekommen ist und ob der Kläger in der Folgezeit die Vereinbarung eines Besichtigungs- und Besprechungstermins verweigerte.

Mit Schreiben vom 30.11.2001und vom 08.01.2002 forderte der Kläger den Beklagten zur Zahlung auf. Mit Schreiben vom 21.01.2002 monierte der Beklagte, dass die bis dahin eingereichten Schadensaufstellungen nicht vollständig seien (Fehlen von Anschaffungsjahr und Unterschrift). Des Weiteren forderte der Beklagte weitere Belege an, wies darauf hin, dass der Kläger Obliegenheiten verletzt habe (Verweigerung Besprechungstermin), forderte den Kläger erneut zur Kontaktaufnahme mit dem Zeugen T auf, belehrte über die Folgen von Obliegenheitsverletzungen und kündigte den Versicherungsvertrag . Hierauf teilte der Kläger mit, dass er die Angelegenheit einem Rechtsanwalt übergeben habe. Mit Schreiben vom 19.02.2002 meldete sich für den Kläger Rechtsanwalt C2 und übersandte eine ergänzte Schadensliste. Auf die Aufforderung zur Kontaktaufnahme mit dem Zeugen T ging der Rechtsanwalt nicht ein.

Der Kläger hat behauptet, dass am 02.10.2001 ein unbekannt gebliebener Täter in sein Haus eingedrungen sei, in dem er die Terrassentür aufhebelte. Der Täter habe Bargeld in Höhe von 800,00 DM (= 409,03 €) sowie div. Gegenstände im Wert von 8.946,99 € entwendet sowie an der Terrassentür einen Schaden in Höhe von 3.233,43 € verursacht. Er habe sich zu keinem Zeitpunkt geweigert, dem Zeugen T die Besichtigung der Schadensstelle zu gestatten und diesem Auskünfte zu erteilen. Der Zeuge T habe sich nach dem Telefongespräch vom 30.11.2001 nicht mehr bei ihm gemeldet.

Der Beklagte hat sich auf Leistungsfreiheit berufen und die Höhe des Schadens bestritten. Der Kläger habe die vollständige Schadensliste erst am 19.02.2002 - und damit verspätet - übersandt. Auch habe der Kläger nicht alle Belege eingereicht und sich geweigert, die Angelegenheit mit seinem Regulierungsbeauftragten zu besprechen sowie eine Besichtigung der Wohnung zu gestatten.

Das Landgericht hat bzgl. der entwendeten Gegenstände (umfangreich) Zeugenbeweis erhoben, bzgl. der Werte der Gegenstände den SV Dr. Q gehört und bzgl. der Reparatur der Terrassentür ein Gutachten des Sachverständigen Beilfuss eingeholt. Es hat den Beklagten sodann zur Zahlung von 5.761,86 € nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Es könne dahin stehen, ob der Kläger Obliegenheiten verletzt habe. Jedenfalls hätten evtl. Obliegenheiten des Klägers keinen Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder dessen Umfange gehabt. Auch könne dem Kläger kein erhebliches Verschulden vorgeworfen werden. Der Schaden betrage aber nur 5.761,86 €.

Hiergegen wendet sich die frist- und formgerecht eingelegte und begründete Berufung des Beklagten, mit der er seinen erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens weiter verfolgt.

Der Beklagte beantragt,

abändernd die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Der Senat hat den Kläger persönlich angehört und bzgl. der Frage, ob sich der Kläger geweigert hat, mit dem Zeugen T ein Regulierungsgespräch zu führen und diesem die Besichtigung der Wohnung zu gestatten, Beweis durch Vernehmung des Zeugen T erhoben.

Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 07.12.2005 verwiesen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist im vollen Umfange begründet. Sie führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage. Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu. Der Beklagte ist wegen Obliegenheitsverletzungen des Klägers nach §§ 21 Nr. 1 b, Nr. 3 VHB 84, 6 Abs. 3 VVG leistungsfrei geworden.

1.) Allerdings hat der Kläger - entgegen der Auffassung des Beklagten - im Zusammenhang mit der Einreichung einer Schadenaufstellung und/oder der Einreichung von Belegen keine Obliegenheiten verletzt.

a) Nach § 21 Nr. 1 d VHB 84 trifft den VN die Obliegenheit, ein von ihm unterschriebenes Verzeichnis aller abhanden gekommenen, zerstörten oder beschädigten Sachen unverzüglich dem VR vorzulegen. Der Versicherungswert der Sachen oder der Anschaffungswert und das Anschaffungsjahr sind dabei anzugeben.

Gegen diese Verpflichtung hat der Kläger nicht verstoßen. Der Kläger hat unter dem 13.11.2001 eine Schadensliste eingereicht. Die Einreichung erfolgte unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern, § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Zwar lagen zwischen dem Zugang der Aufforderung (am 16.10.2001) und der Einreichung rd. 4 Wochen. Der Kläger war kurz vor dem Einbruch jedoch umgezogen. Der Hausrat befand sich zum Zeitpunkt des Einbruchs noch in Gepäckkisten, so dass es dem Kläger nur unter erschwerten Bedingungen möglich war, den Umfang der entwendeten Gegenstände zu ermitteln. Im Übrigen hatte der Beklagte den Kläger noch in "Sicherheit" gewogen. Er hatte in dem Schreiben vom 08.10.2001 nicht etwa darauf hingewiesen, dass die Liste unverzüglich einzureichen sei, sondern den Kläger gebeten, die Liste einzureichen, "sobald diese fertig gestellt" sei. Der Beklagte hat die unter dem 13.11.2001 eingereichte Liste - in Erfüllung seiner Nachfrageobliegenheit - inhaltlich erst mit Schreiben vom 21.01.2002 moniert. Der Kläger hat sich zu keinem Zeitpunkt geweigert, eine überarbeitete Liste einzureichen. Der vom Kläger eingeschaltete Rechtsanwalt hat dann innerhalb angemessener Zeit eine Liste, die auch der Beklagte formal als ausreichend ansieht, eingereicht. Unter diesen Umständen ist dem Kläger nicht vorzuwerfen, die Liste verspätet eingereicht zu haben.

b) Nach § 21 Nr. 2 b VHB 84 hat der Versicherungsnehmer Belege beizubringen.

Dass es sich dabei - wie vom Beklagten vertreten - um Originalbelege handeln muss, geht aus der vorgenannten Klausel nicht hervor. Die Verpflichtung nach § 21 Nr. 2 b VHB wird erst durch ein vorheriges Verlangen des Versicherers ausgelöst. Der Kläger ist den Aufforderungen des Beklagten vom 20.11.2001 und vom 21.10.2002 im Rahmen seiner Möglichkeiten nachgekommen und hat - nach seinem nicht zu widerlegenden Vortrag - dem Beklagten die (kopierten) Belege überreicht, die er in Besitz hatte. Nicht vorhandene Belege konnte er nicht überreichen. Zur Aufbewahrung von Belegen ist er nach der VHB 84 nicht verpflichtet.

2.) Der Kläger hat aber die aus § 21 Nr. 2 b VHB 84 folgende Aufklärungsobliegenheit verletzt.

a) Nach dieser Klausel hat der Versicherungsnehmer dem Versicherer jede zumutbare Untersuchung über Ursache und Höhe des Schadens und über den Umfang der Entschädigungspflicht zu gestatten und insb. jede hierzu dienliche Auskunft zu erteilen. Diese vom Versicherungsnehmer einzuhaltende Verhaltensnorm, jede Untersuchung im vorgenannten Sinne zu gestatten, die erst durch ein Untersuchungsverlangen des Versicherers ausgelöst wird (Senatsurteil vom 24. Oktober 1990 - 20 U 35/90 - VersR 1991, 923), beinhaltet im Falle der versicherten Gefahr "Einbruchsdiebstahl" (§ 3 Nr. 2 VHB 84) auch die Obliegenheit des Versicherungsnehmers, eine Besichtigung der Wohnung, in die eingebrochen worden ist, durch einen Beauftragten des Versicherers zu gestatten. Hierdurch wird dem Versicherer erst ermöglicht, die Angaben des Versicherungsnehmers zu überprüfen, insb. ob sich der Einbruch so wie vom Versicherungsnehmer geschildert, ereignet haben kann und ob nach der Art und Weise der Einrichtung und Ausstattung der Wohnung die Entwendung des als gestohlenen gemeldeten Hausrats nachvollziehbar erscheint. Darüber hinaus obliegt es dem Versicherungsnehmer - bei einem entsprechenden Verlangen des Versicherers - dienliche Auskünfte im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mit dem Beauftragten des Versicherers zu erteilen. Diese Vorgehensweise dient zum einen dem Versicherer, der sich so ein persönliches Bild vom Versicherungsnehmer und dessen Redlichkeit verschaffen kann. Zum anderen können im Rahmen eines persönlichen Gesprächs noch widersprüchliche oder fehlende Angaben des Versicherungsnehmers schneller berichtigt bzw. erteilt werden, als auf schriftlichem Weg. Die Schadensregulierung kann somit zügiger abgeschlossen werden, was dem Versicherungsnehmer zu Gute kommt.

b) Hiergegen hat der Kläger verstoßen, in dem er sich geweigert hat, die Angelegenheit mit dem Zeugen T in einem persönlichen Gespräch zu erörtern und diesem evtl. erforderlich werdende Auskünfte zu erteilen sowie die Wohnung besichtigen zu lassen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger das Verlangen des Beklagten auf Durchführung eines Besprechungs- und Besichtigungstermins mit dem von ihm beauftragten Regulierungsexperten T abgelehnt hat. Zwar hat der Kläger angegeben, dass sich der Zeuge T nach dem 30.11.2001 - trotz anderweitiger Vereinbarung - nicht mehr bei ihm gemeldet habe. Dieser Angabe stehen jedoch die Bekundungen des Zeugen T entgegen. Danach hat der Zeuge T den Kläger kurz nach dem - unstreitig - Ende November 2001 geführten Telefongespräch erneut angerufen. Im Verlauf des Gesprächs ist offenbar geworden, dass die Sache in einem persönlichen Gespräch weiter aufzuklären war. Insoweit hatten sich Fragen im Zusammenhang mit der vom Kläger eingereichten Schadensaufstellung ergeben. Diesen Wunsch hat der Kläger mit der Begründung, er habe alles Erforderliche vorgelegt, kategorisch abgelehnt. Der Senat glaubt dem Zeugen T. Seine Aussage ist nachvollziehbar und widerspruchsfrei. Der Senat hält insb. seine Angabe, er könnte sich an den Fall noch gut erinnern, weil er ein solches Verhalten während seiner langjährigen Tätigkeit noch nie erlebt habe, für einleuchtend. Für die Aussage des Zeugen spricht auch der Inhalt der von dem Sachbearbeiter C unter dem 03.12.2001 erstellten Gesprächsnotiz. Danach hat der Zeuge T Herrn C am dem 03.12.2001 angerufen und diesem mitgeteilt, dass sich der Kläger geweigert habe, ihn zu empfangen.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Kläger auch auf die weitere Bitte des Beklagten gemäß Schreiben vom 21.01.2002, sich mit dem Zeugen T in Verbindung zu setzen, nicht reagiert hat. Diese Vorgehensweise ist im Zusammenhang mit dem vorangegangenen Geschehen als fortgesetzte Weigerung, dem Untersuchungs- und Aufklärungsverlangen des Beklagten nachzukommen, zu bewerten.

3.) Die Verletzung der aus § 21 Nr. 2 b VHB 84 folgenden Obliegenheit führt nach § 21 Nr. 3 VHB 84, § 6 Abs. 3 VVG zur Leistungsfreiheit des Beklagten.

a) Das nach § 6 Abs. 3 Satz 2 VVG vermutete vorsätzliche Handeln hat der Kläger, der eine Obliegenheitsverletzung in Abrede stellt, nicht wiederlegt.

b) Die Grundsätze der (in § 21 Nr. 4 VHB 84 normierten) Relevanzrechtsprechung des BGH (vgl. zu den einzelnen Versicherungszweigen Prölss/Martin-Prölss, VVG, 27. Aufl., zu § 6, RdNr. 101 und zu den Voraussetzungen Römer, VVG, 2. Aufl., zu § 6 RdNr. 51 ff) sind vorliegend nicht anwendbar. Die Obliegenheitsverletzung des Klägers ist für den Beklagten nicht nachweislich folgenlos geblieben. Folgenlos bedeutet, dass dem Versicherer bei der Feststellung des Versicherungsfalles oder des Schadensumfanges keine Nachteile entstanden sind. Dabei ist die Obliegenheitsverletzung nicht notwendig schon dann folgenlos geblieben, wenn der Versicherer nicht geleistet hat.

Dem Beklagten sind vorliegend Nachteile bei der Feststellung des Versicherungsfalles und des Schadensumfanges entstanden. Es war ihm insb. nicht möglich, die Angaben des Klägers zum Einbruchsdiebstahl und zu den als gestohlen gemeldeten Hausratsgegenständen ( im Zusammenhang mit der weiteren Ausstattung der Wohnung) vor Ort auf ihre Nachvollziehbarkeit hin zu überprüfen und weitere Informationen zu den als entwendet gemeldeten Gegenständen zu erhalten. Es ist nahe liegend, jedenfalls nicht auszuschließen, dass anderenfalls eine zutreffende Bewertung des Versicherungsfalles und der angeblich entwendeten Gegenstände zudem zeitnah möglich gewesen wäre.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10 ZPO. Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst (§ 543 ZPO).

Ende der Entscheidung

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