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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 03.08.2005
Aktenzeichen: 20 U 93/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

20 U 93/05 OLG Hamm

Hamm, den 03. August 2005

in dem Rechtsstreit

Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO wird den Berufungsklägerinnen folgender Hinwels erteilt:

Tenor:

Die eingelegte Berufung verspricht keine Aussicht auf Erfolg.

Der Senat beabsichtigt, sie durch Beschluß zurückzuweisen.

Gründe:

I.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten zu 1) eine Kranken- und Pflegeversicherung und bei der Beklagten zu 2) eine Krankentagegeldversicherung des Tarifs V 22/100.

Beide Versicherungsverträge kamen aufgrund eines einheitlichen Antrags vom 21.12.2003 zustande und wurden von dem Versicherungsagenten vermittelt.

Die Parteien streiten, ob die Beklagten wirksam den Rücktritt von beiden Versicherungsverträgen erklärt haben.

Der Kläger war zuvor bei der ... Versicherung krankenversichert. Zu dem Wechsel kam es, weil der Kläger sich von dem Agenten ... gut beraten fühlte und seine Versicherungsangelegenheiten, so u.a. auch ... Betriebsversicherungen für eine von ihm betriebene Autowaschanlage, insgesamt im Versicherungskonzern der ... unterbringen wollte.

Etwa zeitgleich mit den Versicherungsanträgen vom 21.12.2003 beantragte der Kläger, ebenfalls vermittelt durch den Agenten ..., eine Berufsunfähigkeitsversicherung bei der ... Lebensversicherung ....

Wegen der Höhe der Deckungssumme bestand die ... Lebensversicherung ... auf einem ärztlichen Attest. Der Kläger begab sich am 22.12.2003 zu seinem Hausarzt, dem Zeugen .... Dieser erteilte auf einem Formblatt der ... Lebensversicherung ... ein "Ärztliches Zeugnis", das zu einer Hälfte aus einem Fragebogen, überschrieben "Erklärung vom Arzt", und zur anderen Hälfte aus einem "Untersuchungsbefund" bestand. Unstreitig sind sowohl Teil I als auch Teil II des "Ärztlichen Zeugnisses" von dem Zeugen ausgefüllt worden. Die am Ende von Teil I (Erklärung vom Arzt) vorgesehene Unterschrift des Klägers als Versicherungsnehmer fehlt.

In dem Antrag vom 21.12.2003 zur Krankenversicherung und zur Krankentagegeldversicherung, den der Agent ... für den Kläger ausgefüllt hat, sind unter der Rubrik "Selbstauskunft zum Gesundheitszustand der zu versichernden Personen" die Fragen nach Untersuchungen und Behandlungen in den letzten drei Jahren und nach stationären Aufenthalten in den letzten fünf Jahren bejaht worden. Anstelle der weiter erfragten näheren Angaben ist vermerkt: "siehe ärztliches Zeugnis". Der Zeuge ... erklärte dem Kläger dazu, man könne sich nähere Angaben sparen und stattdessen das Gesundheitszeugnis beifügen, das wegen der beantragten Berufsunfähigkeitsversicherung ohnehin eingeholt werden mußte. Zugleich händigte der Agent ... nach der Behauptung der Beklagten dem Kläger das Formblatt der ... Lebensversicherung für das ärztliche Zeugnis aus, das dieser am folgenden Tag dem Zeugen ... vorlegte.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der Agent ... in Absprache mit dem Kläger das Gesundheitszeugnis bei dem Zeugen ... abholte und dieses sowohl an die ... Lebensversicherung ... als auch an die Beklagten als Anlage zum Versicherungsantrag vom 21.12.2003 weiterleitete.

In dem von ... unter dem 22.1 £2003 ausgefüllten Formblatt "Ärztliches Zeugnis" der ... Lebensversicherung ... wird der Arzt in Teil I aufgefordert, jede dort formulierte Frage zu stellen und mit nein oder ja zu beantworten.

... verneinte schriftlich u.a. die folgende Fragen:

3. Bestanden oder bestehen bei Ihnen Krankheiten, Störungen oder Beschwerden

a) ...

b) der Atmungsorgane, z.B. ..... Asthma?| Nein

e) ... der Nerven,... häufige Kopfschmerzen?| Nein

l) der Knochen und Gelenke, der Wirbelsäule, der Bandscheiben ...?| Nein

Die Beklagten nahmen den Antrag vom 21.12.2003 durch Übersendung des Versicherungsscheins vom 29.12.2003 einschränkungslos an.

Anläßlich der Überprüfung eines Versicherungsfalles erhielten die Beklagten eine Auskunft des Vorversicherers, der ... Krankenversicherung a.G., aus der sich u.a. folgende Behandlungen ergaben:

30.05.2000 Migräne

21.02.2002 Migräne

18.09.2003 Migräne

05.07.2003 Lumbago

12.04.2002 Neuralgie

29.07.2002 bis 14.08.2002 Asthma bronchiale

18.06.2001 bis 26.06.2001 HWS-Syndrom und Bandscheibenleiden

18.07.2001 HWS-Syndrom und Bandscheibenleiden

Mit Schreiben vom 26.05.2004 erklärte die Beklagte zu 1) auch im Auftrag der Beklagten zu 2) den Rücktritt von der Krankenversicherung und der Krankentagegeldversicherung wegen einer vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung.

Der Kläger hat den Rücktritt für unwirksam gehalten und Klage auf Feststellung erhoben, daß der Krankenversicherungsvertrag (Versicherungsschein - Nr. ...) und der Krankentagegeldversicherungsvertrag (Versicherungsschein - Nr. ...) nicht durch Rücktritt der Beklagten beendet worden sind.

Er hat behauptet, die ihm von dem Zeugen ... gestellten Fragen sämtlich wahrheitsgemäß beantwortet zu haben.

Die Beklagten haben die Abweisung der Klage beantragt.

Sie haben dem Kläger vorgeworfen, die oben aufgeführten Behandlungen verschwiegen zu haben. Der Hinweis des Klägers auf das ärztliche Zeugnis des ... entschuldige ihn nicht. Falsche Angaben in einem ärztlichen Gesundheitszeugnis stünden einer falschen Beantwortung der Gesundheitsfragen im Antrag selbst gleich. In Kenntnis der verschwiegenen Vorerkrankungen hätten sie den Antrag vom 21.12.2003 allenfalls unter der Bedingung höherer Prämien angenommen.

Das Landgericht hat den Zeugen ... vernommen und der Klage stattgegeben, da sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine objektive Verletzung der Anzeigeobliegenheiten nicht feststellen lasse.

Die Beklagten greifen das am 16.02.2005 verkündete Urteil mit der Berufung an. Sie rügen, daß das Landgericht den Zeugen ... als ihr "Auge und Ohr" angesehen und dessen Verhalten ihnen zugerechnet hat. Die Rechtsprechung habe die Beweislastumkehr an die Voraussetzungen geknüpft, daß ein Arzt vom Versicherer beauftragt wird und daß der Versicherungsnehmer substantiiert geltend macht, den Arzt mündlich zutreffend unterrichtet zu haben. An beidem fehle es.

Zwischen ihnen und dem Zeugen ... habe kein Auftragsverhältnis bestanden. Vielmehr habe der Kläger sich zur Erledigung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht seines Hausarztes bedient. Der Arzt sei zur Erfüllung der Verpflichtungen des Klägers von diesem hinzugezogen worden.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.

Die Berufungsangriffe rechtfertigen eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung im Ergebnis nicht.

Zwar ist der Berufung zuzugeben, daß das Landgericht zu Unrecht von einer Beauftragung des Zeugen ... durch die Beklagten ausgegangen ist. Dessen Beauftragung hat das Landgericht offensichtlich der Seite 4 des "Ärztlichen Zeugnisses" vom 22.12.2003 entnommen, wo es auf dem oben näher beschriebenen Formblatt der ... Lebensversicherung ... heißt: "Wir bieten Ihnen für diese Untersuchung einschließlich der Kosten für die Laborbefunde ein Honorar in Höhe von 300,- DM". Übersehen worden ist dabei, daß nicht die * Beklagten dieses Rechtsstreits, sondern die mit den Beklagten lediglich im Konzern t verbundene ... Lebensversicherung ... das Formblatt erstellt und das ärztliche Zeugnis in Auftrag gegeben hat.

Anders als in der vom Landgericht angeführten Entscheidung des BGH vom 21.11.1989 (IV a ZR 269/88 - VersR 1990, 77) ist somit der Zeuge ... nicht unmittelbar auf Betreiben der Beklagten tätig geworden. Die der BGH-Entscheidung zugrunde liegende Fallgestaltung unterscheidet sich damit im Tatsächlichen von dem vorliegenden Streitfall.

Gleichwohl teilt der Senat im Ergebnis die Ansicht des Landgerichts, daß sich eine objektive Anzeigepflichtverletzung des Klägers auf Grund des unstreitigen Sachverhalts in Verbindung mit der durchgeführten Beweisaufnahme nicht feststellen läßt.

Es entspricht einer gefestigten Rechtsprechung, daß der Versicherer den ihm obliegenden Beweis des objektiven Tatbestands einer Anzeigeobliegenheitsverletzung nicht allein mit der Vorlage des unzutreffend ausgefüllten Formulars führen kann, wenn nicht der Versicherungsnehmer persönlich das Fragenformular seines Versicherers ausgefüllt hat, sondern für ihn aufgrund seiner mündlichen Information eine für den Versicherer tätige Person - sei es ein Agent, sei es ein beauftragter Arzt (vgl. nur BGH, aaO.).

Es ist unstreitig, daß der Kläger das Antragsformular vom 21.12.2003 nicht selbst ausgefüllt hat, sondern daß für ihn der Agent ... gehandelt hat. Es ist ferner unstreitig, daß der Kläger auch das "ärztliche Zeugnis" des Zeugen ..., nicht ausgefüllt, sondern daß er dem Arzt auf dessen Fragen mündlich geantwortet hat. Er hat sich die von dem Arzt schriftlich niedergelegten Antworten auch nicht etwa zu eigen gemacht, wie die Beklagten im Schriftsatz vom 03.12.2004 (dort Seite 4) unrichtig argumentieren, denn der Kläger hat den Teil I - "Erklärung vom Arzt" -nicht unterschrieben, ihn unstreitig nicht einmal gesehen, da das ärztliche Zeugnis von dem Zeugen ... in Abwesenheit des Klägers ausgefüllt, von dem Agenten ... abgeholt und den Beklagten unmittelbar mit dem Antrag vom 21.12.2003 und als dessen Bestandteil weitergeleitet wurde.

Da der Kläger keinen der Fragekataloge persönlich ausgefüllt hat, können die Beklagten allein mit der Vorlage des Antrags und des "ärztlichen Zeugnisses" den ihnen obliegenden Beweis des objektiven Tatbestands einer Anzeigeobliegenheitsverletzung nicht führen. Denn der Kläger hat schon in erster Instanz vorgetragen, er habe die ihm von dem Zeugen ... gestellten Fragen jeweils wahrheitsgemäß beantwortet. Eine Anzeigepflichtverletzung ließe sich nur dann feststellen, wenn bewiesen würde, daß der Kläger auf die Fragen des Arztes wahrheitswidrig geantwortet hat.

Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Umkehr der Beweislast, mit der die Beklagten in ihrer Berufungsbegründung argumentieren, sondern es handelt sich schlicht um die Beweislast für den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung, die dem Versicherer stets obliegt.

Die Besonderheit des Streitfalls liegt darin, daß der von den Beklagten mit der Entgegennahme des Antrags betraute Agent ... mit dem Kläger die Gesundheitsfragen nicht etwa selbst erörtert hat, sondern daß er den Zeugen ... nicht nur im Auftrag der ... Lebensversicherung ..., sondern auch hinsichtlich der Beantwortung der Gesundheitsfragen für die streitgegenständliche Krankenversicherung und die Krankentagegeldversicherung eingeschaltet hat. ... hatte mithin eine doppelte Funktion: Ausweislich des Formulars der ... Lebensversicherung ..., die das Honorar für die Untersuchung übernahm, war er von dieser beauftragt; dadurch, daß der Agent ... im Antrag vom 21.12.2003 auf das "ärztliche Zeugnis" verwies und dieses dem Antrag beifügte, wurde der Zeuge ... zugleich auch als ein von dem Agenten ... eingeschalteter Untervertreter tätig, der dessen Aufgaben wahrnehmen sollte, indem er die im Antrag vom 21.12.2003 ausgesparten näheren Angaben mit dem Kläger erarbeitete.

Die Beklagten habe die Einschaltung des ..., dessen Rolle ihnen aufgrund des Antrags vom 21.12.2003 in Verbindung mit dem "Ärztlichen Zeugnis" klar ersichtlich war, akzeptiert und im Rahmen ihrer Risikoprüfung keine Bedenken gegen dessen Einschaltung erhoben. Es war nicht der Kläger, der sich seines Hausarztes zur Erfüllung seiner Pflichten bediente, sondern es war nach dem Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung (dort Seite 8) der Agent ..., der dem Kläger vorschlug, den zu erwartenden Arztbericht auch für die streitgegenständlichen Versicherungen zu verwenden.

In dieser besonderen Fallgestaltung hält der Senat es für richtig, daß die Beklagten, die die durch ihren Agenten ... erfolgte Einschaltung des Zeugen ... bei der Antragsaufnahme gebilligt haben, sich dessen Verhalten und dessen Wissen zurechnen lassen müssen, als hätten sie ihn selbst mit der Entgegennahme der Antworten auf die Antragsfragen betraut.

Entgegen der in der Berufungsbegründung vertretenen Ansicht der Beklagten kommt es dann nicht darauf an, ob der Zeuge ..., der Hausarzt des Klägers war; denn auch wenn ein Arzt nicht von einem Versicherer ausgewählt worden ist, hat der Versicherer sich dessen Verhalten zurechnen zu lassen, wenn er den Arzt im Rahmen der für seine Annahmeentscheidung durchzuführenden Risikoprüfung mit der Erstellung eines Arztberichtes beauftragt (so schon BGH, Urt v. 29.05.1980 - IV a ZR 6/80 - VersR 1980, 762).

Aufgrund der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme läßt sich nicht feststellen, daß die in der "Erklärung vom Arzt" (Teil I des "ärztlichen Zeugnisses") formulierten Fragen dem Kläger in der schriftlich niedergelegten Form zur Kenntnis gebracht worden sind ..., hat als Zeuge bekundet, daß er seine Aufgabe darin gesehen hat, nicht vergangene Behandlungen, sondern den gegenwärtigen Gesundheitszustand des Klägers festzustellen. Er hat angegeben, den Kläger nach aktuellen Beschwerden gefragt zu haben. Ist der Kläger jedoch nicht nach den oben unter I. angegebenen früheren Behandlungen gefragt worden, ist schon der objektive Tatbestand einer Verletzung seiner Aufklärungsobliegenheit nicht festzustellen. Insoweit folgt der Senat den Ausführungen des Landgerichts.

Ohne eine festzustellende Verletzung der Aufklärungsobliegenheit des Klägers konnte der Rücktritt der Beklagten von den streitgegenständlichen Versicherungsverträgen nicht wirksam werden.

III.

Die Beklagten erhalten Gelegenheit, zu dem erteilten Hinweis binnen einer Frist von 3 Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

Ende der Entscheidung

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