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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 30.11.2005
Aktenzeichen: 20 U 96/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 13.04.2005 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Siegen wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages erbringt.

Gründe:

I.

Der Kläger macht Ansprüche auf eine Invaliditätsentschädigung aus einer bei der Beklagten genommenen Unfallversicherung geltend.

Vereinbart sind die GUB 99 der Beklagten.

Der Kläger wurde im November 2003 an Leistenhernien beidseits operiert. Bereits vom 18.12.2003 bis zum 27.12.2003 wurde ein erneuter stationärer Aufenthalt erforderlich zur Durchführung einer Operation wegen eines Frührezidives an der linksseitigen Leistenhernie.

Am 30.03.2004 wurde er ein weiteres Mal operiert, diesmal wegen eines Leistenhernienrezidivs rechtsseitig. Der Kläger leidet seither unter Schmerzen. Die Wundverhältnisse sind geschwollen und deutlich verdickt. Die Schmerzen ziehen bis in die Hoden und haben zu einer erektilen Dysfunktion geführt.

Weitere Operationen haben nach Auskunft eines vom Kläger konsultierten Neurochirurgen nur eine sehr geringe Erfolgsaussicht.

Der Kläger meldete der Beklagten einen Unfall vom 06.11.2003 zunächst mündlich am 21.11.2003 und sodann schriftlich mit eine Unfall-Schadenanzeige vom 25.11.2003. Unter dem 27.11.2003 schilderte er den Unfallhergang, wonach er auf der Baustelle "Grundschule N" in I beim Absteigen von einem LKW vom Hinterreifen abgerutscht und mit der linken Schulter und dem Gesäß aufgeschlagen sei. Zunächst habe er Schmerzen in der linken Schulter verspürt, die alles andere überdeckt hätten. Erst später hätte sich ein "Ziehen und Reißen" im Unterbauch verstärkt, das sich als Leistenbruch herausstellte.

Die Beklagte lehnte, zuletzt mit Schreiben vom 10.09.2004, ihre Eintrittspflicht unter Hinweis auf den Ausschlußtatbestand der Ziff. 5.2.6 der vereinbarten GUB 99 ab.

Der Kläger hat zunächst auf Feststellung geklagt, daß die Beklagte verpflichtet sei, ihm wegen des am 06.10.2003 erlittenen Leistenbruchs Versicherungsschutz zu leisten.

Sodann hat er die Klage umgestellt und Zahlung von 168.000,00 € nebst Zinsen verlangt mit der Behauptung, zu 100 % invalid zu sein.

Der Kläger hat behauptet, er sei am 06.10.2003 beim Absteigen von einem LKW vom Hinterreifen abgerutscht und mit dem Unterbauch auf eine Treppenkante aufgeschlagen.

Zum Beweis für den Unfallhergang hat er sich auf die Zeugen Q und M berufen.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Sie hat unter Hinweis auf die Ausschlußklausel in Ziff. 5.2.6 der vereinbarten GUB 99 ihre Eintrittspflicht verneint, die Invalidität und den Unfall bestritten und sich auf Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzungen berufen, da der Kläger seine Aufklärungsobliegenheit durch widersprüchliche Unfalldarstellungen und das Verschweigen von Unfallzeugen in der schriftlichen Unfallanzeige verletzt habe.

Das Landgericht ist der Ansicht der Beklagten zur Verletzung der Aufklärungsobliegenheit gefolgt und hat die Klage abgewiesen.

Auf den Inhalt des am 13.04.2005 verkündeten Urteils wird Bezug genommen.

Der Kläger greift das Urteil mit der Berufung an und verfolgt seinen Zahlungsantrag weiter.

Er trägt erneut zum Unfallhergang vor und behauptet nunmehr, er habe sich, als er den Halt verlor, gedreht, um erkennen zu können, wohin er fiel. Im Sturz drehend sei er zunächst mit dem Unterbauch auf eine Treppenanlage neben dem LKW aufgeschlagen und dann gekippt, so daß er dann mit Schulter und Gesäß aufgeschlagen sei.

Zum Unfallhergang habe er vorprozessual keine falschen Angaben gemacht, sondern lediglich auf die Einwendungen der Beklagten hin seine Schilderung verdeutlicht und präzisiert.

Hinsichtlich der Obliegenheitsverletzung durch Unterlassen der Zeugenbenennung in der Schadenanzeige behauptet der Kläger unter Wiederholung seines Vortrags aus erster Instanz, das Formular habe der Agent Y ausgefüllt und ihm zur Unterschrift vorgelegt. Er sei nach Zeugen nicht gefragt worden.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Kläger angehört und zum Unfallhergang Beweis durch Vernehmung der Zeugen Q und M erhoben. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk zur mündlichen Verhandlung vom 30.11.2005 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

Der Kläger hat nicht bewiesen, daß die beidseitigen Leistenbrüche, die nach seiner Behauptung zur Invalidität geführt haben sollen, Folge eines traumatischen Ereignisses waren.

Deshalb war seine Klage abzuweisen.

Nach Ziff. 5.2.6 der vereinbarten Bedingungen sind Bauch - oder Unterleibsbrüche vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Sodann heißt es:

"Versicherungsschutz besteht jedoch, wenn sie durch eine unter diesen Vertrag fallende gewaltsame von außen kommende Einwirkung entstanden sind."

Beweispflichtig für den Wiedereinschlußtatbestand ist der Versicherungsnehmer.

Dem Versicherungsnehmer obliegt mithin der Beweis für ein Unfallereignis, das als gewaltsam von außen kommende Einwirkung direkt auf den Bauch oder Unterleibsbereich einen Riß (Bruchpforte) in der Bauchwand herbeigeführt hat (Grimm, Unfallversicherung, 3. Aufl. § 2 Rn. 94). Es ist der Vollbeweis (§ 286 ZPO) zu führen; Beweiserleichterungen kommen dem für das Unfallereignis und die Gesundheitsbeschädigung beweispflichtigen Versicherungsnehmer insoweit nicht zugute (vgl. Römer in Römer/Langheid, VVG, § 179 Rn. 18).

Die Behauptung des Klägers, er sei mit dem Unterbauch auf die Eckkante der Treppenanlage aufgeschlagen (so Schreiben vom 01.03.2004 - Anlage B 5), was unmittelbar zu den beiden Leistenbrüche geführt habe, ist unbewiesen. Keiner der beiden dazu benannten und vernommenen Zeugen hat ein Aufschlagen mit dem Unterleib auf die Treppenkante bestätigt. Beide Zeugen hatten den Sturz des Klägers nicht beobachtet, sondern sie hatten ihn nur nach dem Sturz neben dem LKW liegen sehen.

Es spricht nichts dafür, daß der Kläger mit dem Bauch auf die Treppe aufgeschlagen ist. Es sind weder objektive Hinweise auf eine traumatische Einwirkung auf den Unterleib dokumentiert noch ergeben sie sich aus dem Geschehensablauf.

Hernien entstehen nur in Ausnahmefällen durch von außen kommende gewaltsame Einwirkungen; in aller Regel sind diese dann durch entsprechende Lokalbefunde wie Ödeme, Blutungen, Zerreißungen nachweisbar (so Grimm, aaO. Rn. 93), und die Folgen der gewaltsamen Einwirkungen machen sich unmittelbar klinisch durch deutliche Symptome wie Schock und Schmerzen bemerkbar.

Nichts dergleichen ist ist im Fall des Klägers festzustellen. Im Gegenteil: Der Kläger klagte nach dem Sturz vom 06.10.2003 nicht etwa über Schmerzen im Unterbauch, sondern über heftige Schmerzen in der Schulter. Ausschließlich wegen der Schulterschmerzen begab er sich am folgenden Tag in die Behandlung seines Hausarztes, der ihm später attestierte, daß bis zum 24.10.2003, mithin mehr als zwei Wochen nach dem Unfall, keine Befunde erhoben werden konnten, die auf einen Leistenbruch hindeuteten.

Anläßlich der stationären Aufnahme zur Leistenhernienreparation gab der Kläger nicht etwa an, er sei auf den Unterbauch gestürzt, sondern er schilderte ein nicht versichertes Verhebetrauma (vgl. Bericht des Dr. Müller vom 13.01.2004, Anlage B 3). Der operierende Arzt fand intraoperativ keine Blutergüsse oder sonstige Hinweise auf ein traumatisches Geschehen und schloß nicht aus, daß der Bruch schon anlagebedingt vorhanden war (Dr. Müller - Fragebogen bei Unterleibsbrüchen - vom 07.07.2004, Anlage B 6).

Der Beweis für das Vorliegen des Wiedereinschlußtatbestands (Ziff. 5.2.6 GUB 99) ist nach alldem nicht geführt, so daß die Klage abweisungsreif war.

Da es nach diesem Beweisergebnis nicht mehr darauf ankam, hat der Senat davon absehen können, dem Kläger wie von ihm beantragt eine Frist zur Beibringung der nach wie vor noch fehlenden ärztlichen Feststellung unfallbedingter Invalidität (Zif. 2.1.1.1 GUB 99) einzuräumen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. I, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision war nicht veranlaßt (§ 543 ZPO n.F.).

Ende der Entscheidung

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