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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.02.2002
Aktenzeichen: 20 W 36/01
Rechtsgebiete: VHB 82, VVG, ZPO


Vorschriften:

VHB 82 § 21 Nr. 1 b
VVG § 6 Abs. 3
ZPO § 114
1. Der Kausalitätsgegenbeweis für eine grob fahrlässig verspätet vorgelegte Stehlgutliste ist geführt, wenn die Polizei trotz Äußerung eines konkreten Tatverdachts Fahndungsmaßnahmen ablehnt.

2. Eine vorweggenommene Beweiswürdigung kommt im PKH-Verfahren jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn die Zeugen bislang nicht gerichtlich vernommen worden sind.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

20 W 36/01 OLG Hamm

In Sachen

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 16.10.2001 abgeändert.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe ab Antragstellung gewährt. Ratenzahlungen werden im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin nicht festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin hat hinreichende Aussicht auf Erfolg; § 114 S. 1 ZPO.

1.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Antragsgegnerin nicht aufgrund einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung der Antragsstellerin gemäß § 21 Nr. 1 b VHB 92 von der Entschädigungspflicht freigeworden.

In § 21 Nr. 1 b der dem Versicherungsverhältnis zugrundeliegenden VHB 92 ist bestimmt, das der Versicherungsnehmer einen durch Einbruchdiebstahl verursachten Schaden unverzüglich der zuständigen Polizeidienststelle anzuzeigen und dieser ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen einzureichen hat. Zwar sind unter dem 21.10.2000 der behauptete Wohnungseinbruch sowie die Beschädigung von Möbelstücken durch Sprühfarbe polizeilich angezeigt worden; nach ihrem eigenen Vortrag im Prozesskostenhilfeverfahren hat die Antragstellerin die Entwendung von Gegenständen jedoch erst mit Schreiben vom 05.11.2000 bei der Polizei "nachgemeldet". Da der behauptete Einbruchdiebstahl sich jedoch bereits zwischen dem 20.10. und 21.10.2000 ereignet haben soll, ist weder der Diebstahlsschaden unverzüglich im Sinne des § 21 Nr. 1 b VHB 92 angezeigt noch ist die sogenannte Stehlgutliste unverzüglich eingereicht worden.

Die vorgenannte Obliegenheitsverletzung führt jedoch gemäß § 6 III S. 1 VVG nur dann zur Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn dem Versicherungsnehmer Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist.

Die Antragstellerin hat - wie schon das Landgericht angenommen hat - die hier in Rede stehende Obliegenheit nicht vorsätzlich verletzt.

Ob der Antragstellerin grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist, kann indessen dahinstehen. Denn insoweit wäre nach Auffassung des Senats jedenfalls der sogenannte Kausalitätsgegenbeweis (§ 6 III S. 2 VVG) als geführt anzusehen.

Die Antragstellerin hat zu der erforderlichen Kausalität zwischen Obliegenheitsverletzung und Grund und Höhe des Anspruchs dargelegt, die Verzögerung habe zu keinen Nachteilen bei der polizeilichen Ermittlungstätigkeit geführt; ausweislich der Ermittlungsakte seien keinerlei konkrete Nachforschungen veranlasst worden; selbst die Äußerung eines konkreten Verdachtes habe nicht dazu geführt, dieser Spur konkret nachzugehen. Die Antragsgegnerin hat dazu lediglich vorgetragen, es entspreche allgemeiner Lebenserfahrung, dass die Ermittlungen der Polizei bei entwendeten Gegenständen häufiger zu einem Erfolg führten, wenn der Polizei frühestmöglich die entwendeten Gegenstände bekannt und daher Ermittlungen in einer entsprechenden Richtung angestellt werden konnten.

Die letztgenannte Überlegung trägt aber dann nicht, wenn - wie hier - unabhängig von der Vorlage der Liste keinerlei Ermittlungen angestellt werden. Aus der polizeilichen Ermittlungsakte ergibt sich, dass die Antragstellerin bereits bei Anzeige des Wohnungseinbruchs und der Beschädigung von Möbelstücken einen konkreten Personenverdacht geäußert hat. Insoweit ist polizeilich jedoch nach dem dortigen Vermerk vom 23.11.2000 lediglich festgehalten worden, es gebe unter dem angegebenen Namen eine strafrechtlich in Erscheinung getretene Familie, von der bekannt sei, dass sie nur Taten zugebe, bei denen klare Beweise vorlägen.

Sonstige Ermittlungstätigkeiten oder Fahndungsmaßnahmen sind ausweislich der Ermittlungsakte polizeilich weder vor noch nach der Diebstahlsanzeige veranlasst worden.

Angesichts dieser Umstände ist die Annahme, bei frühzeitigerer Anzeige und Einreichung einer Stehlgutliste habe ein Erfolg polizeilicher Ermittlungen jedenfalls nicht ausgeschlossen werden können, nicht gerechtfertigt. Jedenfalls die Tatsache, dass vorliegend unabhängig von Diebstahlsanzeige und Stehlgutliste keinerlei Ermittlungen mehr getätigt wurden, belegt gerade die fehlende Kausalität zwischen Obliegenheitsverletzung und Grund und/oder Höhe des Anspruchs.

2.

Die Antragsgegnerin hat im Hinblick auf die nach der Strafanzeige fehlenden Aufbruchsspuren sowohl den Einbruch als auch die Entwendung der streitgegenständlichen Sachen bestritten.

Die Antragstellerin hat das äußere Bild eines Einbruchdiebstahls indes unter Beweis gestellt, indem sie Zeugen dafür benannt hat, dass ihre zuvor unversehrte Wohnungstür aufgebrochen und Hausrat entwendet worden ist; die polizeilich festgestellten fehlenden Aufbruchsspuren hat sie mit einem im einzelnen naher erläuterten Missverständnis erklärt.

Die hinreichende Erfolgsaussicht für die Klage läßt sich ohne Durchführung der Beweisaufnahme nicht verneinen (§ 114 ZPO).

Eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung kommt hier nämlich nicht in Betracht.

Zwar ist im Prozesskostenhilfeverfahren eine Beweisantizipation in eng begrenztem Rahmen zulässig (BGH, NJW 1988, S. 266 f.). Ein Ausnahmefall zulässiger Beweisantizipation liegt aber jedenfalls dann nicht vor, wenn es um die erstmalige Vernehmung von Zeugen im gerichtlichen Verfahren geht, deren Ergebnis typischerweise nicht vorausgesetzt werden kann. Entscheidend für den Beweiswert einer Zeugenaussage ist nämlich der in der für die Überzeugungsbildung unerlässlichen Vernehmung gewonnene persönliche Eindruck, der maßgeblich auf den Möglichkeiten beruht, dem Zeugen Fragen zu stellen, ihn zu Präzisierungen seiner Aussagen zu veranlassen und sein gesamtes Aussageverhalten zu beobachten (BGH, a.a.O., S. 266, 276; OLG Hamm, VersR 1990, S. 1393, 1394; OLG Hamm, VersR 1991, S. 219, 220).

Soweit daher im vorliegenden Fall eine Vernehmung der vorgenannten Zeugin in Betracht kommt, wird das Landgericht sich den gebotenen persönlichen Eindruck im Wege der Beweisaufnahme verschaffen müssen.

Der Prozesskostenhilfe versagende Beschluss des Landgerichts vom 16.10.2001 war mithin aufzuheben und der Antragstellerin die begehrte Prozesskostenhilfe - nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ohne Ratenzahlung - zu gewähren.

Ende der Entscheidung

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