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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 17.05.2005
Aktenzeichen: 21 W 28/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 116 S. 1 Nr. 1
Prozeßkostenhilfe für die gerichtliche Geltendmachung einer Forderung in Höhe von ca. 14 Mio. € kann ein Insolvenzverwalter nicht mit der Begründung beanspruchen, den Insvolvenzgläubigern - deren Forderungen insgesamt nur ca. 1,5 Mio. € betragen - sei die Finanzierung eines überwiegend den Gesellschaftern der Insolvenzschuldnerin zugutekommenden Prozesses unzumutbar.

In diesem Fall ist der Verwalter vielmehr darauf zu verweisen, nur den für das Insolvenzverfahren benötigten erstrangigen Teilbetrag (Gesamtheit der Insolvenzforderungen + Verfahrenskosten) einzuklagen und die Insolvenzgläubiger zu den Kosten hierfür heranzuziehen.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Prozeßkostenhilfe versagenden Beschluß des Landgerichts Essen vom 10.3.2005 - 43 O 178/04 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. R mbH (Insolvenzschuldnerin). Die Insolvenzschuldnerin erbrachte für die Antragsgegnerin und deren Muttergesellschaft Fa. H AG (Fa. H AG) Planungs- und Projektsteuerungsleistungen an drei Großbauprojekten in N. Nachdem die Vertragsverhältnisse insolvenzbedingt gekündigt wurden, beabsichtigt der Antragsteller im vorliegenden und in zwei weiteren Verfahren Resthonorar- und ähnliche Ansprüche in Gesamthöhe von 14.396.000,00 € geltend zu machen, die sich wie folgt verteilen:

 21 W 28/05 43 O 178/04 LG Essen BV "..." Ag. allein 704.000,00 €
21 W 29/05 43 O 179/04 LG Essen BV "..." Ag. und H AG 6.373.000,00 €
bisher nicht beim OLG eingegangen 43 O 177/04 LG Essen BV "..."  7.319.000,00 €

Die Antragsgegnerin bzw. die H AG berufen sich auf fehlende Prüfbarkeit der Schlußrechnungen, bestreiten die Berechtigung von Nachträgen, verteidigen sich mit Gegenansprüchen wegen mangelhafter Leistungen in Gesamthöhe von 11.384.610,22 € und berufen sich schließlich auf die Überreichung einer gefälschten Gewährleistungsbürgschaftsurkunde durch den Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, wodurch ein Schaden von 4,5 Mio. DM entstanden sei.

Der Antragsteller begehrt Prozeßkostenhilfe mit der Begründung, aus der Insolvenzmasse könnten die Prozeßkosten nicht bestritten werden und den Insolvenzgläubigern sei das Aufbringen der Kosten nicht zumutbar. Von den anerkannten Insolvenzforderungen in Höhe von ca. 1.682.000 € entfielen zwar 1.513.758,58 € auf grundsätzlich vorschußpflichtige Gläubiger. Da die einzuklagenden Beträge die Gläubigerforderungen jedoch deutlich überstiegen, sei es den Gläubigern nicht zuzumuten, die aus ihrer Sicht überwiegend fremdnützigen Prozesse zu finanzieren. Das gelte umso mehr, als die ohnehin hohen Streitwerte - und damit die Kosten - durch die zu erwartenden Hilfsaufrechnungen noch erhöht würden. Insgesamt sei in zwei Instanzen mit Kosten in der Größenordnung von netto 1 Mio. € zu rechnen.

Das Landgericht hat in allen drei Verfahren die begehrte Prozeßkostenhilfe versagt. Das Insolvenzverfahren lasse sich auch ohne Prozeßführung insgesamt mit einem hohen Überschuß abwickeln. Den Insolvenzgläubigern sei die Kostentragung aber auch zuzumuten. Der Antragsteller habe das geltend gemachte hohe Kostenrisiko selbst verursacht, indem er die Gegenforderungen der Antragsgegnerin bzw. der H2 AG bestritten habe. Durch eine Teilklage sowie Zusammenfassung in einem Verfahren hätte er das Kostenrisiko hingegen begrenzen können. Ferner seien für die Zumutbarkeit nur die Kosten erster Instanz zu berücksichtigen. Schließlich komme auch eine Streitwerterhöhung nur bei Hilfsaufrechnungen, nicht aber bei Primäraufrechnungen in Betracht.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers. Der vom Landgericht angeführte hohe Überschuß sei ohne Prozeßführung gerade nicht zu realisieren, weil der H-Konzern nicht freiwillig zahle. Bei den Insolvenzgläubigern handele es sich vorwiegend um mittelständische Unternehmen, die mit den erforderlichen Kostenbeiträgen überfordert seien. Bei seinem Bestreiten der Gegenforderungen habe er, der Antragsteller, nur seinen insolvenzrechtlichen Pflichten genügt. Das Bestreiten dürfe im PKH-Verfahren auch nicht als kaum aussichtsreich qualifiziert werden. Die einzuklagenden Forderungen müsse er in vollem Umfang geltend machen, um nicht gegenüber den Gesellschaftern der Insolvenzschuldnerin schadensersatzpflichtig zu werden. Auch eine Zusammenfassung der Verfahren komme wegen der Verschiedenheit der Antragsgegner und aus Übersichtsgründen nicht in Betracht. Schließlich handele es sich bei den zu erwartenden Aufrechnungen um Hilfsaufrechnungen, weil die Antragsgegnerin bzw. die H AG sich noch auf andere Weise gegen die Klagen verteidige.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe nicht vorliegen.

Der Antragsteller kann die zu erwartenden Prozeßkosten zwar nicht aus der liquiden Insolvenzmasse - deren Unzulänglichkeit gemäß § 208 InsO er mittlerweile angezeigt hat - bestreiten. Die Aufbringung der Kosten durch die Insolvenzgläubiger ist diesen jedoch zumutbar i. S. d. § 116 Nr. 1 ZPO.

1. Nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers handelt es sich bei dem ganz überwiegenden Teil der Insolvenzgläubiger nicht um solche, denen schon wegen ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer, Sozialversicherungsträger o. ä. die Bevorschussung des Rechtsstreits von vornherein unzumutbar wäre.

2. Grundsätzlich ist es zwar zutreffend, daß darüber hinaus auch ein ungünstiges Verhältnis von aufzubringenden Kosten und zu erwartender Quotenverbesserung eine Kostenbeteiligung unzumutbar werden lassen kann.

a) Fraglich ist aber bereits, ob die tatsächlich zu berücksichtigenden Kosten für die drei Prozesse den Insolvenzgläubigern überhaupt unzumutbar wären angesichts der Aussicht, ihre Forderungen letztlich zu 100 % - anstatt voraussichtlich zu 0 % - realisieren zu können.

Da es vorliegend nur um Prozeßkostenhilfe für die erste Instanz geht, kommen hier von vornherein nur die Kosten dieser ersten Instanz in Betracht. Nach der eigenen Berechnung des Antragstellers im Schriftsatz vom 7.1.2005 sind das (einschließlich MWSt. auf die Anwaltskosten) 480.193,80 € zuzüglich Zeugen- und Sachverständigenkosten. Es handelt sich also um weniger als ein Drittel der Forderungen der grundsätzlich vorschußpflichtigen Insolvenzgläubiger. Hinzu kommt, daß in den Kostenberechnungen des Antragstellers bereits für alle Verfahren Streitwerterhöhungen durch Hilfsaufrechnungen mit einkalkuliert sind, deren Berechtigung sehr zweifelhaft ist. Die verteidigungsweise Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen gegen Werklohnforderungen ist nämlich weitgehend nicht als Aufrechnung, sondern als Verrechnung zu qualifizieren (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozeß, 11. Aufl. 2005, Rn. 2577). Die zu erwartenden Kosten dürften also nach unten zu korrigieren sein.

Daß für den einzelnen Insolvenzgläubiger - auch ein kleineres Unternehmen - ein unter einem Drittel der jeweils eigenen Forderung liegender Kostenbeitrag unzumutbar wäre, ist mangels näherer Einzelfallumstände nicht anzunehmen.

b) Unabhängig davon hält das Landgericht den Antragsteller aber auch zu Recht für verpflichtet, durch eine sparsamere Prozeßführung das Kostenrisiko für die Insolvenzgläubiger zu senken und zugleich den Anreiz für sie, die Rechtsverfolgung zu finanzieren, zu erhöhen.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der bei einer Zusammenfassung der Rechtsstreitigkeiten entstehende Gebührenvorteil den Aufwand, der dann zur Wahrung der Übersichtlichkeit zusätzlich erforderlich wäre, aufwiegen würde.

Jedenfalls nämlich ist es für die Zwecke des Insolvenzverfahrens nicht erforderlich, Ansprüche in der Größenordnung des Zehnfachen der festgestellten Insolvenzforderungen einzuklagen. Die Geltendmachung eines erstrangigen Teilbetrages, der zur Gläubigerbefriedigung sowie Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens ausreicht, würde genügen. Der auf jeden Insolvenzgläubiger entfallende Kostenanteil würde sich dann in einer Größenordnung bewegen, die auch bei einer (gedachten) gerichtlichen Geltendmachung der jeweils eigenen Insolvenzforderung anfallen würde. Ferner würde der Gesichtspunkt, den Prozeß überwiegend fremdnützig (nämlich zugunsten der Insolvenzschuldnerin) zu führen, entfallen.

Die gerichtliche Geltendmachung einer für das Insolvenzverfahren nicht benötigten (Teil)Forderung zu Lasten der Staatskasse ist im übrigen auch vom Schutzzweck des § 116 Nr. 1 ZPO mit seinen gegenüber § 116 Nr. 2 ZPO erleichterten Voraussetzungen nicht gedeckt.

Schadensersatzansprüche (wegen Verjährenlassens der über den einzuklagenden Teilbetrag hinausgehenden Forderung) hätte der Antragsteller bei einer Teilklage nicht zu befürchten, weil er nicht pflichtwidrig handelt, wenn er eine Rechtsverfolgung, die er nicht aus der Insolvenzmasse finanzieren kann und für die er auch keine Prozeßkostenhilfe erhält, unterläßt. Im übrigen könnte er den nicht einzuklagenden letztrangigen Forderungsteil auch zugunsten der Insolvenzschuldnerin freigeben. Die Gesellschafter der Insolvenzschuldnerin könnten dann selbst entscheiden, ob sie die Kosten für eine gerichtliche Geltendmachung auch dieses Forderungsteils aufbringen wollen.

Ende der Entscheidung

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