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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 24.08.2006
Aktenzeichen: 22 U 21/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 97 I
ZPO § 708 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 10. Januar 2006 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft, die den Zweck der Vermietung und Verpachtung von Betriebsräumlichkeiten hat. Sie macht gegen die beklagte Stadt einen Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Aufklärung über Nebenkosten, hier die Erhebung eines Wasseranschlussbeitrages, vor Abschluss eines notariellen Grundstückskaufvertrages geltend.

Wegen der Einzelheiten der Sachverhaltsdarstellung wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 10.01.2006 verwiesen.

Das Landgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen L (Sohn des Geschäftsführers der Klägerin) unter Klageabweisung im Übrigen der Klage in Höhe eines Betrages von 10.343,36 € nebst Zinsen stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin könne wegen Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten vor Abschluss des notariellen Kaufvertrages Schadensersatz verlangen. Es liege eine inhaltlich unvollständige Auskunft über die zu erwartenden Nebenkosten vor, die sich aus der von ihrem Baudezernenten G an die Klägerin übergebenen Aufstellung der Nebenkosten vom 10.05.1999 ergebe. Ein Posten über eine Abgabeverbindlichkeit in Höhe von 26.494,38 DM habe nicht vergessen werden dürfen. Hieran ändere auch nichts daran, dass in § 6 des notariellen Vertrages nur die Erschließungsbeiträge für Straßenbau und für den Kanal im Kaufpreis enthalten sein sollten. Der Kausalzusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der Beklagten und dem Schaden sei zu vermuten. Die Beklagte habe sich auch nicht entlasten können und nicht dargetan, dass die Klägerin auch in und trotz Kenntnis der Mehrkosten durch die Wassererschließung ihre Baupläne auf dem erworbenen Grundstück tatsächlich verwirklicht hätte. Aus der Aussage des Zeugen L ergebe sich nichts darüber, ob die Klägerin an Ort und Stelle auch dann gebaut hätte, wenn sie die Kosten der Wassererschließung vorher bekannt gewesen wären. Der geltend gemachte Schadensbetrag sei allerdings um den im Abgabenbescheid enthaltenen Mehrwertsteueranteil von 7 % sowie die bei Wahl des Alternativgrundstücks in I angefallenen Anschlusskosten in Höhe von 4.531,25 DM zu kürzen. Ferner könne auch der geltend gemachte Zinsschaden nicht ersetzt verlangt werden, so dass eine Schadensersatzverpflichtung in Höhe von 10.343,36 € verbleibe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, mit welcher sie ihren Klageabweisungsantrag in vollem Umfang weiterverfolgt.

Sie rügt, dass das Landgericht zu Unrecht das Vorliegen eines Schadens bejaht habe. Zu Unrecht sei die Zahlungsverpflichtung nach Maßgabe des Bescheides der Beklagten vom 28.02.2000 als Schaden vorausgesetzt worden. Wegen der Bestandskräftigkeit des Bescheides setze allein dieser die Ursache für die Zahlungsverpflichtung. Die Klägerin habe den ihr nach Maßgabe des notariell beurkundeten Vertrages zustehenden Kaufgegenstand als Gegenwert zu Eigentum erhalten. Der Grundstückswert bleibe nicht hinter dem vertraglich geschuldeten Wert zurück.

Des Weiteren sei weder der Schaden noch der Kausalzusammenhang zur Pflichtverletzung dargelegt worden. Fehlerhaft habe das Landgericht einen Fall der Umkehrung der Beweislast angenommen. Ein Schaden im Sinne einer Vermögensverschlechterung sei nicht feststellbar.

Des Weiteren umfasse ein Ersatzanspruch wegen positiver Vertragsverletzung lediglich das negative Interesse, so dass der Geschädigte so zu stellen sei, wie er bei Erteilung einer richtigen Auskunft gestanden hätte. Wäre der Klägerin die Beitragspflicht bezüglich der Wassererschließungskosten vor Vertragsschluss bekannt gewesen, so wäre die Beitragspflicht unabhängig von der Auskunft nach Maßgabe des Bescheides zu erfüllen gewesen. Es sei auch keine Garantie für die Richtigkeit der Aufstellung gegeben worden. Insbesondere trage die Aufstellung vom 03.05.1999 die Überschrift "nach grober Ermittlung". Als Immobiliengesellschaft hätte der Klägerin im Übrigen bekannt sein müssen, dass das Grundstück der Erschließung bedurfte, die ihrerseits nach Satzungsrecht abzurechnen sei. Auch folge aus der Aussage des Zeugen L, dass die Klägerin ihr Investitionsvorhaben in jedem Fall durch Kauf des Grundstücks der Beklagten vollzogen hätte, so dass sie die Folgekosten durch Erschließung zwingend hätte auf sich nehmen müssen.

Die Beklagte beantragt nunmehr,

das Urteil des Landgerichts Bielefeld 1 O 16/05, verkündet am 10.01.2006, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt dem Berufungsvorbringen im Einzelnen entgegen.

II.

Die Berufung bleibt erfolglos, da das Landgericht der Klägerin zu Recht einen Schadensersatzanspruch in der ausgeurteilten Höhe zuerkannt hat.

1.

Auf das zwischen den Parteien bestehende Schuldverhältnis ist noch das Bürgerliche Gesetzbuch in der vor dem 01.01.2002 maßgebenden Fassung anzuwenden, da der notarielle Vertrag und auch die diesem vorhergehende Auskunftserteilung zeitlich vor dem Inkrafttreten der Neuregelung des BGB zustande gekommen sind.

2.

Wenngleich Anhaltspunkte für ein arglistiges Verhalten des Mitarbeiters G der Beklagten nicht gegeben sind, haftet die Beklagte der Klägerin wegen Verschuldens bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) wegen einer fehlerhaften Auskunft auf ein vor Abschluss des notariellen Kaufvertrages an die Beklagte gerichtetes Auskunftsersuchen. Zwar ist die vom Baudezernenten der Beklagten, G, erstellte Aufstellung vom 10.05.1999 nicht zum Gegenstand und zur Grundlage der Kaufpreisvereinbarung in § 6 des notariellen Vertrages vom 03.08.1999 gemacht worden. Jedoch müssen Auskünfte, die auf ein Begehren des anderen Vertragspartners hin erteilt werden, zutreffend und vollständig sein. Insoweit ist dem Landgericht darin zuzustimmen, dass die Beklagte ihrer vorvertraglichen Pflicht zur richtigen und vollständigen Aufklärung über die Höhe der bei einem Grundstückserwerb durch die Klägerin anfallenden Nebenkosten verletzt hat. Unter den Begriff "Nebenkosten" fielen nach der Vorstellung beider Parteien auch eventuell für das Grundstück zu zahlende Beiträge.

Unstreitig ist die fragliche Aufstellung auf den durch den Zeugen L an die Beklagte herangetragenen Wunsch der Klägerin erstellt worden, weil diese bezüglich der auf sie zukommenden zusätzlichen Kosten Klarheit haben wollte. Bis dahin lag die Internetbewerbung (GA 26) vor, in welcher es unter Besonderheiten der Fläche heißt:

Im Kaufpreis sind Erschließungskosten für den Straßen- und Kanalbau enthalten.

Ferner heißt es unter Erschließungskosten: 0,00 DM/qm

Die Klägerin, der durchaus bekannt war, dass noch Nebenkosten entstehen würden, wollte erkennbar Klarheit über deren Höhe bekommen. In der Aufstellung sind dann bezüglich der Wasserversorgung nur die Kosten für den Wasseranschluss in Höhe von 4.119,50 DM aufgeführt. Hierbei handelt es sich um Aufwandsersatz für Grundstücksanschlüsse gem. § 17 der Satzung der Stadt F über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für den Anschluss an die öffentliche Wasserversorgung und über die Abgabe von Wasser (vgl. GA 138, 141 R). Nicht aufgeführt sind in der Aufstellung die Beitragskosten zum Ersatz des Investitionsaufwandes für die Herstellung und Erweiterung der öffentlichen Wasserversorgungsanlage gem. §§ 2 ff der genannten Satzung, welche von der Beklagten mit Bescheid vom 28.08.2000 geltend gemacht worden sind (GA 263 ff).

Die genannte Aufstellung hat bei der Klägerin den Eindruck erweckt, dass als zusätzlich zum Kaufpreis hinzutretende Kosten für den Erwerb des Grundstücks ein Betrag in Höhe von ca. 37.000,00 DM in Betracht kam. Im Hinblick auf das Auskunftsersuchen der Klägerin wäre der Mitarbeiter der Beklagten aber verpflichtet gewesen, auch auf die Kosten des Anschlussbeitrages nach §§ 2 ff der Satzung hinzuweisen, zumal die Klägerin einen vollständigen Überblick über die zu erwartenden Nebenkosten verlangt hatte. Denn der Verkäufer ist verpflichtet, wenn er eine Frage beantwortet, alles mitzuteilen, was er insoweit weiß, um dem Käufer auf dieser Grundlage eine Abwägung seines Kaufentschlusses zu ermöglichen. Seine Antwort muss deshalb nicht nur richtig, sondern auch vollständig sein (vgl. BGH NJWRR 1994, 76; OLG Jena MDR 2006, 195).

Mit der Übersendung der Aufstellung vom 10.05.1999 hat die Beklagte aber den Eindruck erweckt, die dort angegebenen Nebenkosten zum Grunderwerb seien vollständig. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die Aufstellung die Bemerkung "nach grober Ermittlung" enthält. Dieser Zusatz kann sich nur auf die Höhe einzeln angegebener Positionen beziehen, nicht aber darauf, dass eine wesentliche Position, hier sogar die betragsmäßig höchste, schlichtweg nicht aufgeführt wurde. Für einen Anspruch aus culpa in contrahendo reicht insoweit auch eine fahrlässige Pflichtverletzung aus (vgl. BGH a.a.O.). Eine solche fahrlässige Pflichtverletzung ist hier gegeben; die Beklagte führt die unterlassene Aufführung der Beitragskosten auf ein Versehen ihres Mitarbeiters zurück.

3.

Es ist auch davon auszugehen, dass die von der Beklagten im Sinne eines Fahrlässigkeitsvorwurfs zu verantwortende Pflichtverletzung den von der Klägerin behaupteten Beitragsschaden kausal herbeigeführt hat.

Im Rahmen einer Haftung aus culpa in contrahendo ist die gegnerische Partei so zu stellen, wie sie bei richtiger Offenbarung der für ihren Kaufentschluss maßgeblichen Umstände stehen würde (vgl. BGH a.a.O.; Palandt-Heinrichs, 61. Aufl., BGB, § 276 Rz. 99). Dagegen ist das Erfüllungsinteresse nur dann zu ersetzen, wenn der Vertrag ohne das Verschulden bei Vertragsschluss mit dem Schädiger zu günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre (vgl. BGH NJW 1998, 2900; ZIP 2001, 1465; Palandt, a.a.O., § 276 Rz. 101).

Die Klägerin macht geltend, dass sie den Vertrag nicht oder jedenfalls so nicht abgeschlossen hätte, wenn die Beklagte ihr die erbetene Auskunft über die Höhe der Nebenkosten in richtiger und vollständiger Form erteilt hätte. Sie verlangt demnach mit der Klage, so gestellt zu werden, als wenn sie in gehöriger Weise über die Höhe der Nebenkosten aufgeklärt worden wäre und von der Beklagten darüber hinaus eine entsprechende Verminderung des Kaufpreises um die noch zu erwartenden Wassererschließungskosten erreicht hätte. Dass die Beklagte zu einem derartigen Preiszugeständnis oder zur Freistellung von diesen Kosten bereit gewesen wäre, behauptet die Klägerin zwar nicht.

Allerdings entspricht es ständiger Rechtsprechung des BGH, dass dann, wenn die Klägerpartei, die an dem Vertrag festhalten will, obwohl dieser infolge der Pflichtverletzung zu für sie ungünstigen Bedingungen zustande gekommen ist, so zu behandeln ist, als wäre es ihr bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen. Zu ersetzender Schaden ist danach im Rahmen des negativen Interesses der Betrag, um den die Klägerpartei wegen der fehlerhaften und unvollständigen Aufklärung (hier: über die Höhe der anfallenden Nebenkosten) das Grundstück zu teuer erworben hat (vgl. BGH NJW-RR 1994, 76; ZIP 2001, 1465). Dies erfordert - im Unterschied zur Geltendmachung des Erfüllungsinteresses - nicht den Nachweis, dass sich der Vertragspartner auf einen Vertragsschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte. Entscheidend ist allein, wie sich der Getäuschte (bzw. der im Vertrauen auf die Richtigkeit der Auskunft Abschließende) bei Kenntnis der ihm nicht offenbarten Umstände verhalten hätte; verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten des aufklärungspflichtigen Verkäufers (vgl. BGH ZIP 2001, 1465). Daraus folgt, dass die von der Beklagten gegen die von der Klägerin begehrte Art der Schadensersatzleistung - Ersatz des Betrages, um den sie zu teuer erworben hat -geltend gemachten Bedenken nicht durchgreifen.

b)

Von der Beklagten, die insoweit die Beweislast hat ( vgl. BGH NJW-RR 1994, 76), ist das Fehlen eines Ursachenzusammenhangs zwischen der unvollständigen Aufklärung und dem Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages nicht nachgewiesen worden. Zwar hat der Zeuge L auf Vorhalt, dass der Betrag, um den es hier geht, lediglich ein kleiner Betrag im Zusammenhang mit dem Gesamtbauvolumen sei, eingeräumt, dass dies so sein könne. Allerdings hat er geäußert, er könne nicht die Frage beantworten, "was wir getan hätten, wenn wir damals diese aus unserer Sicht zusätzliche Kostensteigerung gekannt hätten". Damit ist die Frage offen geblieben, ob die Klägerin den von der Beklagten verlangten Kaufpreis von 75,00 DM/qm auch so akzeptiert hätte, wenn sie über den fraglichen Posten in der Aufstellung der Nebenkosten zum Grunderwerb informiert worden wäre. Immerhin kam es der Klägerin auf die Einhaltung eines Kostenrahmens an. Die verbleibende Unklarheit geht zu Lasten der für einen fehlenden Kausalzusammenhang voll beweispflichtigen Beklagten als aufklärungspflichtige Verkäuferin.

Die ohne schriftsätzlichen Vortrag vom Bürgermeister der Beklagten im Senatstermin in den Raum gestellte Vermutung, den auf Seiten der Klägerin handelnden Personen sei die Unvollständigkeit der Kostenaufstellung bekannt gewesen und die Beklagte sei "in die Falle gelockt worden", entbehrt jeglicher tatsächlicher Grundlage.

3.

Hinsichtlich der Höhe des der Klägerin zustehenden Schadensersatzanspruchs kann auf das angefochtene Urteil verwiesen werden. Der im landgerichtlichen Urteil (S. 6) vorgenommenen Schadensberechnung ist die Beklagte nicht entgegengetreten.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Nr. 10 ZPO.

Ende der Entscheidung

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