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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 23.02.2006
Aktenzeichen: 22 U 46/05
Rechtsgebiete: EGBGB, BGB, AGBG


Vorschriften:

EGBGB Art. 229 § 5 Satz 1
BGB § 276
AGBG § 9
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 13. Januar 2005 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

540 ZPO)

A)

Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger aus abgetretenem Recht seines Vaters, des Zeugen y, ein Zahlungsanspruch iHv. 20.281,42 € gegen die Beklagte zusteht, den der Kläger daraus herleitet, dass sein Vater trotz Vereinbarung einer Spielsperre im Automatenbereich des Spielcasinos P in der Zeit vom 13.08.1999 bis zum 18.10.1999 einen Betrag iHv. 20.281,42 € verspielt haben soll. Der Zeuge y hatte sich 1998 bundesweit für alle von der Beklagten betriebenen Casinos sperren lassen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien einschließlich des genauen Inhalts der erstinstanzlich verfolgten Sachanträge nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung.

Ergänzend ist auszuführen, dass die Beklagte behauptet hatte, der Zeuge y sei bei Verhängung der Spielsperre darauf hingewiesen worden, dass seine persönlichen Daten im Automatenspiel nicht registriert werden und dort keine Überwachungsmöglichkeit für die Beklagte bestehe. Im Übrigen sei bei Vereinbarung der Spielsperre mit dem Zeugen y vereinbart worden, dass dieser für den Fall eines Verstoßes gegen die Spielsperre etwaige Gewinne nicht ausbezahlt erhalten und etwaige verlorene Einsätze nicht erstattet bekommen würde.

Das Landgericht hat den Zeugen y vernommen und der Klage stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese ihren auf Klageabweisung gerichteten Sachantrag weiter verfolgt. Sie wiederholt und vertieft ihre bereits erstinstanzlich geäußerte Ansicht, dass für sie aus der Spielsperre keine Verpflichtung zur Betreuung des Vermögens gesperrter Spieler und zur Überwachung gesperrter Spieler bestehe. Es sei nicht zutreffend, dass aus der Vereinbarung einer Spielsperre folge, dass der spätere gegen die Spielsperre verstoßende Abschluss von Spielverträgen unwirksam wäre. In tatsächlicher Hinsicht habe das Landgericht nicht berücksichtigt, dass der Kläger bei Beantragung der Spielsperre darauf hingewiesen worden sei, dass die persönlichen Daten der Gäste bzw. Spieler im Automatenspiel nicht registriert werden und damit dort keine Überwachungsmöglichkeit besteht. Dass gesperrten Spielern der Zugang zum Automatensaal nicht gestattet ist und dass im Falle eines Spielverlustes für solche Personen kein Anspruch auf Rückerstattung der Spieleinsätze besteht, ergebe sich aus ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die - was unstreitig ist - an jedem Eingang unübersehbar aushingen. Auf diese Rechtsfolgen sei der Zeuge y, als er die Spielsperre beantragt habe, hingewiesen worden.

Mit Beweisbeschluss vom 14.04.2005 hat der Senat die Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens zu der Frage beschlossen ob der Zeuge y in der Zeit vom 13.08. bis zum 18.10.2005 partiell geschäftsunfähig gewesen. Der Sachverständige hat im Vorfeld des Senatstermins am 15.09.2005 in einem bei Gericht am 04.08.2005 eingegangenen Kurzgutachten die partielle Geschäftsunfähigkeit des Zeugen y bejaht. In der mündlichen Verhandlung am 05.09.2005 hatte der Senat die mündliche Anhörung des Sachverständigen begonnen, diese jedoch im Hinblick auf die Vielzahl der von der Beklagten erhobenen Einwendungen abgebrochen und mit Beweisbeschluss vom selben Tag die Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des Sachverständigen beschlossen. Nachdem der Bundesgerichtshof am 15.12.2005 Urteile in den Verfahren III ZR 65/05 und III ZR 66/05 verkündet hatte, hat der Senat die Akte vom Sachverständigen zurückgefordert.

Die Beklagte behauptet nunmehr, eine Überprüfung gesperrter Kunden bei Telecash-Abhebungen sei zwar technisch möglich, ihr aber nicht zumutbar gewesen. Denn derartige Überprüfungen nähmen angesichts von etwa 30.000 Einträgen gesperrter Spieler zwischen 3 und 5 Minuten in Anspruch, weil der betreffende Mitarbeiter den Bereich des Automatensaals hätte verlassen und die Rezeption am Eingang des Klassischen Spiels aufsuchen müssen, da im Automatenbereich gesperrte Spieler nicht registriert seien. Dies sei erst 2001 geändert worden. Ferner ist die Beklagte der Ansicht, ihr könne ein Verschulden nicht vorgeworfen werden; im Übrigen sei eine etwaige Pflichtwidrigkeit auch nicht kausal für den eingetretenen Schaden gewesen.

Schließlich rügt die Beklagte die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung. Den Zeugen y hält sie für unglaubwürdig, seine Aussage aufgrund erheblicher Widersprüche für unglaubhaft.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung. Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Sachvortrag.

Wegen des weiteren Sachvortrags beider Parteien nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

B)

Auf den vorliegenden Sachverhalt findet gem. Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch in seiner vor dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes gültigen Fassung Anwendung.

Die Berufung ist unbegründet. Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte nach den Rechtsgrundsätzen der positiven Forderungsverletzung ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des eingeklagten Betrags von 20.281,42 € zu.

I. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet eine auf Antrag eines Spielers ausgesprochene Spielsperre die vertragliche Verpflichtung der Spielbank, in ihren Betrieben das Zustandekommen von Spielverträgen mit dem gesperrten Spieler im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu verhindern (BGH, Urt. v. 15.12.2005, Az.: III ZR 65/05). Daran ändert sich nichts dadurch, dass nach der vom Kläger bestrittenen Behauptung der Beklagten der Zeuge y bei der Verhängung der Spielsperre darauf hingewiesen worden sein soll, dass seine persönlichen Daten im Automatenspiel nicht registriert werden und dort keine Überwachungsmöglichkeit für die Beklagte bestehe. Denn hierbei handelt es sich lediglich um einen Hinweis auf die - in der Natur der Sache liegende - Schranke der der Beklagten obliegenden Überwachungspflicht (BGH, a.a.O.). Gegen diese Verpflichtung hat die Beklagte schuldhaft verstoßen.

1. Nach den auf der Grundlage der Aussage des Zeugen y getroffenen Feststellungen des Landgerichts steht nämlich fest, dass der Zeuge y in dem Zeitraum vom 13.08.1999 bis 18.10.1999 insgesamt 20.281,42 € im Automatensaal des Spielcasino P verspielt hat, nachdem er dieses Geld zuvor an Telecash-Automaten an den Kassen 1 und 2 abgehoben hatte.

An diese Feststellungen des Landgerichts ist der Senat gebunden. Die Beklagte trägt nämlich auch in der Berufung keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Landgericht getroffenen Feststellungen begründen und deshalb erneute Feststellungen gebieten (§ 529 I Nr. 1 ZPO). Die Angriffe auf die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung erschöpfen sich im Wesentlichen in der Wiederholung derjenigen Einwendungen, die die Beklagte in ihrer Stellungnahme zur Beweisaufnahme vom 02.12.2004 vorgetragen hatte und mit denen sich das Landgericht in seiner Entscheidung mit überzeugender Begründung auseinandergesetzt hatte.

Unzutreffend ist die Ansicht der Beklagten, der Zeuge y sei deshalb unglaubwürdig, weil er in einem gegen ihn nach einem entsprechenden Strafantrag der Beklagten wegen Hausfriedensbruch geführten Strafverfahren seine Anwesenheit im Spielcasino bestritten habe. Die Tatsache, dass ein Angeklagter in einem Strafverfahren einen gegen ihn erhobenen Anklagevorwurf - möglicherweise - wahrheitswidrig leugnet, gibt für die Frage, ob diese Person als Zeuge in einem Zivilverfahren glaubwürdig ist, nichts her. Im Übrigen betraf das Strafverfahren 74 Js 656/02 einen Vorfall am 25.02.2002 und damit gerade nicht den Zeitraum, der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.

Es bestehen keine weiteren Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Landgericht getroffenen Feststellungen. Unstreitig hat der Kläger die in der Klageschrift auf Bl. 4/5 aufgeführten Buchungen an Tele-Cash-Automaten im Automaten- bzw. Eingangsbereich des Spielcasinos P zu den in der Aufstellung genannten Zeiten vorgenommen, wobei es nahezu durchgehend in zeitlich kurzen Abständen von wenigen Stunden, teilweise wenigen Minuten zu mehreren Abbuchungen von 800 DM, in Ausnahmefällen auch von 500 DM, am Tag kam. Es wäre in höchstem Maße lebensfremd annehmen zu wollen, dass jemand, der auf eigenen Antrag eine Spielsperre gegen sich erwirkt hatte, sich lediglich zum Abholen von Geld in dem genannten Umfang in eine Spielbank begibt und dieses Geld nicht in dem allgemein zugänglichen Automatensaal verspielt.

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, die vom Bundesgerichtshof in der zitierten Entscheidung aufgestellten Grundsätze seien nicht anwendbar, weil ihr eine Überprüfung von Kunden bei Abhebungen an Telecash-Automaten nicht zumutbar gewesen sei. Dabei kann der Senat offen lassen, ob die Beklagte nicht ohnehin verpflichtet wäre, Besucher der Automatensäle am Eingang mittels ihrer Personalien auf das Bestehen einer Spielsperre zu überprüfen. Denn die Zumutbarkeit ist auch unter Zugrundelegung der Behauptung der Beklagten zu bejahen, im streitgegenständlichen Zeitraum hätte der Abgleich eines jeden Gastes, der im Telecash-Verfahren Geld abheben wollte, zwischen 3 und 5 Minuten gedauert. Denn die Beklagte stellt ihren Kunden das Telecash-Verfahren nicht uneigennützig zur Verfügung. Ziel der Beklagten ist es vielmehr, dass ihre Kunden die Automatensäle auch nicht kurzfristig - etwa zum Geld abheben - verlassen, da in diesem Fall die Gefahr steigt, dass ein Spieler nicht in die Spielbank zurückkehrt und der Beklagten Umsätze verloren gehen. Daran ändert auch der in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerte Hinweis des Beklagtenvertreters auf das Vorhandensein von EC-Automaten im Automatensaal nichts, da an diesen pro Tag nur ein limitierter Betrag abgehoben werden kann. Profitiert die Beklagte somit von dem Telecash-Verfahren, so ist es ihr auch ohne weiteres zumutbar, die Personalien der Kunden, die an diesem Verfahren teilhaben wollen, zu überprüfen, selbst wenn dies zwischen 3 und 5 Minuten dauern sollte. Dies gilt erst Recht, wenn man bedenkt, dass nach dem Sachvortrag der Beklagten etwa 30.000 Spieler in der Sperrdatei verzeichnet ist und das Gefahrenpotential damit hoch anzusetzen ist.

2. Die Beklagte handelte schuldhaft. § 276 BGB stellt für die Frage des Verschuldens auf diejenige Pflicht ab, die Gegenstand des Schuldverhältnisses ist. Demzufolge ergibt sich das Verschulden hier aus der Natur des Schuldverhältnisses, nämlich der Verpflichtung, im Rahmen des Zumutbaren alles Erforderliche zu unternehmen, um den in der Spielsperre vereinbarten Ausschluss des Spielers durchzusetzen. Diese Pflicht hat die Beklagte verletzt. Da der Kläger Geld an Telecash-Automaten abgehoben hat, wäre es - was die Beklagte letztlich mit Schriftsatz vom 06.02.2006 auch einräumt - für die Mitarbeiter der Beklagten ein Leichtes gewesen, nach erfolgter Vorlage der EC-Karte durch den Zeugen y kontrollieren, ob dieser zu den gesperrten Spielern gehört (BGH, a.a.O.). Angesichts dieses Fehlverhaltens kann sich die Beklagte nicht unter Verweis auf die Entscheidung des BGH vom 31.10.1995 (NJW 1996, 248) damit entlasten, ihr könne kein Verschuldensvorwurf gemacht werden; dabei weist der Senat lediglich ergänzend darauf hin, dass die Entscheidung des BGH vom 31.10.1995 - XI ZR 6/95 im Schrifttum ohnehin nicht unumstritten war (vgl. nur Grunsky EWiR 1996, 10 ff.).

3. Der Schadensersatzpflicht der Beklagten steht der an den Eingängen zu den Automatenspielsälen angebrachte Hinweis, dass für gesperrte Spieler im Falle eines Spielverlustes kein Anspruch auf Rückerstattung der Spieleinsätze zusteht, nicht entgegen. Bei derartigen Hinweisen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die gem. § 9 AGBG unwirksam sind. Die Beklagte kann sich - wenn und soweit sie - wie hier - ihre Kardinalspflichten, einen gesperrten Spieler vom Spiel auszuschließen, verletzt hat, nicht von ihrer Haftung freizeichnen (BGH, a.a.O.).

4. Als Rechtsfolge kann der Kläger aus abgetretenem Recht des Zeugen y verlangen, so gestellt zu werden, als wenn die Beklagte ihrer Überwachungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen wäre. In diesem Fall wäre es dem Zeugen y nicht möglich gewesen, Geld an den Telecash-Automaten abzuholen und im Automatensaal zu verspielen. Soweit die Beklagte behauptet, dem Zeugen wäre der vom Kläger eingeklagte Schaden auch entstanden, wenn sie sich vertragsgerecht verhalten hätte, mag dahinstehen, ob sich die Beklagte mit dieser Berufung auf eine solche hypothetische Schadenursache überhaupt entlasten kann. Jedenfalls trägt die Beklagte nämlich für ihre Behauptung, der Schaden wäre auch aufgrund der Reserveursache eingetreten, die Darlegungs- und Beweislast, ohne dass sie Beweis angetreten hätte.

II. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO. Die Revision hat der Senat nicht zugelassen, da nach Ansicht des Senats die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 543 II ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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