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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.02.2000
Aktenzeichen: 22 W 4/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 707 II
ZPO § 769
ZPO § 793
Leitsatz:

1. Eine Entscheidung des Prozessgerichts nach § 769 I ZPO ist entsprechend § 707 II s. 2 ZPO unanfechtbar.

Eine sofortige Beschwerde ist somit - bis auf die Fälle des Ermessensmissbrauchs und der "greifbaren Gesetzeswidrigkeit" - unzulässig.

2. Die Rechtsmittelentscheidung ist mit einer Kostenentscheidung zu versehen.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

22 W 4/00 OLG Hamm 4 O 590/99 LG Bielefeld

In dem Rechtsstreit

hat der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm durch den Richter am Oberlandesgericht Gottwald, den Richter am Oberlandesgericht Aschenbach und den Richter am Amtsgericht Dr. Kirsten

am 14. Februar 2000 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 03.01.2000 gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld vom 16.12.1999 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Der Beschwerdewert wird auf 1.520,53 DM festgesetzt.

Gründe:

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag der Klägerin auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung (§ 769 ZPO) zurückgewiesen.

Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde ist unzulässig.

I

Der erkennende Senat schließt sich der herrschenden Meinung der Oberlandesgerichte an (Hamm OLGR 1995, 134; Bremen OLGR 1998, 429; 1996, 92; Celle 1995, 90; Koblenz 1998, 244 + 315; Zweibrücken, 1997, 274; Brandenburgisches OLG 1996, 57; 1997, 27; Hammburg 1998, 326; Dresden 1997, 53; Düsseldorf 1994, 152; Frankfurt 1994, 6; 1996, 21; 1997, 11; Karlsruhe 1998, 209; München 1993, 323; 1996, 218; Oldenburg 1996, 119; Rostock 1995, 224; Köln 1997, 176; 1992, 162 + 223; 1994, 264; 1995, 75 + 187; 1997, 214; 1998,237; 1996, 119; sowie weitere Nachweise bei Zöller-Herget, 20. Aufl., § 769 Rn. 13), wonach die sofortige Beschwerde gem. §§ 769, 793 ZPO in entsprechender Anwendung des § 707 11 2 ZPO nicht statthaft ist. Zulässig ist sie ausnahmsweise nur dann, wenn schlüssig vorgetragen ist, dass die angefochtene Entscheidung die Grenzen des Ermessens verkannt hat oder sonst "greifbar gesetzeswidrig" ist.

Eine andere Meinung (Hamm, OLGR 1.993, 175; Köln OLGR 1992, 13; Frankfurt 1996, 276 sowie weitere Nachweise bei Zöller-Herget, 20. Aufl., § 769 Rn. 13) ist der Ansicht, dass eine solche Einschränkung im Gesetz keine Stütze finde. Die Vorschrift des § 793 ZPO eröffne gegen Entscheidungen, die im Zwangsvollstreckungsverfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen können, grundsätzlich den Beschwerdeweg. Die Beschwerdemöglichkeit beziehe sich nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers auch auf einstweilige Anordnungen im Vollstreckungsverfahren. Ansonsten hätte sich nämlich der Ausschluss der Anfechtbarkeit in §§ 707 11, 719 1 ZPO erübrigt (Köln OLGR 1992, 13 [14]).

Dieser Auffassung, wie auch einer vermittelnden Meinung, wonach eine Überprüfung auf richtigen Ermessensgebrauch möglich sein soll (Naumburg OLGR 1997, 259 m.w.N.), vermag der Senat mit der herrschenden Meinung nicht zu folgen. Er schließt sich der Auffassung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts an, das in seiner Entscheidung vom 07.09.1995 (OLGR 1996, 57) folgendes ausgeführt:

"Die einstweilige Anordnung nach § 769 ZPO ist wie die nach §§ 707, 719 ZPO keine Entscheidung im Zwangsvollstreckungsverfahren im engeren Sinne, von dem § 793 ZPO spricht. Es handelt sich dabei vielmehr um vorläufige Maßnahmen in besonders gestalteten Zivilprozessen oder in Rechtsmittelverfahren, die die Zwangsvollstreckung aus in anderen Prozessen oder in erster Instanz erwirkten Titeln betreffen. Die vorläufigen Anordnungen dienen der Sicherung künftiger Entscheidungen und sollen verhindern, dass diese durch schon vorher getroffene Vollstreckungsmaßnahmen gegenstandslos werden. Hielte man sie für anfechtbar, so würde dies zur Verzögerung und insbesondere zur Präjudizierung der erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache führen. Dieser gesetzgeberische Grund für den Ausschluss der Anfechtbarkeit in § 707 II 2 ZPO besteht in gleichem Maße im Fall des § 769 ZPO. Vor allem brächte die Anfechtbarkeit von Entscheidungen nach § 769 ZPO durch die sofortige Beschwerde nach § 577 III ZPO eine zur Vorläufigkeit der Entscheidung nicht passende Bindung der erstinstanzlichen Gerichte an ihre einmal gefassten Beschlüsse mit sich, obwohl gerade für diese vorläufigen Maßnahmen sich die Entscheidungsgrundlagen rasch ändern können.

Diese Auffassung kann sich im übrigen darauf stützen, dass sie auch dem gesetzgeberischen Willen entspricht. Nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der ZPO aus dem Jahr 1985 sollte § 769 III ZPO folgender S. 2 angefügt werden: "Sie ist unanfechtbar". Die sodann verabschiedete Fassung des Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes enthält diesen Zusatz zwar nicht. Nach der Regierungsbegründung erschien der Zusatz jedoch (in Verkennung der gegensätzlichen Auffassungen in der Rspr. und im Schrifttum) deshalb entbehrlich, weil die grundsätzliche Unanfechtbarkeit dieser Anordnungen in der Rspr. hinreichend anerkannt sei (vgl. jeweils m.w.N. Stein/Jonas/ Münzberg, ZPO, 21. Aufl., § 769 Rn. 16; MünchKomm. ZPO/Schmidt, ZPO, § 769 Rn. I, 33)."

II

In der angefochtenen Entscheidung sind weder die Grenzen des Ermessens verkannt, noch ist sie sonst "greifbar gesetzeswidrig".

1.

Von einem relevanten Ermessensfehler ist nur zu sprechen, wenn das Gericht die Grenzen der Ermessensausübung verkannt hat (Ermessensmissbrauch) oder ein Ermessen gar nicht ausgeübt hat (Köln, OLGR 1997, 214).

Ein solcher Ermessensfehler ist weder ersichtlich, noch von der Klägerin schlüssig vorgetragen.

2.

Greifbar gesetzeswidrig ist eine Entscheidung darüber hinaus allenfalls dann, wenn ihr jede rechtliche Grundlage fehlt und sie dem Gesetz inhaltlich fremd ist. Dazu reicht in keinem Fall aus, dass nur eine falsche Rechtsanwendung gerügt wird (Düsseldorf, OLGR 1994, 152; Köln a.a.O., m.w.N.). Die Möglichkeit, eine nach geltendem Recht unanfechtbare Entscheidung gleichwohl mit einem Rechtsmittel anzugreifen, muss vielmehr auf wirkliche Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen es darum geht, eine Entscheidung zu beseitigen, die mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist (Düsseldorf, a.a.O., m.w.N.).

Weder die Entscheidung noch der nicht glaubhaft gemachte Vortrag der Klägerin, wonach das Landgericht die Erfolgsaussichten ihrer Vollstreckungsgegenklage zu unrecht verneint haben soll, lassen eine "greifbare" Gesetzeswidrigkeit erkennen. Hierzu reicht eine möglicherweise falsche Rechtsansicht des Landgerichts nicht aus.

Die Klägerin kann dem durch Gegenvorstellung begegnen oder bei geänderter Sachlage jederzeit einen neuen Antrag stellen (vgl. Koblenz OLGR 1998, 315).

III

Die Beschwerdeentscheidung über einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung ist mit einer Kostenentscheidung zu versehen (Celle, OLGR 1996, 47; Zöller-Herget, 20. Aufl., § 769 Rn. 11; a.A. Brandenburg OLGR 1996, 57, 58).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens war mit 1/5 des Hauptsachewertes (7.602,64 DM) auf 1.520,53 DM festzusetzen (vgl. Zöller-Herget, 20. Aufl., § 3 nr. 16 "Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung").

Ende der Entscheidung

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