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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: 27 U 122/07
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 60
Die Weiterleitung von Insolvenzgeldanträgen von Arbeitnehmern des Schuldners gehört nicht zum Pflichtenkreis eines Insolvenzverwalters. Übernimmt der in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt angeschriebene Verwalter diese Aufgabe unentgeltlich und aus Gefälligkeit, so handelt er nicht für die Masse.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 14. Juni 2007 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hagen abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger war angestellter Geschäftsführer der Fa. L GmbH, über deren Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts Arnsberg vom 31.10.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der zum Insolvenzverwalter bestellte Beklagte erklärte dem Kläger daraufhin die ordentliche Kündigung des "Arbeitsverhältnisses" zum 31.12.2003.

Mit Schreiben vom 19.11.2003 übersandte der Kläger dem Beklagten "mit der Bitte um Bearbeitung" ein vollständig ausgefülltes und unterschriebenes Formular der Bundesanstalt für Arbeit zur Beantragung von Insolvenzgeld. Im Dezember 2003 erkundigte sich ein weiterer Arbeitnehmer der Schuldnerin, Herr G, mehrfach bei der Mitarbeiterin des Beklagten L2 nach dem Sachstand bezüglich der übersandten Insolvenzanträge und erfuhr von ihr, dass Schwierigkeiten bestünden, das zuständige Arbeitsamt zu bestimmen. Das Arbeitsamt Meschede wies den erst im Januar 2004 durch die Mitarbeiterin des Beklagten übersandten Antrag des Klägers als verspätet zurück, weil er nicht innerhalb der bis zum 31.12.2003 laufenden Frist des § 324 Abs. 3 SGB III eingegangen sei. Ein dagegen gerichteter Widerspruch blieb genauso erfolglos wie die sozialrechtliche Klage vor dem Sozialgericht Dortmund und in zweiter Instanz vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen.

Der Kläger begehrt im Wege des Regresses vom Beklagten als Insolvenzverwalter Ersatz des Insolvenzgeldes, das ihm bei fristgerechter Antragstellung für drei Monate in Höhe der Klageforderung (5.534,92 €) zugestanden hätte, sowie Ersatz nicht anrechenbarer vorgerichtlicher Anwaltskosten. Er hat dazu die Auffassung vertreten, dass der Beklagte dadurch, dass er den Antrag auf Insolvenzgeld entgegen genommen und ihm gegenüber nicht zu erkennen gegeben habe, dass er sich um die Angelegenheit nicht kümmern würde, aus Rechtscheinsgesichtspunkten hafte.

Der Beklagte hat die Rechtsauffassung vertreten, dass zwischen ihm und dem Kläger kein Vertragsverhältnis zustande gekommen sei.

Die 6. Zivilkammer des Landgerichts Hagen hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Der Beklagte habe gegenüber dem Kläger den Rechtsschein gesetzt, dass er sich um die fristgemäße Weiterleitung des Antrages kümmern werde. Daher sei zwischen den Parteien ein auftragähnliches Rechtsverhältnis entstanden. Der Beklagte habe durch seine Mitarbeiterin Frau L2, deren Verhalten er sich gemäß § 278 BGB zurechnen lassen müsse, konkludent zu erkennen gegeben, dass er die Weiterleitung des Antrags übernehme.

Der Beklagte verfolgt seinen Klageabweisungsantrag mit der Berufung weiter. Er vertritt die Auffassung, dass ihm gegenüber nur die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten Schadensersatzansprüche auslösen könnten. Die Beantragung von Insolvenzgeld sei jedoch höchstpersönliche Pflicht des Arbeitnehmers.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er meint, dass bereits der vom Gesetz geforderte konkrete Angriff auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe nicht gegeben sei, weil nicht erkennbar sei, aus welchen Gründen die tragenden Erwägungen des Landgerichts, das sich nicht auf die Tätigkeit des Beklagten als Insolvenzverwalter gestützt habe, rechtsfehlerhaft sein sollten. Der Beklagte verkenne, dass ihn außerhalb des § 60 InsO sehr wohl eine weitergehende Haftung aufgrund des gesetzten Rechtsscheins treffe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet.

1)

Entgegen der Auffassung des Klägers fehlt es nicht an einer ausreichend konkreten Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit ergeben soll (§ 520 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Berufungsbegründung muss lediglich auf den Streitfall zugeschnitten sein und erkennen lassen, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Dazu genügt regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht, die dem Berufungskläger zufolge zu einem anderen Ergebnis führt. Eine Schlüssigkeit oder auch nur Vertretbarkeit der Begründung ist nicht erforderlich (vgl. BGH NJW 2006, 142, 143; 1999, 3126; 2003, 2532, 2533; 2003, 3345). Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung, die den Rechtsausführungen des Landgerichts mit Sachargumenten entgegen tritt, ohne weiteres.

2)

In der Sache kann die Klage keinen Erfolg haben, weil sie gegen die falsche Partei gerichtet ist.

Schadensersatzansprüche des Klägers aus §§ 280 Abs. 1, 662 BGB dürften zwar unbeschadet eines etwaig zu berücksichtigenden Mitverschuldens gegeben sein. Denn ein stillschweigend mit Rechtsbindungswillen zustande gekommener Vertragsschluss liegt angesichts der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache für den Kläger und dessen erkennbaren Interessenlage nahe. Ein solches Auftragsvertragsverhältnis hätte aber nicht die Masse, sondern allenfalls den handelnden Insolvenzverwalter persönlich verpflichtet.

Die "Weiterleitung" von Insolvenzgeldanträgen der Arbeitnehmer der Schuldnerin gehört nicht zum Pflichtenkreis eines Insolvenzverwalters. Nach § 324 Abs. 3 S. 1 und 2 SGB hat vielmehr der Arbeitnehmer selbst dafür Sorge zu tragen, dass ein solcher Antrag fristgerecht gestellt wird. Im Zusammenhang mit der unentgeltlich und aus Gefälligkeit übernommenen Weiterleitung handelte der Beklagte daher nicht für die Masse, so dass diese auch nicht über §§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, 31 BGB für eventuelle Pflichtverletzungen einzustehen hat; eine Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten (vgl. § 60 InsO) liegt nicht vor. Das sieht auch der Kläger, der ausdrücklich darauf verweist, dass er den Beklagten nicht in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter, sondern als Rechtsanwalt angeschrieben habe, nicht anders.

Prozessual handelt es sich bei der vorliegend verklagten Partei kraft Amtes und dem demnach allenfalls passiv legitimierten Verwalter persönlich um strikt zu unterscheidende Parteien (BGH NZI 2006, 306, 307; BGHZ 21, 285, 287). Eine Parteiänderung (vgl. BGH a.a.O.), die ohnehin keine rückwirkende Rechtshängigkeit begründen könnte (§ 261 Abs. 2 ZPO), hat der Kläger nach entsprechender Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vorgenommen.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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