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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.06.2006
Aktenzeichen: 27 U 22/06
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 60 Abs. 2
1. Es begründet ein Auswahl-, Organisations- und Überwachungsverschulden des Insolvenzverwalters, wenn er als Bevollmächtigten zur Veräußerung eines Warenlagers den Prokuristen des Unternehmens einsetzt, das den zu einem bestimmten Stichtag noch vorhandenen restlichen Warenbestand zu einem Pauschalpreis erworben hat, ohne streng zu überwachen, dass dieser die Vorgaben des Verwalters umsetzt und die mit besonderen Aufgaben betrauten Mitarbeiter bei deren Erledigung nicht behindert.

2. Ein Mitarbeiter, der in der Zeit der vorgesehenen Verwertung eines Warenlagers im Wesentlichen seinen Resturlaub abfeiert, ist für die Verwertung offensichtlich ungeeignet i.S.v. § 60 Abs. 2 InsO.


Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 19. Dezember 2005 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des je-weils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

540 ZPO)

A.

Der Beklagte ist seit Insolvenzeröffnung am 30. Oktober 2000 Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. G GmbH & Co. KG. Die Klägerin hatte der Schuldnerin ab dem 1. Februar 1999 auf die Dauer von 10 Jahren ein Geschäftsgrundstück zum jährlichen Mietzins von 770.000 DM netto vermietet. Der Beklagte kündigte dieses Mietverhältnis zum 30. September 2001. Bis Juni 2001 zahlte der Beklagte die Miete pünktlich. In dem Rechtsstreit 4 O 283/01 LG Bochum = 30 U 25/02 OLG Hamm klagte die Klägerin die Monatsmieten für drei Monate von Juli bis September 2001 samt Nebenkosten in Höhe von insgesamt 121.226,31 EUR ein. Zahlungen hierauf erfolgten nicht; mit Schreiben vom 12. Oktober 2001 zeigte der Beklagte die Masseunzulänglichkeit an.

Die Klägerin nimmt den Beklagten persönlich aus dem Gesichtspunkt der Insolvenzverwalterhaftung in Anspruch, weil er die Masseunzulänglichkeit verspätet angezeigt, eine ungesicherte Insolvenzforderung der D-Bank aus Massemitteln befriedigt, einen überhöhten Erlösanteil aus der Veräußerung des Maschinenparks an die E-Bank ausgekehrt, das Warenlager (Vorratsvermögen) unwirtschaftlich verwertet, andere Altmassegläubiger vor ihr, der Klägerin, befriedigt und mutwillig den Rechtsstreit 4 O 283/01 LG Bochum mit der falschen Behauptung einer kapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung geführt habe.

Außerdem hafte er aus § 61 InsO auf die Erfüllung ihrer Ansprüche, weil er das Mietverhältnis nicht bei erster Gelegenheit gekündigt habe. Schließlich habe er sich auch durch Täuschungs- und Benachteiligungshandlungen gegenüber ihr ein deliktisches Verhalten zuschulden kommen lassen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und ausgeführt, der Beklagte habe die Insolvenzmasse dadurch pflichtwidrig verkürzt, dass er die C-Bank und die E-Bank befriedigt habe, ohne dass diesen gegenüber Masseverbindlichkeiten in der entsprechenden Höhe bestanden hätten. Wegen der dazu getroffenen tatsächlichen Feststellungen und der Entscheidungsgründe wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte sein auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter, während die Klägerin das landgerichtliche Urteil verteidigt. Wegen des Berufungsvorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Feststellungen sind dahin zu ergänzen, dass die Klägerin den Klageanspruch im Jahre 2002, vor Rechtshängigkeit, an die N AG als Prozessfinanzierer abtrat, wobei ihr das Recht zur Einziehung der Forderung verblieb.

Der Beklagte behauptet nunmehr, die Betriebsleiter P und L der Schuldnerin mit der Verwertung des Warenlagers beauftragt und diese ausreichend überwacht zu haben.

B.

Die zulässige Berufung ist im Ergebnis unbegründet.

I.

Die Klägerin ist berechtigt, den Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten im eigenen Namen geltend zu machen. Zwar trat sie den Anspruch vor Rechtshängigkeit an die N AG ab, jedoch ermächtigte die Zessionarin die Klägerin zur Einziehung der Forderung sowie zur gerichtlichen Geltendmachung im Wege der Prozessstandschaft, wie sich aus dem Bestätigungsschreiben vom 31. Mai 2005 (GA 950) ergibt. Das für die gewillkürte Prozessstandschaft erforderliche schutzwürdige rechtliche Interesse ergibt sich daraus, dass die Abtretung lediglich der Sicherheit der den Prozess finanzierenden Zessionarin dient, die Klägerin dadurch aber nicht ihr ursprüngliches wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung des Anspruchs verloren hat. Berechtigte Interessen des Beklagten werden durch die Prozessführung im Wege der Prozessstandschaft nicht verletzt.

II.

1.

Der Beklagte ist der Klägerin zum Schadenersatz gemäß § 60 InsO verpflichtet. Er verletzte seine insolvenzspezifischen Pflichten, die auch der Klägerin als Massegläubigerin gegenüber bestanden, jedenfalls dadurch, dass er die Masseverwertung nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters durchführte, indem er das Warenlager lediglich zum Preis von 200.000 DM (§ 3 des Vertrages vom 31.05.2001, GA 198, 199 f.) sowie mündlich ergänzend vereinbarter 170.000 DM veräußerte, während es in Wahrheit zum Stichtag 1. Juli 2001 einen Wert von mindestens 1.406.403,39 DM hatte. Durch die Diskrepanz von mindestens 1.036.403,39 DM (= 529.904,64 EUR) zwischen Warenwert und Erlös wurde die Insolvenzmasse verkürzt, was zwischen den Parteiein nicht im Streit steht. Dabei ist ihm nicht die Kaufpreisbildung als solche vorzuwerfen, sondern das Versäumnis, die Warenvorräte bis zum Stichtag weitgehend abzubauen - wie es der vereinbarte Kaufpreis voraussetzte - damit der Käufer nur einen entsprechend reduzierten Bestand erhielt.

Die Verkürzung der Insolvenzmasse ist vom Beklagten verschuldet. Denn er setzte mit Herrn I einen Bevollmächtigten ein, der als Prokurist des Nachfolgeunternehmens, welches den verbleibenden Warenbestand zu dem genannten Pauschalpreis übernahm, genau das gegenteilige wirtschaftliche Interesse verfolgen musste als die Fertigstellung und Auslieferung des Warenbestandes zum Vorteil der Insolvenzmasse effektiv zu betreiben. Indem der Beklagte es unterließ, Herrn I zur Durchführung der Verwertung konkret anzuweisen, und ihn insoweit auch nicht überwachte, verletzte er seine Organisations- und Überwachungspflichten bezüglich der Fertigstellung der ordnungsgemäßen Verwertung des Warenlagers.

Die vom Beklagten reklamierte Entlastung nach § 60 Abs. 2 InsO greift - was den Prokuristen I betrifft - schon deshalb nicht, weil dieser weder ein früherer Angestellter der Schuldnerin noch im Rahmen seiner bisherigen Tätigkeiten eingesetzt war; darüber hinaus hat der Beklagte auch nicht dargelegt, ihn ausreichend überwacht zu haben.

Soweit der Beklagte in der Berufungsinstanz nunmehr behauptet, die Betriebsleiter der Insolvenzschuldnerin, die Herren L und P, mit der Verwertung verantwortlich betraut zu haben, und dieses Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO wegen unterlassener richterlicher Hinweise in erster Instanz noch zulässig wäre, ist sein Verschulden gleichwohl nicht ausgeräumt. Unklar bleibt bereits, wie die neue Darstellung mit seinem früheren Vorbringen im Verfahren 4 O 377/03 LG Bochum überein zu bringen ist, in dem der Beklagte Herrn I mit der Behauptung, dieser sei für die Verwertung verantwortlich gewesen, auf Schadenersatz verklagte. Aber selbst wenn man unter Zurückstellung dieses Bedenkens die verantwortliche Beauftragung der Betriebsleiter L und P als richtig unterstellt, entschuldigt dies den Beklagten schon nach seiner eigenen Darstellung nicht.

Zunächst besteht ein gravierendes Auswahlverschulden bezüglich des Mitarbeiters P. Denn dass dieser in der Zeit, wo die Verwertung stattzufinden hatte, im Wesentlichen seinen Resturlaub abfeierte, machte ihn für diese Aufgabe in dieser Situation "offensichtlich ungeeignet" im Sinne des § 60 Abs. 2 InsO. Über den Resturlaub des ausscheidenden Mitarbeiters P hätte sich der Beklagte im Vorfeld informieren und für die verantwortliche Beauftragung eines anderen Mitarbeiters sorgen müssen.

Ein Organisationsverschulden liegt darin, dass der Beklagte es bei der Einteilung des Mitarbeiters L unterließ, dessen Verwendung für die Verwertung nicht nur diesem selbst gegenüber anzuordnen, sondern auch durch eine klare Weisung gegenüber I sicherzustellen, dass dieser ihn nicht zu anderen Arbeiten heranzog.

Bezüglich beider Mitarbeiter der Insolvenzschuldnerin besteht weiterhin ein gravierendes Überwachungsverschulden, indem der Beklagte sich zu keinem Zeitpunkt mit konkreten Fakten darüber berichten ließ, mit welchem Erfolg und ob überhaupt diese die Verwertung betrieben. Dass es dem Beklagten bis zuletzt entging, dass der mit der Verwertung beauftragte Mitarbeiter P ab Anfang Juni 2001 Resturlaub hatte, ist ausreichender Beleg dafür, dass diesem gegenüber überhaupt keine Überwachung stattfand. Damit hat der Beklagte die ihm nach § 60 Abs. 2 InsO verbleibende Überwachungspflicht verletzt.

Wenn der Beklagte meint, von den Mitarbeitern "hintergangen" worden zu sein, untermauert dies gerade sein Auswahlverschulden, insbesondere hinsichtlich des Betriebsleiters I, der als Prokurist des Nachfolgeunternehmens naheliegender Weise andere wirtschaftliche Interessen als er, der Insolvenzverwalter, verfolgte und aus diesem Grunde den Mitarbeiter L von der Verwertung abgezogen haben soll. Wer trotz des latenten Interessenskonfliktes dem Vertreter des Nachfolgeunternehmens umfassende Vollmacht erteilt, muss besonders streng überwachen, dass seine Vorgaben umgesetzt und die mit besonderen Aufgaben betrauten Mitarbeiter bei deren Erledigung nicht behindert werden.

Dass es im Übrigen - wie auch hier - zwischen den Mitarbeitern eines Schuldnerunternehmens und dem Insolvenzverwalter zu Animositäten kommen kann, gehört zum normalen Geschäft des Insolvenzverwalters, was seine Überwachungspflicht für sensible Bereiche gerade begründet. Er muss geeignete Vorkehrungen treffen, um von den Mitarbeitern nicht so hintergangen zu werden, wie er es hier für sich entschuldigend reklamiert. Es hätte dafür genügt, sich den Zwischenstand der Verwertung gelegentlich durch belastbare Sachstandsmitteilungen berichten und ggf. belegen zu lassen. Stattdessen hat der Beklagte nicht ein einziges wirkliches Faktum abgefragt, sondern schlicht darauf vertraut, dass die Beschäftigten des Unternehmens bei Schwierigkeiten mit der Verwertung von sich aus auf ihn zukämen. Das genügt den Anforderungen des § 60 Abs. 2 InsO an die Überwachung ihrer Tätigkeit nicht ansatzweise.

2.

Wäre die Insolvenzmasse um 529.904,64 EUR reicher, weil der Beklagte den Warenbestand zu dem von ihm selbst als angemessen angesehenen Wert verkauft hätte, und wären der Insolvenzmasse überdies die Kosten der erfolglos geführten Prozesse gegen die Fa. G GmbH & Co. KG sowie gegen deren Prokuristen I erspart geblieben sowie weiterhin die Kosten der (im übrigen unzutreffenden) gutachterlichen Stellungnahme des Rechtsanwalts O betreffend die Haftung des Beklagten, dann wären alle Massegläubiger und auch die Klägerin mit ihren Masseforderungen vollständig bedient worden.

Unter diesen Voraussetzungen kann der eingetretene Schaden nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 159, 104, 111 f.) als Einzelschaden geltend gemacht werden. Der Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters in entsprechender Anwendung des § 92 Satz 2 InsO, wie sie von Teilen der Literaturmeinung gefordert wird (z.B. Uhlenbruck, InsO, § 92 Rdnr. 22), bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hier nicht. Denn es geht hier um Vorgänge vor Anzeigen der Masseunzulänglichkeit unter dem 12.10.2001.

3.

Als Schaden hat der Beklagte die gegenüber der Masse nicht realisierbaren Forderungen der Klägerin zu ersetzen. Hierzu gehören - neben den titulierten Forderungen - auch die geltend gemachten Zinsen sowie die durch Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Bochum vom 24.02.2004 - 4 O 283/01 - aus dem Kostenfestsetzungsverfahren herausgenommenen Prozesskostenerstattungsansprüche, da diese ohne die Pflichtverletzung des Beklagten ebenfalls aus der Masse hätten bedient werden können.

Der noch bestehende Anspruch der Klägerin gegen die Masse mindert den Schaden nicht, da Masseunzulänglichkeit angezeigt und eine Zahlung nicht absehbar ist (vgl. BGH, NJW 2004, 3334). Der Beklagte kann daher lediglich die Abtretung des Anspruchs an ihn verlangen, soweit er die Klägerin befriedigt (Bank, NZI 2005, 478, 482).

II.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 543 Abs. 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern.

Ende der Entscheidung

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