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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 07.06.2001
Aktenzeichen: 27 U 224/00
Rechtsgebiete: KO, BGB, ZPO


Vorschriften:

KO § 30 Nr. 2
KO § 37
KO § 41
BGB § 203
ZPO § 829 Abs. 3
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
1.

Forderungspfändung und nachfolgende Zahlung des Drittschuldners sind zwei selbständig anfechtbare Rechtshandlungen und stellen keinen einheitlichen, mehraktigen Erwerbsvorgang dar (BGH in ZIP 2000, 898).

2.

Die Anfechtung beider Rechtshandlungen muss nicht ausdrücklich erklärt werden. Ausreichend ist, dass das Klagebegehren und der vorgetragene Sachverhalt erkennen lassen, dass es dem Kläger um die Herausgabe der aus der Forderungspfändung erlangten Vorteile geht.

3.

Bei einer Forderungspfändung ist für die objektiven und subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen der Zeitpunkt der Zustellung der Pfändungsverfügung an den Drittschuldner (§ 829 Abs. 3 ZPO) maßgeblich, bei Pfändung künftiger, zum vorgenannten Zeitpunkt noch nicht bestehender Forderungen jedoch der Zeitpunkt der Entstehung der gepfändeten Forderung.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Verkündet am 07. Juni 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 27. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juni 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 2. Oktober 2000 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert den Beklagten mit weniger als 60.000,-- DM.

Tatbestand:

Der Kläger, Verwalter in dem auf Antrag der Innungskrankenkasse B vom 14.12.1998 am 10.03.1999 eröffneten Konkursverfahren über das Vermögen des Günther Z (künftig: Gemeinschuldner), der als Selbständiger einen Betrieb zur Durchführung kleinerer bauhandlicher Gewerke mit einem Mitarbeiter führte, begehrt von dem beklagten Land (Fiskus) aus dem Gesichtspunkt der Konkursanfechtung Rückzahlung von 11.040,48 DM, die dieser infolge einer Kontenpfändung des Finanzamtes Bochum-Mitte erhielt.

Durch Verfügung vom 20.10.1998 pfändete das Finanzamt B wegen bis dahin aufgelaufener Steuerschulden des Gemeinschuldners in Höhe von etwa 23.500,-- DM sämtliche Forderungen des Gemeinschuldners aus dessen Geschäftsverbindung mit seiner Hausbank, der AG B. Die Pfändungsverfügung wurde der Drittschuldnerin am 26.10.1998 zugestellt.

Nach einer kleineren Auszahlung von 1.456,30 DM im November 1998 ergaben sich nach Stellung des Konkursantrages auf dem Konto des Gemeinschuldners bei der bank erneut Guthaben, so dass die bank am 15.01.1999 10.950,-- DM und am 09.02.1999 90,48 DM, insgesamt 11.040,48 DM, an das Finanzamt auskehrte.

Der Kläger begehrt aus dem Gesichtspunkt der Konkursanfechtung Rückzahlung dieser Beträge. Er hat geltend gemacht, der Beklagte habe die Zahlungen als inkongruente Deckung nach Stellung des Konkursantrages und nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners erhalten.

Der Beklagte hat geltend gemacht, zum Zeitpunkt der Zahlungen keine Kenntnis von der Zahlungseinstellung des Gemeinschuldners oder von dem Konkursantrag gehabt zu haben. Das Finanzamt sei vielmehr von grundsätzlich geordneten finanziellen Verhältnissen des Gemeinschuldners ausgegangen.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung verurteilt mit im wesentlichen folgender Begründung: Die Konkursanfechtung sei gemäß § 30 Nr. 2 KO begründet, weil der Beklagte aufgrund der Kontenpfändung nach Konkursantragstellung inkongruente Zahlungen erhalten und jedenfalls nicht dargelegt habe, dass ihm zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der angefochtenen Rechtshandlung eine Begünstigungsabsicht des Gemeinschuldners nicht bekannt gewesen sei. Er habe insbesondere nicht vorgetragen, dass er bei Eingang der Zahlungen aus der Forderungspfändung der sicheren Überzeugung gewesen sei, das Vermögen des Gemeinschuldners reiche zur vollen Befriedigung aller Gläubiger aus oder der Gemeinschuldner werde die hierfür erforderlichen Mittel jedenfalls in absehbarer Zeit erhalten.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er meint, die Auszahlungen hätten schon nicht zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung geführt, da er durch Zustellung der Pfändungsverfügung am 26.10.1998, somit vor Konkursantragstellung, ein Pfändungspfandrecht erworben habe. Aufgrund dieser Pfändungsverfügung, die vom Kläger nicht angefochten worden und deshalb konkursfest sei, würden sich die Auszahlungen als kongruent darstellen. Der Beklagte stellt im übrigen jegliche Kenntnis bezüglich der Zahlungseinstellung oder einer Begünstigungsabsicht des Gemeinschuldners in Abrede.

Der Beklagte beantragt,

abändernd die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Unterscheidung zwischen Pfändungsverfügung und Zahlung des Drittschuldners auf die gepfändete Forderung sei künstlich. Da die Pfändung zunächst ins Leere gegangen sei, habe erst nach der Entstehung von Kontenguthaben Anlass für eine Anfechtung bestanden. Der Gemeinschuldner sei im übrigen nach eigenen Angaben schon ab Oktober 1998 zahlungsunfähig gewesen, was den Mitarbeitern des Finanzamtes jedenfalls nach der Pfändungsverfügung bekannt gewesen sei.

Wegen des Parteivorbringens im einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Akten 48 a N 320/98 AG Bochum waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten bleibt ohne Erfolg.

Das Begehren des Klägers ist gemäß §§ 37, 30 Nr. 2 KO, deren Regelungen gemäß Art. 104, 110 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (EGInsO) auf das am 14.12.1998 beantragte Konkursverfahren anwendbar sind, begründet.

Zwar ist der Berufung zunächst zuzugeben, dass es sich bei der Forderungspfändung und den nachfolgenden Zahlungen der Drittschuldnerin nicht um einen einheitlichen, mehraktigen Erwerbsvorgang handelt, der erst mit der Zahlung vollendet ist (so OLG München in ZIP 1998, 1269), sondern um zwei jeweils selbständig anfechtbare Rechtshandlungen (BGH in ZIP 2000, 898). Während der Gläubiger infolge der Pfändungsverfügung ein Pfändungspfandrecht erwirbt, erlangt er durch die nachfolgende Zahlung des Drittschuldners Befriedigung. Die Anfechtung der Zahlung verspricht dabei nur dann Erfolg, wenn die vorhergehende Pfändung unwirksam ist oder angefochten werden kann. Anderenfalls ist die Zahlung angesichts des bestehenden Pfandrechts nicht nur als kongruent zu bewerten, sondern führt schon nicht zu einer Gläubigerbenachteiligung, weil der Beklagte nur das erhalten hätte, was ihm aufgrund des Pfandrechts zustand (vgl. BGH a.a.O.).

Allerdings hat der Kläger im Streitfall nicht nur die Zahlung der Drittschuldnerin, sondern auch die vorhergehende Pfändungsverfügung vom 20.10.1998 innerhalb der Frist des § 41 KO (1.) wirksam gemäß § 30 Nr. 2 KO (2.) angefochten.

1.

Die Ausschlussfrist des § 41 KO ist durch den PKH-Antrag des Klägers vom 09.03.2000 gem. § 203 BGB gehemmt worden (vgl. BGH in NJW 1989, 3149), weil der Kläger mit diesem Antrag sein Anfechtungsrecht - auch bezogen auf die Pfändungsverfügung - hinreichend dargetan hat. Insoweit muss die Anfechtung nicht als solche besonders erklärt oder geltend gemacht werden. Genügend ist vielmehr, dass das Klagebegehren des Konkursverwalters darauf hinausläuft, einen vom Beklagten erworbenen Gegenstand wieder der Masse zurückzuführen, und dass dieses Begehren auf einen Sachverhalt gestützt wird, der die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestandes erfüllt (vgl. BGH in WM 2001, 100; ZIP 2000, 899; BGHZ 135, 149). Diese maßvollen Anforderungen an die Annahme eines Anfechtungsbegehrens sind durch den PKH-Antrag des Klägers gewahrt, weil er hinreichend klar erläutert hat, dass es ihm um die aus der Forderungspfändung erlangten Vorteile des Beklagten ging. Dass er selbst insoweit - rechtlich unzutreffend - in der Forderungspfändung und der Auszahlung des Drittschuldners einen einheitlich anfechtbaren Rechtsvorgang gesehen hat, ist insoweit ohne Bedeutung.

2.

Die Voraussetzungen des § 30 Nr. 2 KO liegen auch bezogen auf das durch die Forderungspfändung erlangte Pfandrecht vor.

a)

Die Pfändungsverfügung ist als Verwaltungsvollstreckungsakt eine der Konkursanfechtung unterliegende Rechtshandlung eines Gläubigers (vgl. zuletzt BGH in NJW 2000, 1118; 1995, 1090; Kilger, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., Anm. 13 zu § 30 KO), die zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung geführt hat, weil durch sie die Forderung des Gemeinschuldners gegen die Commerzbank der Konkursmasse entzogen wurde.

b)

Die durch Zwangsvollstreckung erlangte Sicherheit begründete eine inkongruente Deckung, weil der Beklagte seine Position unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz mit Hilfe von staatlichen Zwangsmitteln durchgesetzt hat (vgl. hierzu BGH in WM 1997, 831; 1997, 2094; NJW 1995, 1092; Kilger, a.a.O., Anm. 20 zu § 30 m.w.N.).

c)

Die Pfändung erfolgte auch innerhalb der kritischen Phase des § 30 Nr. 2 KO. Insoweit ist bei Pfändung von Forderungen aus einem Kontokorrentverhältnis nur dann auf den Zeitpunkt der Zustellung der Pfändungsverfügung an den Drittschuldner als dem gemäß § 829 Abs. 3 ZPO für die Wirksamkeit der Pfändung (vgl. BGH in ZIP 2000, 898) maßgeblichen Zeitpunkt abzustellen, wenn infolge eines zu diesem Zeitpunkt bestehenden Auszahlungsanspruchs des Schuldners gegenüber der Bank unmittelbar ein Pfandrecht an dieser Forderung entstand. Soweit sich die Anfechtung hingegen nicht auf einen zum Zeitpunkt der Kontenpfändung bestehenden Auszahlungsanspruch bezieht, sondern - wie vorliegend - auf die ebenfalls wirksame Pfändung künftiger Aktivsalden, ist für die Anfechtbarkeit der Zeitpunkt der Entstehung des gepfändeten Anspruchs maßgeblich. Erst jetzt kann nämlich zugunsten des vollstreckenden Gläubigers ein Pfändungspfandrecht zur Entstehung gelangen (Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 6. Aufl., Rn. 616), während sich bis dahin nicht einmal eine Gläubigerbenachteiligung feststellen ließe. Der IX. Senat des BGH hat dementsprechend bereits durch Urteil vom 20.03.1997 (BGHZ 135, 148 = NJW 1997, 1859) erläutert, dass bei Pfändung künftiger Forderungen der Zeitpunkt maßgeblich ist, in dem der gläubigerbenachteiligende Rechtserfolg durch Gutschriften auf dem Konto eintritt. Diese Auffassung entspricht auch der Rechtsprechung des BGH zum vertraglichen Pfandrecht an künftigen Forderungen (vgl. ZIP 1999, 406; 1996, 2080) und zur Vorausabtretung künftiger Forderungen (NJW 1989, 458). Dass der IX. Zivilsenat mit seinem Urteil vom 21.03.2000 (ZIP 2000, 898) hiervon abweichen wollte, ist nicht erkennbar.

Dass sich die vorliegend in Rede stehenden Kontenguthaben bei der Commerzbank erst nach Stellung des Konkursantrags am 14.12.1998, somit innerhalb der kritischen Phase des § 30 Nr. 2 KO, ergaben, ist trotz der nicht im einzelnen dargelegten Daten der Gutschriften zwischen den Parteien unstreitig und im übrigen dem insoweit maßgeblichen Tatbestand (§ 314 ZPO) des angefochtenen Urteils zu entnehmen.

d)

In subjektiver Hinsicht hat der Beklagte nicht hinreichend dargetan, dass die Mitarbeiter des zuständigen Finanzamtes auch noch zum entscheidenden Zeitpunkt nach dem Konkursantrag der vollen Überzeugung waren, dass das Vermögen des Gemeinschuldners zur Befriedigung aller seiner Gläubiger ausreiche oder dass er in absehbarer Zeit die zur Befriedigung aller Gläubiger erforderlichen Mittel erhalten werde. Im Hinblick auf die gegen ihn - den Beklagten - sprechende Inkongruenz der Vollstreckungsmaßnahme ist die von § 30 Nr. 2 KO vorausgesetzte Kenntnis schon dann anzunehmen, wenn die Mitarbeiter des Finanzamtes auch nur mit der Möglichkeit gerechnet haben, dass andere Gläubiger leer ausgehen könnten, wobei an die Entlastung wegen der Verdächtigkeit der inkongruenten Sicherung strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH in NJW 1995, 1092). Zutreffend weist insoweit das landgerichtliche Urteil auf die dem Finanzamt bekannten Umstände für eine schwierige wirtschaftliche Lage des Gemeinschuldners hin. Dieser hatte schon im Spätsommer 1998 beim Finanzamt einen Stundungsantrag gestellt und war seinen Steuerzahlungsverpflichtungen seitdem nicht mehr hinreichend nachgekommen. Seine Verbindlichkeiten beim Finanzamt betrugen zum Zeitpunkt der Forderungspfändung etwa 23.500,-- DM. Bekannt geworden war bei einem - überdies fruchtlos verlaufenen - Mobiliarvollstreckungsversuch vom 25.11.1998, dass der Gemeinschuldner weitere Schulden von etwa 20.000,-- DM hatte und praktisch kein pfändbares Vermögen besaß. Die Forderungspfändung vom 20.10.1998 hatte über mehrere Wochen hinweg nicht zu wesentlichen Zahlungen auf die Steuerschulden geführt. Vor dem Hintergrund dieser allesamt negativen Umstände war für die zuständigen Finanzamtsmitarbeiter eine sichere Überzeugung von der Zahlungsfähigkeit des Gemeinschuldners weder aufgrund der relativ geringfügigen Zahlungen des Gemeinschuldners von 600,-- DM am 13.11.1998 und von 1.450,-- DM am 07.12.1998 noch aufgrund der vom Gemeinschuldner im November 1998 vorgelegten Einnahme-Überschussrechnungen zu gewinnen, zumal diese zurückliegende Zeiträume betrafen und die nachfolgenden nahezu vergeblichen Vollstreckungsversuche des Finanzamtes der Annahme einer günstigen Perspektive entgegenstanden. Spätestens zum Zeitpunkt des Konkursantrages am 14.12.1998, als größere, nach den behaupteten Angaben des Gemeinschuldners an sich zu erwartende Zahlungen ausgeblieben waren, lag es auf der Hand, dass die positive eigene Einschätzung des Gemeinschuldners nichts an dessen Zahlungsunfähigkeit änderte.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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