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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 11.05.2004
Aktenzeichen: 27 U 224/03
Rechtsgebiete: BGB, HGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 259 Abs. 1
BGB § 273
BGB § 273 Abs. 1
BGB § 274 Abs. 1
BGB §§ 730 ff.
BGB §§ 738 ff.
BGB § 739
BGB § 740
HGB § 155
ZPO § 531 Abs. 2
Wird ein Unternehmen nach dem Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters von dem verbleibenden Gesellschafter einer GbR allein zu dem Zwecke fortgeführt, einen einzelnen, zeitlich befristeten Auftrag abzuwickeln und zu Ende zu führen, so findet das Ertragswertverfahren bei der Bewertung des Unaternehmens zur Ermittlung des Abfindungsanspruchs des Ausgeschiedenen keine Anwendung. Der Ausgeschiedene ist in diesem Fall unabhängig von der stichtagsbezogen zu ermittelnden Abfindung gem. § 740 BGB an dem noch schwebenden Geschäft zu beteiligen.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 25. November 2003 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.000,00 EUR nebst 5 % Zinsen seit dem 24.06.2003 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rechnungslegung bezüglich der vom Arbeitsamt J nach SGB III finanzierten und von der N-Schule, P-Straße #, #### Q, durchgeführten Schulungsmaßnahme (Maßn.-Nr. des Arbeitsamtes J: ########), betreffend die Umschulung nach der Ausbildung- und Prüfungsordnung, Führerscheine C und CE, Gabelstaplerausbildung, GGVS, Praktikum, Maßnahmeziel: Gesellen-, Facharbeiter-, Gehilfenprüfung, Maßnahmedauer vom 04.03.2002 bis 08.12.2003.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/4 und der Beklagte zu 3/4.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die Berufung hat im erkannten Umfang Erfolg.

I.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleichung des geltend gemachten Teilbetrags gegen den Beklagten gemäß § 739 BGB.

Allerdings folgt der Anspruch des Klägers nicht, wie das Landgericht gemeint hat, aus einer entsprechenden Anwendung des § 155 HGB. Der mit dem angefochtenen Urteil gegebenen Begründung vermag der Senat nicht zu folgen. § 155 HGB gewährt keinen gesonderten Anspruch auf Vorab-Ausgleichung eines negativen Kapitalkontos. Richtig ist nur, dass die Ausgleichung unmittelbar unter den Gesellschaftern zu erfolgen hat, dies allerdings erst nach der Schlußbilanz und Schlußverteilung durch die Liquidatoren (vgl. Ebenroth/Boujong, § 155 HGB, Rdnr. 23). Im vorliegenden Fall verlangt der Kläger aber keinen Ausgleich nach Abschluss der Verteilung, sondern einen Vorabausgleich des negativen Kapitalkontos als ersten Schritt. Von einem derartigen Anspruch ist in § 155 HGB nicht die Rede. Vielmehr ändert diese Vorschrift nichts am Grundsatz der Gesamtabrechnung, der eine selbständige Geltendmachung einzelner Ansprüche nur ausnahmsweise zulässt (vgl. Ebenroth/Boujong, § 155 HGB, Rdnr. 16 u. 24). Im Übrigen haben die Parteien am 18.12.2002 (Bl. 6 d.A.) ausdrücklich vereinbart, dass die Auseinandersetzung nach den Regeln des BGB durchgeführt werden sollte. Die dagegen vom Landgericht vertretene Ansicht, die Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches seien nach der rechtlichen Anerkennung der Außengesellschaft auf diese weder zugeschnitten noch sinnvoll anwendbar, teilt der Senat nicht.

Der Anspruch des Klägers beruht aber auf § 739 BGB. Nach dieser Vorschrift hat der ausscheidende Gesellschafter den übrigen Gesellschaftern für den Fehlbetrag im Verhältnis seines Anteils am Verlust aufzukommen. Nach der von den Parteien am 18.12.2002 getroffenen Vereinbarung ist der Beklagte als ausgeschiedener Gesellschafter i.S.d. §§ 738 ff. BGB zu behandeln. Für den Fall des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters einer BGB-Gesellschaft kann vereinbart werden, dass der andere die "Gesellschaft fortsetzt", indem er das Gesellschaftsvermögen als Gesamtrechtsnachfolger übernimmt. Die Rechte des Ausgeschiedenen bestimmen sich dann nach §§ 738-740 BGB (vgl. BGH ZIP 1994, 378). Die Parteien haben eine derartige Fortsetzung durch den Kläger vertraglich vereinbart. Nach dem unstreitigen Sachverhalt und dem ausdrücklichen Wortlaut des schriftlichen Vertrages vom 18.12.2002 sollte der Kläger nicht nur das Anlagevermögen übernehmen, sondern auch den Betrieb der zuvor gemeinschaftlich betriebenen Fahrschule allein fortsetzen. Wenngleich in der Vereinbarung vom 18.12.2002 von "Auflösung" die Rede ist, ergibt sich deshalb mit hinreichender Deutlichkeit, dass die Parteien keine Auseinandersetzung i.S.d. §§ 730 ff. BGB gewollt haben.

§ 739 BGB gilt bei der Übernahme des Gesellschaftsvermögens durch den verbliebenen Gesellschafter entsprechend. Der Zahlungsanspruch steht dann dem Übernehmer als Gesamtrechtsnachfolger zu (Ulmer, § 739 BGB, Rdnr. 2), kann aber wegen des Grundsatzes der Gesamtabrechnung nicht separat vorab geltend gemacht werden. Eine Zahlungspflicht des ausgeschiedenen Gesellschafters besteht gem. § 739 BGB nur dann, wenn der auf ihn entfallende Fehlbetrag einschließlich sonstiger, der Gesellschaft noch geschuldete Beträge nach dem Ergebnis der Schlussabrechnung höher ist als die ihm im Rahmen der Abfindung zurückzugewährende Einlage sowie etwaige weitere ihm noch zustehende Ansprüche aus dem Gesellschafterverhältnis (Ulmer, § 739 BGB, Rdnr. 1). Die Rechtsprechung lässt allerdings eine Durchbrechung des Grundsatzes der Gesamtabrechnung zu, wenn schon vor der Beendigung der Auseinandersetzung feststeht, dass der eine Gesellschafter jedenfalls einen bestimmten Betrag verlangen kann (vgl. BGH, Urteil v. 12.11.1990, II ZR 232/89, NJW-RR 1991, 549).

So liegt der Fall auch hier. Zwischen den Parteien herrscht Einvernehmen, dass die Kapitalkonten beider Gesellschafter zum Stichtag des Ausscheidens des Beklagten beträchtliche Negativsalden aufweisen, deren genaue Höhe zum Zeitpunkt der Vereinbarung vom 08.12.2002 noch nicht bekannt war, im Rechtsstreit allerdings unstreitig ist. Aufgrund der - insoweit eindeutigen - schriftlichen Vereinbarung hat der Kläger sich für die Übernahme des Anlagevermögens lediglich dessen Buchwert anrechnen zu lassen. In Anbetracht dieser unstreitigen Tatsachen steht zunächst fest, dass der Beklagte, wenn die vom Arbeitsamt J finanzierte Schulungsmaßnahme außer Betracht bliebe, keine Abfindung fordern könnte, weil die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft bis zum 31.12.2002 zu einem negativen Ergebnis geführt hat.

Dass darüber hinaus eine Beteiligung des Beklagten an der vom Kläger weitergeführten Schulungsmaßnahme stattzufinden hat, ist im Grundsatz unstreitig. Dies haben die Parteien nachträglich mündlich vereinbart. Streitig ist zwischen ihnen nur, auf welche Weise, wann und in welcher Höhe dies zu geschehen hat. Während der Beklagte meint, es habe eine Verrechnung mit seinem negativen Kapitalkonto zu erfolgen, die nach seiner Vermutung einen Ausgleich herbeiführen werde, steht der Kläger auf dem Standpunkt, eine Beteiligung des Beklagten stehe diesem erst nach Abschluss der Maßnahme zu. Eindeutige vertragliche Absprachen sind zu dieser Frage nicht erfolgt. Dies hat die Anhörung der Parteien im Senatstermin ergeben.

Mangels einer wirksamen einzelvertraglichen Vereinbarung richtet sich die Beteiligung des Beklagten demzufolge nach den gesetzlichen Vorschriften des BGB, die gemäß § 740 BGB eine Beteiligung des ausgeschiedenen Gesellschafters am Ergebnis schwebender Geschäfte erst nachträglich vorsehen. Diese Vorschrift ist allerdings aus heutiger Sicht infolge grundsätzlichen Übergangs zum Ertragswertverfahren bei der Ermittlung des Abfindungsguthabens im Regelfall gegenstandslos. Sie findet kraft teleologischer Reduktion auch dann keine Anwendung, wenn sie nicht ausdrücklich oder konkludent abbedungen worden ist. Denn die schwebenden Geschäfte gehen in die Ermittlung des zukünftigen Ertrags als Grundlage der Abfindung ein, so dass für ihre erneute Berücksichtigung nach jeweiliger Beendigung kein Raum ist (Ulmer, § 740 BGB, Rdnr. 3). Die Vor- und Nachteile schwebender Geschäfte werden unmittelbar über die Prognose der Überschüsse erfasst (vgl. Großfeld, Unternehmens- und Anteilsbewertung im Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 88).

Der vorliegende Fall bildet jedoch eine Ausnahme von dem in heutiger Zeit gegebenen Regelfall, in dem das Ertragswertverfahren zu zuverlässigen Ergebnissen führt. Die Ansetzung eines "Ertragswertes" zur Berechnung einer dem Ausgeschiedenen zustehenden Abfindung verbietet sich im Streitfall aus dem Grunde, weil ein zukunftsbezogener Ertrag des Unternehmens zum Stichtag von vornherein nicht ermittelbar ist. Bei der Fortführung des Geschäfts durch den Kläger handelte es sich ausschließlich darum, einen einzelnen, zeitlich befristeten Auftrag in einem von vornherein bestimmten Umfang zu Ende zu bringen. Eine daneben gelegene allgemeine Geschäftstätigkeit der "N-Schule" durch den Kläger allein war dagegen nicht vorgesehen; seine allgemeine Fahrschultätigkeit übte er, was zwischen den Parteien nicht streitig ist, auf eigene Rechnung aus.

Mit der Bewertung eines derartigen Unternehmens, dessen zeitlich befristete Fortführung lediglich der Abarbeitung eines einzelnen, seinem Umfang nach festgelegten Auftrags dient, ist die Anwendung des Ertragswertverfahrens, das auf die zukunftsbezogene Fortführung des Unternehmens ausgerichtet ist und die Abfindung deshalb im Wege der Kapitalisierung auf den Stichtag ermittelt, nicht zu vereinbaren. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein solches Unternehmen am Markt verkäuflich ist (vgl. Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994, S. 243). Infolge der Unanwendbarkeit der Ertragswertmethode verbleibt es deshalb im Streitfall bei der gesetzlichen Regelung des § 740 BGB. Das hat zur Folge, dass die Beteiligung des Beklagten am schwebenden Geschäft nicht im Rahmen einer nach § 738 BGB auf den Stichtag zu ermittelnden Abfindung, sondern gesondert und nachträglich zu geschehen hat (vgl. BGH WM 1980, 212). Die Durchsetzungssperre steht dem Anspruch des Klägers aus § 739 BGB also nicht im Wege.

Bezüglich der Höhe des im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Teilbetrags hat der Kläger die ihm anzurechnende Übernahme des Anlagevermögens bereits berücksichtigt. Erhebliche Einwendungen sind vom Beklagten insoweit nicht erhoben worden. Es steht deshalb fest, dass dem Kläger jedenfalls der mit der Teilklage geforderte Betrag zusteht.

II.

Dem Beklagten steht jedoch ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB wegen seines Anspruchs auf Rechnungslegung (§ 740 Abs. 2 BGB) zu, das nach § 274 Abs. 1 BGB zu einer Verurteilung Zug um Zug führt.

Gegen das Zurückbehaltungsrecht lässt sich zunächst nicht einwenden, dass die gegenseitigen Ansprüche nicht auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhten. Die vielfältigen, zwischen den Gesellschaftern einer Personengesellschaft bestehenden Rechtsbeziehungen sind als ein innerlich zusammenhängendes einheitlichen Lebensverhältnis anzusehen. Die aus dem Gesellschaftsverhältnis hergeleiteten Ansprüche beruhen damit auf demselben rechtlichen Verhältnis im Sinne des § 273 Abs. 1 BGB (BGH NJW 1990, 1171).

Der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht auch nicht im Wege, dass die gegenseitigen Ansprüche zu verschiedenen Zeitpunkten fällig geworden sind. Die Anwendung der Vorschrift des § 273 BGB setzt noch nicht einmal voraus, dass der Gegenanspruch schon vor der Leistung des Schuldners besteht und fällig ist, wenn die gegenseitigen Leistungen auf demselben rechtlichen Verhältnis beruhen (vgl. BGHZ 73, 319). Entscheidend ist im vorliegenden Fall deshalb nur, dass der Anspruch auf Rechnungslegung mit dem Abschluss der Maßnahme im Dezember 2003 fällig geworden ist.

Hieraus ergibt sich des Weiteren, dass die Regelung des § 531 Abs. 2 ZPO einer Berücksichtigung des Zurückbehaltungsrechts im zweiten Rechtszug nicht entgegensteht. Denn die Fälligkeit des Anspruchs auf Rechnungslegung ist erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug eingetreten.

Die Rechenschaftslegung gemäß § 259 Abs. 1 BGB erfordert eine übersichtliche in sich verständliche Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben. Sie muss nicht nur den derzeitigen Zustand, sondern auch die Entwicklung zu ihm im Einzelnen aufzeigen. Belege sind vorzulegen. Die Angaben müssen so detailliert und verständlich sein, dass der Berechtigte ohne fremde Hilfe in der Lage ist, seine Ansprüche nach Grund und Höhe zu überprüfen (vgl. BGH NJW 1982, 573). Dass eine diesen Anforderungen genügende Abrechnung erfolgt wäre, hat der insoweit beweisbelastete Kläger nicht dargelegt.

III.

Der Anspruch des Klägers auf Entrichtung von Verzugszinsen bleibt vom Zurückbehaltungsrecht des Beklagten unberührt. Erwächst dem im Verzuge befindlichen Schuldner wegen einer nachträglich fällig gewordenen Gegenforderung aus demselben Rechtsverhältnis ein Zurückbehaltungsrecht, so reichen weder das Bestehen dieses Rechts noch seine Geltendmachung aus, um den bereits eingetretenen Verzug zu beenden. Der Schuldner muss, um den Verzug für die Zukunft zu beseitigen, Handlungen vornehmen, die eine Heilung des Verzuges herbeizuführen geeignet sind. In der Regel hat er seine Leistung Zug um Zug gegen Bewirkung der Gegenleistung anzubieten (vgl. BGH NJW 1971, 421, m.w.N.). An dieser Voraussetzung fehlt es hier.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 3 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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