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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 09.11.2004
Aktenzeichen: 27 U 61/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 533
ZPO § 533 Nr. 1
ZPO § 533 Nr. 2
Die erstmalige Aufrechnung mit einer rechtskräftig festgestellten Gegenforderung in zweiter Instanz ist dann nicht sachdienlich i.S.v. § 533 Nr. 1 ZPO, wenn die Wirksamkeit der Aufrechnung aus Gründen in Frage steht, die durch die Rechtskraft nicht bereits entschieden sind, und deshalb die Beurteilung eines völlig neuen Streitstoffs durch das Berufungsgericht erforderlich wird.
Tenor:

Das am 5. August 2004 verkündete Versäumnisurteil des Senats wird auch hinsichtlich des Klägers zu 1) aufrechterhalten.

Die Beklagte trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe: A. Die Kläger haben unstreitige Kaufpreisansprüche aus dem Verkauf ihrer Geschäftsanteile an der Fa. S GmbH (im folgenden: S.) gegen die Beklagte in Höhe der Klageforderungen. Im Streit sind jetzt noch Forderungen, mit denen die Beklagte gegenüber dem Kläger zu 1) aufgerechnet hat. Gegenüber dem Kläger zu 1) geht es dabei noch um folgendes, nachdem die Beklagte Aufrechnungen mit Forderungen fallengelassen hat, die sie gemäß Abtretungsverträgen vom 04.06.2002 und 10.09.2004 erworben haben will: Der Kläger zu 1) wurde durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 21.11.2002 (5 O 240/02) verurteilt, u.a. als Gesamtschuldner neben der Beklagten an eine Fa. C GmbH 36.486,28 EUR nebst näher bezeichneter Zinsen zu zahlen. Die Beklagte ließ sich - während des Berufungsverfahrens - einen erstrangigen Teilbetrag in Höhe von 18.000,00 EUR aus der Hauptforderung durch Abtretungsvertrag vom 26.08.2004, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird (GA 261), von Frau V abtreten. In diesem Vertrag wird erklärt, daß Frau V die titulierte Forderung am 02.12.2002 und am 10.12.2002 von der Fa. C GmbH erworben habe. Mit dieser abgetretenen Forderung rechnete die Beklagte gegenüber dem Kläger zu 1) mit Schreiben vom 26.08.2004, auf das Bezug genommen wird (GA 262), gegen die Klageforderung auf. Hilfsweise rechnet die Beklagte durch schriftliche Erklärung vom 27.09.04, die im Termin vom 28.09.04 überreicht worden ist, mit einer an sie abgetretenen Forderung des N gegen den Kläger zu 1) auf. Dieser hat eine rechtskräftig titulierte Darlehensforderung in Höhe von 199.403,83 EUR gegen den Kläger zu 1), aus der er einen erstrangigen Teilbetrag in Höhe von 18.000,00 EUR mit Vereinbarung vom 27.09.2004 (GA 273) an die Beklagte abtrat. Der Kläger zu 1) behauptet, daß er intern als Gesamtschuldner gegen die Beklagte einen Freistellungsanspruch hinsichtlich der aus dem Urteil 5 O 240/02 Landgericht Bielefeld resultierenden Forderung habe, der sich aus dem Gründungszweck der BGB-Gesellschaft ergebe, die Schuldnerin des Anspruchs gewesen sei. Hinsichtlich des am 28.09.2004 abgetretenen Darlehensrückzahlungsanspruchs habe er, der Kläger zu 1), gegen die Beklagte aus einem Erfüllungsübernahmevertrag vom 30.11.1998 einen Anspruch darauf, daß er von jeglichen Darlehensverpflichtungen aus dem zugrundeliegenden Darlehensvertrag N/F freigestellt werde. Wegen des Sach- und Streitstandes und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die in erster Instanz erhobenen Aufrechnungseinwände durchgriffen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger, die ihre erstinstanzlichen Anträge zunächst weiterverfolgt haben. Nach Berufungsrücknahme wegen eines weitergehenden Zinsantrags hat der Senat die Beklagte durch Versäumnisurteil vom 05.08.2004, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, antragsgemäß zur Zahlung von je 12.782,30 EUR an jeden der Kläger nebst näher bezeichneten Zinsen verurteilt. Hiergegen hat die Beklagte form- und fristgerecht Einspruch eingelegt. Sie hat zunächst beantragt, das Versäumnisurteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen. Sie hat dann den Einspruch gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 05.08.2004 zurückgenommen, soweit es die Klägerin zu 2) betrifft und beantragt nunmehr, das Versäumnisurteil im übrigen aufzuheben und die Berufung im übrigen zurückzuweisen. der Kläger zu 1) beantragt, das Versäumnisurteil vom 05.08.2004 aufrechtzuerhalten. Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze zweiter Instanz sowie auf die nachgelassenen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen. B. Die Berufung des Klägers zu 1) ist begründet. Seine unstreitige Forderung gegen die Beklagte ist nicht durch Aufrechnung erloschen. Die von der Beklagten zuletzt allein noch aufrechterhaltenen beiden Aufrechnungserklärungen sind nach § 533 ZPO unzulässig. Es fehlt bereits an den Voraussetzungen der Nr. 1 des § 533 ZPO. Denn der Beklagte hat erkennbar in die erstmals in zweiter Instanz erhobenen Aufrechnungserklärungen nicht eingewilligt. Zwar hat er ohne ausdrücklichen Widerspruch seinen Sachantrag gestellt. Hierin ist aber keine rügelose Verhandlung auch über die Aufrechnungserklärungen zu sehen, weil sich aus seinem Sachvortrag zugleich ergibt, daß er die Zulässigkeit der Aufrechnungen in Frage stellt. Der Senat hält die erklärten Aufrechnungen auch nicht für sachdienlich. Denn um über sie zu entscheiden, müßte der Senat einen völlig neuen Streitstoff beurteilen, was prozeßunwirtschaftlich wäre. Zwar ist in der Regel die Aufrechnung mit einer rechtskräftig festgestellten Gegenforderung sachdienlich. Dies gilt aber ausnahmsweise dann nicht, wenn die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Aufrechnung aus anderen Gründen, die durch die Rechtskraft nicht bereits entschieden sind, in Frage stehen kann. So liegt der Fall hier bezüglich beider zur Aufrechnung gestellter Forderungen. Der Umstand der Rechtskraft enthebt nämlich im vorliegenden Fall den Senat nicht von der Verpflichtung, die den Aufrechnungsforderungen zugrundeliegenden Sachverhalte aufzuklären. Hinsichtlich der in erster Linie zur Aufrechnung gestellten Forderung folgt dies daraus, daß ein Gesamtschuldner, der aus dem internen Gesamtschuldverhältnis verpflichtet ist, die Forderung letztlich zu tragen, die ihm vom Gläubiger abgetretene Forderung gegen einen anderen Gesamtschuldner, der im Verhältnis zu ihm gerade nicht zur Zahlung verpflichtet ist, nicht geltend machen darf. Denn seine Verpflichtung, den anderen Gesamtschuldner freizuhalten, konkretisiert sich in einem solchen Fall darauf, die ihm abgetretene Forderung nicht geltend zu machen. Hinsichtlich der hilfsweise geltend gemachten Aufrechnung kommt dasselbe in Betracht. Denn die Beklagte könnte aus dem vom Kläger zu 1) vorgelegten Erfüllungsübernahmevertrag vom 30.11.1998 verpflichtet sein, den Kläger von der Darlehensverbindlichkeit freizustellen. In dem Fall, dass diese Darlehensverbindlichkeit an die Beklagte abgetreten worden ist, wäre diese damit erloschen, jedenfalls aber von der Beklagten nicht durchsetzbar, weil dies gerade das Gegenteil der Freistellung bedeuten würde. Selbst wenn man eine Einwilligung des Klägers zu 1) durch rügelose Verhandlung in die Aufrechnungserklärung annähme, so fehlt es aus denselben Gründen an der zusätzlich notwendigen Voraussetzung des § 533 Nr. 2 ZPO. Denn die Aufrechnungen können nicht auf Tatsachen gestützt werden, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin zugrunde zu legen hat. Denn hierzu gehören nicht die näheren Umstände der den Aufrechnungsforderungen zugrunde liegenden Sachverhalte, die zwischen den Parteien im einzelnen streitig sind. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die von der Beklagten herangezogene Rechtsansicht, nach der eine Aufrechnung in zweiter Instanz mit einer rechtskräftig festgestellten Gegenforderung unproblematisch zulässig sei, betrifft nur den (Regel-)Fall, daß die Rechtskraft auch zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits wirkt. Vorliegend kommen dagegen die oben genannten Umstände, die erst durch die nachträglichen Abtretungen an die Beklagte relevant werden, als Einwände in Betracht, die die Wirksamkeit der Aufrechnungen hindern können.

Ende der Entscheidung

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