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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 28.10.2003
Aktenzeichen: 27 U 85/03
Rechtsgebiete: InsO, GmbHG, KO, AnfG


Vorschriften:

InsO § 135
InsO § 135 Nr. 1
InsO § 135 Nr. 2
InsO § 139
GmbHG § 30
GmbHG § 31
GmbHG § 32 a
GmbHG § 32 b
GmbHG § 32 b Abs. 2
KO § 32 a
KO § 32 a S. 2
AnfG § 3 b S. 2
Die Vorschrift des § 135 Nr. 2 InsO begründet die unwiderlegliche Vermutung, dass ein Darlehen, das bei seiner Hergabe Eigenkapital ersetzenden Charakter hatte, diese Funktion auch noch im Zeitpunkt der Rückzahlung hatte, wenn es innerhalb eines Jahres nach diesem Zeitpunkt zum Insolvenzantrag gekommen ist.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 5. März 2003 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Hagen wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in derselben Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

A. Der Kläger begehrt von der Beklagten, gestützt auf § 135 Nr. 2 InsO und §§ 30,31 GmbHG die Erstattung von am 7.3. und 5.5.1999 erfolgten Teilrückzahlungen auf ein Darlehen, das die Beklagte der Schuldnerin im Jahre 1988 in Höhe von ca. 4,5 Mio. DM gewährt und das zu dieser Zeit unstreitig Eigenkapital ersetzenden Charakter gehabt hatte.

Die Beklagte hat eingewandt, der ursprüngliche Eigenkapital ersetzende Charakter sei mit einer Kapitalerhöhung im Jahre 1997 entfallen. Eine neuerliche Krise sei bei der Schuldnerin, die am 7.3.2000 Insolvenzantrag stellte, erst in der zweiten Jahreshälfte 1999 eingetreten.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Der Eigenkapital ersetzende Charakter des Darlehens sei zu keinem Zeitpunkt entfallen, insbesondere nicht durch die Kapitalerhöhung im Jahre 1997. Die Gesellschaft habe einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von ca. 3 Mio. DM ausgewiesen und die gebotene Zuführung neuen Stammkapitals habe entgegen dem grob fehlerhaften Sacheinlagebericht nicht durch das Gesellschafterdarlehen der Beklagten bewerkstelligt werden können. Eine Entsperrung des Darlehens habe nicht stattgefunden und andere Anhaltspunkte für eine Beendigung der Krise seien nicht vorgetragen. Im Übrigen sei eine neuerliche Krise auch nicht erst in der zweiten Jahreshälfte 1999 aufgetreten. Der Klageanspruch folge damit aus § 135 InsO i.V.m. § 32 b GmbHG und ebenso aus §§ 30, 31 GmbHG.

Gegen dieses Urteil, auf das wegen weiterer Einzelheiten seiner Begründung sowie des Sach- und Streitstands bis zum Abschluss der ersten Instanz Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie weiterhin Klageabweisung begehrt.

Sie behauptet, der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag sei ab 1991 kontinuierlich zurückgeführt worden und nach Durchführung der Kapitalerhöhung habe die jeweilige Bilanz wieder einen positiven Kapitalbestand ausgewiesen (Übersicht Bl. 98 GA). Es könne keine Rede davon sein, dass die bei Darlehensgewährung im Jahre 1988 bestehende Krise bis in das Jahr 1999 angehalten hätte. Es habe sich vielmehr bis zur zweiten Jahreshälfte 1999 um ein gesundes Unternehmen gehandelt, das kontinuierlich Gewinne erwirtschaftet habe und von den Gesellschaftern mit ausreichenden Eigenmitteln ausgestattet gewesen sei.

Die zuvor bilanziell ausgewiesene rechnerische Überschuldung sei mit der Kapitalerhöhung gemäß Beschluss vom 11.6.1997 beseitigt worden. Das zu dieser Zeit mit 2.904.685,70 DM valutierende Gesellschafterdarlehen sei in Höhe von 1.711.165,03 DM zur Kapitalerhöhung geeignet gewesen, da auf der anderen Seite ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag von 693.520,67 DM und das aufgezehrte Stammkapital von 500.000 DM gestanden hätten (s. Sacheinlagebericht Anlage K 8).

Da das Geschäftsjahr 1999 zunächst sehr gut verlaufen sei, hätten sich für die Gesellschafter im Zeitpunkt der hier in Rede stehenden Auszahlungen keine Zweifel an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Schuldnerin ergeben. Von einer Krise habe nicht ausgegangen werden können. Die erheblichen Probleme seien erst im zweiten Halbjahr aufgetreten.

Die Beklagte meint, das Landgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen darauf hinzuweisen, dass es die Kapitalerhöhung als nicht wirksam durchgeführt ansehen wolle; dies habe nicht einmal der Kläger geltend gemacht.

Die Feststellung der Kammer, dass der nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbetrag zum Zeitpunkt der Kapitalerhöhung bei rd. 3 Mio. DM gelegen habe, sei zudem grob falsch. Dieser habe, wie sich aus der Bilanz ergebe, per 31.12.1996 nur knapp 700.000 DM betragen, so dass der im Sachgründungsbericht ausgewiesene Teilbetrag für eine Umwandlung des Darlehens in Nominalkapital frei gewesen sei. Ein werthaltiger nicht durch Eigenkapitalersatz verhafteter Teil des Darlehens sei als Einlage in die Gesellschaft eingebracht worden. Mit der Beseitigung der rechnerischen Überschuldung sei die Krise der Schuldnerin endgültig beseitigt worden. Damit sei der verbleibende Rest des Darlehens entsperrt und zur Rückzahlung frei geworden.

Hinsichtlich der neuen Krise in der zweiten Jahreshälfte 1999 habe die Kammer die Vorhersehbarkeit der maßgeblichen Umstände verkannt.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

Er meint, es komme auf die von der Beklagten dargelegte wirtschaftliche Entwicklung der Schuldnerin nicht an, weil die Jahresfrist der §§ 32 a GmbHG, 32 a S. 2 KO, 3 b S. 2 AnfG nach BGH NJW 1984, 1891, 1893 eine unwiderlegbare Vermutung begründe, dass ein Darlehen, das bei Hergabe Eigenkapital ersetzend sei, diese Funktion auch noch im Zeitpunkt der Rückzahlung habe, wenn es innerhalb eines Jahres danach zur Konkurseröffnung oder zur Anfechtung komme. Diese zur KO ergangene Rechtsprechung müsse auch für § 135 InsO gelten. Im Übrigen erwidert er wie folgt:

Die Krise der Schuldnerin sei nie beendet worden; tatsächlich habe sie nie über ihr nominales Stammkapital verfügen können. Zu Recht sei das Landgericht von einer lediglich nominellen Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin durch die "Kapitalerhöhung" und von deren Unwirksamkeit ausgegangen.

Den angeblich im Mai 1999 erwirtschafteten Überschuss, der auch für eine Darlehensrückzahlung im März nicht ursächlich gewesen sein könne, bestreitet der Kläger. Ebenso bestreitet er die Richtigkeit der von der Beklagten vorgelegten Erfolgsrechnungen, deren Zahlen seltsam anmuteten und auf eine Achterbahnfahrt der wirtschaftlichen Entwicklung, aber nicht auf Kontinuität hindeuteten.

Die Beklagte habe wegen der Entwicklung des Dollarkurses spätestens im Februar, jedenfalls aber Ende April 1999 gewusst, dass die von ihr 6 bis 9 Monate vorher angestellte Kalkulation unausweichlich eine gravierende wirtschaftliche Schieflage zur Folge haben werde. Mithin habe sie im Zeitpunkt der Auszahlungen auch gewusst, dass die Schuldnerin 1999 allein wegen des Anstiegs des Dollarkurses erhebliche Verluste erwirtschaften würde. Der behauptete Anstieg der Frachtkostenquote und das unsubstanziierte Vorbringen zum Gewährleistungsfall würden bestritten.

Nach alledem sei die Krise der Schuldnerin nicht beendet und das Darlehen nicht entsperrt worden.

B. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der geltend gemachte Klageanspruch folgt zumindest aus § 135 Nr. 2 InsO.

I. Die Jahresfrist dieser Vorschrift ist auch für die Zahlung vom 7.3.1999 eingehalten, da nach den Regeln des § 139 InsO zur Fristberechnung Fristbeginn der jeweilige Anfang des Tages ist. Somit liegt die Zahlung noch im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag vom 7.3.2000.

II. Dass es sich bei den Zahlungen der Schuldnerin auf das Darlehen vom 7.3. und 5.5.2000 um die Befriedigung einer Forderung der Beklagten auf Rückgewähr eines Kapital ersetzenden Darlehens i.S.v. § 135 Nr. 2 InsO handelte, steht schon deshalb unwiderleglich fest, weil das Darlehen bei seiner Hergabe durch die Beklagte unstreitig in voller Höhe Eigenkapital ersetzend war. Der Senat folgt insoweit der entsprechenden Rechtsprechung des BGH zu den Vorschriften der §§ 32 b GmbHG, 32 a S. 2 KO, 3 b S. 2 AnfG (a.F.) (BGH NJW 1984, 1891, 1893) und überträgt diese auf § 135 Nr. 2 InsO (ebenso wohl MüKo-Stodolkowitz, § 135 InsO Rn 59; a.A. u.a. Scholz/K.Schmidt, §§ 32 a, b GmbHG Rn 54).

Entgegen der schriftsätzlich geäußerten Auffassung der Beklagten ist die vom BGH bejahte unwiderlegliche Vermutung nicht davon abhängig, dass das Darlehen seine Kapital ersetzende Funktion nicht vor Beginn der Jahresfrist durch Entsperrung verloren hatte. Der BGH hat die Vermutung, gestützt auf die Begründung zum Regierungsentwurf zu § 32 b Abs. 2 GmbHG (BT-Drucksache 8/1347; S. 40 f.), eindeutig alleine an die Kapital ersetzende Funktion im Zeitpunkt der Hergabe des Darlehens geknüpft. Müsste geprüft werden, ob das Darlehen zwischenzeitlich entsperrt worden ist, so würde damit die aus dem Wortlaut des Gesetzes folgende Vermutung (§ 32 a GmbHG), deren Sinn gerade darin besteht, diese Prüfung auszuschließen, entwertet.

Durchschlagende Argumente gegen die Übertragung der BGH-Rechtsprechung zu § 32 a KO auf § 135 Nr. 2 InsO sieht der Senat nicht, da nichts dafür spricht, dass mit der Einführung der Insolvenzordnung die Stellung der externen Gesellschaftsgläubiger insofern verschlechtert werden sollte.

Denn während der Gesellschafter im Rahmen der analogen Anwendung der §§ 30, 31 GmbHG aufgrund der sog. Rechtsprechungsregeln, die neben den §§ 32 a, 32 b GmbHG weiterhin Anwendung finden (vgl. zum Ganzen Uhlenbruck/Hirte, § 135 InsO Rn 2 ff. und hier insbesondere Rn 5), die Möglichkeit hat darzulegen und zu beweisen, dass eine einmal eingetretene Eigenkapital ersetzende Wirkung seiner Leistung nicht ununterbrochen fortbestanden hat (vgl. BGH NJW 1988, 139), hat der BGH dies für die oben zitierten Vorschriften gerade verneint, und § 135 InsO zählt wie sein Vorgänger § 32 a KO zu den sog. Novellenregeln, so dass eine abweichende Behandlung zumindest für die hier anzuwendende Vorschrift des § 135 Nr. 2 InsO nicht geboten erscheint. Ob das auch für § 135 Nr. 1 InsO gilt, nachdem hier nunmehr eine verlängerte Frist von 10 Jahren vorgesehen ist (vgl. dazu Wilken, ZIP 1996, 61, 63), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Des Weiteren gebietet auch der Umstand, dass es für die Fristberechnung nach der InsO nicht mehr auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, sondern auf den der Stellung des Insolvenzantrags ankommt, keine abweichende Bewertung, weil die dadurch im Einzelfall mögliche deutliche Vorverlagerung der Vermutungswirkung (vgl. Kübler/Prütting - Paulus, § 135 InsO Rn 29; Uhlenbruck/Hirte, § 135 InsO Rn 38) gerade vom Gesetzgeber beabsichtigt worden sein dürfte.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen, weil die Frage, ob im Rahmen von § 135 InsO der Beweis zulässig ist, dass ein im Zeitpunkt der Hergabe Kapital ersetzendes Darlehen zwischenzeitlich aufgrund einer nachhaltigen Beseitigung der Krise "entsperrt" worden ist, in einer Vielzahl von Fällen entscheidungserheblich sein kann, und diese Frage im Hinblick darauf, dass der BGH die hiergegen sprechende unwiderlegliche Vermutung lediglich in einem obiter dictum im Jahre 1984 ausgesprochen hat, und die Anwendbarkeit dieses in der Literatur vielfach kritisierten Grundsatzes unter Geltung der InsO noch gar nicht höchstrichterlich entschieden worden ist, nach wie vor grundsätzlich klärungsbedürftig erscheint.

Ende der Entscheidung

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