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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: 27 W 77/06
Rechtsgebiete: ZPO, KO


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 116
ZPO § 116 S. 1 Nr. 1
KO § 61 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 11.09.2006 in Gestalt der Nichtabhilfeentscheidung vom 06.11.2006 aufgehoben.

Die Sache wird an das Landgericht zur erneuten Entscheidung mit der Maßgabe zurückverwiesen, den Antrag nicht wegen fehlender Bedürftigkeit des Klägers zurückzuweisen.

Gründe:

I.

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

Die Voraussetzungen des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO, unter denen einem Insolvenzverwalter Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, liegen vor. Aus den glaubhaften Darlegungen des Antragstellers ergibt sich, dass die Kosten der Prozessführung aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können.

Ebenso ist den wirtschaftlich Beteiligten die Aufbringung eines Prozesskostenvorschusses nicht zuzumuten. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (z.B. ZIP 2005, 1711), ist für die Frage der Zumutbarkeit nicht abstrakt auf die infolge der Prozessführung zu erwartende Quote abzustellen, sondern es ist der vom Gläubiger zur Ermöglichung einer Prozessführung zu leistende Vorschuss dem Betrag gegenüberzustellen, den er bei erfolgreicher Prozessführung voraussichtlich (zusätzlich) erwarten kann.

1. Die Höhe des vom einzelnen Gläubiger zu leistenden Vorschusses hängt neben dem Streitwert der Klage vor allem davon ab, wie viele Gläubiger zur Deckung der Prozesskosten herangezogen werden können. Neben den Gläubigern, die bei eigener Prozessführung selbst Prozesskostenhilfe beanspruchen könnten, den Massegläubigern, den Trägern der Sozialverwaltung sowie vielfach den Arbeitnehmern (vgl. BGH a.a.O.) scheiden insoweit vor allem die sog. Kleingläubiger aus. Denn einerseits können von diesen Vorschüsse nicht erwartet werden, weil sie auch bei erfolgreicher Prozessführung nur mit relativ geringfügigen Erlösen rechnen können, und andererseits wird der Insolvenzverwalter zur Akquirierung der benötigten Vorschüsse regelmäßig nur dann in der Lage sein, wenn er es insoweit mit einem überschaubaren Kreis von Gläubigern zu tun hat. Der Senat geht deshalb davon aus, dass nur solche Insolvenzgläubiger zu Vorschüssen herangezogen werden können, die an der Gesamtsumme der festgestellten Insolvenzforderungen selbst jeweils mit mindestens 5 % beteiligt sind. Der Kreis der potenziell vorschusspflichtigen Gläubiger beschränkt sich damit theoretisch auf höchstens 20. In der Praxis liegt er nach den Erfahrungen des Senats dann aber in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle deutlich unter zehn.

2. Bei der Ermittlung des Betrages, um den sich die Befriedigungsaussichten für den einzelnen Gläubiger voraussichtlich verbessern, ist zunächst davon auszugehen, dass sich die Verteilungsmasse um den vollen im Erfolgsfalle zu titulierenden Betrag erhöht, soweit nicht dieser zunächst ganz oder teilweise zur Beseitigung einer Unterdeckung der Masse herangezogen werden muss. Hierbei ist zugrunde gelegt, dass der im Rechtsstreit erstrittene Betrag im Regelfall auch realisiert werden kann. Legt der Insolvenzverwalter allerdings im Einzelfall substanziiert und nachvollziehbar dar, dass mit (vollständiger) Realisierung der zu titulierenden Forderung selbst im Falle einer Vollstreckung nicht zu rechnen ist, so ist dieses Risiko wirtschaftlich zu bewerten und ein entsprechender Abschlag vom Nominalbetrag der Forderung vorzunehmen.

Sodann ist für die weitere Berechnung im Grundsatz davon auszugehen, dass die Masse nach Abzug der vorweg zu befriedigenden Forderungen auf die festgestellten Insolvenzforderungen verteilt wird. Jedoch können auch insoweit weitere Darlegungen des Insolvenzverwalters im Einzelfall dazu führen, dass angemeldete, aber nicht festgestellte Forderungen ganz oder teilweise berücksichtigt werden, insbesondere wenn diese noch gar nicht geprüft oder vom Insolvenzverwalter zwar bestritten, aber bereits gegen die Masse eingeklagt sind. Umgekehrt können Forderungen, die nur für den Ausfall festgestellt sind (§ 52 S. 2 InsO), bei entsprechender Darlegung, dass sie voraussichtlich bei der Verteilung nicht (in voller Höhe) teilnehmen werden, im Einzelfall ganz oder teilweise unberücksichtigt bleiben.

3. Zur Beantwortung der Frage, in welcher Höhe den Gläubigern, deren Befriedigungsaussichten sich durch den Prozess verbessern, ein Vorschuss zuzumuten ist, sind zwar der Verbesserungsbetrag und der zu leistender Vorschuss einander gegenüber zu stellen. Jedoch kann insoweit keine feste Quote gebildet werden. Denn es kommt auch auf die absolute Höhe des zu leistenden Vorschusses an. Der Gesetzgeber hat durch die degressive Staffelung der Gebührentabellen im GKG und RVG verdeutlicht, dass auch das absolute Kostenrisiko gerade bei hohen Werten relativiert werden soll. Je höher die verfolgte Forderung ist, um so geringer ist relativ dazu der für die Rechtsverfolgung aufzubringende Betrag. Diese Wertung ist im Rahmen von § 116 ZPO auf die Frage der Zumutbarkeit eines Prozesskostenvorschusses durch die Gläubiger zu übertragen, weil es für einen Insolvenzgläubiger, dem nach dieser Vorschrift die Prozessfinanzierung obliegen soll, nicht zumutbar ist, schlechter zu stehen als derjenige, der selbst eine eigene Forderung verfolgt.

Aus diesem Grund ist für die Zumutbarkeitsprüfung darauf abzustellen, in welcher Höhe der Gläubiger Vorschüsse aufbringen müsste, wenn er den nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelten Betrag, um den sich seine Befriedigungsaussichten verbessern, selbst in einem Rechtsstreit einklagen würde. Dafür sind in erster Instanz 2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und Umsatzsteuer sowie 3,0 Gerichtsgebühren erforderlich.

Allerdings ist das Kostenrisiko eines Klägers in einem von ihm selbst geführten Rechtsstreit noch deutlich höher, weil er nicht nur die Vorschüsse für seinen Anwalt und das Gericht aufzubringen hat, sondern darüber hinaus bei ungünstigem Prozessausgang auch noch Kostenerstattungsansprüchen der Gegenseite ausgesetzt ist. Diese Gefahr droht dem Gläubiger, der einen Prozess des Insolvenzverwalters finanziert, nicht, weil sich etwaige Kostenerstattungsansprüche des Gegners nicht gegen ihn, sondern allein gegen die Insolvenzmasse richten.

Gleichwohl erachtet es der Senat für angemessen, das Kostenrisiko des Insolvenzgläubigers auf einen Vorschuss in vorgenannter Höhe zu beschränken. Denn der Insolvenzgläubiger kann die Erfolgschancen der Verbesserung seiner Insolvenzquote aufgrund eines vom Insolvenzverwalter zu führenden Prozesses im Regelfall weitaus schlechter einschätzen als der Kläger, der eine eigene Forderung einklagt, die Erfolgsaussichten eines solchen Rechtsstreits. Er hat nämlich vielfach weder einen Einblick in die tatsächlichen und rechtlichen Risiken der Rechtsverfolgung noch in die Vollstreckungsaussichten gegen den jeweiligen Schuldner noch in die Zuverlässigkeit der Prognose der zu erwartenden Insolvenzquote, weil nachträgliche Forderungsanmeldungen erfolgen oder vom Insolvenzverwalter zunächst bestrittene Forderungen sich später als berechtigt erweisen können. All dies wird dazu führen, dass er im Vergleich zur Lage bei der Verfolgung einer eigenen Forderung in berechtigter Weise nur in geringerem Maße zur Eingehung eines Kostenrisikos bereit ist.

4.

Im vorliegenden Fall sind fünf Einzelgläubiger mit einem Betrag von mindestens 5% der festgestellten Forderungen von 211.069,92 EUR am Insolvenzverfahren beteiligt:

a) H eG (für den Ausfall) 59.221,50 EUR = 28,1 %

(Tabelle Nr. 1)

b) H2 GmbH 43.927,32 EUR = 20,8 %

(Tabelle Nr. 3)

c) T GmbH 34.648,18 EUR = 16,4 %

(Tabelle Nr. 18)

d) Land Nordrhein-Westfalen (FA L) 16.983,46 EUR = 8,0 %

(Tabelle Nr. 21)

e) Agentur für Arbeit 11.810,96 EUR = 5,6 %

(Tabelle Nr. 16)

Davon bleibt die Bundesagentur für Arbeit als Sozialleistungsträger im Weiteren außer Betracht.

Dem gegenüber ist die Privilegierung der Finanzbehörden, die der Bundesgerichtshof (NJW 1994, 3170) mit einer Parallelwertung zu § 61 Abs. 1 Nr. 2 der Konkursordnung alter Fassung begründet hatte, unter Geltung der neuen Insolvenzordnung nicht aufrecht zu halten.

Auch die C eG ist nicht von der Vorschusspflicht auszunehmen. Zwar ist ihre Forderung nur für den Ausfall festgestellt. Um die Volksbank von der Vorschusspflicht als befreit anzusehen, müsste jedoch dargelegt werden, dass ihr Absonderungsrecht hinreichend werthaltig ist, um das Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits weitgehend entfallen zu lassen. An einer solchen Darlegung fehlt es.

5.

Als Erlöserwartung ist von einem Klagebetrag in Höhe von 18.961,60 EUR auszugehen. Von den erlösten 18.961,60 EUR kämen nach Abzug der Masseunterdeckung von 14.193,60 EUR insgesamt 4.768,00 EUR zur Verteilung. Dies geteilt durch die zur Tabelle festgestellten Forderungen von inzwischen 211.069,92 EUR ergibt eine Quote von rund 2,3%.

Damit könnten die vier verbleibenden Gläubiger aufgrund der Prozessführung folgende Beträge erwarten:

a) H eG 1.362,09 EUR

b) H2 GmbH 1.010,33 EUR

c) T GmbH 796,91 EUR

d) Land Nordrhein-Westfalen (FA L) 390,62 EUR

Diesen Gläubigern wäre grundsätzlich zuzumuten, jeweils folgende Beträge aufzubringen:

 a) H eG522,70 EUR
(2,5 Rechtsanwaltsgebühren zuzüglich Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 1.500 EUR) 
b) H2 GmbH434,70 EUR
(2,5 Rechtsanwaltsgebühren zuzüglich Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 1.200 EUR) 
c) T GmbH346,70 EUR
(2,5 Rechtsanwaltsgebühren zuzüglich Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 900 EUR) 
d) Land Nordrhein-Westfalen (FA L)284,80 EUR
(2,5 Rechtsanwaltsgebühren zuzüglich Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 600 EUR) 
 1.588,90 EUR.

6.

Den vier aufgeführten Gläubigern ist die Einzahlung eines ihrer Erlöserwartung entsprechenden Vorschusses zuzumuten. Dadurch ergeben sich zumutbare Vorschussleistungen der Gläubiger in Höhe von insgesamt 1.588,90 EUR. Diesem zumutbaren Vorschussbetrag steht ein Vorschussbedarf von 3.251 EUR gegenüber, der sich aus 795,- EUR Gerichtskostenvorschuss und weiteren 2.456 EUR eigener Rechtsanwaltskosten (einschl. Postpauschale) nach einem Streitwert von bis zu 19.000 EUR zusammensetzt. Die zumutbaren Vorschusszahlungen der Gläubiger genügen somit nicht, um den Rechtsstreit vorzufinanzieren.

Daraus folgt die Bedürftigkeit der Insolvenzmasse im Sinne des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO.

II.

Zur Entscheidung darüber, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, ist die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen. Die Voraussetzungen, unter denen der Senat selbst über die Erfolgsaussichten entscheiden könnte, liegen schon deshalb nicht vor, weil der Prozesskostenhilfeantrag bisher nicht der Gegenseite zur Stellungnahme übersandt wurde. Es ist auch nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, das komplette Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren hinsichtlich der Erfolgsaussicht einzuleiten und nachzuholen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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