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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.01.2002
Aktenzeichen: 3 Ss 1124/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140
StPO § 338
Dem Angeklagten ist auch dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn er zwar nur zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt worden ist, ihm wegen der erneuten Straftat jedoch mit dem Widerruf der bedingten Aussetzung einer neunmonatigen Freiheitsstrafe droht.
Beschluss Srafsache

gegen H.A.

wegen Urkundenfälschung u. a.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 05. Juli 2001 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 01. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gelsenkirchen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Verstoßes gegen §§ 1, 6, des Pflichtversicherungsgesetzes zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt und die Verwaltungsbehörde zugleich angewiesen, ihm vor Ablauf von 2 Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Zu den strafrechtlichen Vorbelastungen des Angeklagten und zur Sache hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:

"Strafrechtlich ist der Angeklagte bereits des öfteren in Erscheinung getreten. Sein Bundeszentralregisterauszug weist insgesamt 15 Eintragungen auf. Zuletzt wurde er am 10.05.1999 vom Amtsgericht Dortmund (83 Cs 22 Js 441/99) wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,00 DM verurteilt. Hieran schloß sich eine Verurteilung des Amtsgerichts Dortmund vom 09.06.1999 (83 Ds 5 Js 167/99) wegen Betruges in 17 Fällen an, für die der Angeklagte mit einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung für die Dauer von 3 Jahren belegt wurde. Die Bewährungszeit wurde bis zum 08.06.2003 verlängert.

Schließlich wurde der Angeklagte noch am 06.01.2000 durch das Amtsgericht Dortmund (88 Cs 5 Js 659/99) wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15,00 DM verurteilt.

Vorstehende Feststellungen beruhen auf den Angaben des Angeklagten zur Person sowie dem Bundeszentralregisterauszug vom 06.04.2001, der vorlag und Gegenstand der Hauptverhandlung war.

In der Sache hat das Gericht folgende Feststellungen getroffen:

Nur knapp 2 Wochen nach der letzten Verurteilung des Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit Urkundenfälschung befuhr der Angeklagte am 27.01.2000 gegen 1.30 Uhr erneut mit einem Kraftfahrzeug öffentliche Straßen, obwohl er nicht im Besitz der dazu erforderlichen Fahrerlaubnis war der Angeklagte die gefälschten Kennzeichen am Fahrzeug angebracht, um vorzutäuschen, es handele sich um ein ordnungsgemäß zum Straßenverkehr zugelassenes Kraftfahrzeug."

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat keinen Antrag gestellt.

II.

Die Revision des Angeklagten hat mit der ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge Erfolg, dass die Hauptverhandlung nicht ohne die Mitwirkung eines Verteidigers hätte durchgeführt werden dürfen.

Ein Urteil ist nach § 338 Nr. 5 StPO stets als auf einer Verletzung des Gesetzes anzusehen, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Das Gesetz schreibt die Anwesenheit eines Verteidigers vor, in dem es dessen Mitwirkung unter bestimmten Voraussetzungen für notwendig erklärt. Hier liegt ein Fall notwendiger Verteidigung gemäß nach § 140 Abs. 2 StPO vor. Danach bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger unter anderem dann, wenn wegen der Schwere der Tat die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Schwere der Tat ist im Hinblick auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift maßgeblich aus der Interessenlage des Angeklagten heraus zu beurteilen und bestimmt sich deswegen anerkanntermaßen in erster Linie nach dem Gewicht der im Einzelfall in Betracht kommenden Rechtsfolgen (Kleinknecht/Meyer-Goßner, 45. Auflage, § 140 StPO Randnummer 23 m. w. N.). Darüber, ab welcher Strafhöhe der Rechtsbegriff der Tatschwere als erfüllt anzusehen ist, gehen die Meinungen auseinander. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist jedoch dann stets ein Verteidiger beizuordnen, wenn dem Angeklagten eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung droht (vgl. OLG Hamm STV 1993, 180). Im vorliegenden Fall ist der Angeklagte zwar nur zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden, doch ist zu berücksichtigen, dass er wegen dieser erneuten Straftat mit dem Widerruf der bedingten Aussetzung der wegen Betruges verhängten neunmonatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 09. Juni 1999 rechnen muss (vgl. § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB) und deswegen Freiheitsstrafen von insgesamt 16 Monaten zu erwarten hat.

Da die Hauptverhandlung ohne Verteidiger stattgefunden hat, ist unwiderlegbar zu vermuten, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler beruht (§ 338 Nr. 5 StPO). Es konnte daher dahinstehen, ob die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen - insbesondere auch hinsichtlich Zeit und Ort der Tatbegehung - die erfolgte Verurteilung tragen.

Das Urteil war mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gelsenkirchen zurückzuverweisen (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO), die auch über die Kosten der Revision zu befinden hat, da der Erfolg im Sinne des § 473 StPO noch nicht feststeht.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass zu überprüfen sein wird, ob die angeklagte Tat am 27. Januar 2000 oder am 27. Januar 2001 stattgefunden hat.

Ende der Entscheidung

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