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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.09.2006
Aktenzeichen: 3 Ss 230/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 318
Zur Wirksamkeit der Berufungsbeschränung durch den Pflichtverteidiger.
Beschluss

Strafsache

gegen B.S.

wegen Körperverletzung

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der VII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 01.03.2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 09. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte (§ 473 Abs. 1 StPO).

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 27.06.2005 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Durch Schriftsatz seines Verteidigers, Rechtsanwalt S. aus S., der dem Angeklagten durch Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 30.12.2004 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war, hat der Angeklagte gegen das vorgenannte Urteil, das seinem Verteidiger am 11.07.2005 zugestellt worden ist, Rechtsmittel eingelegt. In dem ersten Berufungshauptverhandlungstermin am 16.11.2005 vor der VII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld erging die Anordnung des Vorsitzenden, dass die Hauptverhandlung vertagt und neuer Termin von Amts wegen bestimmt werde. Mit Schreiben vom 08.12.2005 fragte der Strafkammervorsitzende bei dem Verteidiger des Angeklagten im Hinblick auf die Erörterung im Termin vom 16.11.2005 an, ob die Berufung auf das Strafmaß beschränkt werden solle und bat um eine Mitteilung bis zum 20.12.2005. Mit Schriftsatz vom 29.12.2005, der am selben Tag beim Landgericht Bielefeld einging, teilte der Verteidiger des Angeklagten mit, dass die Berufung auf das Strafmaß beschränkt werden solle. Die Strafkammer hat die Berufungsbeschränkung als wirksam erachtet und unter Verwerfung der Berufung im Übrigen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 27.06.2005 dahingehend abgeändert, dass die verhängte Freiheitsstrafe auf vier Monate herabgesetzt wird.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die allgemeine Sachrüge erhoben worden ist.

II.

Die Revision hat in der Sache keinen Erfolg. Sie war entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Anlass zur Erörterung besteht nur hinsichtlich der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf das Strafmaß. Auf die zulässige Revision hat das Revisionsgericht von Amts wegen, unabhängig von einer sachlichen Beschwer des Revisionsführers und ohne eine Bindung an die rechtliche Beurteilung durch den Tatrichter zu prüfen, ob das Berufungsgericht über alle Bestandteile des ersten Urteils entschieden hat, die von der Berufung erfasst wurden, insbesondere, ob die Berufungsbeschränkung, von der das Berufungsgericht ausgegangen ist, wirksam war (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 352 Randnummern 3 u. 4 m.w.N.).

Bei der hier erfolgten Berufungsbeschränkung mit Schriftsatz des Pflichtverteidigers des Angeklagten vom 29.12.2005 handelte es sich nicht nur um eine Konkretisierung des Rechtsmittels, sondern um eine Teilrücknahme, für die der Verteidiger gemäß § 302 Abs. 2 StPO einer ausdrücklichen Ermächtigung bedurfte. Sie wäre nur dann nicht erforderlich gewesen, wenn die Beschränkung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nach § 317 StPO erfolgt wäre. In diesem Fall würde es sich bei der Rechtsmittelbeschränkung nämlich nicht um eine Teilrücknahme, sondern lediglich um eine nicht den Anforderungen des § 302 Abs. 2 StPO unterliegende Konkretisierung des Rechtsmittels handeln (vgl. BGHSt 38, 4; OLG Hamm, Beschluss des 1. Strafsenats vom 17.05.2005 - 1 Ss 62/05 -; OLG Koblenz NStZ-RR 2001, 247 m.w.N.).

Die einwöchige Frist zur Begründung der Berufung gemäß § 317 StPO endete hier, da dem Verteidiger des Angeklagten das amtsgerichtliche Urteil am 11.07.2005 zugestellt worden war, am 18.07.2005. Erst nach Ablauf dieser Frist ist die Rechtsmittelbeschränkung erklärt worden und daher als Teilrücknahme aufzufassen.

Die in Form der Teilrücknahme erfolgte Beschränkung der Berufung war hier wirksam, da die dafür erforderliche Ermächtigung des Verteidigers des Angeklagten gemäß § 302 Abs. 2 StPO vorgelegen hatte, wie der Senat im Freibeweisverfahren festgestellt hat. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt S., hat mit Schreiben vom 29.08.2006 mitgeteilt, dass der Angeklagte mündlich der Beschränkung zugestimmt habe. Des weiteren hat er ausgeführt, bereits vor der Rechtsmittelbeschränkung vom 29.12.2005 habe er - der Verteidiger - den Angeklagten aufgesucht und dessen diesbezügliche Weisung entgegen genommen. Eine entsprechende Notiz habe er der Originalakte entnommen. Daraus ergebe sich auch, dass die Rechtsmittelbeschränkung noch am Verhandlungstage mit Hilfe der damals anwesenden Dolmetscherin K. mit dem Angeklagten erörtert worden sei und abermals dessen Zustimmung gefunden habe.

Der Senat hat keinen Anlass gesehen, diesen Angaben, die der Verteidiger des Angeklagten anwaltlich versichert hat, keinen Glauben zu schenken. Soweit Rechtsanwalt S. zunächst auf telefonische Anfrage mitgeteilt hatte, er sei zu einer Teilrücknahme der Berufung nicht ausdrücklich von dem Angeklagten ermächtigt worden, handelte es sich um ein Missverständnis, da diese Angabe sich nur auf das Fehlen einer schriftlichen Ermächtigung, die nicht Wirksamkeitsvoraussetzung ist, bezog.

Ergänzend ist anzumerken, dass soweit Rechtsanwalt S., der ursprünglich als Wahlverteidiger für den Angeklagten tätig gewesen war, in dem von dem Angeklagten am 21.10.2004 unterzeichneten Vollmachtsformular bevollmächtigt worden war, Rechtsmittel einzulegen, zurückzunehmen und auf solche zu verzichten, sich daraus keine Ermächtigung für die teilweise Rücknahme der Berufung herleiten ließ. Denn die Ermächtigung gemäß § 302 Abs. 2 StPO muss sich auf ein bestimmtes Rechtsmittel beziehen. Deshalb kann die bei der Übernahme des Mandats im Rahmen der Vollmachtserteilung erteilte allgemeine Ermächtigung zur Rücknahme von Rechtsmitteln nicht als eine solche ausdrückliche Ermächtigung angesehen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 02.08.2000 - 3 StR 284/00 -, veröffentlicht in www.hrr-strafrecht.de). Abgesehen davon war die erteilte allgemeine Strafprozessvollmacht mit der Niederlegung des Wahlmandats im Zusammenhang mit der Pflichtverteidigerbestellung erloschen (vgl. BGH NStZ 1991, 94).

Die in der nachträglichen Berufungsbeschränkung liegende Teilrücknahme des Rechtsmittels bedurfte im vorliegenden Verfahren außerdem zu ihrer Wirksamkeit gemäß § 303 StPO der Zustimmung der Staatsanwaltschaft, da sie nach Beginn der Hauptverhandlung erfolgt ist. Das Zustimmungserfordernis ist auch nicht deshalb wieder entfallen, weil im ersten Hauptverhandlungstermin am 16.11.2005 die Hauptverhandlung vertagt worden ist. Denn die Beschränkung des § 303 StPO tritt mit Beginn der ersten Hauptverhandlung endgültig für das gesamte Verfahren ein. Wird sie ausgesetzt, so lebt daher die Befugnis des Beschwerdeführers, über sein Rechtsmittel allein zu verfügen, nicht wieder auf (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 303 Rdnr. 2 m.w.N.). Eine entsprechende Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft lässt sich hier weder aus den Akten noch aus der Sitzungsniederschrift am 01.03.2006 entnehmen. Allerdings gilt insoweit nicht die negative Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 303 Rdnr. 6), so dass die Frage der Zustimmung durch den Senat im Freibeweisverfahren zu klären war. Oberstaatsanwalt R., der als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft am 11.03.2006 an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, hat zwar auf entsprechende Anfrage des Senates in seiner dienstlichen Äußerung vom 09.08.2006 erklärt, dass er an den Gang der Berufungshauptverhandlung vom 11.03.2006 keine sichere Erinnerung mehr habe. Aufgrund der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 04.09.2006 steht aber zur Überzeugung des Senats fest, dass die Staatsanwaltschaft der Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch und damit der teilweisen Rücknahme der Berufung zugestimmt hat. Nach dem Inhalt der dienstlichen Äußerung des Strafkammervorsitzenden wurde im ersten Hauptverhandlungstermin am 16.11.2005, nachdem der Zeuge Y. nicht erschienen war, im Hinblick auf den erstinstanzlichen Antrag der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft (Freiheitsstrafe von fünf Monaten) mit den Beteiligten erörtert, ob nicht eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch erfolgen könne und der Angeklagte mit einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als fünf Monaten zu rechnen habe. Der in dieses Gespräch ebenfalls mit eingebundene Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwalt R., wäre damit einverstanden gewesen. Der Verteidiger des Angeklagten hatte sich insoweit noch Bedenkzeit erbeten, da er mit diesem noch Rücksprache nehmen wollte. Nachdem die Rechtsmittelbeschränkung durch den Verteidiger des Angeklagten mit Schriftsatz vom 29.11.2005 erklärt worden war, wurde die Staatsanwaltschaft mit der anschließenden Ladung zum Termin am 01.03.2006 ausdrücklich auf die inzwischen erfolgte Berufungsbeschränkung hingewiesen.

In der dienstlichen Äußerung heißt es sodann:

"Ob in der Berufungshauptverhandlung vom 1.3.2006 (Bl.123 ff), an welcher erneut - zufällig - OstA R. als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft teilnahm, ausdrücklich eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Berufungsbeschränkung erfolgt ist oder aus welchem Grund eine Protokollierung dieses Vorgangs nicht erfolgte, kann ich heute nicht mehr sagen. Ich kann mich aber sehr gut an folgendes erinnern: als der Angeklagte seine - in den Urteilsgründen niedergelegte - Rechtsauffassung äußerte, sagte OstA R. halb scherzhaft zum Verteidiger (ungefähr dem Wortlaut nach): "Passen Sie auf, gleich bin ich nicht mehr mit der Berufungsbeschränkung einverstanden!"

Auf der Grundlage dieser detaillierten Ausführungen, die eine sichere Erinnerung des Strafkammervorsitzenden an die geschilderten Geschehnisse erkennen lassen, ist zur Überzeugung des Senats jedenfalls von einer konkludenten Zustimmung der Staatsanwaltschaft mit der hier in Rede stehenden Rechtsmittelbeschränkung auszugehen. Oberstaatsanwalt R. hatte bereits in der Hauptverhandlung am 16.11.2005 sein Einverständnis mit der besprochenen und anvisierten Rechtsmittelbeschränkung zum Ausdruck gebracht. Die Staatsanwaltschaft war außerdem mit der Ladung zur Hauptverhandlung am 01.03.2006 ausdrücklich auf die inzwischen erklärte Beschränkung der Berufung auf das Strafmaß hingewiesen worden. Ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 01.03.2006 erfolgte in der Berufungshauptverhandlung die Feststellung, dass die Berufung durch Schriftsatz vom 29.12.2005 auf das Strafmaß beschränkt worden sei und schloss sich sodann die Erklärung des Verteidigers des Angeklagten an, dass Ziel der Berufung eine mildere Strafe sei. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre aufgrund der vorangegangenen Geschehnisse von dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft ein Widerspruch zu erwarten gewesen, wenn er sein früher erklärtes Einverständnis mit der damals beabsichtigten Rechtsmittelbeschränkung nunmehr hätte zurückziehen wollen. Das Schweigen war unter den hier gegebenen Umständen als Zustimmung mit der Rechtsmittelbeschränkung zu bewerten. Bestätigt wird eine jedenfalls konkludente Zustimmung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft durch die in der dienstlichen Äußerung des Strafkammervorsitzenden vom 04.09.2006 wiedergegebene Äußerung des Oberstaatsanwalts R. sowie durch dessen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag, das erstinstanzliche Urteil dahingehend abzuändern, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt wird. Denn dieser ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 01.03.2006 gestellte Antrag bezog sich ausschließlich auf den Rechtsfolgenausspruch und stand im Einklang mit dem Inhalt des Vorgespräches vom 16.11.2005, das in der dienstlichen Äußerung des Strafkammervorsitzenden vom 04.09.2006 geschildert worden ist.

Die Stellungnahme des Verteidigers des Angeklagten zu der dienstlichen Äußerung des Strafkammervorsitzenden, diese sei hinsichtlich der darin geschilderten Geschehnisse seiner Ansicht nach zutreffend, die darin mitgeteilten Äußerungen des Herrn Oberstaatsanwalts R. seien ihm aber nicht mehr erinnerlich, auch sei ihm die konkrete Situation so nicht in Erinnerung verblieben, rechtfertigen keine andere Beurteilung. Sie sind derart vage und unbestimmt, dass von einer deutlichen und klaren Erinnerung des Verteidigers des Angeklagten an die damalige Prozesssituation nicht ausgegangen werden kann. Damit in Einklang steht auch, dass der Verteidiger mit Schriftsatz vom 29.08.2006 mitgeteilt hatte, zu einer Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu der Rechtsmittelbeschränkung könne er leider keine Angaben machen. Hierzu gäben die Aufzeichnungen in seinen Unterlagen nichts her und auch seine Erinnerung daran sei nicht gegeben.

Die Strafkammer ist daher zu Recht von einer wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels des Angeklagten auf das Strafmaß ausgegangen.

Ende der Entscheidung

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