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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.09.2005
Aktenzeichen: 3 Ss 315/05
Rechtsgebiete: StGB, MRK


Vorschriften:

StGB § 46
MRK Art. 6
Zur Berücksichtigung einer Verfahrensverzögerung bei der Strafzumessung.
Beschluss

Strafsache

gegen M.R.

wegen mittelbarer Falschbeurkundung

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der X. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 15.04.2005 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts am 22. 09. 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung und im Umfang der Verwerfung der Revision auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft sowie nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das Urteil der X. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 15.04.2005 wird unter Verwerfung der weitergehenden Revision als unbegründet im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht Essen hat den Angeklagten mit dem angefochtenen Berufungsurteil vom 15.04.2005 wegen mittelbarer Falschbeurkundung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Ausländergesetz durch unrichtige und unvollständige Angaben, Vergehen gemäß § 271 Abs. 1 StGB, § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG, § 52 StGB, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.

Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und das Rechtsmittel ebenso form- und fristgerecht begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Antragsschrift vom 22.07.2005 beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

1.

Die Revision des Angeklagten erweist sich als offensichtlich unbegründet, soweit sie sich mit der Sachrüge und den erhobenen Verfahrensrügen der fehlerhaften Ablehnung von Beweisanträgen gegen den Schuldspruch des angefochtenen Urteils wendet, § 349 Abs. 2 StPO. Insoweit kann auf die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 22.07.2005, die dem Angeklagten bzw. seinem Verteidiger zugestellt worden ist, Bezug genommen werden. Der Senat weist insoweit ergänzend darauf hin, dass die von der Verteidigung gestellten Beweisanträge auf Einholung amtlicher Auskünfte diverser in- und ausländischer Behörden bereits deshalb keine Beweisanträge im Sinne der StPO darstellen, weil es sich bei derartigen Behördenauskünften nicht um Beweismittel des Strengbeweises, sondern allein um Freibeweismittel handelt, die nicht Gegenstand eines Beweisantrages sein können (vgl. BVwG, NVwZ 1986, 35). Nach den Grundsätzen der richterlichen Aufklärungspflicht i.S.v. § 244 Abs. 2 StPO hat die Strafkammer, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, die betreffenden Beweisermittlungsanträge aber zu Recht zurückgewiesen. Die insoweit von der Revision erhobene Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO ist, wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat, insoweit bereits deshalb unzulässig, weil der Angeklagte nicht dargelegt hat, aus welchen Gründen sich dem Gericht die Notwendigkeit der Einholung von Auskünften der Deutschen und Türkischen Botschaft sowie des libanesischen Innenministeriums hätte aufdrängen müssen.

2.

Keinen Bestand haben kann dagegen der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils. Die Ausführungen des Landgerichts zur Strafzumessung sind lückenhaft. Es ergeben sich bereits anhand der Urteilsgründe ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass hier eine Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK verletzende Verfahrensverzögerung vorgelegen hat. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht die Prüfung einer solchen Verfahrensverzögerung trotz zu einer solchen Prüfung drängender Umstände unterlassen. Dies stellt einen Rechtsmangel dar, der bereits auf die insoweit allein erhobene Sachrüge zu berücksichtigen ist, da sich die entsprechenden Anhaltspunkte bereits anhand der Urteilsgründe ergeben (BGH NJW 2005, 518 m.w.N.). Aus den Urteilsgründen ergibt sich insoweit nämlich, dass es im vorliegenden Verfahren bereits am 21.09.2001 zu einem Durchsuchungsbeschluss gegen den Angeklagten gekommen ist, mithin das Verfahren mindestens seit dem Jahre 2001 andauert und der Angeklagte seit diesem Zeitpunkt von dem Verfahren unterrichtet und durch das Verfahren belastet war. Weiter erschließt sich aus den Urteilsgründen, dass die Anklageschrift vom 19.09.2002 datiert, dass das Urteil erster Instanz durch das Amtsgericht Dorsten am 20.01.2004 gesprochen wurde und dass das Berufungsurteil des Landgerichts Essen am 15.04.2005 gesprochen wurde. Damit ergibt sich bereits allein anhand der Urteilsgründe des Landgerichts eine Verfahrensdauer von - gerechnet bis zum Erlass des Berufungsurteils - drei Jahren und sieben Monaten. Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil an keiner Stelle und mit keiner Silbe. Dies ist rechtsfehlerhaft.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass dem Angeklagten im Rahmen der ihm hier zur Last gelegten Tat der mittelbaren Falschbeurkundung durchaus zur Last gelegt werden darf, dass die von ihm begangene Straftat im unmittelbaren Zusammenhang mit der Inanspruchnahme des Gastrechts in der Bundesrepublik Deutschland steht (BGH NStZ 1993, 337). Wenn dem Angeklagten aber zur Last gelegt werden soll, dass seine Tat mit erheblichen Aufwendungen seitens der Sozialkasse für die vielköpfige Familie des Angeklagten verbunden war, so müssen insoweit nähere Feststellungen getroffen und zumindest die Größenordnung der von dem Angeklagten und seiner Familie erhaltenen Sozialleistungen beziffert werden. Auch wird zu berücksichtigen sein, dass der Angeklagte durch die falschen Angaben zu seiner Person gerade nicht den Bezug von Sozialleistungen, sondern umgekehrt erreichen wollte, dass er weiterhin über eine Arbeitserlaubnis verfügte, so dass seine Familie und er selbst gerade nicht mehr auf Sozialleistungen angewiesen waren. Insoweit wird es besonderer Begründung bedürfen, um gegen den nicht vorbestraften Angeklagten eine Freiheitsstrafe als angemessene Sanktion verhängen zu können.

Ende der Entscheidung

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