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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.01.2009
Aktenzeichen: 3 Ss 476/08
Rechtsgebiete: AufhG


Vorschriften:

AufhG § 95 Ab. 1 Nr. 7
Vor dem 01.01.2005 begangene Zuwiderhandlungen vollziebar ausreisepflichtiger Ausländer gegen räumliche Beschränkungen können nicht für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG herangezogen werden. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Verbot der Rückwirkung von Strafgesetzen (Art. 103 Abs. 2 GG; §§ 1, 2 Abs. 1 StGB)
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Angeklagte wird freigesprochen.

Die Staatskasse trägt die gesamten Kosten des Strafverfahrens sowie die der Angeklagten in diesem Strafverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

I.

Die Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 17.01.2008 wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufhG zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 5,00 € verurteilt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil vom 23.07.2008 als unbegründet verworfen.

Nach den Feststellungen der Strafkammer ist die Angeklagte, die aserbaidschanische Staatsangehörige ist, 1998 unter Angabe falscher Personalien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ihr Asylantrag wurde im Jahre 2000 rechtskräftig abgelehnt und die Angeklagte vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Da die Angeklagte keinen Pass vorgelegt hat und Passersatzpapiere nicht beschafft werden konnten, wurde ihre Abschiebung ausgesetzt.

Am 08.09.2001 hielt sich die Angeklagte in C2 und am 13.02.2002 in einem Zug der Bundesbahn in Höhe der Ortschaft Z auf, obwohl zu beiden Zeitpunkten ihre Duldung in der Bundesrepublik Deutschland nach § 56 Abs. 3 Ausländergesetz auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkt war.

Wegen dieser beiden Verstöße wurde die Angeklagte durch Ordnungsverfügungen des Kreises I vom 12.09.2001 und 08.03.2002 jeweils verwarnt und wurde gegen sie ein Verwarngeld festgesetzt.

Am 06.06.2006 hielt sich die Angeklagte in S auf. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Abschiebung durch die Ausländerbehörde des Kreises I bis zum 15.08.2006 ausgesetzt worden, der Angeklagten die Wohnsitznahme in der Stadt M gestattet worden und ihr über die Aussetzung der Abschiebung (Duldung) unter ihrem Alias-Namen durch den Kreis I am 07.02.2006 eine Bescheinigung ausgestellt worden. Der Angeklagten war bekannt, dass ihr Aufenthalt nach § 61 Abs. 1 S. 1 AufhG räumlich auf das Land Nordrhein-Westfalen beschränkt war und dass sich S außerhalb dieses Bundeslandes befindet.

Die Strafkammer hat die Angeklagte auf der Grundlage dieser getroffenen Feststellungen einer Straftat nach § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG für schuldig befunden. Sie ist der Auffassung, aufgrund der festgestellten beiden Verstöße der Angeklagten gegen Duldungsbeschränkungen in den Jahren 2001 und 2002 habe die Angeklagte durch ihren Aufenthalt in S am 06.06.2006 zum wiederholten Male einer räumlichen Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufhG zuwidergehandelt und dadurch den objektiven Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG verwirklicht.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

II.

Die Revision ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch der Angeklagten.

1.

Die Verurteilung der Angeklagten wegen einer Straftat gem. § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.

Das Aufenthaltsgesetz ist am 01.01.2005 in Kraft getreten. Erst seit dem stellt gem. § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG die wiederholte Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufhG eine Straftat dar. Der Erstverstoß gegen eine räumliche Beschränkung wird - wie bisher - gem. § 98 Abs. 3 Nr. 2 AufhG nur als Ordnungswidrigkeit geahndet. Vor dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 01.01.2005 wurden auch wiederholte Zuwiderhandlungen vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer gegen räumliche Beschränkungen nach § 93 Abs. 3 Nr. 1 Ausländergesetz ebenfalls nur als Ordnungswidrigkeit verfolgt. Solche vor dem 01.01.2005 begangene Ordnungswidrigkeiten können entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht als Erstverstöße für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG herangezogen worden. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Verbot der Rückwirkung von Strafgesetzes gem. Art. 103 Abs. 2 GG, das in den §§ 1, 2 Abs. 1 StGB seinen Niederschlag gefunden hat.

Die Vorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG vollzieht in Bezug auf die Ahndung wiederholter Verstöße vollziehbar Ausreisepflichtiger gegen räumliche Beschränkungen den Wechsel von einer Ordnungswidrigkeit zu einer Straftat. Ein solcher Wechsel hat strafbegründende Bedeutung (vgl. Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl., § 2 Rdnr. 14, 15 m. w. N.). Bei einer Gesetzesänderung, die strafbegründende Wirkung hat, dürfen Teilakte, die vor der Gesetzesänderung noch nicht strafbar waren, nicht für die Begründung der Straftat herangezogen werden, strafbar ist vielmehr nur der der Gesetzesänderung nachfolgende Handlungsteil (vgl. Eser, a.a.O.; BGH NStZ 1994, 123). Handelt es sich bei demjenigen Handlungsteil, der vor der Gesetzesänderung ausgeführt worden ist und bei dem nachfolgenden Handlungsteil um ein unteilbar tatbestandsmäßiges Verhalten, so bleibt der Täter nach dem strafrechtlichen Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG; § 1, 2 Abs. 1 StGB) straffrei. Denn weder die nachträgliche Anwendung einer neuen Strafnorm auf bisher straffreies Verhalten noch dessen nachträgliche Einbeziehung in einen bereits bestehenden Straftatbestand ist rechtsstaatlich zulässig (vgl. OLG Stuttgart, NJW 2003, 228; OLG Karlsruhe, NStZ 2001, 654; Eser, a.a.O. § 2 Rdnr. 3). Ein unteilbar tatbestandsmäßiges Verhalten ist auch dann gegeben, wenn sich dieses Verhalten zwar tatsächlich in mehrere Einzelakte zerlegen lässt, es sich aber bei dem Straftatbestand um ein notwendig oder fakultativ mehraktiges Delikt handelt, bei dem die Tatbestandsverwirklichung durch eine Sequenz von Handlungen erfolgt, die aber erst in ihrer Gesamtheit den Tatbestand verwirklichen. Die nach einer strafbegründenden oder straferweiternden Gesetzesänderung verwirklichten Handlungsteile können nur dann nach dem geänderten Gesetz als Straftat geahndet werden, wenn sie noch ein komplettes Delikt ergeben (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; Fischer, StGB, 56 Aufl., § 2 Rdnr. 3).

Bei einer Anwendung dieser Grundsätze auf die hier in Rede stehende Regelung des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG ergibt sich, dass es sich bei diesem Straftatbestand um ein mehraktiges Delikt im oben ausgeführten Sinn handelt, da er wiederholte und damit zumindest zwei Verstöße gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufhG voraussetzt. Vor dem 01.01.2005 begangenen Zuwiderhandlungen vollziehbar Ausreisepflichtiger gegen räumliche Beschränkungen dürfen folglich aufgrund des Rückwirkungsverbots zur Annahme einer Straftat gem. § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG nicht herangezogen werden, da bei deren Begehung das die Strafbarkeit begründende neue Gesetz noch nicht in Kraft war. Von der Vorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG werden vielmehr nur Verstöße gegen § 61 Abs. 1 AufhG erfasst, die nach dem 01.01.2005 begangen worden sind. Der Senat folgt insoweit den auch nach seiner Auffassung zutreffenden Ausführungen des Oberlandesgerichts Brandenburg in seinem Beschluss vom 22.02.2007 - 1 Ss 96/06 - (NStZ 2008, 531; ebenso Wingerter in Nomos Kommentar, Ausländerrecht, § 95 AufhG Rdnr. 18; Mosbacher in Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Stand: Juli 2008, § 95 AufhG Rndnr. 195). Der Auffassung des hiesigen 1. Strafsenats in seiner Entscheidung vom 31.01.2007 - 1 Ss 500/06 - (BeckRR 2007 65493) vermochte der Senat aus den oben dargelegten Gründen dagegen nicht zu folgen. Soweit der 1. Strafsenat in dieser Entscheidung unter Hinweis auf den Zweck der Einführung des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG, nämlich, dass ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, der nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu behandeln ist, rechtlich nicht besser gestellt werden soll, als ein Asylbewerber nach der Vorschrift des § 85 Nr. 2 Asylverfahrensgesetz, die Auffassung vertritt, dass für das Tatbestandsmerkmal der "Wiederholung" in § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG es nur allgemein auf einen früheren Verstoß von Ausländern gegen Aufenthaltsbeschränkungen - auch gegen solche nach dem früher geltenden Ausländergesetz oder dem Asylverfahrensgesetz - ankommt, merkt der Senat an, dass das Aufenthaltsgesetz selbst zumindest in § 51 Abs. 6 ausdrücklich bestimmt, dass räumliche und sonstige Beschränkungen und Auflagen nach anderen Gesetzen neben solchen nach dem Aufenthaltsgesetz von dem Regelungsbereich der Vorschrift erfasst sein sollen, so dass es nahe liegt, dass räumliche Beschränkungen nach anderen Gesetzen ebenfalls in der Vorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG erwähnt worden wären, wenn sich diese Vorschrift auch auf Verstöße gegen solche Beschränkungen und nicht nur auf eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufhG beziehen sollte.

Die von der Angeklagten am 08.09.2001 und 13.02.2002 begangenen Zuwiderhandlungen gegen damals für sie geltende räumliche Beschränkungen nach § 56 Abs. 3 Ausländergesetz können daher für die Annahme einer Verwirklichung des Tatbestandes des § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG nicht herangezogen werden. Der von der Angeklagten nach Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes (01.01.2005) begangene Verstoß vom 06.06.2006 gegen die für sie geltende räumliche Beschränkung kann zwar herangezogen werden, kann aber nicht als Straftat geahndet werden, da er für sich allein kein vollständiges Delikt gem. § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG, der einen zumindest zweimaligen Verstoß gegen eine räumliche Beschränkung voraussetzt, ergibt.

Die Verurteilung der Angeklagten wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz war daher aufzuheben.

2.

Der Erstverstoß gegen eine räumliche Beschränkung nach § 61 Abs. 1 AufhG wird zwar gem. § 98 Abs. 3 Nr. 2 AufhG als Ordnungswidrigkeit geahndet. Der Aufenthalt der Angeklagten am 06.06.2006 in S kann aber nicht mehr unter dem Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, da hinsichtlich einer solchen Ordnungswidrigkeit inzwischen Verfolgungsverjährung eingetreten ist. Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 98 Abs. 5 AufhG i. V. m. § 31 Abs. 2 Nr. 4 OWiG sechs Monate. Eine Unterbrechung der Verfolgungsverjährung gem. § 33 Abs. 4, Abs. 1 Nr. 1 OWiG ist nicht erfolgt, da der Angeklagten ausweislich der Strafanzeige der Bundespolizeiinspektion S vom 16.06.2006 (Bl. 2 d. A.) in Verbindung mit der von der Angeklagten unterschriebenen Erklärung vom 06.06.2006 (Bl. 33 d. A.) dieser noch am Tattage selbst der Tatvorwurf einer Straftat gem. § 95 Abs. 1 Nr. 7 AufhG i. V. m. § 61 Abs. 1 Ziff. 1 AufhG eröffnet und ihr unter Belehrung über ihre Aussagefreiheit als Beschuldigte Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist. Als nächste Unterbrechungshandlung kommt erst wieder der am 03.01.2007 erfolgte Eingang der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 22.12.2006 beim Amtsgericht Bad Oeynhausen gem. § 33 Abs. 1 Nr. 14 OWiG in Betracht. Zu diesem Zeitpunkt war aber die ab dem 06.06.2006 laufende Verjährungsfrist von sechs Monaten, die am 05.12.2006 endete, bereits abgelaufen.

Die Angeklagte war daher freizusprechen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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