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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.07.2001
Aktenzeichen: 3 Ss 478/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 154
1. Zur Frage, wann eine Erklärung des Verteidigers als Geständnis des Angeklagten, der sich selbst nicht zur Sache äußert, angesehen werden kann.

2. Widerspricht die Verteidigung einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO mit der Zielrichtung, einen Freispruch zu erreichen, und entzieht sich das Gericht aus der Sicht der Verteidigung der Auseinandersetzung mit deren Einwendungen durch die Einstellung, so kann die Verteidigung darauf vertrauen, dass der ausgeschiedene Verfahrensstoff ohne entsprechenden Hinweis bei der Beweiswürdigung des verbliebenen Verfahrensstoffes nicht berücksichtigt wird .


Beschluss Strafsache gegen M.K.,

wegen Computerbetruges u.a.,

(hier: Revision des Angeklagten).

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 26.06.2000 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19.07.2001 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gelsenkirchen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Gelsenkirchen hat den Angeklagten wegen Anstiftung zum Diebstahl und wegen Computerbetruges in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.

Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte mit am 28.06.2000 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schreiben seines Verteidigers Berufung eingelegt und das Rechtsmittel nach Zustellung des schriftlichen Urteils an den Verteidiger am 14.08.2000 mit am 13.09.2000 eingegangenem Schriftsatz des Verteidigers als Revision bezeichnet und begründet. Da zu diesem Zeitpunkt das Hauptverhandlungsprotokoll noch nicht fertiggestellt war, musste das schriftliche Urteil dem Verteidiger erneut zugestellt werden, was unter dem 15.02.2001 geschah.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten dem Senat mit Antragsschrift vom 26.06.2001 vorgelegt.

Die Revision des Angeklagten greift das amtsgerichtliche Urteil mit der Sachrüge sowie mit den Verfahrensrügen der Verletzung der §§ 261 StPO sowie der §§ 243 Abs. 4, 261 StPO an. Die Revision beantragt, das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zu verweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben, soweit es die Fälle 1., 2. und 4. bis 7. der Anklageschrift und den Gesamtstrafenausspruch betrifft, und die Sache in diesem Umfang zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gelsenkirchen zurückzuverweisen. Die weitergehende Revision soll gem. § 349 Abs. 2 StPO verworfen werden.

II.

Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch in der Sache zumindest vorläufig vollen Erfolg.

1. Die Revision rügt zunächst zu Recht, dass das Amtsgericht die Verurteilung des Angeklagten auf eine Videoaufzeichnung gestützt hat, ohne diese durch Augenscheinseinnahme in die Hauptverhandlung eingeführt zu haben.

Das Amtsgericht hatte den Angeklagten u.a. wegen einer Tat vom 24.01.1999 verurteilt. Es hat dazu folgende Feststellungen getroffen:

"Am 24.01.1999 kauften sie (der Angeklagte und der Zeuge G.) bei der Aral-Tankstelle in Gelsenkirchen-Buer, Dorstener Straße 343, Benzin Super für 50,00 DM, Zigaretten der Marke Marlboro für 5,20 DM, der Marke HB für 5,00 DM und Pun multi 0,5 für 2,19 DM. Zur Bezahlung benutzten sie die entwendete Scheckkarte der Dresdner Bank."

In der Beweiswürdigung zur Überführung des Angeklagten hinsichtlich sämtlicher vom Amtsgericht festgestellter Taten heißt es - erkennbar zur Bewertung der Glaubhaftigkeit eines vom Amtsgericht angenommenen Teilgeständnisses des Angeklagten im Bezug auf seine Täterschaft im Übrigen - wie folgt:

"Der Angeklagte K. räumt ein, an der Tat zum Nachteil der Aral-Tankstelle beteiligt gewesen zu sein. Dieses Einräumen der Tathandlung beruht insbesondere auf einer Videoaufzeichnung in der Tankstelle, das die Bezahlung durch den Angeklagten und den Zeugen G. eindeutig zeigt, so dass insoweit ein Leugnen der Tathandlung sinnlos wäre."

Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts verstößt hier gegen § 261 StPO. Das Amtsgericht hat seiner Beweiswürdigung nämlich eine Videoaufzeichnung zugrunde gelegt, ohne diese - was durch das Hauptverhandlungsprotokoll bewiesen ist, § 274 StPO - durch Augenscheinseinnahme in die Hauptverhandlung eingeführt zu haben (vgl. BGH, StV 1998, 417 f). Es kann auch ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht sich auf andere Weise als durch die nicht prozessordnungsgemäße Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnung davon überzeugt hatte, dass der Angeklagte dort beim Einkauf der fraglichen Gegenstände dargestellt wurde. Aus der Formulierung des Amtsgerichts, die Videoaufzeichnung zeige "eindeutig" die Bezahlung durch den Angeklagten und den Zeugen G., kann nämlich nur entnommen werden, dass das Amtsgericht sich auf den Inhalt der Aufnahme selbst beziehen wollte. Anders wäre die vorgenannte Bewertung der Qualität der Aufzeichnung nicht verständlich.

2. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts erweist sich an derselben Stelle auch aus einem anderen Grund als fehlerhaft. Das Amtsgericht hat die Verurteilung des Angeklagten hinsichtlich der Tat vom 24.01.1999 ausweislich des oben wiedergegebenen Zitates aus den schriftlichen Urteilsgründen auf ein von ihm insoweit angenommenes Teilgeständnis des Angeklagten gestützt. Weiterhin hat das Amtsgericht die Umstände, unter denen es zu diesem Teilgeständnis gekommen ist - Angeklagter war ohnehin durch die Videoaufzeichnung überführt - im Rahmen der Beweiswürdigung auch hinsichtlich der weiteren von ihm festgestellten Taten zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt.

Tatsächlich hätte das Amtsgericht aber gar nicht von einem Teilgeständnis des Angeklagten ausgehen dürfen. Ausweislich der Sitzungsniederschrift (§ 274 StPO) hatte der Angeklagte nämlich keinerlei Angaben zur Sache gemacht. Die Sitzungsniederschrift enthält insoweit die Erklärung des Angeklagten "Ich bin zur Äußerung nicht bereit." Sodann folgt in der Sitzungsniederschrift folgende Eintragung:

"Der Verteidiger erklärte, dass Anklagevorwurf 3 stimmt. Er erklärte weiter, dass der Mandant mit den weiteren Taten nichts zu tun hat."

Die Erklärung, der Anklagevorwurf 3 "stimme", wurde damit gerade nicht von dem Angeklagten, sondern von seinem Verteidiger abgegeben. Bei einer solchen Sachlage ist aber der Verteidiger vom Vorsitzenden zu befragen, ob die von ihm abgegebene Erklärung als Einlassung des Angeklagten anzusehen sei. Ferner ist er darauf hinzuweisen, dass sie in diesem Falle zum Gegenstand der Beweiswürdigung gemacht werde. Verneint der Verteidiger oder widerspricht der Angeklagte, so darf die Erklärung nicht als Beweismittel verwertet werden. Der Nachweis der Beobachtung dieser Förmlichkeiten kann nur durch das Sitzungsprotokoll erfolgen (OLG Hamm, VRS 57, 427; vgl. auch BayObLG, VRS 60, 120). Indem das Amtsgericht eine entsprechende Befragung des Verteidigers unterlassen und die von dem Verteidiger abgegebene Erklärung gleichwohl als Teilgeständnis des Angeklagten bewertet hat, hat das Amtsgericht § 261 StPO verletzt, was die Revision auch in einer den Anforderungen des § 244 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Weise dargelegt hat.

3. Das Amtsgericht hat weiterhin § 261 StPO sowie seine bereits sachlich-rechtlich bestehende Verpflichtung zur umfassenden Würdigung der Beweise verletzt. Der angebliche Mittäter G. des Angeklagten hatte als Zeuge vor dem Amtsgericht ausgesagt, der Angeklagte habe ihn weder zum Diebstahl der Scheckkarten veranlasst, noch sei er - außer bei der Tat vom 24.01.1999 - bei den späteren Verwertungstaten anwesend gewesen. Er habe den Angeklagten zwar anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung am 16.02.1999 in dieser Weise belastet. Diese damals von ihm gemachten Angaben seien jedoch nicht zutreffend. Vor der Aussage habe der Geschädigte S. ihn und seine Familie täglich unter Druck gesetzt. Der Zeuge S. habe ihm auf einen Zettel aufgeschrieben, welche Zahlungen mit der Karte durchgeführt worden seien. Letzteres habe er auswendig gelernt und sodann wahrheitswidrig bei der Polizei angegeben, dass er selbst sowie der Angeklagte an den Taten beteiligt gewesen sei.

Das Amtsgericht hat diese Angaben des Zeugen G. als nicht glaubhaft angesehen und den Angeklagten aufgrund der Angaben des Zeugen im Rahmen der genannten polizeilichen Vernehmung vom 16.02.1999 als überführt angesehen, ohne in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen, was der ausweislich eben dieser Urteilsgründe vom Amtsgericht vernommene Zeuge S. hierzu im Rahmen seiner Vernehmung ausgeführt hatte. Dadurch hat das Amtsgericht gegen die Verpflichtung verstoßen, alle naheliegenden Motive einer möglichen Falschbelastung des Angeklagten durch G. in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BGH StV 1997, 172). Das Amtsgericht hätte bei der gegebenen Beweislage, bei der der Angeklagte allein durch den tatbeteiligten Zeugen G. überführt werden sollte, seine Beweiswürdigung im besonderen Maße für das Revisionsgericht nachvollziehbar gestalten müssen (vgl. BGH StV 1997, 173), insbesondere die Angaben des Zeugen S. hierzu in den Urteilsgründen wiedergeben und würdigen müssen (vgl. BGH, StV 1997, 173). Dies unterlassen zu haben, verletzt, wie die Revision in einer den Anforderungen des § 244 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Weise rügt, jedenfalls § 261 StPO (BGH, a.a.O.).

4. Endlich ist die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils noch in einem weiteren Punkt nicht frei von Rechtsfehlern. Das Amtsgericht hatte seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten nämlich neben den Angaben des Zeugen G. bei dessen polizeilicher Vernehmung und neben der oben bereits angesprochenen Videoaufzeichnung noch auf die uneidliche Aussage des Zeugen K. gestützt. Hierzu hat es ausgeführt, dass dieser Zeuge glaubhaft bekundet habe, der Angeklagte sei vor einiger Zeit, möglicherweise Anfang 1999, an ihn mit dem Wunsch herangetreten, der Zeuge möge dem Angeklagten sein Konto zur Überweisung eines Geldbetrages zur Verfügung stellen. Dieser Geldbetrag sei später nicht auf dem Konto eingegangen. Damit habe sich ein weiterer Vorwurf aus der Anklageschrift bestätigt, wonach der Angeklagte versucht haben soll, mittels eines Überweisungsbeleges von dem Konto des Zeugen S. einen größeren Betrag auf das Konto des Zeugen K. zu überweisen.

Die Angaben des Zeugen K. hätte das Amtsgericht nicht zum Nachteil des Angeklagten verwerten dürfen. Aufgrund der Sitzungsniederschrift ist nämlich bewiesen (§ 274 StPO), dass das Verfahren hinsichtlich der Tat, die Gegenstand der Aussage des Zeugen K. war, gem. § 154 StPO eingestellt wurde, und zwar gegen den Widerstand des Verteidigers, der der Einstellung widersprochen und auch insoweit Freispruch beantragt hatte.

Widerspricht aber die Verteidigung einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO mit der Zielrichtung, einen Freispruch zu erreichen, und entzieht sich das Gericht aus der Sicht der Verteidigung der Auseinandersetzung mit deren Einwendungen durch die Einstellung, so kann die Verteidigung darauf vertrauen, dass der ausgeschiedene Verfahrensstoff ohne entsprechenden Hinweis bei der Beweiswürdigung des verbliebenen Verfahrensstoffes nicht berücksichtigt wird (BGH StV 1996, 585; vgl. BGH StV 1998, 252). Durch die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO ist nämlich ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden mit der Folge, dass eine belastende Verwertung mit jener - eingestellten - Tat zusammenhängender Umstände im Rahmen der Beweiswürdigung nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens entsprechend § 265 StPO nicht ohne einen vorherigen Hinweis an den Angeklagten erfolgen darf (BGH StV 1998, 252). Ein solcher Hinweis ist nach dem Sitzungsprotokoll des Angeklagten aber gerade nicht erteilt worden. Damit ist hier § 265 StPO verletzt, was die Revision ebenfalls hinreichend rügt.

5. Auf sämtlichen dargelegten Rechtsverstößen beruht das angefochtene Urteil auch ersichtlich. Jeder dieser Rechtsverstöße betrifft nämlich die einzelnen Überführungsüberlegungen, die das Amtsgericht letztlich zu seiner Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten geführt haben.

Das angefochtene Urteil war daher insgesamt mit den Feststellungen aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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