Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.01.2007
Aktenzeichen: 3 Ss 584/06
Rechtsgebiete: ZPO, StPO


Vorschriften:

ZPO § 696 Abs. 2
ZPO § 696 Abs. 2 Satz 2
StPO § 250
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO § 345 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Essen-Steele hat den Angeklagten am 11.05.2006 vom Vorwurf der falschen Versicherung an Eides statt freigesprochen. Auf die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft Essen hat das Landgericht Essen durch das angefochtene Urteil das freisprechende Urteil des Amtsgerichts Essen-Steele aufgehoben und den Angeklagten wegen falscher Versicherung an Eides Statt zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen hatte der Angeklagte in einer schriftlichen Erklärung vom 01.09.2005 gegenüber dem Amtsgericht Essen-Steele in dem Rechtsstreit 17 C 200/05 an Eides Statt bewusst und gewollt wahrheitswidrig versichert, dass er "niemals einen Mahn- oder Vollstreckungsbescheid zugestellt erhalten habe", obgleich der Postzusteller der Q AG, der Zeuge L ihm den in diesem Verfahren ergangenen Mahnbescheid am 30.03.2005 an der Wohnungstür persönlich übergeben hatte.

Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Landgericht hierzu u. a. aus:

"Die Kammer erachtet die Einlassung des Angeklagten, soweit dieser in Abrede stellt, den Mahnbescheid am 30.03.2005 persönlich entgegengenommen zu haben, als Schutzbehauptung. In dem gemäß § 696 Abs. 2 ZPO erstellten Aktenausdruck in dem Mahnverfahren 05-73966490-0-4 des Amtsgerichts Hünfeld, bei dem es sich gemäß § 696 Abs. 2 Satz 2 ZPO um eine öffentliche Urkunde handelt, ergibt sich, dass der Zeuge L als Postzusteller seinerzeit auf der Postzustellungsurkunde vermerkte, dass er den Mahnbescheid dem Angeklagten als Zustellungsadressaten persönlich übergab. Im Aktenausdruck ist nämlich der Angeklagte als Empfänger der Zustellung ausgewiesen.

Die Kammer hat, um die Richtigkeit der Urkunde zu verifizieren, den Zeugen L vernommen. Der Zeuge L hat zwar einerseits eingeräumt, an den konkreten Zustellvorgang keine Erinnerung zu haben, jedoch anderseits dezidiert dargestellt, dass er gewissenhaft die Zustellungen vornehme und vor Übergabe eines Schriftstücks an der geöffneten Wohnungstür sich per Frage davon überzeuge, dass sein Gesprächspartner der Adressat der Zustellung sei. ..."

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.

II.

1.

Die nicht näher ausgeführte formelle Rüge entspricht nicht der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form und ist daher bereits unzulässig.

2.

Demgegenüber hat die Revision des Angeklagten auf die zulässig erhobene allgemeine Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung an das Landgericht.

Die Beweiswürdigung des angefochten Urteils hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat darin die inhaltliche Richtigkeit des Aktenausdrucks des Amtsgericht Hünfeld gemäß § 696 Abs. 2 ZPO, soweit dieser die persönliche Übergabe des Mahnbescheids an den Angeklagten am 30.03.2005 betrifft, auf die Bekundungen des Zeugen L gestützt und zur Begründung ausgeführt, dass dieser sich zwar an den konkreten Zustellvorgang nicht mehr konkret erinnern konnte, dass er aber dem Gericht vermittelt habe, die Zustellungen allgemein gewissenhaft vorzunehmen. Die in dieser Beweiswürdigung enthaltenen Schlussfolgerungen des Landgerichts sind indes schon deshalb nicht lückenlos und deshalb unschlüssig, weil der in Rede stehende Aktenausdruck gar nicht von dem Zeugen L stammt und demnach dessen inhaltliche Richtigkeit auf seine Bekundungen nicht gestützt werden konnte.

Zwar ist anerkannt, dass für den hier gegebenen Fall, dass der Tatrichter seine Feststellungen ohne Rückgriff auf einen schriftlich dokumentierten Vorgang nicht treffen kann, weil der Zeuge sich an den Vorgang nicht mehr erinnert und der Angeklagte diesen bestreitet, eine auf die Verwertung der schriftlichen Erklärung des Zeugen gegründete Beweiswürdigung zulässig sein kann. Dabei darf nach § 250 StPO die Vernehmung eines Wahrnehmungszeugen zwar nicht durch die Verlesung seiner Aufzeichnung ersetzt werden. Die Verwertung der schriftlichen Erklärung ist jedoch gestattet, wenn zugleich deren Urheber als Zeuge vernommen wird. Soweit der Zeuge im Rahmen seiner Vernehmung die Verantwortung für die Richtigkeit der Erklärung übernimmt, steht dem Gericht nach entsprechender Würdigung der Zeugenaussage auch der Schluss auf die inhaltliche Richtigkeit der schriftlichen Erklärung offen (vgl. BHG NJW 1970, 1558, 1559; Meyer-Goßner, StPO, § 250 Rn. 12). Diese für die Verwertbarkeit der schriftlichen Anzeige eines Polizeibeamten von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind nach Auffassung des Senats auf den hier gegebenen Fall der schriftlich dokumentierten Zustellung eines Schriftstücks durch den Postzusteller übertragbar. In der Würdigung einer solchen Zeugenaussage ist der Tatrichter demnach grundsätzlich ebenso frei wie in der Würdigung jeder anderen Zeugenaussage. Er darf sie insbesondere als Beleg dafür werten, dass der Inhalt der schriftlich dokumentierten Zustellung, i. d. R. also der Postzustellungsurkunde, zutreffend ist. Ob die in dem vorliegenden Fall in Rede stehende Möglichkeit eines Wahrnehmungsfehlers des Zeugen dabei ausschließbar ist, ist ebenso wie die Frage, ob der Zeuge einen zuverlässigen Eindruck vermittelt und worauf das Gericht sich dabei stützt, eine Frage des Einzelfalls (vgl. für die Aussage eines Polizeibeamten auch BGH NJW 1970, 573, 574).

Im Hinblick auf diese Grundsätze scheiterte die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung betreffend den Wahrheitsgehalt des Aktenausdrucks nach § 696 Abs. 2 ZPO, soweit er die Zustellung des Mahnbescheids betrifft, bereits daran, dass der Zeuge L als Urheber der Urkunde gar nicht vernommen werden konnte. Aussteller des den Verfahrensablauf betreffenden Aktenausdruck gemäß § 696 Abs. 2 ZPO ist das Amtsgericht Hünfeld. Dort ist das Mahnverfahren im Interesse einer rascheren und kostensparenden Bewältigung des Massenverfahrens maschinell bearbeitet worden und der Aktenausdruck gemäß § 696 Abs. 2 ZPO maschinell erstellt worden (vgl. Baumbach/Lauterbach-Hartmann, ZPO, 65. Aufl. § 703 b Rn. 1, § 696 Rn. 5). Die maschinelle Bearbeitung erfolgt dabei zwar anhand der Originalunterlagen, soweit - wie hier - ein Zustellungsinhalt wiedergegeben wird, also anhand der Postzustellungsurkunde über den Zustellvorgang. Lediglich hinsichtlich dieser, dem maschinell erstellten Aktenauszug zugrundeliegenden Postzustellungsurkunde, in welcher er gegebenenfalls durch seine Unterschrift die Zustellung durch Übergabe an den Adressaten persönlich dokumentiert hat, ist der Zeuge L demnach Urheber. Insofern wäre er zwar im Stande gewesen, die Verantwortung für die Richtigkeit dieser Urkunde zu übernehmen, nicht aber auch für die Richtigkeit des nach § 696 Abs. 2 ZPO maschinell erstellten Aktenauszugs.

Dass angefochtene Urteil war demnach gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben. Da es möglich erscheint, dass in einer neuen Verhandlung die Feststellungen auf weitere Beweismittel gegründet werden können, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen gemäß § 345 Abs. 2 StPO zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

Zurück