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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 17.02.2009
Aktenzeichen: 3 Ss 67/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 145a
StPO § 300
StPO § 328 Abs. 2
StPO § 344 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Strafrichter - Bielefeld hatte den Angeklagten am 04.07.2007 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die dagegen gerichtete Berufung des Nebenklägers hatte die kleine Strafkammer mit Beschluss vom 11.09.2007 als unzulässig verworfen, weil er durch das amtsgerichtliche Urteil nicht beschwert sei. Er mache zwar die Nichtaburteilung wegen eines nebenklagefähigen Deliktes (§ 395 Abs. 1 Nr. 2 StPO), nämlich wegen eines versuchten Mordes, geltend, diese sei aber fern liegend. Auf die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 12.02.2008 (3 Ws 41/08) den die Berufung verwerfenden Beschluss des Landgerichts aufgehoben, da unter Zugrundelegung des bisherigen Verfahrensstoffes jedenfalls mehr als die bloß entfernte Möglichkeit einer Aburteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags oder Mordes bestand und das Ziel der Nebenklage nach einer etwaigen Verweisung durch das Berufungsgericht an das Schwurgericht nach § 328 Abs. 2 StPO auch erreichbar wäre.

Die kleine Strafkammer hat daraufhin die Berufungshauptverhandlung durchgeführt und mit dem angefochtenen Urteil das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben und die Sache an das Landgericht - Schwurgericht - verwiesen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Nebenkläger zum Abend des 05.01.2007 türkische Sänger für die Hochzeit eines Kollegen in ein Lokal bestellt. Der Angeklagte begab sich nach einem Anruf seines Bruders spontan ab etwa 20.30 Uhr in dieses Lokal. In seiner Jacke hatte er noch ein Messer, welches er zuvor zum Einbau von Lautsprecherboxen in ein KFZ verwendet hatte. Im Verlaufe des Abends trank der Angeklagte zusammen mit seinem Bruder insgesamt etwa 2,1 Liter Raki, tanzte und scherzte. Gegen 22.00 Uhr traf auch der Nebenkläger im Lokal ein. Gegen 23.30 Uhr wollte der Nebenkläger die Musiker ins Hotel bringen und sodann selbst heimkehren. Als er mit den Musikern zusammenstand kam der Angeklagte hinzu und fragte ihn, ob er (der Nebenkläger) schlecht über seinen Vater gesprochen habe. Er holte dann das Messer heraus, hielt es in der Faust und stach mehrfach mit Wucht auf den Nebenkläger ein und fügte ihm dabei eine 15 cm lange Schnittwunde am linken Oberarm mit Trizepssehnendurchtrennung sowie mehrere kleine Schnittwunden am linken Arm zu, ferner eine zwei Zentimeter lange Schnittwunde am linken Mundwinkel sowie einen Bruch der oberen Schneidezahnprothese. Als der Angeklagte noch einmal ausholte, um auf den Angeklagten einzustechen, verletzte er seinen Bruder mit dem Messer unter dem Kinn. Dem Zeugen B gelang es schließlich, den Angeklagten, der weiter auf den Nebenkläger einstechen wollte, festzuhalten und ihm das Messer abzunehmen. Als der Angeklagte festgehalten wurde, drohte er, dass ihm keiner zu nahe kommen solle, sonst würde er ihn umbringen.

Das Landgericht war der Auffassung, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nicht fern liegend sei, dass der Täter damit rechne, dass das Opfer zu Tode kommen könne und - nur so lassen sich die Ausführungen im Urteil verstehen - hielt auch das voluntative Vorsatzelement wegen einer hohen Alkoholisierung nicht für ausgeschlossen, da nicht geklärt werden konnte, wie viel Raki der Angeklagte (Hervorhebung durch den Senat) getrunken hatte und die Tat nach den Ausführungen des Sachverständigen, der keine Anhaltspunkte für eine erhebliche Berauschung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt gefunden habe, "wenig impulshaft, sondern durchaus vorbereitet und gesteuert" gewirkt habe.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig beantragt, weil ein Verstoß gegen § 328 Abs. 2 StPO ausschließlich mit der Verfahrensrüge gerügt werden könne, was hier jedenfalls nicht entsprechend § 344 Abs. 2 StPO geschehen sei.

II.

Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.

1.

Das Rechtsmittel ist zulässig. Insbesondere ist der Angeklagte durch die Verweisungsentscheidung beschwert, obwohl es keine Sachentscheidung enthält. Die Beschwer ist darin zu sehen, dass das Berufungsgericht nicht die vom Angeklagten erstrebte günstigste Sachentscheidung getroffen hat, sondern die Sache an ein anderes Gericht verweist (vgl. BGH NJW 1975, 1246, 1237; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 208).

2.

Die Revision ist auch begründet.

Nach § 328 Abs. 2 StPO verweist das Berufungsgericht die Sache durch Urteil an das zuständige Gericht, wenn das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Darüber hinaus ist die Vorschrift auch dann anwendbar, wenn sich die Unzuständigkeit des Amtsgerichts - und damit des Berufungsgerichts, dessen sachliche Zuständigkeit nicht weiter ist, als die des Amtsgerichts (Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 328 Rdn. 9) - im Laufe des Berufungsverfahrens herausstellt (Paul in: KK-StPO 6. Aufl. § 328 Rdn. 13).

a) Ob die Rüge einer rechtsfehlerhaften Verweisung einer Strafsache nach § 328 Abs. 2 StPO durch das Berufungsgericht an ein höherrangiges Gericht mit einer Verfahrensrüge oder (wie es der Angeklagte hier unternimmt) mit einer Sachrüge geltend zu machen ist, ist in der Rechtsprechung umstritten.

Die Ausführungen in der von der Generalstaatsanwaltschaft in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGHSt 42, 205 ff.) deuten zunächst einmal darauf hin, dass insoweit eine Verfahrensrüge erforderlich ist. Es heißt nämlich in den Entscheidungsgründen, dass es sich bei § 328 Abs. 2 StPO um eine verfahrensrechtliche Vorschrift handele und im Rahmen der Revision gegen das Berufungsurteil das Problem betroffen sei, ob das sachlich zuständige Berufungsgericht das Verfahrensrecht beachtet hat, was nur auf eine entsprechende Verfahrensrüge zu beachten sei. Die auf eine Vorlage des Oberlandesgerichts Celle ergangene Entscheidung betraf allerdings den umgekehrten Fall, nämlich dass das Berufungsgericht selbst in der Sache entschieden und keine Verweisungsentscheidung getroffen hatte. Auch das BayObLG (NJW 1987, 3091) hielt in einem Fall, in dem das Berufungsgericht (bei fehlender Zuständigkeit des Amtsgerichts) gerade keine Verweisungsentscheidung getroffen hatte, die Geltendmachung dieses Rechtsfehlers mit einer Verfahrensrüge für erforderlich.

Für die vorliegende Fallgestaltung, nämlich dass gerügt wird, dass das Berufungsgericht zu Unrecht eine Verweisungsentscheidung nach § 328 Abs. 2 StPO getroffen hat, lässt sich den Entscheidungen BayObLG NStZ-RR 2000, 177 und BGH NJW 1975, 1236 entnehmen, dass jedenfalls das BayObLG eine Sachrüge für ausreichend erachtete. Dies wird zwar in den genannten Entscheidungen nicht ausdrücklich angesprochen. Jedoch zeigt dies der Sachverhalt der auf eine Vorlageentscheidung des BayObLG ergangenen o.g. Entscheidung des Bundesgerichtshofes und auch die Ausführungen in der o.g. Entscheidung des BayObLG, die u.a. lauten, dass die Feststellungen und Erwägungen des Landgerichts die getroffene Entscheidung nicht trügen, was auf eine Überprüfung auf die Sachrüge hin deutet.

Für die erstgenannte Auffassung - sofern man sie auf die vorliegende Fallgestaltung anwenden will - spricht, dass es sich bei § 328 Abs. 2 StPO eindeutig um eine Vorschrift des Verfahrensrechts handelt. Für die zweite Auffassung spricht hingegen, dass es letztendlich bei der Begründung der Verweisungsentscheidung, ob nämlich hinreichender Tatverdacht für die Begehung der schwerwiegenderen Straftat, für die die Zuständigkeit des Amtsgerichts bzw. des Berufungsgerichts nicht gegeben war, besteht (vgl. zu diesem Maßstab: BayObLG NStZ-RR 2000, 177 f.; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 328 Rdn. 7), um Fragen geht, die üblicherweise in Revisionsentscheidungen auf die Sachrüge hin geprüft werden und sich das entsprechende Verweisungsurteil nur zu dieser Frage verhält. Auch erscheint es nicht zwingend, dass eine fehlerhafte Entscheidung des Berufungsgerichts in der Sache und dessen fehlerhafte Verweisungsentscheidung revisionsrechtlich in gleicher Weise geltend gemacht werden müssen. Während bei einer fehlerhaften Entscheidung in der Sache sich die entsprechenden Umstände, nämlich Entscheidung in der Sache durch das Gericht des ersten Rechtszuges, Umstände, die ergeben, dass der von diesem bejahte Gerichtsstand falsch ist etc. (vgl. BayObLG NJW 1987, 3091) nicht unbedingt aus dem angefochtenen Urteil ergeben müssen (insoweit also die entsprechenden Tatsachen dem Revisionsgericht nur über eine Verfahrensrüge zur Kenntnis gebracht werden können), ergeben sich die Umstände einer fehlerhaften Verweisungsentscheidung zwanglos aus dem Urteil selbst.

Der Senat braucht die Frage allerdings nicht abschließend zu entscheiden. Auch wenn der Angeklagte hier nur die Verletzung sachlichen Rechts rügt, so müßte der so bezeichnete Angriff - wenn man eine Verfahrensrüge für erforderlich hält -jedenfalls entsprechend § 300 StPO umgedeutet und auch als Verfahrensrüge angesehen werden.

Die so erhobene Rüge der Verletzung des § 328 Abs. 2 StPO wäre vorliegend im Ergebnis ordnungsgemäß i.S.v. § 344 Abs. 2 StPO angebracht. Nach § 344 Abs. 2 StPO müssen die den geltend gemachten Verstoß enthaltenen Tatsachen so genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht auf Grund dieser Darlegung das Vorhandensein oder Fehlen eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden (OLG Hamm NJW 2009, 242 m.w.N.). Will der Angeklagte rügen, dass das Berufungsgericht die Sache zu Unrecht an das Schwurgericht verwiesen hat, so bedarf grundsätzlich der Darlegung, zu welcher Entscheidung (ggf. auf welcher tatsächlichen Grundlage) das Amtsgericht gelangt ist und welche Entscheidung (und auf welcher tatsächlichen Grundlage) das Berufungsgericht getroffen hat. Die Revision trägt vor, dass die kleine Strafkammer die Sache an das Schwurgericht verwiesen hat. Aus den Ausführungen zum fehlenden Tötungsvorsatz entnimmt der Senat, dass der Angeklagte sich gegen die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts eines versuchten Tötungsdeliktes als Verweisungsvoraussetzung wendet. Dass die Rüge ansonsten unvollständig ist, ist unschädlich, da die den Revisionsangriff fundierenden Tatsachen in dem angefochtenen Urteil, welches der Senat aufgrund der erhobenen Sachrüge ohnehin zur Kenntnis zu nehmen hat, enthalten sind (vgl.: OLG Hamm Beschl. v. 18.03.2008 - 3 Ss 92/08 m.w.N.; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2005, 208).

b) Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, da die darin enthaltene "Beweiswürdigung" eine revisionsgerichtliche Überprüfung nicht zulässt.

Das die Verweisung aussprechende Urteil muss Gründe enthalten, die dem Revisionsgericht eine Nachprüfung auf Rechtsfehler ermöglichen. Das bedeutet, dass das Berufungsgericht in seiner Entscheidung aufzeigen muss, dass hinreichender Tatverdacht bezüglich eines Deliktes besteht, für das seine Rechtsfolgenkompetenz nicht ausreicht (BayObLG NStZ-RR 2000, 177; Paul in: KK-StPO 6. Aufl. § 328 Rdn. 10). Das ist hier nicht der Fall.

Das angefochtene Urteil enthält zwar die Feststellungen zum Tatgeschehen, welche an sich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Aburteilung jedenfalls wegen versuchten Totschlags ergeben. Die Überprüfung, ob diese Feststellungen, die zur Annahme eines hinreichenden Tatverdachts führen, allerdings rechtsfehlerfrei getroffen wurden, ist dem Senat nicht möglich, da das angefochtene Urteil nahezu keine Beweiswürdigung enthält. Es wird lediglich mitgeteilt, dass der Angeklagte sich nicht zur Sache eingelassen hat. Ferner enthält es rudimentäre Ausführungen zur Begutachtung des Sachverständigen. Worauf das Berufungsgericht indes seine Feststellungen zum Tatgeschehen gründet, erschließt sich aus dem Urteil nicht. Der Senat kann daher nicht überprüfen, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und nicht in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar ist oder gegen Denk- und Erfahrungssätze verstößt (vgl. dazu OLG Hamm NZV 2008, 261 m.w.N.).

Dass Prüfungsmaßstab für die Verweisungsentscheidung nur ein hinreichender Tatverdacht und nicht - wie im Falle einer Verurteilung - die volle Überzeugung des Gerichts ohne vernünftige Zweifel ist, ändert daran nichts. Insoweit handelt es sich nur um einen unterschiedlichen Überzeugungsgrad hinsichtlich der Tatbegehung. Im Rahmen der Überprüfung eines Urteils nach § 328 Abs. 2 StPO muss das Revisionsgericht aber auch überprüfen können, ob das Berufungsgericht die für die Verweisungsentscheidung erforderliche Annahme hinreichenden Tatverdachts rechtsfehlerfrei getroffen hat. Ansonsten wäre das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter nicht hinreichend geschützt (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG).

Der Senat kann auch wegen der revisionsrechtlichen Beschränkung auf das schriftliche Urteil nicht auf den ihm - aufgrund seiner Vorbefassung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens - bekannten Akteninhalt zurückgreifen, zumal dieser auch keinen Aufschluss darüber vermittelt, ob bzw. welche Zeugen in welcher Form in der Berufungshauptverhandlung eine Aussage gemacht haben, bzw. welche sonstigen Beweisergebnisse in der Verhandlung erzielt werden konnten.

III.

Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass er Bedenken hat, ob das Urteil dem Angeklagten bereits ordnungsgemäß zugestellt ist. Für den Verteidiger des Angeklagten, an den das Urteil zugestellt wurde, befindet sich keine Vollmacht bei den Akten. Insoweit kommt zwar eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht in Betracht, die sich nicht bei den Akten befinden muss und deren Vorliegen auch noch nach der Zustellung nachgewiesen werden kann (BGH Beschl. v. 15.01.2008 - 3 StR 450/07 = BeckRS 2008, 03063; Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 145a Rdn. 2a). Die bloße Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch einen Verteidiger reicht aber insoweit als Nachweis nicht aus. Der entsprechenden Ansicht des BayObLG (NJW 2004, 1263, 1264) vermag sich der Senat nicht anzuschließen, da dann § 145a StPO weitgehend ausgehöhlt würde.

Der Einholung einer anwaltlichen Versicherung zur Zustellvollmacht bedurfte es hier aber nicht mehr, da das Urteil ohnehin der Aufhebung unterlag und es damit auf seine wirksame Zustellung an den Angeklagten nicht ankam.

Ende der Entscheidung

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