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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.05.2004
Aktenzeichen: 3 Ss 89/04
Rechtsgebiete: JGG


Vorschriften:

JGG § 27
JGG § 13
JGG § 16
Wird die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt, kann daneben kein Jugendarrest verhängt werden.
Beschluss

Strafsache

gegen R.S.

wegen gefährlicher Körperverletzung

Auf die zugunsten des Angeklagten eingelegte (Sprung-)Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Bielefeld vom 04. Dezember 2003 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 05. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seiner Verteidigerin gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Die Beiordnung von Rechtsanwältin S. als Pflichtverteidigerin wird abgelehnt.

2. Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Bielefeld hat den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil vom 04. Dezember 2003 der gefährlichen Körperverletzung sowie der Körperverletzung in zwei Fällen schuldig gesprochen und die Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Darüber hinaus hat es gegen den Angeklagten einen Dauerarrest von zwei Wochen verhängt.

Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit am 10. Dezember 2003 bei dem Amtsgericht in Bielefeld eingegangenem Schreiben vom 09. Dezember 2003 Berufung eingelegt. Das schriftliche Urteil ist der Staatsanwaltschaft am 13. Januar 2004 zugestellt worden. Mit am 10. Februar 2004 bei dem Amtsgericht in Bielefeld eingegangenem weiteren Schreiben hat die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel als Revision zugunsten des Angeklagten bezeichnet und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Revision hat die Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, die Koppelung einer Entscheidung nach § 27 JGG mit der Verhängung von Dauerarrest sei nicht zulässig.

Der Angeklagte hat sich mit am 13. Februar 2004 bei den Bielefelder Justizbehörden eingegangenem Schreiben seiner Verteidigerin vom selben Tage die Revision der Staatsanwaltschaft angeschlossen. Gleichzeitig hat die Verteidigerin beantragt, als Pflichtverteidigerin beigeordnet zu werden.

II.

1. Die Beiordnung von Rechtsanwältin S. als Pflichtverteidigerin war zurückzuweisen. Weder die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage noch die Schere der Tat und die zu erwartende Rechtsfolge bieten hier die Beiordnung eines Pflichtverteidigers, vgl. § 140 Abs. 1, Abs. 2 StPO. Der Angeklagte ist lediglich unter Aussetzung der Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe dreier Vergehen schuldig gesprochen worden. Die Revision ist zu seinen Gunsten eingelegt worden, so dass eine Verschlechterung der Rechtsfolgen zu seinem Nachteil ausscheidet. Auch der gleichzeitig verhängte Dauerarrest ist nicht geeignet, die Voraussetzung für die Beiordnung einer Pflichtverteidigerin zu begründen.

Die Entscheidung über die Ablehnung der Bestellung einer Pflichtverteidigerin ist eine Entscheidung des Vorsitzenden des Senates, § 141 Abs. 4 StPO.

2. Das zulässige Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Bielefeld hat auch in der Sache Erfolg. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Jugendschöffengerichts ist es nicht zulässig, Jugendarrest neben einer gleichzeitigen Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 27 JGG auszusprechen. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils war daher aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückzuverweisen, § 354 Abs. 2 StPO.

Die Unzulässigkeit der gleichzeitigen Verhängung von Jugendarrest neben der Aussetzung der Entscheidung über die Verhängung der Jugendstrafe erfolgt aus § 8 Abs. 2 JGG. Nach dieser Bestimmung können neben einer Jugendstrafe nur Weisungen und Auflagen erteilt werden und kann Erziehungsbeistand angeordnet werden. Die Verhängung von Freizeitarrest, einem Zuchtmittel im Sinne des § 13 Abs. 2 Nr. 3 JGG in Verbindung mit § 16 Abs. 1 JGG, ist nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 8 Abs. 2 JGG damit neben der Verhängung von Jugendstrafe ausgeschlossen. Seit langem streitig ist die Frage, ob ein Zuchtmittel verhängt werden kann, wenn eine Entscheidung über die Verhängung von Jugendstrafe gem. § 27 JGG zur Bewährung ausgesetzt wird. Hierzu hatte der Bundesgerichtshof bereits mit Urteil vom 09. Januar 1963 (BGHSt 18, 207) auf Vorlage des Kammergerichts entschieden, dass es nach § 8 Abs. 2 JGG ausgeschlossen sei, Jugendarrest neben einer gleichzeitigen Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe nach § 27 JGG auszusprechen (BGH, a. a. O.). Das vorlegende Kammergericht war dagegen der Auffassung, dass nach der Vorschrift des § 8 Abs. 2 Satz 2 JGG nur die gleichzeitige Verhängung mehrerer freiheitsentziehender Maßnahmen verboten sei, während durch die Entscheidung nach § 27 JGG eine Freiheitsentziehung zunächst nicht herbeigeführt werde (BGHSt 18, 208). Der Bundesgerichtshof hat mit überzeugenden Ausführungen, denen sich der Senat anschließt, begründet, dass der vom Kammergericht vertretenen Auslegung des § 8 Abs. 2 JGG nach Sinn und Zweck der Bestimmung nicht gefolgt werden kann. Jugendarrest und Jugendstrafe dienen ihrem Sinn und ihrer Zielsetzung nach verschiedenen Aufgaben und sind an das Vorliegen verschiedener Voraussetzungen geknüpft (BGHSt 18, 209). Der Jugendarrest ist im Gegensatz zur Jugendstrafe nicht auf die Durchführung eines umfassenden Erziehungsprozesses zugeschnitten, auch kommt der Jugendarrest vor allem bei Verfehlungen in Betracht, die sich in einer plötzlich auftretenden Situation ergeben, ohne dass der Täter sonst zu kriminellen Verhalten neigt, während die Entscheidung über die Aussetzung der Verhängung von Jugendstrafe gem. § 27 JGG gerade voraussetzt, dass bei dem Täter möglicherweise schädliche Neigungen in einem Umfang vorliegen, dass eine Jugendstrafe erforderlich ist, er mithin einer länger dauernden, umfassenden erzieherischen Einwirkung bedarf (BGHSt 18, 210). Da sich die Anwendungsbereiche von Jugendstrafe und Jugendarrest somit ausschließen, kann es nicht Sinn des § 8 Abs. 2 JGG sein, nur die gleichzeitige Verhängung beider Freiheitsentziehungen zu verbieten. Der Sinn kann vielmehr nur darin liegen, dass auf einen Täter wegen derselben Tat nicht beide Maßnahmen zur Anwendung kommen sollen. Diese Folge würde aber eintreten, wenn der Richter bei der Entscheidung gem. § 27 JGG neben der Aussetzung Jugendarrest verhängen und sodann aufgrund des § 30 JGG zur Anordnung der Jugendstrafe gelangen würde (BGHSt 18, 210 f).

Hinzu kommt, dass die gleichzeitige Verhängung von Jugendarrest neben einer Entscheidung nach § 27 JGG zur Folge hätte, dass der Jugendarrest vollzogen würde, obwohl seine Voraussetzungen nicht festgestellt sind (BGHSt 18, 212). Voraussetzung für die Ahndung einer Straftat mit Zuchtmitteln ist gem. § 13 Abs. 1 JGG nämlich gerade, dass Jugendstrafe nicht geboten ist. Die Entscheidung nach § 27 JGG setzt demgegenüber voraus, dass der Richter in der Hauptverhandlung nicht feststellen kann, ob schädliche Neigungen vorliegen oder nicht, mithin gerade nicht positiv feststellen kann, dass die Verhängung einer Jugendstrafe nicht geboten ist (vgl. BGHSt 18, 211). Eine so einschneidende Maßnahme, wie sie eine Freiheitsentziehung ist, auf die Gefahr hin anzuordnen, dass sich nachträglich herausstellt, ihre im Gesetz geforderten Voraussetzungen seien nicht gegeben, ist aber untragbar (BGHSt 18, 211).

Dieser Ansicht, die der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 17. Mai 1988 (BGHSt 35, 288) aufgegriffen und bestätigt hat, haben sich die Obergerichte und nunmehr auch die herrschende Meinung im Schrifttum - mit zum Teil unterschiedlicher Begründung - angeschlossen (OLG Celle, NStZ 1988, 315; BayObLG NStZ-RR 1997, 216 und NStZ-RR 1998, 377; Ostendorf, JGG, 6. Aufl., § 27 JGG Rdnr. 10; Eisenberg, JGG, 10. Aufl., § 8 Rdnr. 11; Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl., § 27 Rdnr. 13 - 15; Diemer, in: Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 4. Aufl., § 8 Rdnr. 6, je m. w. N.).

Die gegenteilige Ansicht (neben den Kammergericht noch LG Augsburg, NStZ 1986, 507, AG Winsen, NStZ 1982, 120) ist, worauf das BayObLG (BayObLG NStZ-RR 1997, 216) zutreffend hinweist, auch durch den zwischenzeitlichen Gang des Gesetzgebungsverfahrens überholt. Die Einspurigkeit des Freiheitsentzuges im Jugendstrafrecht im Sinne der Entscheidung BGHSt 18, 207 wurde durch das 1. Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes am 30. August 1990 nämlich nicht geändert, sondern vielmehr bestätigt. Dies ergibt sich aus dem Gang des Gesetzgebungsverfahrens (wiedergegeben bei BayObLG, NStZ-RR 1997, 216 und Brunner/Dölling, a. a. O., § 27 Rdnr. 14). Im Arbeitsentwurf 1982 und im Referentenentwurf 1983 des Bundesjustizministeriums war § 8 Abs. 2 JGG nämlich durch einen Satz 2 ergänzt worden, der bei § 27 und selbst bei § 21 (Aussetzung der Jugendstrafe) die Anordnung eines Einstiegsarrestes als "vielfach erzieherisch sinnvolle Koppelung" (Begründung des Arbeitsentwurfs, S. 23, Referentenentwurf S. 24, zit. nach Brunner/Dölling, a. a. O. Rdnr. 14) zugelassen hat. Diese Neufassung des § 8 Abs. 2 JGG im Sinne der auch hier von dem Jugendschöffengericht vertretenen Gegenansicht ist aber im weiteren Gesetzgebungsverfahren kommentarlos fallen gelassen worden. Bereits im Regierungsentwurf 1989 (BT-Drucksache 11/5829) war sie nicht mehr enthalten und wurde später auch nicht Gesetz. Durch die bewusst unterbliebene Änderung des § 8 Abs. 2 JGG hat der Gesetzgeber aber zu erkennen gegeben, dass er die Kombination von Jugendarrest und Aussetzung des Strafausspruchs nach § 27 JGG nicht zulassen will (so auch BayObLG, NStZ-RR 1997, 216; NStZ-RR 1998, 377, 378).

Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Eine eigene Sachentscheidung des Senats gem. § 354 Abs. 1 StPO scheidet aus, da es für die Entscheidung über die Verhängung der geeigneten Rechtsfolge ganz wesentlich auf den vom Angeklagten in der erneuten Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck ankommt.

Ende der Entscheidung

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