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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.09.2001
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 199/01
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 37
Zum qualifizierten Rotlichtverstoß, wenn der Betroffene geltend macht, er sei durch die Sicht auf die Lichtzeichenanlage durch Sonnenblendung verhindert gewesen.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen S.S.,

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 08.01.2001 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 06.09.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 08.01.2001 wegen fahrlässiger Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens zu einer Geldbuße von 150,00 DM verurteilt worden.

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

"Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 28-jährige Betroffene fuhr am 20.04.2000 in Bielefeld unter anderem die Bodelschwinghstraße/Hauptstraße. Es war gegen ca. 15:29 Uhr und die Sonne schien. Im Kreuzungsbereich zur Hauptstraße überfuhr der Betroffene die dortige Kreuzungsampel, obwohl sie seit mehr als einer Sekunde Rot zeigte. Er bog nach rechts ab, als die Kamera auslöste. Vor dem Betroffenen fuhr ein Transporter, der wegen die Straße überquerender Fußgänger plötzlich anhielt. Damit hatte der Betroffene nicht gerechnet, da die Ampel für die Fußgänger zu diesem Zeitpunkt bereits Rot zeigte. Als der Transporter vor dem Betroffenen losfuhr fuhr auch der Betroffene weiter. Die an dieser Kreuzung sich befindliche Rotlichtkamera löste erstmalig aus, als der Betroffene jenseits der Haltelinie stand und eine Zeit von 2,24 Sekunden nach Umspringen auf Rot vergangen war. Ein weiteres Mal löste die Kamera aus, als der Betroffene sich unmittelbar im Rechtsabbiegevorgang befand. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa 2,84 Sekunden vergangen."

Das Amtsgericht hat den Betroffenen eines fahrlässigen qualifizierten Rotlichtverstoßes gemäß §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24 StVG für schuldig befunden. Es ist von einem atypischen qualifizierten Rotlichtverstoß ausgegangen und hat die verhängte Geldbuße von 150,00 DM wie folgt begründet:

"Der Betroffene hielt sich im von der Ampel geschützten Fußgängerbereich auf, als der Blitz auslöste. Zuvor war er bei Grün in die Kreuzung gefahren. Er hat sich somit offensichtlich um ein verkehrsgerechtes Verhalten bemüht und hatte den Bereich räumen wollen, als der Kastenwagen vor ihm seine Fahrt fortgesetzt hat.

Selbst wenn man nunmehr die Begründung der Staatsanwaltschaft liest, dass der Betroffene bereits bei Rot auf Grund der von der Stadt vorgelegten Daten in die Kreuzung hingefahren sein soll, ist zu Gunsten des Betroffenen zu berücksichtigen dass, wie aus den Photos ersichtlich starker Sonnenschein herrschte und der Betroffene wie er auch eingeräumt hat, in jedem Fall geblendet worden ist. Insoweit erscheint dann aber die Herabsetzung auf 150,00 DM ausreichend zur Ahndung des qualifizierten Rotlichtverstoßes. Ebenso wurde von der Verhängung des Fahrverbotes abgesehen. Angesichts der Umstände - vor ihm fahrendes Fahrzeug, jedenfalls aber auch starker Sonnenschein - ist das Verhalten des Betroffenen nicht als grob rücksichtslos zu bewerten. Hierbei hat das Gericht auch berücksichtigt, dass der Betroffene andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet hat."

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld. Sie rügt eine Verletzung materiellen Rechts und macht geltend, die Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene sei bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren, sei nicht haltbar. Aus den beiden Lichtbildern der Rotlichtüberwachungskamera ergebe sich nämlich, dass der Betroffene in dem Zeitraum von 0,6 Sekunden, der zwischen den beiden Photos liege, etwa eine Wagenlänge und damit eine Strecke von 3,31 m zurückgelegt habe, woraus sich eine Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Betroffenen von mindestens 20 km/h errechne. Aus dem Stand hätte das Fahrzeug des Betroffenen eine solche Geschwindigkeit nur dann erreichen können, wenn es ca. 4 m vor der ersten Kontaktschleife gestanden und einen Kavaliersstart mit einer Beschleunigung von 4,0 m/sec² absolviert hätte. Durch die beiden Lichtbilder sei vielmehr erwiesen, dass der Betroffene, nachdem die Ampel bereits 2,24 Sekunden Rotlicht gezeigt habe, mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h in den Kreuzungsbereich eingefahren sei. Die Herabsetzung der Regelgeldbuße und das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes seien daher rechsfehlerhaft, zumal auch die von dem Amtsgericht herangezogene Blendwirkung der Sonne keinen Umstand darstelle, der das Verhalten des Betroffenen in einem milderen Licht erscheinen ließe. Das gleiche gelte, soweit das Amtsgericht darauf abgestellt habe, dass es zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht gekommen sei. Denn ein qualifizierter Rotlichtverstoß gemäß Ziffer 34.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV, der dem Betroffenen vorgeworfen sei, setze eine solche Gefährdung nicht voraus.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld beigetreten.

II.

Die Rechtsbeschwerde führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Bielefeld.

Das angefochtene Urteil konnte schon deshalb keinen Bestand haben, weil es widersprüchliche Ausführungen enthält. So heißt es ausdrücklich bei der Mitteilung des festgestellten Sachverhaltes, dass der Betroffene im Kreuzungsbereich zur Hauptstraße die dortige Kreuzungsampel überfuhr, obwohl diese seit mehr als einer Sekunde Rot zeigte. Im Rahmen der Bußgeldzumessung wird dagegen ausgeführt, der Betroffene habe sich im von der Ampel geschützten Fußgängerbereich aufgehalten, als der Blitz ausgelöst habe. Zuvor sei er bei Grün in die Kreuzung gefahren. Diese beiden unterschiedlichen Sachverhaltsdarstellungen lassen sich nicht miteinander in Einklang bringen. Ist der Betroffene an der hier in Rede stehenden Lichtzeichenanlage bei Rotlicht vorbeigefahren, so kann er nicht in den sich an die Lichtzeichenanlage anschließenden und von dieser geschützten Kreuzungsbereich bei Grünlicht eingefahren sein. Der aufgezeigte Widerspruch in den Urteilsgründen lässt sich auch durch Auslegung nicht auflösen. Denn die amtsgerichtliche Beweiswürdigung, die sich mit der Einlassung des Betroffenen sowie mit den beiden durch die Rotlichtüberwachungskamera erstellten Lichtbilder befasst, lässt jegliche Auseinandersetzung mit der Frage, welches Lichtzeichen die Kreuzungsampel angezeigt hat, als der Betroffene in den Kreuzungsbereich einfuhr, vermissen. Eben so wenig wird bei der Wiedergabe und Auslegung der Einlassung des Betroffenen mitgeteilt, dieser habe sich darauf berufen, dass er bei Grünlicht in die Kreuzung gefahren sei.

Ob die im Rahmen der Bußgeldzumessung vorgenommene Wertung des Amtsgerichts, der Betroffene sei bei Grünlicht in die Kreuzung gefahren, außerdem als rechtsfehlerhaft einzustufen ist, wie mit der Rechtsbeschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Bielefeld vorgetragen worden ist, vermochte der Senat auf Grund der mit der Rechtsbeschwerde ausschließlich erhobenen Sachrüge nicht zu überprüfen. Die Sachrüge führt zu einer Überprüfung des angefochtenen Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht, wobei als Überprüfungsgrundlage nur die Urteilsgründe zur Verfügung stehen. Ein Rückgriff auf die Akten ist im Rechtsmittelgericht bei erhobener Sachrüge verwehrt. Vorliegend hat sich die Staatsanwaltschaft Bielefeld zur Begründung ihrer Auffassung, die Wertung des Amtsgericht, der Betroffene sei bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren, sei unhaltbar, auf die beiden durch die Rotlichtüberwachungskamera gefertigten Lichtbilder bezogen und dabei insbesondere auf die Strecke abgestellt, die der Betroffene bei einer Auswertung dieser Photos in der Zeit zwischen dem erstmaligen Auslösen der Rotlichtüberwachungskamera bei einer Rotlichtzeit von 2,24 Sekunden und dem erneuten Auslösen bei einer Rotlichtzeit von 2,84 Sekunden zurückgelegt hat. Ob die von der Staatsanwaltschaft errechnet Fahrstrecke zutreffend ist, vermag der Senat ohne eine eigene Inaugenscheinnahme dieser Lichtbilder nicht zu überprüfen. Dies ist dem Senat jedoch vorliegend verwehrt. Denn eine Verweisung gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, auf Grund derer die Lichtbilder Bestandteil der Urteilsgründe geworden wären, ist in dem angefochtenen Urteil nicht erfolgt. Die Mitteilung, dass die Photos Gegenstand der Verhandlung waren, reicht dafür nicht aus.

In der erneuten Hauptverhandlung wird das Amtsgericht jedoch Gelegenheit haben, sich mit den Einwendungen, die die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit ihrer Rechtsbeschwerde erhoben hat, auseinander zusetzen. Für die erneute Hauptverhandlung weißt der Senat außerdem vorsorglich auf Folgendes hin: Die Einstrahlung von Sonnenlicht auf eine Lichtzeichenanlage begründet wegen der damit häufig verbundenen schwierigen oder missverständlichen Erkennung der jeweiligen Farbphase eine besondere Sorgfaltspflicht des Kraftfahrzeugführers. Es stellt schon im Hinblick auf die möglichen besonders schwerwiegenden Folgen eines Rotlichtverstoßes eine auch subjektiv grobe Pflichtverletzung dar, wenn der Kraftfahrer ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen - wie etwa die sorgfältige Beobachtung des Querverkehrs - in den Kreuzungsbereich einfährt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 11.03.1999 - 1 Ss OWi 203/99 -, veröffentlicht in DAR 1999, 326).

Zu Recht weist die Staatsanwaltschaft Bielefeld in ihrer Rechtsbeschwerdebegründung darauf hin, dass die Anlage zur Bußgeldkatalogverordnung zwischen einem qualifizierten Rotlichtverstoß (Nr. 34.2), der mit einer Regelbuße von 250,00 DM und einem Monat Fahrverbot geahndet wird, und einem qualifizierten Rotlichtverstoß mit Gefährdung oder Sachbeschädigung (Nr. 34.2.1), der mit einem Bußgeld in Höhe von 400,00 DM und einem einmonatigen Fahrverbot geahndet wird, unterscheidet. Die Bußgeldkatalogverordnung geht daher bei einem Rotlichtverstoß gemäß der Nr. 34.2 davon aus, dass eine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht eingetreten ist. Demgemäss stellt der Umstand, dass es zu einer solchen Gefährdung nicht gekommen ist, keinen Milderungsgrund dar, der es rechtfertigt, bei einem Rotlichtverstoß gemäß Nr. 34.2 der Anlage zur Bußgeldkatalogverordnung die dafür vorgesehene Regelgeldbuße von 250,00 DM herabzusetzen sowie von der Verhängung des vorgesehenen Regelfahrverbotes abzusehen.

Ein qualifizierter Rotlichtverstoß im Sinne von Nr. 34.2 der Anlage zur Bußgeldkatalogverordnung kann vorliegend auch dann in Betracht kommen, wenn die Hauptverhandlung ergeben sollte, dass der Betroffene bei Grünlicht die Haltelinie überfahren und sodann nach verkehrsbedingtem Halt bei schon länger als einer Sekunde andauernder Rotphase in die Kreuzung eingefahren ist. Allerdings bedarf es bei einer solchen Konstellation, um dem jeweiligen Einzelfall gerecht zu werden, auch unter Berücksichtigung der indiziellen Wirkung des Regelbeispiels der Nr. 34.2 Bußgeldkatalogverordnung der sorgfältigen Prüfung, ob der Fahrzeugführer mit dem Einfahren in den Kreuzungsbereich bei Rotlicht seine Pflichten "grob" im Sinne des § 25 StVG verletzt hat, was jedenfalls in den Fällen, in denen er sein Fahrzeug vor der Lichtzeichenanlage angehalten hat und erst nach längerer Rotlichtdauer in den geschützten Bereich eingefahren ist, regelmäßig zu bejahen sein wird (vgl. BGH NJW 1999, 2978).

Ende der Entscheidung

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