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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.05.2004
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 293/04
Rechtsgebiete: BKatV


Vorschriften:

BKatV § 4
Das Amtsgericht kann das Absehen von der Verhängung des Fahrverbots nicht mit dem aufgrund der Straßenverhältnisse geringer erscheinenden Grad der Fahrlässigkeit und fehlender zu berücksichtigender Voreintragungen begründen.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen D.S.

wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 02. Dezember 2003 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 27. 05. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Herford zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Herford hat durch das angefochtene Urteil gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine (erhöhte) Geldbuße von 300,00 € verhängt; von der Verhängung eines Fahrverbotes wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV hat das Amtsgericht abgesehen.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 08. April 2002 um 18.46 Uhr in Bünde die Dünner Straße in Fahrtrichtung Dünne, wobei die gemessene Geschwindigkeit auf einem Teilstück der Dünner Straße innerhalb der geschlossenen Ortschaft 96 km/h betrug. Das Gericht ging nach Abzug eines Toleranzwertes von 3 km/h von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 43 km/h aus.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Sie ist ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der örtlichen Staatsanwaltschaft beigetreten.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg, denn die Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils weist einen durchgreifenden materiell-rechtlichen Rechtsfehler auf.

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 07. Mai 2004 Folgendes ausgeführt:

"Die Erwägungen des Amtsgerichts tragen weder für sich genommen noch unter Gesamtwürdigung aller Umstände das Absehen von der Verhängung des bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften um 43 km/h gemäß Tabelle 1 c des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV, lfd. Nr. 11.3.7 vorgesehenen Regelfahrverbots.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und somit von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (zu vgl. BGH NStZ 1992, 286 - 288). Ihm ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Verhängung des Fahrverbots oder des Absehens von einem solchen nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 20.03.1997 - 3 Ss OWi 52/97 -).

Eine Überschreitung des eingeräumten Ermessens ist vorliegend gegeben.

Von der Anordnung eines Fahrverbots kann gemäß § 4 Abs. 4 BKatV in Einzelfällen unter Erhöhung der Geldbuße abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt und die Verhängung trotz der groben Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG unangemessen wäre, wobei nach obergerichtlicher Rechtsprechung möglicherweise schon erhebliche Härten oder aber eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände ausreichen, um eine Ausnahme zu begründen (zu vgl. Senatsbeschluss vom 11.08.1998 - 3 Ss OWi 697/98 - m. w. N.).

Das Amtsgericht hat das Absehen von der Verhängung des Fahrverbots zum einen mit dem aufgrund der Straßenverhältnisse geringer erscheinenden Grad der Fahrlässigkeit und fehlender zu berücksichtigender Voreintragungen begründet.

Zunächst ist nicht nachvollziehbar, weshalb die nach den Feststellungen keine Besonderheiten aufweisenden Straßenverhältnisse eine Minderung des Grades der Fahrlässigkeit des Betroffenen rechtfertigen sollen, zumal das Gericht selbst zutreffend ausgeführt hat, dass sich das fahrlässige Verschulden wesentlich mildernde Umstände gerade nicht haben feststellen lassen. Auch das Fehlen zu berücksichtigender Voreintragungen gibt - worauf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zu Recht hingewiesen hat - keinen Anlass, von einem Regelfall abzusehen.

Darüber hinaus hat das Gericht eine wirtschaftliche Existenzgefährdung des Betroffenen bei Verhängung des Fahrverbots angenommen und dazu ausgeführt, der Betroffene sei selbständig ohne Angestellte in der Baubranche tätig, die von der wirtschaftlichen Entwicklung in großem Maße beeinträchtigt sei, so dass es ohne weitere Prüfung glaubhaft sei, dass der Betroffene einen einmonatigen Erholungsurlaub nicht nehmen und während des Zeitraumes keine neuen Kunden aquirieren und Baustellen betreuen könne.

Diese Feststellungen lassen indes offen, ob der Betroffene die während der Dauer des Fahrverbots anfallenden Fahrten nicht auch - gegebenenfalls unter Inkaufnahme eines erheblichen Zeitverlustes - mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte zurücklegen können oder die Folgen - jedenfalls teilweise - durch die Inanspruchnahme von Urlaub hätten gemildert werden können. Die dazu erfolgten eigenen Angaben des Betroffenen hat das Gericht in unzulässiger Weise ungeprüft als glaubhaft hingenommen. Auch die sich aufdrängende Möglichkeit, für die Dauer des Fahrverbotes einen Ersatzfahrer einzustellen, bleibt unerörtert.

Unbeschadet der Frage, ob das Gericht sich angesichts der Verhängung einer Geldbuße in Abweichung von den Regelsätzen der Bußgeldkatalogverordnung mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen hätte auseinandersetzen müssen (zu vgl. Senatsbeschluss vom 17.09.1996 - 3 Ss OWi 1275/96 - m. w. N.) oder ob dieses mangels fehlender Anhaltspunkte für außergewöhnlich gute oder schlechte wirtschaftliche Verhältnisse nicht erforderlich war (zu vgl. Senatsbeschluss vom 30.01.1996 - 3 Ss OWi 1459/95 -), ist das Urteil wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und der Bußgeldmessung im Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Herford zurückzuverweisen. Eine eigene Entscheidung des Senats gemäß § 79 Abs. 6 OWiG kommt nicht in Betracht, weil eine weitere Sachaufklärung zur Frage der wirtschaftlichen Existenzgefährdung jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen erscheint."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie zum Gegenstand der eigenen Entscheidung.

Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Herford zurückzuverweisen. Für eine Zurückverweisung an eine andere Abteilung hat der Senat noch keine Veranlassung gesehen.

Ende der Entscheidung

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