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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.07.2004
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 327/04
Rechtsgebiete: BKatV


Vorschriften:

BKatV § 4
Für ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes aus beruflichen Gründen ist es nicht ausreichend, wenn der Betroffene lediglich die Befürchtung hat, dass er im Falle einer Vollstreckung des Fahrverbotes seinen Arbeitsplatz verlieren könne.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen K.P.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 10. März 2004 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 01. 07. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. dessen Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bottrop zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Bottrop hat durch Urteil vom 10. März 2004 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 47 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft - fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG in Verbindung mit den §§ 3, 41, 49 StVO - eine Geldbuße in Höhe von 200,- € festgesetzt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Betroffene beruflich als Feinmechaniker tätig und lebt in geregelten Einkommensverhältnissen. Das Verkehrszentralregister weist keine Eintragung des Betroffenen auf.

Der Betroffene befuhr am 28.07.2003 gegen 13.58 Uhr mit dem von ihm geführten PKW BMW die außerhalb geschlossener Ortschaft verlaufende Dinslakener Straße, auf der normalerweise die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt ist, in Fahrtrichtung Osten. Auf dem Streckenabschnitt zwischen der Flugplatzstraße und dem Alten Postweg überschritt der Betroffene die in diesem Bereich wegen Straßenschäden durch das Verkehrszeichen 274 auf 50 km/h festgesetzte Höchstgeschwindigkeit um 47 km/h. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mit Hilfe des Police-Pilot-Systems durch Nachfahren.

Das Amtsgericht hat für die angenommene fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 47 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft die für einen solchen Verstoß vorgesehene Regelgeldbuße von 100,- € verdoppelt und gegen den Betroffenen ein Bußgeld von 200,- € festgesetzt. Von der Verhängung eines Fahrverbotes hat das Amtsgericht abgesehen und zur Begründung Folgendes ausgeführt:

"Die Verhängung eines Fahrverbotes wäre eine Härte ganz außergewöhnlicher Art. Der Betroffene ist bei der Firma Siemens AG beschäftigt. Es wird als Springer entweder im Werk Bocholt oder im Werk Kamp-Lintfort eingesetzt. Die Arbeitsstellen sind vom Wohnort des Betroffenen in Gelsenkirchen 70 km (Bocholt) und 65 km (Kamp-Lintfort)entfernt und können mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreicht werden, jedenfalls nicht zu Arbeitsbeginn. Ein zusammenhängender Urlaubsanspruch von 1 Monat besteht nicht. Der Betroffene hat die Befürchtung, dass er seinen Arbeitsplatz verliert, wenn das Fahrverbot vollstreckt wird und er seinen Arbeitsplatz nicht mehr erreichen kann. Diese Befürchtung ist nicht von der Hand zu weisen. Aus der örtlichen und überörtlichen Presse ist bekannt, dass die Siemens AG an den Standorten Bocholt und Kamp-Lintfort bis zu 2000 Arbeitsplätze abbauen will zu Gunsten einer Produktionsverlagerung in die neuen EU-Staaten. Im Hinblick auf die aufgezeigten Umstände erscheint die Verhängung eines Fahrverbots nicht als unerlässlich, um auf den Betroffenen dahingehend einzuwirken, zukünftig keine Verkehrsverstösse mehr zu begehen. Der Betroffene ist jetzt sei fast 19 Jahren im Besitz der Fahrerlaubnis. Er ist nicht vorbelastet und hat in der Hauptverhandlung einen zuverlässigen Eindruck hinterlassen. Hinzu kommt, dass die Dinslakener Straße im Prinzip für 70 km/h freigegeben ist und nur wegen der Straßenschäden auf Teilbereichen die Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h herabgesetzt war. Nach Reparatur dieser Schäden ist in einigen Bereichen die Höchstgeschwindigkeit schon wieder auf 70 km/h heraufgesetzt worden. Nach alledem ist von der Verhängung eines Fahrverbotes unter deutlicher Heraufsetzung der Geldbuße abgesehen worden."

Gegen dieses Urteil richtet sich die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und wendet sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Rechtsbeschwerde unter ergänzenden Ausführungen angeschlossen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils kann keinen Bestand haben. Denn die Entscheidung des Amtsgerichts über das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsentscheidungen vom 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; 04.07.2002 - 3 Ss OWi 339/02 -; 06.06.2000 - 3 Ss OWi 237/00 -; 20.03.1997 - 3 Ss OWi 52/97 -; 06.02.1997 - 3 Ss OWi 13/97 -; 07.03.1996, JMBl. 1996, 246).

Berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes hat der Betroffene regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. Senatsbeschlüsse vom 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; 17.07.2003 - 3 Ss OWi 227/03 -; 26.02.2002 - 3 Ss OWi 1065/01 -; OLG Hamm VRS 90, 210; DAR 1996, 325; NZV 1995, 366).

Das Amtsgericht hat im vorliegenden Verfahren nicht festgestellt, dass die Verhängung eines Fahrverbotes mit derart schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbunden ist. Vielmehr wird in den Urteilsgründen lediglich ausgeführt, dass der Betroffene die Befürchtung habe, dass er im Falle einer Vollstreckung des Fahrverbotes seinen Arbeitsplatz verlieren könne. Hinreichend konkrete und nachprüfbare Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigen könnten, sind durch das Amtsgericht nicht festgestellt worden. Der bloße Hinweis auf eine von der Arbeitgeberin des Betroffenen beabsichtigte Verlagerung von Arbeitsplätzen in osteuropäische Staaten reicht für die Annahme des drohenden Arbeitsplatzverlustes infolge der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes nicht aus.

Soweit das Amtsgericht ausführt, dass der Betroffene seine Arbeitsstelle im Werk Bocholt oder im Werk Kamp-Lintfort der Firma Siemens AG von seinem Wohnort in Gelsenkirchen aus nicht mit öffentlichen Verkehrmitteln erreichen könne, jedenfalls nicht zu Arbeitsbeginn, lässt sich aus dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen, ob der Betroffene aufgrund dessen mit einem Verlust seines Arbeitsplatzes zu rechnen hat. Abgesehen davon sind diese Angaben für den Senat nicht nachprüfbar, da Angaben zu den Arbeitszeiten des Betroffenen sowie zu den in Betracht kommenden Verkehrsmitteln fehlen. Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter. Die entsprechenden Tatsachen müssen in den Urteilsgründen dargelegt werden. Erforderlich ist außerdem eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob und in welchem Umfang dem Betroffenen zumutbare Maßnahmen zur Verfügung stehen, um die nachteiligen beruflichen Auswirkungen eines Fahrverbotes abzumildern oder auszuschließen. Die Angabe in dem angefochtenen Urteil, ein zusammenhängender Urlaubsanspruch des Betroffenen von einem Monat bestehe nicht, genügt diesen Anforderungen nicht. Denn es bleibt offen, ob nicht zumindest eine teilweise Überbrückung der Dauer eines einmonatigen Fahrverbotes durch die Inanspruchnahme von Urlaub möglich wäre. Darüber hinaus hätte das Amtsgericht sich mit der Frage befassen müssen, ob vorliegend während der Dauer eines einmonatigen Fahrverbotes eine vorübergehende Verlegung des Arbeitszeitbeginns oder eine Tätigkeit des Betroffenen an nur einem der beiden Werksstandorte der Arbeitgeberin des Betroffenen in Betracht kommen kann. Darüber hinaus wäre die Möglichkeit zu prüfen, ob dem Betroffenen eventuelle Mitfahrgelegenheit zur Verfügung stehen, oder ob er auf einen Fahrer aus dem Kollegenkreis zurückgreifen kann. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass der Tatrichter für seine Überzeugung vom Vorliegen eines Ausnahmefalles eine auf Tatsachen gestützte Begründung geben muss, die sich nicht nur in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen darf (vgl. Senatsbeschluss vom 25.05.2004 - 3 Ss OWi 301/04 -). Der Amtsrichter hat vielmehr die Angaben des Betroffenen ggf. durch eine Beweisaufnahme auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass es sich bei der hier in Rede stehenden Geschwindigkeit nach den Urteilsfeststellungen um den ersten Verstoß eines Kraftfahrers handelt, der eine lange Zeit unbeanstandet ein Kraftfahrzeug geführt hat, allein nicht ausreicht, um ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes zu rechtfertigen (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 25 StVG Randziffer 25 m.w.N.).

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und an das Amtsgericht Bottrop zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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