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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.07.2004
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 401/04
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 74 Abs. 2
Will das Amtsgericht den Einspruch eines Betroffenen mit der Begründung verwerfen will, von ihm vorgebrachtes Entschuldigungsvorbringen sei nur vorgeschoben und deshalb sei er nicht genügend entschuldigt und will es seine Überzeugung insoweit auf früheres Entschuldigungsverhalten des Betroffenen, das es zunächst als ausreichend angesehen hat, stützen, muss es, wenn dieses nun als nicht mehr ausreichend angesehen werden soll, aufklären, ob der Betroffene damals ausreichend entschuldigt gewesen ist oder nicht. Das gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens.
Beschluss

Bußgeldsache gegen H. M.,

wegen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 1. Dezember 2003 hat der 3 . Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 6. Juli 2004 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 2 Nr. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. dessen Verteidigers beschlossen: Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Herford zurückverwiesen.

Gründe:

I. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Landrates des Kreises Herford vom 15. Oktober 2002 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.

Das Amtsgericht hatte zunächst Termin zur Hauptverhandlung auf den 22.9.2003 bestimmt. Mit Schreiben seines Verteidigers vom 4.7.2003 hat dieser Terminsaufhebung und Terminsverschiebung unter Beifügung eines amtsärztlichen Gutachtens des Kreises Herford vom 12.3.2001 beantragt, "da der Betroffene außerhalb des Raumes Bünde dauerhaft verhandlungsunfähig sei".

Das Amtsgericht verlegte mit Verfügung vom 9.9.2003 den Verhandlungstermin auf den 17.11.2003 und teilte dem Verteidiger ergänzend mit, das Gericht sähe zur Zeit keine Veranlassung bei dem Amtsgericht Bünde zu verhandeln. Aufgrund dienstlicher Verhinderung des erkennenden Richters verlegte das Amtsgericht Herford mit Datum vom 21.10.2003 den Verhandlungstermin auf den 1.12.2003

Mit Datum vom 14.11.2003 beantragte der Verteidiger des Betroffenen erneut Terminsverschiebung unter Beifügung eines Attestes des Dr. med. Eberhard Stucke vom 13.11.2003 mit der Begründung, der Betroffene leide unter Panikattacken und sei außerhalb des Amtsgerichtsbezirks Bünde nicht verhandlungsfähig.

Zum Hauptverhandlungstermin am 1. Dezember 2003 erschien lediglich der Verteidiger des Betroffenen. Den Antrag des Verteidigers in der Hauptverhandlung, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, lehnte das Amtsgericht ab und verwarf den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Kreises Herford durch das angefochtene Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG mit der Begründung, der Betroffene sei im Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben, obwohl sein persönliches Erscheinen angeordnet worden sei. Die vom Betroffenen vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen reichten nicht aus, um eine für den 1.12.2003 vorgetragene Verhandlungsunfähigkeit beim AG Herford ausreichend darzulegen und zu beweisen (wird weiter ausgeführt). Insgesamt habe das Gericht damit erhebliche Zweifel, ob die vorgetragene Verhandlungsunfähigkeit tatsächlich bestehen würde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil vom 1.12.2003, Bl. 83 - 92 d. GA Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde und seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Den Wiedereinsetzungsantrag hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 25.3.2004 als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht Bielefeld mit Beschluss vom 11. Mai 2004 verworfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat - zumindest vorläufig - Erfolg, so dass das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückzuverweisen war.

1) Die Rechtsbeschwerde ist noch ausreichend begründet. Wird mit der Rechtsbeschwerde gegen eine gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenes Verwerfungsurteil geltend gemacht, dieses gehe zu Unrecht davon aus, dass der Betroffene nicht genügend entschuldigt gewesen sei, setzt die Überprüfung der vom Amtsgericht vorgenommenen Wertung die Erhebung einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG genügenden Verfahrensrüge voraus (Göhler § 74 Rn. 48 b).

Die Begründung in der Rechtsbeschwerdeschrift genügt diesen Anforderungen. Insoweit ist bereits mit dem Vortrag, das Amtsgericht habe das Ausbleiben des Betroffenen im Termin nicht als unentschuldigt ansehen dürfen, eine zulässige Verfahrensrüge erhoben (Göhler OWiG § 74 Rn. 48 b mwN). Denn aus dem Verwerfungsurteil selbst ergibt sich in Ergänzung dazu, dass der Betroffene unter Vorlage von Attesten dem Gericht Entschuldigungsgründe vorgetragen hat (vgl. OLG Köln, NZV 1999, 261 (262)). Die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils brauchen dagegen nicht wiederholt zu werden. Das wäre reiner Formalismus (OLG Düsseldorf NStZ 1994, 331 = StV 1994, 148).

2) Das Rechtsmittel ist auch begründet, da die Urteilsbegründung an einem Rechtsfehler leidet, der zur Aufhebung führt. Nach § 74 Absatz 2 OWiG ist, wenn der Betroffenen trotz ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung über die Folgen seines Ausbleibens in der Hauptverhandlung ausbleibt, die Verwerfung seines Einspruches nur zulässig, wenn das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Dabei ist nach übereinstimmender obergerichtlicher Rechtsprechung (BayObLG NZV 98, 426; OLG Düsseldorf VRS 92, 259; OLG Köln DAR 99, 44 OLG Hamm VRS 93, 122 sowie in MDR 1997, 686 = NZV 1997, 411 (Ls.) = ZAP EN-Nr. 691/97 = VRS 93, 450, Göhler § 74 Rn. 31) nicht entscheidend, ob der Betroffene sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist. Das Amtsgericht muss, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungsgrund vorliegt, dem im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht nachgehen (vgl. u.a. OLG Hamm NJW 1965, 410; OLG Hamm VRs 93, 122 )

Dies gilt nach Auffassung des Senats auch, wenn das Amtsgericht - wie vorliegend - den Einspruch eines Betroffenen mit der Begründung verwerfen will, von ihm vorgebrachtes Entschuldigungsvorbringen sei nur vorgeschoben und deshalb sei er nicht genügend entschuldigt. Will das Amtsgericht seine Überzeugung insoweit auf früheres Entschuldigungsverhalten des Betroffenen, das es im Bezug auf den zunächst anberaumten Hauptverhandlungstermin vom 22.9.2003 als ausreichend angesehen hat, stützen, muss es, wenn dieses nun als nicht mehr ausreichend angesehen werden soll, aufklären, ob der Betroffene damals ausreichend entschuldigt gewesen ist oder nicht. Das gebietet schon der Grundsatz des fairen Verfahrens. Das Amtsgericht verhält sich sonst nämlich zumindest widersprüchlich, wenn dieses Entschuldigungsvorbringen, dass es zunächst als ausreichend angesehen hat, nun ohne weitere, nähere Feststellungen als nicht (mehr) ausreichend ansehen und zur Grundlage einer für den Betroffenen nachteiligen Wertung machen will. So verhält es sich aber hier. Der zunächst anberaumte Hauptverhandlungstermin vom 22.9.2003 wurde im Hinblick auf das überreichte Attest vom 12.3.2001 aufgehoben. Hierzu bestand keinerlei Grund, wenn das Gericht davon ausging, das ärztliche Attest sei zum Nachweis der Verhandlungsunfähigkeit nicht ausreichend. Soweit der Tatrichter nunmehr eine andere Auffassung vertreten will, war er zunächst gehalten, aufzuklären, ob zum Zeitpunkt der zunächst anberaumten Hauptverhandlung der Betroffene tatsächlich verhandlungsunfähig war oder nicht. Dies wäre dem Amtsgericht vorliegend auch ohne weiteres, z.B. durch einen Anruf bei dem behandelnden Arzt Dr. Stucke möglich gewesen. Jedenfalls durfte das Amtsgericht nicht einfach den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid verwerfen, dies um so mehr, als es im Rahmen eines anderen Bußgeldverfahrens am 9.1.2002 aufgrund dieses amtsärztlichen Attestes vom 12.3.2001 und der darin festgestellten "räumlichen" Verhandlungsunfähigkeit in den Räumlichkeiten des Amtsgerichts Bünde verhandelte und der Betroffene zu diesem Termin auch erschienen war.

3) Die Formulierungen im Urteil erwecken zudem den Verdacht, das Amtsgericht habe verkannt, dass es nicht entscheidend ist, ob sich der Betroffene entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist. Der Betroffene ist nicht zu einer Glaubhaftmachung oder gar zu einem Nachweis der vorgebrachten Entschuldigungsgründe verpflichtet; der Betroffene hat nur Entschuldigungsgründe, die das Gericht nicht kennen kann, mitzuteilen und dem Gericht die Überprüfungsmöglichkeit zu geben. Sind dem Gericht Tatsachen bekannt, die das Ausbleiben des Betroffenen als genügend entschuldigt erscheinen lassen können, so hat das Gericht solche Entschuldigungsgründe von Amts wegen nachzuprüfen. Die vom Betroffenen vor dem Hauptverhandlungstermin vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen, die dem Angeklagten aus Gesundheitsgründen die Fähigkeit den Termin wahrzunehmen, absprechen, bildeten eine genügende Entschuldigung. Zweifel an der genügenden Entschuldigung dürfen nicht zu Lasten des Betroffenen gehen. Bestehen mangels näherer Angaben im Attest Zweifel am Krankheitszustand, so ist das Gericht von Amts wegen verpflichtet, sich die volle Überzeugung davon zu verschaffen, ob der Betroffene verhandlungsfähig ist und ihm ein Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar ist.

Bestehen danach noch Zweifel, ob der Betroffene genügend entschuldigt ist, darf der Einspruch nicht verworfen werden (OLG Köln NJW 1993, 1345; OLG Düsseldorf NZV 94, 449).

Eine weitere Aufklärung durch Nachfrage beim behandelnden Arzt oder Einholung eines Gutachtens zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Betroffenen ist seitens des Tatrichters nicht erfolgt.

Die bestehenden Zweifel an der genügenden Entschuldigung durfte der Tatrichter nicht zu Lasten des Betroffenen einfach übergehen.

Ende der Entscheidung

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