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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.08.2005
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 421/05
Rechtsgebiete: BKatV


Vorschriften:

BKatV § 4
Zum Absehen vom Fahrverbot aus beruflichen Gründen.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen B.K.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen vom 23.03.2005 gegen das Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 11.03.2005 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 08. 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bottrop zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Bottrop hat gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft - fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG in Verbindung mit den §§ 3, 41, 49 StVO - eine Geldbuße in Höhe von 200,- € verhängt.

Nach den Urteilsfeststellungen überschritt der Betroffene am 28.04.2004 gegen 11.09 Uhr mit dem von ihm geführten PKW VW mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXXXXXXX auf der BAB A 42, die er in Fahrtrichtung Dortmund befuhr, außerhalb geschlossener Ortschaft die im Bereich der Messstelle durch Verkehrszeichen 274 auf 80 km/h beschränkte Geschwindigkeit um 45 km/h. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mit einem Verkehrsradargerät des Typs Multanova 6 F. Von der gemessenen Geschwindigkeit von 129 km/h wurden 4 km/h (3 %) als Toleranz in Abzug gebracht.

Das Amtsgericht hat den Rechtsfolgenausspruch wie folgt begründet:

"Der Bußgeldkatalog sieht bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 100,- € und ein Fahrverbot von einem Monat vor.

Die Verhängung eines Fahrverbotes wäre eine Härte ganz außergewöhnlicher Art. Der Betroffene übt die Funktion des Betriebsratsvorsitzenden der Werksdirektion XXXXXXX aus und ist zugleich Mitglied im Gesamtbetriebsrat der YYYYYYYYY AG. Aufgrund dieser Tätigkeiten muss der Betroffene zwei- bis dreimal pro Woche von seinem Wohnort im Saarland ins Ruhrgebiet reisen, um an Sitzungen des Gesamtbetriebsrates teilzunehmen. So ist er regelmäßig in Bottrop (Schachtanlage P.), Herne (Schachtanlage Pl.), in der Hauptverwaltung in H. sowie in D. und O.. Außerdem hat er kürzlich auch eine Sitzung in M. wahrnehmen müssen. Der Betroffene hat in der Regel zur Wahrnehmung seiner Auf-gaben ein Dienstwagen zur Verfügung, mit dem er jährlich ca. 40.000 km zu-rücklegt. Aufgrund seiner Tätigkeiten kann dem Betroffenen kein zusammen-hängender Urlaub von einem Monat gewährt werden. Diese Angaben sind belegt durch die Bescheinigung des Arbeitgebers vom 09.12.2004 (Bl. 59 d.A.).

Der Betroffene ist nicht vorbelastet. Er ist seit 1973 im Besitz der Fahrerlaubnis.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist von der Verhängung eines Fahrverbotes unter gleichzeitiger Verdoppelung der Geldbuße abgesehen worden."

Gegen dieses Urteil richtet sich die bei zutreffender Auslegung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird und die sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes richtet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Rechtsbeschwerde unter ergänzenden Ausführungen angeschlossen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsentscheidungen vom 04.03.2005 - 3 Ss OWi 3/05 -; vom 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; 04.07.2002 - 3 Ss OWi 339/02 -; 06.06.2000 - 3 Ss OWi 237/00 -; 20.03.1997 - 3 Ss OWi 52/97 -; 06.02.1997 - 3 Ss OWi 13/97 -; 12.10.1996 - 3 Ss OWi 1405/96 -; 30.09.1996 - 3 Ss OWi 972/96 -; 07.03.1996, JMBl. 1996, 246).

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung hat der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. Senatsbeschluss vom 04.03.2005 - 3 Ss OWi 3/05 - m.w.N.; OLG Hamm VRS 90, 210; DAR 1996, 325; NZV 1995, 366; BayObLG NZV 2002, 143; Frankfurt am Main NStZ-RR 2000, 312; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 25 StVG Randziffer 25 m.w.N.).

Umstände der vorbezeichneten Art sind den Feststellungen des angefochtenen Urteils indes nicht zu entnehmen. Allein der Umstand, dass der Betroffene als Betriebsratsvorsitzender der Werksdirektion der XXXXXXXX der YYYYYYYYYYYYYYund zugleich auch Mitglied des Gesamtbetriebsrates der YYYYYYYYYYYY AG zwei- bis dreimal in der Woche vom Saarland in das Ruhrgebiet reisen muss und aus diesem Grunde auf die Nutzung eines Fahrzeugs angewiesen ist, rechtfertigt nicht den Rückschluss, dass die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen bei der Verhängung eines Fahrverbotes gefährdet wäre. Die Funktion des Betroffenen als Betriebsratsvorsitzender ist nämlich von seiner beruflichen Beschäftigung als Dreher zu trennen. Davon, dass dieser Arbeitsplatz gefährdet wäre, wenn der Betroffene seine Funktion als Betriebsratsvorsitzender während der Dauer eines einmonatigen Fahrverbots nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmen könnte, ist weder auszugehen, noch hat das Amtsgericht dies festgestellt. Abgesehen davon ist auch die Annahme des Amtsgerichts, die Verhängung des Regelfahrverbotes würde den Betroffenen in seiner Position als Betriebsratsvorsitzenden außergewöhnlich hart treffen, nicht nachvollziehbar, da das angefochtene Urteil sich nicht ausreichend damit befasst, ob dem Betroffenen nicht andere zumutbare Maßnahmen zur Abwendung etwaiger erheblicher beruflicher Nachteile infolge der Verhängung eines Fahrverbotes zur Verfügung stehen. In Betracht kommen insbesondere neben der Inanspruchnahme von Urlaub auch die Möglichkeiten der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, von Taxen oder die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers oder eine Kombination dieser Maßnahmen, wobei für hierdurch auftretende finanzielle Belastungen notfalls eine Kreditaufnahme erfolgen muss (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 312; OLG Karlsruhe NZV 2004, 653; BayObLG NZV 2002, 143).

Nach alledem war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bottrop, das auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu entscheiden hat, zurückzuverweisen

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Umstand, dass es sich um den erstmaligen Verstoß eines Kraftfahrers handelt, der lange Zeit ein Kraftfahrzeug unbeanstandet geführt hat, als Grund für ein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes allein nicht ausreicht (vgl. Senatsbeschluss vom 1.7.2004 - 3 Ss OWi 327/04 -; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 25 StVG, Rdz. 25 m. w. N.).

Ende der Entscheidung

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