Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 23.01.2007
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 430/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 267
Der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, muss auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Verknüpfungstatsachen und der daraus geschlossenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen
Beschluss

Bußgeldsache

gegen P.P.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 21.03.2006 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 01. 2007 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gem. § 81 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Gütersloh zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Gütersloh hat mit dem angefochtenen Urteil gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Begehung einer Ordnungswidrigkeit gem. §§ 41 Abs. 2 (Zeichen 274) 49 StVO, 24 StVG eine Geldbuße von 225,00 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 17.04.2005 gegen 6.55 Uhr mit dem von ihm geführten PKW mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXX in Schloss Holte-Stukenbrock die Oerlingerhauser Straße in Fahrtrichtung Schloss Holte. In dem außerhalb der geschlossenen Ortschaft liegenden Bereich der Einmündung Falkenstraße überschritt er die dort durch beidseitig der Fahrbahn aufgestellte Zeichen 274 auf 50 km/h begrenzte Höchstgeschwindigkeit um 42 km/h. Die mit einer stationären Geschwindigkeitsüberwachungsanlage des Typs Traffiphot-S gemessene Geschwindigkeit betrug 95 km/h. Zugunsten des Betroffenen erfolgte ein Toleranzabzug in Höhe von 3 km/h.

Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, er sei nicht Fahrer des gemessenen Fahrzeugs gewesen.

Das Amtsgericht hat seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen wie folgt begründet:

"Das Gericht ist zunächst davon überzeugt, dass es sich bei dem Betroffenen um den Fahrer des PKW handelte, der zur angegebenen Tatzeit von der der Geschwindigkeitsüberwachungsanlage angeschlossenen Kamera fotografiert worden ist.

Wegen der Einzelheiten der Abbildung wird auf die Foto Bl. 10 und 11 d. A. verwiesen, §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 S. 3 StPO.

Das Gericht hat den Betroffenen während der Verhandlung in Augenschein nehmen können. Es hat festgestellt, dass es sich bei dem Betroffenen um die auf dem Foto auf Bl. 1 c der Akte oben wiedergegebene männliche Person handelt.

Diese Feststellung stützt sich auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. H..

Der Sachverständige hat Auszüge von dem Messfoto gefertigt. Wegen dieser Auszüge wird gem. §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf die Fotos Bl. 55 d. A. Bezug genommen. Der Sachverständige hat dazu ausgeführt, dass auf diesen Auszügen insgesamt 24 beschreibbare Gesichtsmerkmale zu sehen sind, u. a. die Gesichtszüge, das Gesichtsrelief, Gesichtsform, Weichteilpolsterung am Unterrand des Gesichts, Winkel der Nasenwurzel, Augenbrauen, Lidspalte, Nasenrücken, Nasenflüge, Mundwinkelfalte, Mund, Entfernung Nase-Mund, Kinn. Weiterhin hat der Sachverständige von dem Betroffenen in der Hauptverhandlung Polaroidfotos und Digitalfotos gefertigt.

Anhand der Polaroidfotos, wegen deren Einzelheiten gem. §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf Bl. 56 d. A. verwiesen wird, hat er nachgewiesen, dass sämtliche auf dem Messfoto erkennbare Merkmale in identischer Form auf den Polaroidfotos wieder zu finden sind. Schließlich hat der Sachverständige anhand digitalisierter Aufnahmen des Messfotos und des Betroffenen auf dem Bildschirm seines Notebooks die Identität der Proportionen beider Gesichter belegt, indem er beide Fotos übereinander gelegt hat. Angesichts dieser Ausführungen hatte das Gericht, das den Sachverständigen aus zahlreichen Verhandlungen als zuverlässig und sachkundig kennen gelernt hat, keine Zweifel an der Fahrereigenschaft des Betroffenen.

Die von dem Sachverständigen aufgezeigte Möglichkeit, dass eine gleiche Übereinstimmung bei einem nahen Verwandten des Betroffenen gefunden werden könne, musste außer Betracht bleiben. Der Betroffene hat trotz Aufforderung des Gerichts keine Person benannt, die noch als Fahrer in Betracht gekommen wäre. Das Gericht ist unter diesen Umständen nicht verpflichtet und auch nicht in der Lage, von sich aus zu ermitteln, wer eventuell noch das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt haben könnte."

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die er am 27.03.2006 zu Protokoll der Geschäftsstelle sowie durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 08.08.2006 näher begründet hat.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob die durch den Betroffenen selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Gütersloh eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme ausgeführt hat, deshalb als unzulässig anzusehen ist, weil mit ihr weder die Verletzung formellen noch materiellen Rechts gerügt wird, sondern sich der Betroffene mit der Begründung seines Rechtsmittels ausschließlich gegen die Beweiswürdigung des Amtsgerichts wendet. Denn die Erhebung der Sachrüge ist bei zutreffender Auslegung jedenfalls mit Schriftsatz des Verteidigers des Betroffenen vom 08.08.2006 erfolgt. Das Revisionsvorberingen vom 08.08.2006 ist auch nicht verspätet erfolgt. Zwar wurde das angefochtene Urteil dem Betroffenen ausweislich der in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde bereits am 12.04.2006 zugestellt. Durch diese Zustellung ist aber die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde nicht wirksam in Gang gesetzt worden. Das Verhandlungsprotokoll vom 21.03.2006 ist nämlich von dem damals den Vorsitz führenden Richter nicht unterschrieben worden und es enthält auch keine Angabe zu dem Tag seiner Fertigstellung. Das Protokoll war daher zum Zeitpunkt der Urteilszustellung noch nicht fertiggestellt. Dies führt zur Unwirksamkeit der Urteilszustellung, da gem. § 273 Abs. 4 StPO das Urteil nicht zugestellt werden darf, bevor das Protokoll fertiggestellt ist.

III.

Der Senat hat, obwohl die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde hier noch nicht in Gang gesetzt worden ist, dennoch davon abgesehen, die Akten zunächst an das Amtsgericht Gütersloh zum Bewirken einer erneuten Urteilszustellung nach erfolgter Fertigstellung des Protokolls zurückzugeben und stattdessen in der Sache selbst entschieden, da die Rechtsbeschwerde in vollem Umfang begründet ist. Sie führt auf die erhobene Sachrüge zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Gütersloh. Angesichts dessen bedurfte es keiner weiteren Auseinandersetzung mit der außerdem erhobenen Aufklärungsrüge, da auch diese im Falle ihrer Begründetheit der Rechtsbeschwerde zu keinem weitergehenden Erfolg hätte verhelfen können. Im Übrigen ist hinsichtlich dieser Rüge anzumerken, dass der Amtsrichter mit Schreiben vom 18.10.2005 an den Betroffenen ausgeführt hat, dass diesem anheim gestellt werde, mitzuteilen, wer das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt tatsächlich geführt habe oder als Fahrer in Betracht komme und die ladungsfähige Anschrift dieser Person bekanntzugeben, verbunden mit dem gleichzeitigen Hinweis, dass eine Verfolgung der Ordnungswidrigkeit gegenüber dieser Person nicht mehr möglich sei.

Das angefochtene Urteil konnte keinen Bestand haben, weil die Urteilsgründe den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten nicht gerecht werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen, von dessen Sachkunde er überzeugt ist, anschließt, in der Regel die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Verknüpfungstatsachen und der daraus geschlossenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben, um dem Rechtsmittelgericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (vgl. BGH NJW 2000, 1351; NJW 1992, 3081). Die alleinige Mitteilung des Ergebnisses kann allerdings ausreichen, wenn der Sachverständige bei der Begutachtung ein allgemein anerkanntes und weithin standardisiertes Verfahren angewendet hat und von keiner Seite Einwände gegen die Tauglichkeit der gesicherten Spur und die Zuverlässigkeit der Begutachtung erhoben worden sind (vgl. BGH NJW 1993, 3081). Bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten handelt sich aber nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode (vgl. BGH NJW 2000, 1350), so dass sich dessen Darstellung im Urteil nicht im wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachten beschränken kann.

Um dem Rechtseschwerdegericht eine Überprüfung der Schlüssigkeit eines solchen Gutachtens zu ermöglichen, bedarf es daher zunächst einer Darlegung, auf welche und wie viel übereinstimmende Körpermerkmale der Sachverständige sich bei seiner Bewertung gestützt hat und auf welche Art und Weise er die Überstimmungen ermittelt hat. Nach den Urteilsgründen hat der Sachverständige 24 übereinstimmende Gesichtsmerkmale festgestellt. Mitgeteilt werden aber lediglich 13 Merkmale bzw. Gesichtsbereiche, deren spezifische Ausprägungen zudem nicht näher beschrieben werden.

Die Urteilsgründe müssen außerdem darüber Aufschluss geben, wie der Sachverständige den Aussagewert der in Betracht kommenden morphologischen Übereinstimmungen im Hinblick auf die Häufigkeit oder Seltenheit des jeweils betroffenen Merkmals beurteilt hat (vgl. BGH NStZ 1991, 596; OLG Celle, NZV 2002, 472; Thüringer OLG, VRS 110, 115). Ausführungen dazu lässt das angefochtene Urteil aber vermissen. Die Bewertung der Beweisbedeutung der Merkmale im einzelnen bzw. in ihrer Gesamtheit durch den Sachverständigen wird nicht mitgeteilt. Es hätte darüber hinaus Angaben dazu bedurft, auf welchem biostatistischen Vergleichsmaterial das Begutachtungsergebnis des Sachverständigen beruht (vgl. BGH NJW 2000, 1350). Auch hierzu lässt sich aus dem amtsgerichtlichen Urteil nichts entnehmen.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Gütersloh zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

Zurück