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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.11.2001
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 852/01
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 69
OWiG § 67
Zur Auslegung eines Schreibens des Betroffenen als Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid und zur Rücknahme des Bußgeldbescheides durch die Verwaltungsbehörde.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen I.H.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 04.07.2001 gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 26.04.2001 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 11. 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Betroffenen bzw. ihres Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:

Mit Bußgeldbescheid der Stadt Bielefeld vom 27.11.2000 wurde der Betroffenen ein am 29.08.2000 in Bielefeld begangener Rotlichtverstoß bei einer gemessenen Rotlichtdauer von 1,11 Sekunden zur Last gelegt und gegen sie wegen dieser ihr vorgeworfenen Verkehrsordnungswidrigkeit ein Bußgeld in Höhe von 100,- DM festgesetzt. Mit Schreiben vom 06.10.2000 war der Betroffenen zuvor ein Anhörungsbogen durch die Stadt Bielefeld übersandt worden, der nach Ausfüllung durch die Betroffene unter dem 19.10.2000 am 20.10.2000 bei der Bußgeldbehörde einging. Der Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen am 01.12.2000 zugestellt. Mit Schreiben vom 13.12.2000, das am 15.12.2000 bei der Stadt Bielefeld einging, führte die Betroffene u.a. aus:

"Zu dem o.g. Bußgeldbescheid nehme ich wie folgt Stellung:

In der Tat bin ich in der einsetzenden Gelbphase unmittelbar an der Ampel gewesen und musste wegen eines bremsenden Fahrzeugs vor mir ebenfalls abbremsen. So räume ich ein, dass ich eventuell noch für eine knappe Sekunde in die Rotphase gekommen bin, dies jedoch nicht verhindern konnte. Ich hätte sonst auf das vor mir befindliche Fahrzeug auffahren müssen.

Daher bitte ich sie, von der in der mir vorliegenden Form des Bußgeldbescheides Abstand zu nehmen."

Die Stadt Bielefeld hat daraufhin mit Bußgeldbescheid vom 18.12.2000 den der Betroffenen vorgeworfenen Rotlichtverstoß vom 29.08.2000 als sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß gewertet und gegen die Betroffene ein Bußgeld in Höhe von 250,- DM sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Gleichzeitig wurde der Bescheid vom 27.11.2000 aufgehoben. Gegen diesen ihr am 03.01.2001 zugestellten Bußgeldbescheid hat die Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt und geltend gemacht, der Bußgeldbescheid vom 27.11.2000 sei rechtskräftig geworden, da er nicht mit dem Rechtsbehelf des Einspruchs angefochten worden sei. Der Bußgeldbescheid vom 18.12.2000 habe daher nicht mehr ergehen dürfen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht Bielefeld das Verfahren eingestellt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Bußgeldbescheid der Stadt Bielefeld vom 18.12.2000 stehe die Rechtskraft des Bußgeldbescheides vom 27.11.2000 entgegen. Voraussetzung einer Rücknahme des Bußgeldbescheides sei es, dass dieser durch Einspruch des Betroffenen nicht rechtskräftig geworden sei. Das Schreiben der Betroffenen vom 13.12.2000 könne aufgrund der darin enthaltenen Formulierungen als Einspruch ausgelegt werden, ebenso gut jedoch auch als bloße unverbindliche Stellungnahme der Betroffenen. Der Inhalt der Erklärung sei daher nicht eindeutig zu bestimmen. Dies könne nicht zum Nachteil der Betroffenen gewertet werden, zumal eine Anhörung der Betroffenen vor Erlass des zweiten Bußgeldbescheides vom 18.12.2000, in der diese Frage hätte geklärt werden können, unterblieben sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Zur Begründung der Rechtsbeschwerde führt die Staatsanwaltschaft Bielefeld aus, die Eingabe der Betroffenen vom 13.12.2000 sei als Einspruch auszulegen. Denn die Betroffene habe den Vorwurf des Rotlichtverstoßes als nach der Verkehrssituation unvermeidbar zurückgewiesen. Dieses Vorbringen habe die Qualität eines Rechtsbehelfes gehabt. Die Bußgeldbehörde sei auch befugt gewesen, den Bußgeldbescheid vom 27.11.2000 zurückzunehmen, nachdem die erneute Überprüfung des Sachverhaltes ergeben habe, dass sie den tatsächlich qualifizierten Rotlichtverstoß, nämlich das Überschreiten der Rotlichtphase um 1,11 Sekunden, zunächst nicht dergestalt, also sachlich fehlerhaft, beschieden gehabt habe. Da der tatsächliche Vorwurf gegen die Betroffene unverändert geblieben sei, habe es auch nicht deren erneuten Anhörung bedurft.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld unter ergänzenden Ausführungen angeschlossen.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Bielefeld.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Bielefeld ist das Schreiben der Betroffenen vom 13.12.2000 als Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Stadt Bielefeld vom 27.11.2000 zu werten. Die Betroffene führt nämlich in diesem Schreiben zunächst aus, dass sie nach ihrer Auffassung einen möglichen Rotlichtverstoß bei einer Rotlichtphase von knapp einer Sekunde jedenfalls nicht habe verhindern können, da sie ansonsten auf das vor ihr befindliche Fahrzeug hätte auffahren müssen. In dem Schreiben heißt es sodann, dass mit Rücksicht auf diese Ausführungen darum gebeten wird, von dem Bußgeldbescheid in der ihr - der Betroffenen - vorliegenden Form Abstand zu nehmen. Mit diesen Ausführungen hat die Betroffene eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass sie den gegen sie ergangenen Bußgeldbescheid nicht hinnehmen will und um dessen Überprüfung unter Berücksichtigung der von ihr dargelegten Umstände bittet. Angesichts dessen handelt es sich bei der Eingabe der Betroffenen vom 13.12.2000 nicht lediglich um eine unverbindliche Stellungnahme, sondern ist aus der Erklärung der Betroffenen der Wille zur Anfechtung des Bußgeldbescheides deutlich zu entnehmen.

Die Rücknahme des Bußgeldbescheides durch die Verwaltungsbehörde nach erfolgtem Einspruch ist bis zum Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft unbeschränkt möglich, vorausgesetzt, dass der Einspruch wirksam und der Bußgeldbescheid nicht rechtskräftig ist (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., § 69 Randziffer 17; Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 69 Randziffern 23 und 40). Nach Rücknahme des ursprünglich erlassenen Bußgeldbescheides kann die Verwaltungsbehörde einen neuen Bußgeldbescheid erlassen, wobei sie von dem früheren auch zum Nachteil des Betroffenen abweichen kann. Das Verschlechterungsverbot gilt nach erfolgtem Einspruch für die Verwaltungsbehörde ebenso wenig wie für das Gericht (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann, a.a.O.; Göhler, a.a.O. vor § 67 Randziffer 5; § 69 Randziffer 29).

Die Stadt Bielefeld war daher befugt, nach dem Einspruch der Betroffenen mit ihrer Eingabe vom 13.12.2000 den ursprünglichen Bußgeldbescheid vom 27.11.2000 zurückzunehmen und den neuen Bußgeldbescheid, mit dem abweichend von dem früheren Bußgeldbescheid eine höhere Geldbuße sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt worden ist, zu erlassen. Dass eine erneute Anhörung der Betroffenen vor Erlass des neuen Bußgeldbescheides unterblieben ist, hat jedenfalls auf die Wirksamkeit des Bußgeldbescheides vom 18.12.2000 keinen Einfluss. Das Bußgeldverfahren ist ein summarisches Verfahren. Der Betroffene kann rechtliches Gehör dadurch erreichen, dass er Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gemäß § 67 OWiG einlegt. Im gerichtlichen Verfahren wird ein etwaiger Mangel der Anhörung dadurch geheilt, dass dem Betroffenen nunmehr rechtliches Gehör gewährt wird und das Gericht unter Berücksichtigung seiner Einlassung entscheidet (vgl. Wache, KK, OWiG, 2. Aufl., § 55 Randziffer 13 m.w.N.).

Das Amtsgericht hätte daher das Verfahren nicht einstellen dürfen, sondern über den mit dem Bußgeldbescheid vom 18.12.2000 gegen die Betroffene erhobenen Vorwurf eines qualifizierten Rotlichtverstoßes entscheiden müssen.

Ende der Entscheidung

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