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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.02.2007
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 856/06
Rechtsgebiete: StPO, StVO


Vorschriften:

StPO § 267
StVO § 37
Mit der Rechtsbeschwerde kann weder beanstandet werden, der Betroffene sei entgegen der Überzeugung des Tatrichters nicht mit der auf dem Radarfoto abgebildeten Person identisch, noch kann gerügt werden, dass das Amtsgericht aufgrund der persönlichen lnaugenscheinnahme einer anderen Person diese im Vergleich mit dem vorliegenden Lichtbild als Täter der Ordnungswidrigkeit zu Unrecht ausgeschlossen habe.

Zum erforderlichen Umfang der Feststellungen bei einem mit einem standardisierten Messverfahren festgestellten Rotlichtverstoß.


Beschluss

Bußgeldsache

gegen F.U.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen vom 27. September 2006 gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 26. September 2006 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 01. 02. 2007 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie der Betroffenen bzw. ihres Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird - unter Verwerfung der weitergehenden Rechtsbeschwerde als unbegründet - im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und insoweit zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Durch das angefochtene Urteil vom 26. September 2006 hat das Amtsgericht Essen die Betroffene wegen Nichtbeachtens des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage (fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. §§ 37 Abs. 2 Ziffer 1, 49 Abs. 3 Ziffer 2 StVO) zu einer Geldbuße von 125,- € verurteilt. Ferner hat es der Betroffenen untersagt, für die Dauer eines Monats im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen, wobei das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft der Bußgeldentscheidung in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten nach Eintritt der Rechtskraft.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, die sie unter näheren Ausführungen mit der Verletzung materiellen Rechts begründet, wobei sie sich insbesondere gegen die Identifizierung der Betroffenen als Fahrerin wendet.

II.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme zu der Rechtsbeschwerde der Betroffenen vom 20.12.2006 u.a. Folgendes ausgeführt:

"Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist fristgerecht eingelegt und mit der Sachrüge frist- und formgerecht begründet worden.

Eine Entscheidung des Senats ist veranlasst, insbesondere ist die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gem. § 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG am 27.10.2006 in Gang gesetzt worden und inzwischen abgelaufen. Zwar ist die Zustellung an den Verteidiger der Betroffenen gegen Empfangsbekenntnis unwirksam, weil das zu den Akten gelangte Empfangsbekenntnis nicht mit dem Datum seines Vollzuges und der Unterschrift des Verteidigers versehen ist und damit den Anforderungen gem. § 37 Abs. 1 StPO i.V.m. § 174 Abs. 4 ZPO nicht genügt (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 37 Rdnr. 26). Allerdings ist dieser Mangel gem. § 189 ZPO i.V.m. § 37 Abs. 1 StPO geheilt, weil sich aufgrund der am 27.10.2006 gefertigten Rechtfertigung der Rechtsbeschwerde, die auf die schriftlichen Urteilsgründe ausdrücklich Bezug nimmt, und des ihr beigefügten, mit Eingangsstempel des Verteidigers vom selben Tage versehenen Empfangsbekenntnisses zur Gewissheit des Senats ergibt, dass ihm das schriftliche Urteil am 27.10.2006 tatsächlich zugegangen ist (zu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 37 Rdnr. 28 m.w.N.).

Indes ist der Rechtsbeschwerde nur in dem vorbezeichneten Umfang ein - vorläufiger - Erfolg nicht zu versagen. Die Urteilsgründe tragen den Schuldspruch. Soweit die Rechtsbeschwerde sich gegen die tatrichterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich der Täterschaft der Betroffenen wendet, übersieht sie, dass dem Rechtsbeschwerdegericht nur eine eingeschränkte Nachprüfung dahin möglich ist, ob ein von einer Überwachungsanlage gefertigtes Foto grundsätzlich nach Schärfe, Kontrast und Helligkeit als Grundlage für eine Identifizierung zu dienen geeignet ist. Dagegen kann mit der Rechtsbeschwerde weder beanstandet werden, die Betroffene sei entgegen der Überzeugung des Tatrichters nicht mit der auf dem Radarfoto abgebildeten Person identisch, noch kann gerügt werden, dass das Amtsgericht aufgrund der persönlichen lnaugenscheinnahme einer anderen Person diese im Vergleich mit dem vorliegenden Lichtbild als Täter der Ordnungswidrigkeit zu Unrecht ausgeschlossen habe (zu vgl. Senatsbeschluss vom 16.03.2006 - 3 Ss OWi 75/06 - m.w.N.). Nach diesem Maßstab lässt die dem Senat durch die gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO prozessordnungsgemäße Inbezugnahme der gefertigten Lichtbilder eröffnete eingeschränkte Nachprüfung des Urteils einen Rechtsfehler hinsichtlich der Feststellung der Täterschaft der Betroffenen nicht erkennen.

Indes kann die Rechtsfolgenzumessung keinen Bestand haben. Die Annahme eines qualifizierten Rotlichtverstoßes begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Für die Berechnung der Dauer der Rotlichtphase kommt es auf den Zeitpunkt an, in welchem der Betroffene die Haltelinie - wenn eine solche vorhanden ist - überfährt (zu vgl. BGHSt 45, 135-139), wobei allerdings zu beachten ist, dass die die Kamera auslösenden lnduktionsschleifen regelmäßig hinter der Haltelinie angebracht sind. Demgemäß kann es für die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes erforderlich sein, die Zeit abzuziehen, die der Pkw für die Strecke zwischen der Haltelinie und der Kontaktschleife benötigt hat (zu vgl. Senatsbeschluss vom 30.12.1997 - 3 Ss OWi 784/97 -; OLG Köln, NZV 1998, 472). Die Bezugnahme in den Urteilsgründen, die im Übrigen zur Anordnung der Messanlage schweigen, auf das Messprotokoll und den Eichschein im Zusammenhang mit der dem Senat eröffneten Möglichkeit der Augenscheinseinnahme in die gefertigten Lichtbilder belegt mit der im auf Vereinfachung angelegten Bußgeldverfahren ausreichenden Deutlichkeit (zu vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 71 Rdnrn. 42, 43 g) allerdings nur, dass die Messung mittels standardisierten Messverfahrens durch Verwendung eines Geräts der Baureihe "Traffipax" - ohne nähere Eingrenzung des Bautyps - erfolgte. Insofern bedarf es jedoch auch bei Anwendung standardisierter Messverfahren neben der genauen Bezeichnung des verwendeten Gerätetyps zumindest der Angabe etwaiger berücksichtigter Messtoleranzen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Feststellungen rechtsfehlerfrei getroffen sind (z.vgl. BGHSt 39, 291-305). Insbesondere im Bereich der Rotlichtüberwachung mit stationären Messanlagen stehen nämlich zahlreiche Geräte verschiedener Hersteller zur Verfügung, bei denen es teilweise eines zeitlichen Abzugs für die nach dem Überfahren der Haltelinie bis zur Kontaktschleife zurückgelegte Strecke nicht mehr bedarf, teilweise - u.a. bei Geräten des Typs "Traffipax TraffiPhot II" - allerdings weitere Abschläge von bis zu 0,2 Sekunden für gerätespezifische Messungenauigkeiten vorzunehmen sind (umfassend zu Erforderlichkeit und Umfang vorzunehmender Abschläge bei Rotlichtüberwachungsanlagen z.vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 02.08.2006 - 2 Ss (B) 38/04 -' bei juris.de). Fehlt es an den danach gebotenen näheren Ausführungen zum Messvorgang, muss der dem Betroffenen günstigste Toleranzabzug von 0,4 Sekunden vorgenommen werden (z.vgl. OLG Braunschweig, a.a.O.). Nach diesem Maßstab ist vorliegend eine vorwerfbare Rotlichtzeit von weniger als 1 Sekunde nicht ausgeschlossen, denn aus den in Bezug genommenen Lichtbildern ergibt sich, dass die Rotlichtkamera das erste Mal 1,3 Sekunden nach Eintritt der Rotphase ausgelöst hat.

Da demzufolge abweichende Feststellungen möglich erscheinen, unterliegen auch die der Rechtsfolgenzumessung zu Grunde gelegten tatsächlichen Feststellungen der Aufhebung."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Ergänzend ist jedoch noch Folgendes auszuführen:

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts, vornehmlich nach Inaugenscheinnahme der Lichtbilder, ergibt sich, dass die Messung der Rotlichtdauer mit einer ordnungsgemäß geeichten Rotlicht-Überwachungsanlage der Marke "Traffipax" erfolgt ist. Der Einsatz eines solchen Gerätes stellt ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte (BGHSt 46, 358; HansOLG Bremen, DAR 2002, 225, 226; OLG Hamm NZV 2000, 426; OLG Stuttgart VRS 99, 286) dar. Für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 8 StVO genügt, aber bedarf es auch - wie allgemein beim Einsatz standardisierter Messverfahren - der Angabe des konkret verwendeten Gerätetyps und des gewonnenen Messergebnisses sowie eines etwaigen zu beachtenden Toleranzwertes (vgl. BGH a.a.O.). Der Tatrichter ist zu weiteren Darlegungen hinsichtlich des Messverfahrens und des Messablaufes in den Urteilsgründen nicht verpflichtet (BayObLG NJW 2003, 1752).

Allerdings bedarf es bei der automatischen Rotlichtüberwachung darüber hinaus seitens des Tatrichters der Mitteilung der Entfernung der Induktionsschleife von der Haltelinie, ggf. - soweit vorhanden - sogar der Mitteilung der Entfernung einer zweiten Induktionsschleife von der ersten und der jeweils auf den zwei Messfotos eingeblendeten Messzeiten (vgl. Senatsbeschluss vom 17.07.2006 - 3 Ss OWi 435/06 OLG Hamm m.w.N.). Dies ergibt sich aus der Funktionsweise der automatischen Rotlichtüberwachung:

Jedes Rotlichtüberwachungsgerät basiert auf der Auswertung von im Straßenbelag eingelassener Sensoren, die beim Überfahren durch Fahrzeuge einen elektromagnetischen Impuls an die Rechnereinheit des Messgerät geben. In den Lichtbildern der Rotlichtüberwachungsgeräte wird daher der Sensor angezeigt, der die Lichtbildfertigung ausgelöst hat. Diese Sensoren befinden sich in aller Regel nicht in der Haltelinie, die für die Rotlichtüberwachung relevant ist, was durch einfache Inaugenscheinnahme des ersten Messfotos ersichtlich wird. Denn dort wo die Vorderreifen des gemessenen Fahrzeuges sich auf dem Lichtbild befinden, liegt die Sensorschleife im Straßenbelag.

Da die Induktionsschleife in der Regel mit Abstand nach der Haltelinie angebracht ist, muss die Fahrzeit des Fahrzeuges mit einer rekonstruierten Geschwindigkeit bis zum Erreichen der ersten Lichtbildposition detailliert berechnet werden und damit die Passagezeit der Haltelinie korrigiert werden. Dabei wird die mittlere Geschwindigkeit aus der Zeitdifferenz zwischen Messimpuls aus erster und zweiter Induktionsschleife errechnet, wofür die Angabe des Abstandes der beiden Messschleifen erforderlich ist (zur Funktionsweise der Rotlichtüberwachung vgl. Löhle, DAR 2000, S.1 ff).

Zur - für das Rechtsbeschwerdegericht - nachvollziehbaren Berechnung der Rotlichtdauer beim Überfahren der Haltelinie - die in der Regel mit der auf dem ersten Foto angegebenen Messzeit nicht identisch ist - bedarf es folglich der Darlegung im Urteil, in welcher Entfernung sich die Induktionsschleife/n von der Haltelinie befinden sowie die "Rotlichtzeiten" beim Überfahren der ersten und zweiten Induktionsschleife. Diese Angaben sind nicht aufgrund des standardisierten Messverfahrens überflüssig, sondern dienen gerade der Berechnung der tatsächlichen Rotlichtdauer beim Überfahren der Haltelinie (so im Ergebnis auch OLG Dresden DAR 2002, 82).

Etwas anderes gilt lediglich für den Fall, dass die Induktionsschleife in der Haltelinie selbst angebracht wäre. Dann wäre Messzeit und der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie identisch. Aber auch in diesem Falle wäre der Tatrichter gehalten, sowohl die Messzeit als auch den Lageort der Sensorschleife im Urteil darzulegen.

Das angefochtene Urteil war mithin im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Essen zurückzuverweisen, welches sich im Rahmen der neuerlichen Verhandlung und Entscheidung mit den vorstehenden Erwägungen wird auseinandersetzen müssen und auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 StPO).

Ende der Entscheidung

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