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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.03.2006
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 86/06
Rechtsgebiete: BKatV, StPO


Vorschriften:

BKatV § 4
StPO § 267
Allein die Feststellung, der Betroffene habe "große Angst um seinen Arbeitsplatz" reicht zur Begründung für ein Absehen vom Fahrverbot aus beruflichen Gründen nicht aus.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen B.J.

wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 30.11.2005 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 03. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bottrop zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Bottrop hat gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h außerhalb der geschlossenen Ortschaft - fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. den §§ 3, 41, 49 StVO - eine Geldbuße in Höhe von 200,- € kostenpflichtig festgesetzt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen, der die Generalstaatsanwaltschaft unter Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch beigetreten ist.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Umfang der Anfechtung, nämlich im Rechtsfolgenausspruch.

Das angefochtene Urteil war im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, weil seine Begründung nicht den nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung bestehenden Anforderungen an das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes genügt.

Nach § 4 Abs. 4 BKatV kann in Ausnahmefällen unter Erhöhung der Geldbuße von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden. Auch besteht für den Fall der Verhängung eines Fahrverbotes gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 StVG die Möglichkeit, das Fahrverbot auf Kraftfahrzeuge einer bestimmten Art zu beschränken. Die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung des Regeltatbestandes der Bußgeldkatalogverordnung - hier des § 4 Abs. 1 Ziffer 1 der Bußgeldkatalogverordnung i.V.m. der lfd. Nr. 11.3.6 Tabelle 1 c des Anhangs zum Bußgeldkatalog - der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, dass ein gänzliches Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes oder aber eine Beschränkung des Fahrverbotes auf bestimmte Arten von Fahrzeugen gerechtfertigt ist, unterliegt zwar in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung. Dem Tatrichter ist insoweit aber kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, vielmehr ist der ihm verbleibende Entscheidungsspielraum durch gesetzlich niedergelegte und durch von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt. Insoweit unterliegt die verhängte Rechtsfolge hinsichtlich ihrer Angemessenheit in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalles oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung des Fahrverbotes oder des Absehens von einem solchen zu zählen ist. Soweit der Tatrichter ein Absehen vom Regelfahrverbot aus beruflichen oder wirtschaftlichen Gründen des Betroffenen für angemessen erachtet, reicht hierzu indes nicht jeder berufliche Nachteil aus. Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigt vielmehr nur eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, die ggf. im Verlust der wirtschaftlichen Existenz zu sehen ist, den Verzicht auf ein - uneingeschränktes - Fahrverbot (Senat, Beschluss vom 03.05.2004 - 3 Ss OWi 239/04 OLG Hamm -; vgl. auch OLG Hamm, VRS 90, 210, 212; DAR 1996, 325; NZV 1995, 366 f.; OLG Hamm, 4. Senat, Beschlüsse vom 18.02.2003 - 4 Ss OWi 73/03 OLG Hamm - und vom 06.02.2003 - 4 Ss OWi 75/03 OLG Hamm -).

Angaben des Betroffenen zu beruflichen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten dürfen dabei vom Tatrichter nicht ungeprüft übernommen werden. Vielmehr muss das Urteil sich mit der Glaubhaftigkeit der Angaben des Betroffenen auseinandersetzen, der sich auf besondere Härten wie etwa drohenden Existenz- oder Arbeitsplatzverlust beruft (Senat, a.a.O.).

Insoweit liegen nur dann hinreichende, das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes oder aber die nur eingeschränkte Verhängung des Fahrverbotes tragende Urteilsgründe vor, wenn im Einzelnen dargelegt wird, dass es dem Betroffenen nicht möglich ist, zumutbare Maßnahmen zur Milderung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Fahrverbotes zu ergreifen (Senat, Beschluss vom 28.10.2004 - 3 Ss OWi 601/04 OLG Hamm -). Die Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot ist nämlich eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen (BGH MDR 1992, 278; OLG Hamm, NZV 1996, 118). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot oder die nur eingeschränkte Verhängung des Fahrverbots rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter, der die entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen darlegen muss. Die ungeprüfte Wiedergabe einer für nicht widerlegt gehaltenen Einlassung des Betroffenen reicht insoweit nicht aus. Der Amtsrichter hat vielmehr die Angabe des Betroffenen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet (OLG Hamm, 4. Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 18.02.2003 - 4 Ss OWi 73/03 OLG Hamm - und Beschluss vom 06.02.2003 - 4 Ss OWi 75/03 OLG Hamm -).

Das Amtsgericht hat das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes hier wie folgt begründet:

"Die Verhängung eines Fahrverbots wäre eine Härte ganz außergewöhnlicher Art. Der Betroffene ist Auslieferungsfahrer bei der Firma R.S.. Hierbei handelt es sich um einen großen Reifenhändler mit insgesamt acht Filialen. Die Firma beliefert Tankstellen und Kfz-Betriebe mit Reifen. Aufgabe des Betroffenen ist die Belieferung der acht Filialen und der anderen Abnehmer mit dem betriebseigenen LKW. Die betrieblich veranlasste Kilometerleistung beläuft sich auf 60.000 bis 70.000 km/Jahr. Der Urlaubsanspruch für das laufende Jahr ist bis auf einen Rest von zwei Tagen verbraucht. Ein zusammenhängender Urlaubsanspruch für einen ganzen Monat besteht ohnehin nicht. Der Betroffene hat bei einem Vollzug des Fahrverbotes große Angst um seinen Arbeitsplatz, da es am Arbeitsmarkt kaum Alternativen für den 45 Jahre alten Betroffenen gibt.

Der Betroffene besitzt die Fahrerlaubnis seit dem Jahr 1979; Vorbelastungen liegen nicht vor.

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist von der Verhängung eines Fahrverbotes unter gleichzeitiger Verdoppelung der Geldbuße abgesehen worden."

Diese Ausführungen tragen das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes nicht. Das Amtsgericht hat keine hinreichend konkreten Tatsachen festgestellt, die den Rückschluss zulassen, dass der Betroffene auch für den Fall, dass er ihm alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Auswirkungen des Fahrverbotes gering zu halten (vgl. BVerfG, NJW 1995, 1541), der ernsthaften Gefahr ausgesetzt ist, dass er seinen Arbeitsplatz verliert. Allein die Feststellung, der Betroffene habe "große Angst um seinen Arbeitsplatz" reicht hierfür nicht aus, da diese Feststellung sich in einer durch konkrete Tatsachen nicht hinreichend untermauernden Wertung bzw. Befürchtung des Betroffenen selbst erschöpft. Dem Umstand, dass der Urlaubsanspruch für das laufende Jahr bis auf einen Rest von zwei Tagen verbraucht war, kommt bereits deshalb keine maßgebende Bedeutung zu, weil der Betroffene verpflichtet gewesen wäre, sich mit der Urlaubsplanung auf die Verhängung eines Fahrverbotes einzustellen. Der Bußgeldbescheid datiert auf den 10.06.2005 und ist dem Betroffenen am 14.06.2005 zugestellt worden. Ab diesem Zeitpunkt musste der Betroffene sich darauf einstellen, dass er das Fahrverbot zu verbüßen hatte.

Soweit das Amtsgericht darauf hinweist, dass ein zusammenhängender Urlaubsanspruch für einen ganzen Monat ohnehin nicht bestehe, hätte es sich mit der Frage befassen müssen, für welchen zusammenhängenden Zeitraum genau der Arbeitgeber des Betroffenen bereit ist, diesem Urlaub zu gewähren, sowie, ob der Betroffene in der den Urlaub überschreitenden Restzeit des Fahrverbotes ggf. anderweitig in dem Betrieb seines Arbeitgebers eingesetzt werden kann.

Endlich hätte das Amtsgericht noch überprüfen müssen, ob angesichts des Umstandes, dass der Betroffene die zugrunde liegende Verkehrsordnungswidrigkeit mit seinem Krad begangen hat, er beruflich aber lediglich auf das Führen eines LKWs angewiesen ist, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht die eingeschränkte Verhängung eines Fahrverbotes etwa in der Weise, dass von dem Fahrverbot ausgenommen werden Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3.500 kg, in Betracht kommt (vgl. dazu OLG Karlsruhe, NZV 2004, 653, 654). Die Möglichkeit, das Fahrverbot auf Kraftfahrzeuge einer bestimmten Art zu beschränken, sieht § 25 Abs. 1 S. 1 StVG nämlich ausdrücklich vor (vgl. hierzu auch Senat, Beschluss vom 31.01.2006 - 3 Ss OWi 799/05 OLG Hamm -).

Ende der Entscheidung

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