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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 26.01.2000
Aktenzeichen: 3 U 100/99
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GOZ


Vorschriften:

ZPO § 404 Abs. 1 S. 1
ZPO § 138 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 108
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 404 Abs. 4
BGB § 611 Abs. 1
BGB § 612 Abs. 2
BGB § 847
BGB § 823
GOZ § 10
Auswahl des Sachverständigen im Arzthaftungsprozeß

Im Arzthaftungsprozeß ist das Gericht nicht gehalten, Ärzte als sachverständige Zeugen zu vernehmen, wenn dadurch das gerichtliche Bestimmungsrecht über die Auswahl des Sachverständigen gem. § 404 Abs. 1 S. 1 ZPO unterlaufen würde.

Bei dem Bestimmungsrecht hat das Gericht grds. auf die Fachkenntnisse eines Sachverständigen aus dem betreffenden medizinischen Sachgebiet abzustellen. Der Sachverständige aus diesem Sachgebiet hat ggfs. auch die Frage zu beantworten, ob die Hinzuziehung eines Gutachters eines anderen medizinischen Fachgebiet erforderliche ist.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 100/99 OLG Hamm 17 O 9/98 LG Dortmund

Verkündet am 26. Januar 2000

Kötter, Justizangestellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2000 durch die Richter am Oberlandesgericht Kamps, Rüthers und Lüblinghoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 13. Januar 1999 verkündete Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung aus dem Urteil durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 25.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Die Parteien können die Sicherheitsleistung auch durch eine unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines in der Bundesrepublik Deutschland als Zoll- und Steuerbürgen zugelassenen Kreditinstituts erbringen.

Tatbestand:

Die Kläger betreiben eine zahnärztliche Praxisgemeinschaft, bei der sich der Beklagte in der Zeit vom 19.07.1995 bis zum 14.03.1997 in Behandlung befand. Ab dem 05.01.1996 wurde er ausschließlich von dem Kläger zu 2) behandelt. Zuvor war der Beklagte Patient des Dr. der bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls der Praxisgemeinschaft angehörte. Durch eine Versuchsreihe sollte ermittelt werden, ob der Beklagte gegenüber zahnärztlichen Werkstoffen Unverträglichkeitserscheinungen zeigte und ob es solche Stoffe gab, bei deren Verwendung gesundheitliche Nachteile ausblieben. Mit den verträglichen Werkstoffen sollten dann die vorgeschädigten Zähne des Beklagten versorgt werden. Zur Feststellung der Verträglichkeit wurden jeweils in einen Zahn des Beklagten bestimmte Werkstoffe eingebracht, damit der Beklagte anhand von ihm veranlaßter und durchgeführter Laboruntersuchungen die Auswirkungen auf das Blutbild und die Gesundheit feststellen konnte.

Die Kläger begehren die Bezahlung der zahnärztlichen Behandlung für den Behandlungszeitraum vom 13.01. bis zum 14.03.1997, die sie mit Rechnung vom 16.04.1997 auf 1.345,17 DM beziffern. Die Kläger haben den Beklagten auf Zahlung von 1.345,17 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Sie haben die Ansicht vertreten, daß ihre Rechnung wirksam entsprechend der Bestimmungen der GOZ/GOÄ erstellt worden sei. Sie haben behauptet, daß die zahnärztlichen Werkstoffe auf Wunsch des Beklagten eingesetzt worden seien. Der Beklagte hat behauptet, daß er unter Unverträglichkeitserscheinungen - keine Allergie - gegenüber zahnärztlichen Werkstoffen leide. In der Zeit von 1976 bis 1993 habe er sich bei einem Zahnarzt in in Behandlung befunden. Auf dessen Behandlung führe er wegen der Versorgung mit Amalgamfüllungen eine anhaltende Quecksilbervergiftung zurück. Wegen der fehlerhaften Behandlung führe er zur Zeit - unstreitig - vor dem Landgericht Konstanz (4 O 97/97) einen Rechtsstreit gegen den behandelnden Zahnarzt. Den Kläger zu 2) habe er aufgesucht, da dieser mit der Problematik toxischer Reaktionen unverträglicher Werkstoffe vertraut sei. Grundlage der Behandlung seien Ergebnisse aus den Untersuchungen bei Dr. S vom 24.01. und vom 10.12.1996 gewesen. Diese Ergebnisse habe der Kläger zu 2) bei der Behandlung mißachtet. Der Beklagte hat die Kläger widerklagend auf Zahlung eines Schmerzensgeldes - Vorstellung: 70.000,00 DM -, Ersatz materieller Schäden und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden in Anspruch genommen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 1.132,59 DM nebst 11 % Zinsen seit dem 12.06.1997 stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß die abgerechneten Leistungen erbracht und der Anspruch fällig gewesen sei. Nur die Berechnung der Ziffer 395 GOÄ sei mangels ausreichender Leistungsbeschreibung fehlerhaft und die der Rechnungsposition 2801 zugrundeliegenden Leistungen seien nicht vereinbart gewesen. Die Widerklage sei unschlüssig, weil sich der Beklagte geweigert habe, umfassend Auskunft über die ihn behandelnden Ärzte zu geben und diese von der Schweigepflicht zu entbinden. Die Verpflichtung des Beklagten, Auskunft über die ihn behandelnden Ärzte zu geben und diese von ihrer Schweigepflicht zu entbinden, folge aus § 138 Abs. 1 ZPO, da dem Sachverständigen nicht die erforderliche Tatsachengrundlage geliefert werden könne. Dadurch sei es dem Gericht nicht möglich gewesen, einen Sachverhalt festzustellen und eine Beweisaufnahme durchzuführen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Beklagte mit der Berufung und beantragt,

1. die Klage abzuweisen;

2. den Kläger zu 2) zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 70.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen sowie

3. die Kläger zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn für den Zeitraum vom 01.03.1997 bis zum 31.12.1998 133.255,00 DM Schadensersatz nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen

4. festzustellen, daß die Kläger zu. 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche aus ihrer Behandlung resultierenden materiellen Schäden - soweit sie nach dem 31.12.1998 entstehen - zu ersetzen und

5. festzustellen, daß der Kläger zu 2) verpflichtet ist, ihm sämtliche aus seiner Behandlung resultierenden immateriellen Schäden, soweit sie bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbar sind, zu ersetzen.

Die Kläger beantragen,

1. die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen;

2. ihnen nachzulassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden und diese durch Bankbürgschaft erbringen zu können.

Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat am 2. August 1999 einen Beweisbeschluß zu der Frage erlassen, ob die Behandlung des Beklagten in der Gemeinschaftspraxis der Kläger in den Jahren 1995 bis 1997 nicht gutem fachärztlichem Standard entsprochen hat und mit der Erstellung des Gutachtens Prof. Dr. vom medizinischen Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität beauftragt (Bl. 364, 385 d.A.). Nachdem sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 04.10.1999 geweigert hat, daß dem gerichtlich bestellten Sachverständigen die Krankenunterlagen zur Verfügung gestellt werden und sein Beweisangebot auf die Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens beschränkt hat, hat der Senat dem Beklagten mit Beschluß vom 18.10.1999 (Bl. 399 d.A.) unter Fristsetzung aufgegeben, mitzuteilen, in welchem Umfang die Akten und die eingereichten Krankenunterlagen dem Sachverständigen Prof. Dr. übersandt werden können. Dieser Auflage ist der Beklagte - auch nach Fristverlängerung bis zum 29.11.1999, Bl. 405 d.A. - nicht nachgekommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Der zuerkannte Vergütungsanspruch in Höhe von 1.132,59 DM ergibt sich aus §§ 611 Abs. 1, 612 Abs. 2 BGB i.V.m. den Bestimmungen der GOZ/GOA. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Daß dem Kläger einige Posten aus der Rechnung vom 16.04.1997 nicht zuerkannt worden sind, ändert weder etwas an der Wirksamkeit noch an der Fälligkeit der übrigen Positionen gem. § 10 GOZ.

Die Widerklage ist unbegründet. Der Beklagte hat gegen die Kläger keine Schadensersatzansprüche aus §§ 847, 823 BGB oder - soweit materielle Schäden geltend gemacht werden - aus einer schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten des Behandlungsvertrages.

Der Beklagte hat nicht bewiesen, daß er in dem geltend gemachten Zeitraum in der zahnärztlichen Praxis der Kläger fehlerhaft behandelt worden ist. Der Beklagte hat es dem Senat nicht ermöglicht, die Beweisfrage, ob seine Behandlung in der Gemeinschaftspraxis der Kläger nicht gutem fachärztlichen Standard entsprochen hat (vgl. Beschluß des Senats vom 2. August 1999, Bl. 364 d.A.), zu klären.

Ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen läßt sich für den Senat nicht feststellen, ob insbesondere der Kläger zu 2) bei der zahnärztlichen Behandlung und insbesondere bei der Durchführung der Unverträglichkeitsprüfungen gegen guten fachärztlichen Standard verstoßen hat. Der Beklagte weigert sich ausweislich S. 4/5 des Schriftsatzes vom 04.10.1999 (Bl. 394, 395 d.A.), daß dem Sachverständigen Prof. Dr. die Akten zur Verfügung gestellt werden. Der Auflage, - unter Angabe der Blattzahlen der Gerichtsakten - mitzuteilen, in welchem Umfang die Akten und die eingereichten Krankenunterlagen dem Sachverständigen Prof. Dr. übersandt werden können, ist der Beklagte nicht nachgekommen. Dadurch war der Senat gehindert, das Gutachten einzuholen. Ohne die Zustimmung des Beklagten konnten dem Sachverständigen die Akten nicht übersandt werden.

Dem Senat ist es nicht ermöglicht worden, das Sachverständigengutachten über die in Rede stehenden Beweisfragen einzuholen. Die Auswahl des Sachverständigen oblag gem. § 404 Abs. 1 S. 1 ZPO dem Gericht, da die Parteien sich nicht auf einen bestimmten Sachverständigen gem. § 404 Abs. 4 ZPO geeinigt hatten. Dem Antrag des Beklagten, die von ihm im Schriftsatz vom 14.01.2000 (Bl. 414 d.A.) benannten Ärzte als sachverständige Zeugen zu laden, ist der Senat nicht nachgekommen, weil damit das in § 404 Abs. 1 S. 1 ZPO gewollte gerichtliche Bestimmungsrecht unterlaufen würde. Zudem hätte der Senat schon zur Würdigung dieser Zeugenaussagen, insbesondere zu den Unverträglichkeitserscheinungen auf die Sachkunde eines gerichtlich bestellten Sachverständigen zurückgreifen müssen.

Das Gericht hat dabei auf die Fachkenntnisse des Sachverständigen aus dem betreffenden medizinischen Sachgebiet abzustellen (Senat, Urteil vom 09.05.1994 - 3 U 186/93 -, NA-Beschl. vom 17.01.1995 - VI ZR 212/94, VersR 1995, 967; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl. 1999, Rdn. 605). Das betreffende medizinische Sachgebiet war hier die Zahnheilkunde. Mit Prof. Dr. hat der Senat einen Gutachter aus diesem Sachgebiet (Medizinisches Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität) bestellt. Es sind auch im Hinblick auf Treu und Glauben keine Gründe ersichtlich, die das verweigernde Verhalten des Beklagten als berechtigt erscheinen lassen. Selbst die Frage, ob ein weiterer Gutachter, ggf. ein Internist oder ein Toxikologe hinzuzuziehen ist, ist eine Frage, die zunächst von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen aus dem in Rede stehenden Fachgebiet zu beantworten ist.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 108, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Das Urteil beschwert den Beklagten mit mehr als 60.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

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