Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.06.2004
Aktenzeichen: 3 U 16/04
Rechtsgebiete: ProdHaftG, BGB


Vorschriften:

ProdHaftG § 13 Abs. 1 Satz 1
BGB § 260
BGB § 826
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Senats ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Mit der angefochtenen eingehenden Entscheidung hat das Landgericht Arnsberg zu Recht und - wie vom Kläger in der Berufung auch eingeräumt - in Übereinstimmung mit der gesamten vorliegenden Rechtsprechung zu dieser Thematik und der überwiegenden Auffassung in der Literatur einen Anspruch des Klägers auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden sowie Auskunft und Feststellung gegen den Hersteller der nach seinen Angaben ausschließlich von ihm konsumierten Zigarettenmarke als unbegründet zurückgewiesen. Das Berufungsvorbringen, mit dem der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt, rechtfertigt keine andere rechtliche Bewertung und Entscheidung.

1.

Soweit es um etwaige Ansprüche des Klägers aus dem Produkthaftungsgesetz vom 15.12.1989 geht, spricht bereits vieles dafür, dass das Landgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat, dass die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes für die geltend gemachten Schadensersatzansprüche nicht in Betracht kommen. Denn der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben bereits im Jahre 1964 mit dem Rauchen von Zigaretten angefangen und bereits in den Jahren 1989/1990 seien die Zeichen einer kardiovasculären Erkrankung vorhanden gewesen, die im Frühjahr 1993 zu einem Infarkt geführt habe (vgl. zu dieser Problematik OLG Hamm, ZLR 2001, 332; OLG Frankfurt - 25 W 23/00 -, Beschluss vom 16. März 2001, S. 14, Anl. B 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 23.12.2002). Für eine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz - auch unter Einbeziehung der von Amts wegen zu berücksichtigenden Einschränkungen aus § 13 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG - würde im Hinblick auf die bereits eingetretenen Gesundheitsschäden nicht allein der Hinweis auf eine möglicherweise generell ausreichende Mitursächlichkeit haftungsbegründender Umstände genügen, selbst wenn man das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen des Produkthaftungsgesetzes im Übrigen zugunsten des Klägers unterstellen würde. Es ist nicht dargelegt und ersichtlich, für welche nicht bereits vorhandenen Schäden eine Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz überhaupt zum Tragen kommen könnte.

Letztlich kann die Frage der Anwendbarkeit des Produkthaftungsgesetzes jedoch dahinstehen, da eine Haftung nach diesen Regelungen ebenso wie eine Produkthaftung nach den Vorschriften der unerlaubten Handlung auch aus anderen Gesichtspunkten ausscheidet. Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass eine Haftung der Beklagten als Zigarettenproduzentin der Umstand entgegensteht, dass die von ihr vertriebenen Zigaretten keine fehlerhaften Produkte darstellen.

2.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist ein haftungsrelevanter Konstruktionsfehler bei Zigaretten nicht zu bejahen, was gleichermaßen für den Bereich der unerlaubten Handlung wie die Regelungen des Produkthaftungsgesetzes gilt. Die vom Zigarettenrauchen für den Konsumenten ausgehenden Gefahren für die Gesundheit sowie die Gefahr des Abhängigwerdens bzw. der Entstehung einer Sucht sind seit langer Zeit in der gesamten Bevölkerung allgemein bekannt (vgl. OLG Frankfurt, NJW-RR 2001, 1471 = ZLR 2001, 339; OLG Hamm, ZLR 2001, 332; LG Bielefeld, NJW 2000, 2514 f; LG Wiesbaden, ZLR 2001, 342 ff; Kullmann, Haftung von Tabakkonzernen für Raucherschäden, ZLR 2001, 231, 233; Steffen, Produzentenhaftung für Raucherschäden in den USA - Von der Mitverantwortung des Richters für die Selbstveranwortlichkeit des Bürgers, NJW 1996, 3062, 3063). Der Kläger konnte in der Vergangenheit und kann auch heute daher ebenso wie die sonstigen Konsumenten von Zigaretten nicht erwarten, dass Zigaretten - etwa durch Weglassen jedweder Zusatzstoffe sowie durch Einbau jeglicher denkbarer Schutzmechanismen - so konstruiert werden, dass die produktimmanenten Gefahren des Zigarettenrauchens nicht mehr von ihnen ausgehen. Die typischerweise mit der Benutzung eines Produkts verbundenen und dem Verbraucher bekannten und von ihm grundsätzlich in Kauf genommenen Gefahren braucht der Produzent nicht abzuwenden (vgl. BGH, NJW 1990, 906; Kullmann, aaO, S. 233). Bei der Frage, welche Gefahren der Allgemeinheit im Zusammenhang mit dem Rauchen von Zigaretten bekannt sind, ist dabei nicht entscheidend auf die medizinischen Einzelheiten der verschiedenen Erkrankungsbilder sowie die unterschiedlichen Ausprägungen von Zigarettengewöhnung bzw. Zigarettenabhängigkeit abzustellen, sondern es ist ausreichend, dass die Kernproblematik zum allgemeinen Grundwissen gehört, was beim Zigarettenrauchen seit vielen Jahrzehnten der Fall ist.

Demgegenüber kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass eine Zigarettenproduktion ohne jegliche Zusatzstoffe zur Herstellung eventuell ungefährlicherer Zigaretten möglich sei und durch das Weglassen von Zusatzstoffen die zur Abhängigkeit führende Wirkung von Zigaretten reduziert werden könnte, wobei es nach Ansicht des Klägers auf die fehlende Rechtswidrigkeit der Beifügung dieser Zusatzstoffe nicht ankomme. Der Senat folgt der überwiegenden Auffassung, wonach Zigaretten nicht schon dann mit einem Konstruktionsfehler behaftet sind, wenn die vom Rauchen ausgehenden Gefahren vermeidbar wären (vgl. Kullmann a.a.O. m.w.N).

Die Beifügung von gesetzlich zulässigen Zusatzstoffen sowie Tabakbestandteilen kann nicht im Hinblick auf möglicherweise bestehende, jedoch nicht näher einzugrenzende Gefahren als unzulässig und haftungsbegründend angesehen werden, da ein Produkt auch dann fehlerfrei ist, wenn die Verbraucher vermeidbare Gefahren in Kauf nehmen. In diesem Zusammenhang kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass im Laufe der letzten Jahrzehnte eine Vielzahl von Rauchern - auch der streitgegenständlichen Zigarettenmarke - das Rauchen insgesamt aufgegeben oder aber die Zigarettenmarke bzw. das Tabakprodukt gewechselt haben, ohne dass sie heran durch die zugelassenen Zusatzstoffe oder die Bestandteile des Rohtabaks in den Zigaretten gehindert worden wären.

Die Geltendmachung eines Produktfehlers durch die Beifügung zulässiger und in der Zigarettenindustrie allgemein gebräuchlicher Zusatzstoffe ist nicht geeignet, die Folgen des eigenen Rauchens auf den Zigarettenhersteller abzuwälzen. Die Reduzierung des Zigarettenkonsums durch den Kläger seit 1989 sowie nochmals seit etwa dem Jahre 2002 zeigt vielmehr nachhaltig, dass nicht die geltend gemachte Zuführung vorgeblich suchtsteigernder Stoffe der entscheidende Faktor ist, sondern der einzelne Raucher. Das Landgericht hat insoweit stimmig und überzeugend dargetan, dass sich die angeblich suchtbeeinflussende Beifügung von Zusatzstoffen - insbesondere Ammoniak - beim Kläger ersichtlich nicht auf das Konsumverhalten ausgewirkt hat. Es kann deshalb dahinstehen, ob insoweit überhaupt ein hinreichend schlüssiger und überprüfbarer Sachvortrag vorliegt, der einer Beweisaufnahme zugänglich wäre. Nach dem Gesamtvorbringen des Klägers, wonach er keine Kenntnis vom Produktionsprozess der Beklagten habe und der von ihm vorgebrachte bewusste Einbau suchtverstärkende Wirkstoffe eine "nicht beweisbare Vermutung" sei (vgl. hierzu S. 9 und 12 der Klageschrift vom 14.06.2002), spricht viel dafür, dass es sich bei der aufgestellten Behauptung lediglich um eine bloße "Behauptung ins Blaue" handelt und eine beweismäßige Überprüfung auf eine unzulässige Ausforschung hinauslaufen könnte. Aus den obengenannten Gründen bedarf es jedoch keiner weiteren Vertiefung und Entscheidung dieser Frage.

3.

Der Kläger kann sich für sein Begehren ebenfalls nicht auf einen Instruktionsfehler berufen, weil bei der bestimmungsgemäßen Verwendung des Produkts schädliche Wirkungen auftreten könnten und die Beklagte warnende Angaben und Hinweise unterlassen habe.

Im Ausgangspunkt ist davon auszugehen, dass die Beklagte die ihr gesetzlich obliegenden Warn- und Hinweispflichten in der Vergangenheit stets ordnungsgemäß erfüllt hat und es allein um die Frage geht, ob einen Zigarettenhersteller darüber hinausgehende Warnpflichten in Bezug auf sein Produkt treffen. Diese Frage hat das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung unter Hinweis auf die übereinstimmende Rechtsprechung zu dieser Problematik mit Recht verneint, da die Anforderungen an die Hinweispflichten des Herstellers nicht überspannt werden dürfen (vgl. Kullmann, aaO, S. 235).

Instruktionspflichten bestehen nur im Rahmen der jeweiligen Verbrauchererwartung, so dass der Hersteller über solche Produktgefahren und Produktrisiken keine Belehrung zu erteilen braucht, die zum allgemeinen Gefahrenwissen der Produktbenutzer gehören (vgl. OLG Hamm, ZLR 2001, 332, 333; OLG Hamm, NJW 2001, 1654, 1655; LG Wiesbaden, ZLR 2001, 342 ff).

Wie bereits oben dargelegt wurde, war bereits im Jahre 1964 und davor in der Bevölkerung die Gefährlichkeit des Rauchens und der mit dem Rauchen verbundene Gewöhnungseffekt eines längerfristigen Rauchens, d.h. die Suchtproblematik, allgemein bekannt und geläufig (vgl. Kullmann, aaO, S. 233 m.w.N.), auch wenn generell ein anderes Lebensgefühl und eine andere Grundeinstellung zu Gesundheitsfragen zu jener Zeit in der Bevölkerung vorhanden gewesen ist. Der Kläger hat nach seinem eigenen Vorbringen bereits im Jahre 1975 die ersten Entwöhnungsversuche begonnen, so dass sein eigenes Verhalten ebenfalls dafür spricht, dass die allgemeinen Gefahren des Rauchens schon lange allgemeinkundig sind.

Nichts anderes ergibt sich aus den Ausführungen zum Gesetzentwurf des Produkthaftungsgesetzes. Ausweislich der BT-Drucksache 11/2447 (S. 18) hängt die Sicherheitserwartung der Verbraucher auch von der Natur des Produktes ab, so dass bei einigen Produkten Nebenwirkungen negativer Art hingenommen werden, weil es bekannt ist, dass sie in anderer Weise nicht herstellbar sind oder weil die Nebenwirkung, wie z.B. die gesundheitliche Gefahr beim Verbrauch von Tabakwaren ... gleichsam produktimmanent ist.

Es kann deshalb weder für die Zeit vor noch für die Zeit nach Inkrafttreten des Produkthaftungsgesetzes in Bezug auf Zigaretten ein Instruktionsfehler angenommen werden, da Zigaretten den Sicherheitsanforderungen entsprachen, mit denen im Rahmen gesetzlicher Hinweispflichten billigerweise gerechnet werden kann. Denn es war und ist allgemein bekannt und geläufig, dass Rauchen für die Gesundheit gefährlich ist und der regelmäßige Konsum von Zigaretten zur Abhängigkeit (Sucht) führt oder führen kann.

4.

Auch aus anderweitigen rechtlichen Gesichtspunkten kommt eine Schadensersatzhaftung der Beklagten gegenüber dem Kläger nicht in Betracht, wobei insoweit zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen wird. Insbesondere besteht kein Anhalt für eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung der Beklagten nach § 826 BGB, da die unstreitige Einhaltung der technischen Regeln und gesetzlichen Sicherheitsvorschriften seitens der Beklagten es nahelegen, dass der betreffende Hersteller ein fehlerfreies und zulässiges Produkt anstrebt, nicht jedoch eine sittenwidrige Schädigung der Konsumenten. Der Umstand, dass es sich bei dem Zigarettenmarkt um ein von den verschiedenen Herstellern heftig umkämpftes und wirtschaftlich bedeutendes Geschäftsfeld handelt, rechtfertigt nicht schon den Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung seitens eines einzelnen Herstellers.

Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass eine angebliche Ammoniakbehandlung im konkreten Fall des Klägers für seine Nikotinabhängigkeit und die hieraus resultierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ursächlich geworden ist.

5.

Da dem Kläger nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kein Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten zusteht, ist nicht nur der Klageantrag zu 3) auf Feststellung eines weiteren materiellen und immateriellen Zukunftsschadens unbegründet, sondern auch der Klageantrag zu 2) mit der zunächst auf Auskunft gerichteten Stufenklage. Er ist schon deshalb ohne Aussicht auf Erfolg, da die im Rahmen des Auskunftsanspruches erforderliche Sonderverbindung der Parteien (vgl. Münchener Kommentar-Krüger, 4. Aufl., § 260 BGB Rdnr. 14) im Sinne eines Vertragsverhältnisses oder gesetzlichen Schuldverhältnisses nicht gegeben ist. Auf die darüber hinausgehenden Bedenken zur Zulässigkeit, die das Landgericht näher unter Bezugnahme auf Rechtsprechung und Literatur ausgeführt hat, kommt es deshalb nicht mehr an.

Ende der Entscheidung

Zurück