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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 30.08.2000
Aktenzeichen: 3 U 165/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 31
BGB § 831
BGB § 847
BGB § 278
BGB § 823 Abs. 1
ZPO § 711
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
Führt der Arzt die therapeutischen Maßnamen durch, die nach der objektiven Sachlage zu treffen waren, handelt er nicht behandlungsfehlerhaft, selbst wenn er von einer unrichtigen Arbeitshypothese ausgeht. Jedenfalls fehlt es in einem solchen Fall an der erforderlichen Kausalität zwischen Diagnosefehler und der Schädigung
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 165/99 OLG Hamm

Verkündet am 30. August 2000

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 30. August 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Pelz und die Richter am Oberlandesgericht Rüthers und Lüblinghoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 01. Juni 1999 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 15.000,00 DM abwenden, falls nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten, die sie auch durch die unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse erbringen können.

Tatbestand:

Der Kläger wurde am 11. Juli 1994 im Hause der Beklagten zu 1) geboren. Die Beklagte zu 2) ist die leitende Abteilungsärztin der Kinderklinik, die Beklagte zu 3) Stationsärztin.

Am Abend des 23. Juli 1994 stellten die Eltern den Kläger erstmalig im Hause der Beklagten zu 1) vor, weil er an diesem Tag ununterbrochen geschrieen habe. Der untersuchende Arzt der Beklagten zu 1) kam zu dem Ergebnis, daß es sich ggf. um Koliken handeln könne. Am 25. Juli 1994 stellten die Eltern den Kläger gegen 19.00 Uhr erneut im Hause der Beklagten vor. Ausweislich der Krankenunterlagen befand sich der Kläger in einem reduzierten Allgemeinzustand mit blaß-gräulicher Haut und wies eine gespannte Fontanelle über Niveau auf. Des weiteren ist folgendes in dem Aufnahmebogen vermerkt:

"Vor 20 Minuten habe er auf dem Arm des Vaters liegend, plötzlich die Hände verkrampft mit Armen gerudert und habe die Augen verdreht. War bewußtlos gewesen und schlaff; keine Cyanose aber schneeweiß; Dauer 2-3 min.; danach erbrochen."

Der Kläger verblieb bis zum 05.08.1994 in stationärer Behandlung. In dem Arztbrief der Beklagten zu 2) vom 05.08.1994 heißt es u.a.:

"Diagnose: Krampfanfall

V.a. Schütteltrauma Labor-Röntgenbefunde: ...

Augenkonsil: Große Netzhautblutung li. Auge, 2 - 4 am Papillenrand re. Auge: ebenfalls Blutung Augenkonsil vom 05.08.1994: Blutungen in Resorption. EEG: oB., CCT: Frontale Hirnatrophie, ( Blutung... Schädelsono, oB, ...

Anhand der Befunde ergibt sich der Verdacht auf ein Schütteltrauma. Anamnestisch keine genauen Hinweise. Augenkontrollen notwendig."

Zu dem CT-Befund vom 28.07.1994 heißt es in den Krankenunterlagen u.a.: "... kein Nachweis einer sicheren Hirnblutung..."

In der Zeit vom 07.08. bis 07.09.1994 befand sich der Kläger erneut in stationärer Behandlung im Hause der Beklagten zu 1). Danach wurde der Kläger in das Zentrum für Kinderheilkunde der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf verbracht. In dem Arztbrief der Beklagten zu 2) vom 07.09.1994 heißt es zu dem stationären Aufenthalt seit dem 07. August 1994 u.a.:

"Diagnose: erneutes Schütteltrauma.

Befund: extrem blasses Kind in reduziertem Allgemeinzustand, somnolent bis bewußtlos, reagiert nur auf starke Schmerzreize. ...

Augenhintergrund-Untersuchung vom 07.08.1994: Zunahme der Blutung im Vergleich mit der Voruntersuchung bei der Entlassung am 05.08.1994. ...

Sämtliche Ultraschalluntersuchungen ergaben keine weitere Information, wie das CT.

Linke Seite nach Drainage-Anlegen auf 4 - 5 mm reduziert. Rechte Seite wurde von der Drainage nicht begünstigt, weiter Zuwachs auf 1,5 cm Zunahme des subduralen Hämatoms. Nach Evakuierung auf 0,6 - 0,8 cm reduziert.

CT vom 07.08.1994 deutliche Zunahme des subduralen Hämatoms ohne Kompression der inneren Liquorräume. Am 12.08.1994 Zunahme der Größe der inneren Liquorräume, deutlicher dritter Ventrikel.

Am 18.08.1994 links Zunahme des Hygrom mit Verbreiterung der Liquorräume, ...

Am 23.08.1994 deutliche Befundverschlechterung. Am 29.08.1994 progredientes subdurales Hämatom mit ausgeprägter Hirnatrophie und Lufteintritt in den rechten Subduralraum, als Folgen der Punktionen ...

Beurteilung: Verdacht auf stattgehabte Rippenserienfraktur im Bereich der ventralen Circumferenz der 3. bis 6. Rippe links. ...

Therapie und Verlauf:

Bei Zunahme des Befundes wurde am 16.08.1994 Vorstellung des subduralen Hämatoms im Bethesda Krankenhaus Wuppertal.

Es wurde bis zur nächsten Vorstellung vereinbart, eine tägliche Punktion links und rechts bei Mißerfolg eine subdurale Drainage anzulegen. Abnahme von 10 - 20 ml Liquor. Nach Ultraschall und CT-Kontrolle keine Befundbesserung.

24.08.1994 Anlegen einer subduralen externen Drainage mit Ablauf von ca. 100 ml bei dem Eingriff, auch 100 ml in den nächsten 5 Tagen.

Am 20.08.1994 wieder Vorstellung im Krankenhaus Bethesda wegen Nachbildung des Hygrom. Entfernung der externen subduralen Drainage und Anlegen eines subduralen peritonealen Shunt links. Rechte Seite ebenfalls Hämatomflüssigkeit entleert, kann aber kaum noch unter Druck stehen, so daß eine Kommunikation der beiden frontalen subduralen Räume ausgegangen ist und keine weitere Drainage rechts gelegt wurde. Bei Ultraschallkontrolle sahen wir deutlich, daß der Katheter nur die linke Seite drainiert und eine Zunahme des rechten Frontalsubduralraums stattfand mit entsprechendem Kopfwachstum von ca. 1,5 cm. Es wurde eine tägliche Punktion des Frontalraums empfohlen durch die Fontanelle. Die erste Punktion erbrachte 85 ml, teils altes, teils frisches Blut. Spätere Punktionen 50 ml danach 40 ml und 30 ml. Kopfumfangabnahme von 43,5 cm auf 42 cm.

Nach den vorliegenden Untersuchungen, d.h. CT wird in der Neurochirurgie angenommen, daß das Wachstum des subduralen Hämatoms hirnatropiebedingt ist.

Kommentar:

Zum Entstehungsmechanismus dieses subduralen Hämatoms ist mir klar, daß eine Kindsmißhandlung vorliegt. Bei der ersten Aufnahme wurde mit den Eltern darüber ausführlich gesprochen. Beide haben den Vorwurf abgestritten, ..."

In dem Arztbrief des Direktors der Kinderklinik der Universität Düsseldorf vom 18.10.1994 heißt es u.a.:

"Soweit wir aus den vorhandenen Unterlagen rekonstruieren können, muß eine frische Hirnblutung bereits Ende Juli vorgelegen haben, da ein CT des Schädels vom 28.07.1994 bereits ausgedehnte oberflächliche Hirnblutungen dokumentiert. ... Insgesamt muß leider gesagt werden, daß bei dem Kind das klassische Syndrom einer schweren körperlichen Mißhandlung mit einer schweren Hirnblutung, Knochenbrüchen und Skelettveränderungen vorliegt. Dieses Krankheitsbild ist mit einem einfachen Schütteltrauma nicht zu erklären. Die Eltern konnten für diesen beschriebenen Sachverhalt keine Erklärung liefern. ..."

Nach Angaben der Eltern leidet der Kläger heute unter einer linksfrontalen Defektbildung im Gehirn, was zu Entwicklungsrückständen bei unharmonischem Gangbild und Stolperneigung führe.

Der Kläger hat behauptet, am 23. Juli 1994 sei das Vorhandensein einer Gehirnblutung verkannt worden, am Entlassungstage (05. August 1994) sei seinen Eltern nicht mitgeteilt worden, daß die Weitergabe von Phenobarbital erforderlich sei. Die Beklagten hätten den Verdacht auf eine Gehirnblutung verkannt und die gebotenen Verlaufskontrollen nicht durchgeführt. Außerdem hätte die stationäre Behandlung über den 05. August 1994 fortgesetzt werden müssen.

Der Kläger hat beantragt, 1.

festzustellen, daß die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, ihm allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm durch Behandlungsfehler im Zusammenhang mit den Behandlungen vom 23. Juli, 25. Juli bis 05. August und 07. August bis 07. September 1994 im Verbandskrankenhaus Schwelm entstanden ist und noch entstehen wird;

2.

die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld und/oder eine Schmerzensgeldrente zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen. Sie haben jegliche Behandlungsfehler in Abrede gestellt.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, das der Sachverständige zusätzlich mündlich erläutert hat. Sodann hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem Beklagten könnten keine schuldhaften Diagnose- oder Behandlungsfehler zur Last gelegt werden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das schriftliche Gutachten des Sachverständigen, das Protokoll zur mündlichen Verhandlung sowie auf die Entscheidung des Landgerichts Bezug genommen.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er wiederholt und vertieft den erstinstanzlichen Sachvortrag und beantragt,

unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts Hagen vom 01.06.1999,

1.

die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn zu Händen seiner gesetzlichen Vertreter ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Senates gestellt wird, nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2.

festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm jeden weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, welcher ihm durch seine Behandlung in dem von der Beklagten zu 1) betriebenen Krankenhaus in der Zeit vom 25.07.1994 bis 07.09.1994 entstanden ist oder noch entstehen wird, sofern die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise Vollstreckungsnachlaß.

Die Beklagten wiederholen und vertiefen ebenfalls den erstinstanzlichen Sachvortrag.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch mündliche Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. G sowie durch Einholung eines weiteren Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. K-M , das die Sachverständige vor dem Senat mündlich erläutert hat.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Krankenunterlagen, die Protokolle sowie auf die Vermerke des Berichterstatters zu den Senatsterminen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Feststellung gem. §§ 823 Abs. 1, 31, 831, 847 BGB bzw. wegen Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages in Verbindung mit § 278 BGB.

Auch aufgrund der ergänzenden Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, daß die Behandlung des Klägers im Hause der Beklagten zu 1) und durch die Beklagten zu 2) und 3) unsachgemäß erfolgte.

1.

Die Berufung greift die Behandlung des Klägers am 23.07.1994 nicht mehr an; Behandlungsfehler sind insoweit auch nicht feststellbar.

2.

a)

Die Beklagten haben die bereits am 28.07.1994 im Computertomogramm sichtbare Hirnblutung nicht fehlerhaft verkannt.

aa)

Objektiv und auf den gefertigten Bildern sichtbar lag zu diesem Zeitpunkt eine ausgedehnte subdurale Blutung vor. Der Senat folgt dabei den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. K-M . Die Sachverständige ist Neuropädiaterin und dem Senat als ausgewiesene Spezialistin für die Auswertung u.a. von Computertomogrammen bekannt. Ihre Aussagen stehen im Einklang mit denen des Nachbehandlers Prof. Dr. L , dessen fachliche Kompetenz dem Senat ebenfalls aus einer, Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten bekannt ist. In Übereinstimmung hiermit findet sich das Gutachten der für die Krankenkasse tätig gewordenen Gutachterin Dr. B (Bl. 16). Insoweit folgt der Senat dem Sachverständigen Prof. Dr. G nicht, der das CT dahingehend ausgewertet hat, daß zwar etwas Blut an der Oberfläche vorhanden gewesen sei, nicht aber eine weitergehende Hirnblutung, sowie sie zuvor bereits durch Prof. Dr. L befundet worden war.

bb)

Das objektive Vorliegen einer Hirnblutung bereits am 28.07.1994 bedeutet nicht gleichzeitig, daß die Beklagten behandlungsfehlerhaft gehandelt haben. Soweit sie einem Diagnoseirrtum unterlagen, sieht der Senat diesen schon nicht als Behandlungsfehler.

Der Bundesgerichtshof und ihm folgend die Rechtsprechung des Senats werten Diagnoseirrtümer nur zurückhaltend als Behandlungsfehler (vgl. nur die Nachweise bei Steffen/Dressler; Arzthaftungsrecht 8. Aufl. 1999 Rz. 154). Fehldiagnosen sind dem Arzt in erster Linie wegen nicht erhobener elementarer Kontrollbefunde oder unterbliebener Überprüfung der ersten Diagnose im weiteren Behandlungsverlauf anzulasten (Steffen/Dressler, Rz. 155 m.w.N.). Ein Behandlungsfehler ist bei einem Diagnoseirrtum erst anzunehmen, wenn das diagnostische Vorgehen und auch die Auswertung bildgebender Verfahren für einen gewissenhaften Arzt nicht mehr vertretbar erscheinen (Steffen/Dressler, Rz. 155 am Ende).

Im Hause der Beklagten zu 1) wurde am 28.07.1994 sachgerecht und adäquat ein Computertomogramm gefertigt. Dieses Computertomogramm hat der (wohl Leitende) Arzt für Radiologie Dr. F am 01.08.1994 dahin interpretiert, daß kein sicherer Nachweis einer Hirnblutung vorliege. Angesichts dieses Befundes ist ohnehin schon fraglich, ob sich die Beklagten zu 2) und 3) nach den Grundsätzen der horizontalen Arbeitsteilung nicht auf diese Einschätzung des Radiologen verlassen durften.

Unabhängig von den Fragen der Arbeitsteilung war jedenfalls nach Einschätzung des Senats die Auswertung des CT "Kein Nachweis einer sicheren Hirnblutung" nicht unvertretbar. Das folgt schon daraus, daß auch der Sachverständige Prof. Dr. G als erfahrener Kinderarzt und Chefarzt einer Kinderklinik in Kenntnis der Vorbefundungen durch Prof. Dr. L und der Gutachterin Dr. B und deshalb entsprechend sensibilisiert allenfalls nur (unbedeutende) kleinere Blutungen im CT zu sehen vermochte. Der Senat hat nach dem persönlichen Eindruck, den er infolge der mündlichen Vernehmung gewonnen hat, nicht den Eindruck, daß dieser Sachverständige nicht in der Lage war, ein CT auszuwerten. Vor seiner Berufung zum Chefarzt war der Sachverständige lange Jahre in der Klinik St. Josef in Bochum beschäftigt, die gerichtsbekannt eine Universitätskinderklinik ist. Wenn ein erfahrener Arzt, der lange Jahre in einem Haus der Maximalversorgung tätig war, im Prinzip den Befund trotz entsprechender Sensibilisierung so trifft, wie ihn die Beklagten in der Zeit am und nach dem 28.07.1994 getroffen haben, kann ihnen diese Auswertung nicht als schuldhaft fehlerhaft zugerechnet werden.

b)

Ungeachtet der objektiv vorliegenden ausgedehnten Hirnblutung haben die Beklagten alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen, die in der konkreten Situation zu ergreifen waren. Führt der Arzt die therapeutischen Maßnahmen durch, die nach der objektiven Sachlage zu treffen waren, handelt er nicht behandlungsfehlerhaft, selbst wenn er von einer unrichtigen Arbeitshypothese ausgeht. Jedenfalls fehlt es in diesem Fall an der erforderlichen Kausalität zwischen Diagnosefehler und der Schädigung. Dadurch daß die Beklagten im Ergebnis die erforderlichen Maßnahmen ergriffen haben, ist der Schaden des Klägers nicht kausal auf die letztlich falsche Auswertung des Computertomogramms zurückzuführen.

Der Senat folgt insoweit den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. G und Prof. Dr. K-M .

Bereits der Sachverständige Prof. Dr. G hat - von seinem Standpunkt aus, daß keine ausgedehnte Hirnblutung vorlag - auf der Basis der Diagnose "Schütteltrauma" die Behandlung seit dem 25.07.1994 als sachgerecht und die betriebene Differentialdiagnostik als sehr aktiv bezeichnet.

Die Sachverständige Prof. Dr. K-M hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. G die Diagnose eines Schütteltraumas aufgrund der Befunde des Klägers als von Anfang an korrekt bezeichnet. Grundlage für diese Diagnose waren die Angaben der Eltern, der Nachweis von Blutungen am Augenhintergrund, der blutig veränderte Liquor und die neurologischen Auffälligkeiten (Krampfanfall, passagere neurologische Auffälligkeiten, Fontanellenbefund; Bl. 243).

Die Diagnose der Hirnblutung widersprach nicht der Diagnose des Schütteltraumas. Weil Hirnblutungen Bestandteil von Schütteltraumen sind, war letztlich die Diagnose und die auf dieser Diagnose basierende Therapeutik adäquat und sachgerecht. Dabei wurden die wichtigsten Gerinnungsparameter zum Ausschluß einer Blutgerinnungstörung bereits während des ersten Aufenthaltes in Form der Thrombozytenbestimmung, der partiellen Thromboplastinzeit und des Quickwertes bestimmt. Alle Werte waren unauffällig. Soweit die Sachverständige sich in ihrem schriftlichen Gutachten mißverständlich ausgedrückt haben mag und von keinem eindeutigen Versäumnis sprach (Bl. 244), hat sie dies vor dem Senat klargestellt und betont, daß kein Versäumnis vorlag.

Eine zerebrale Gefäßmißbildung war wegen des multiplen Auftretens der Blutung auszuschließen, so daß auch unter diesem Aspekt keine Notwendigkeit zu weiterer Diagnostik bestand.

c)

In der Folge wurden die erforderlichen Maßnahmen sachgerecht ergriffen und nichts verabsäumt. Eine weitere Diagnostik etwa in Form eines Kernspintomogramms war auch bei richtiger Diagnosestellung nicht angezeigt, Zur Feststellung von Hirnblutungen ist das CT die Methode der Wahl; das ist dem Senat auch aus anderen Verfahren bekannt. Durch eine Kernspintomographie hätte lediglich ohne therapeutische Konsequenzen das Ausmaß der intracraniellen Schädigung genauer beurteilt werden können (Bl. 245). Verlaufskontrollen, die die Gutachterin Dr. B für erforderlich hielt (Bl. 17), waren nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. K-M deshalb nicht erforderlich, weil sie nicht automatisch zu erfolgen haben, sondern vom klinischen Bild abhängig gemacht werden dürfen. Dieses klinische Bild hat die Sachverständige offenbar auch unter Beachtung der richtigen Diagnose der Hirnblutung für die Zeit des stationären Aufenthaltes nicht als so gravierend gewertet, daß das Unterlassen der Verlaufskontrolle als unsachgemäß, weil zwingend geboten, zu werten war. Auch hier ist nicht erkennbar, welche therapeutischen Konsequenzen die Durchführung einer Verlaufskontrolle gehabt hätte.

d)

Nach den überzeugenden Aussagen der Sachverständigen war weder bereits am 28.07.1994 eine operative Versorgung, das Anlegen einer Drainage noch die intensiv-medizinische Betreuung des Klägers erforderlich. Das bedeutet gleichzeitig, daß die Beklagten die Bildung des Hydrocephalus nicht fehlerhaft verkannt, verspätet reagiert und therapiert haben. Ein neurochirurgischer Eingriff ist bei einem Säugling mit weit offenen Schädelnähten nur selten und ausschließlich bei ausgedehnten Massenblutungen notwendig. Solche lagen nicht vor. Deshalb bestand für einen neurochirurgischen Eingriff keine Indikation (Bl. 245 f.).

e)

Ein Babygramm, das die Gutachterin Dr. B angeregt hat (Bl. 16), war nicht erforderlich. Überzeugend hat der Sachverständige Prof. Dr. G ausgeführt, daß angesichts der Angaben der Eltern, das Kind sei geschüttelt worden, kein Röntgen des ganzen Körpers zu erfolgen hat. Ausweislich des Arztbriefes der Beklagten zu 2) an Prof. Dr. L vom 07.09.1994 (Seite 3 unten) haben die Beklagten die mögliche Kindsmißhandlung durchaus bereits bei der ersten stationären Aufnahme ins Kalkül gezogen. Das impliziert, daß auch an evtl. Knochenbrüche gedacht wurde. Überzeugend hat die Sachverständige Prof. Dr. K-M darauf verwiesen, daß dies keine therapeutischen Konsequenzen gehabt hätte. Konkrete therapeutische Konsequenzen formuliert auch die Gutachterin Dr. B nicht. Dann war es auch nicht fehlerhaft, kein Babygramm zu fertigen.

f)

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang behauptet, die erlittenen Rippenserienbrüche sowie die Periostabhebung sei durch die Beklagten etwa bei der Liquorentnehme verursacht worden, ist dieser Vorwurf haltlos. Ein Zusammenhang zwischen Liquorentnahme und diesen Verletzungen ist nach den Ausführungen der Sachverständigen und der Gutachterin Dr. B nicht vorstellbar.

g)

Die medikamentöse Behandlung des Klägers war sachgerecht. Die Sachverständige K-M hat auch diesbezüglich überzeugend darauf verwiesen, daß insbesondere die Behandlung mit Phenobarbital adäquat und suffizient erfolgte. Sie hätte den Kläger ebenso behandelt.

h)

Da gesundheitliche Probleme für das Kind bei Schütteltraumen in den ersten 7 Tagen nach dem Ereignis auftreten, durfte der Kläger nach 10-tägiger stationärer Behandlung am 05.08.1994 entlassen werden, nachdem der Kläger keine Auffälligkeiten mehr zeigte, die zu seinem Belassen im stationären Bereich hätten Anlaß geben können. Zwar hat die Gutachterin Dr. B wegen der dokumentierten auffälligen Beinhaltung den Kläger nicht als völlig unauffällig bezeichnet (Bl. 17). Die zu frühe Entlassung des Klägers aus der stationären Behandlung schließt diese Gutachterin jedoch nur nicht aus bzw. sieht Gründe für eine weitere stationäre Behandlung für "wahrscheinlich noch angezeigt" (Bl. 20). Eine weitere Aufklärung ist dem Senat diesbezüglich nicht möglich. Selbst nach dieser Gutachterin, die letztlich nur mutmaßt, steht damit ein Behandlungsfehler wegen zu früher Entlassung nicht fest.

Ausweislich der Krankenunterlagen wurde am 05.08.1994 ein vorläufiger handgeschriebener Arztbrief für den ambulant behandelnden Kinderarzt Dr. D verfaßt. Dieser enthält als Therapievorschlag "Luminalette 2 x 15 mg" sowie den Zusatz "Verdacht auf ein Schütteltrauma". Dadurch war die entsprechende Kontrolle durch den Kinderarzt und auch die Weiterführung der erforderlichen Medikation gewährleistet. Der Krampfanfall wurde nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. K-M mit Phenobarbital ausreichend therapiert. Die Sachverständigen haben auch keine Versäumnisse im Zusammenhang mit der Entlassung gesehen; das impliziert die Aussage, daß etwa Phenobarbital nicht weiter zu verabreichen und dem Kinderarzt dieser Therapievorschlag nicht zu unterbreiten war. Der Sachverständige Prof. Dr. G hat dies von seinem Standpunkt aus eindeutig zum Ausdruck gebracht (Bl. 82).

Daß die Beklagten den Eltern des Klägers diesen Arztbrief ausgehändigt haben, haben die Eltern eingeräumt. Dabei liegt es nahe, daß dann auch der Hinweis erfolgte, der Kinderarzt möge umgehend aufgesucht werden. Schon die Übergabe eines Briefes für den Kinderarzt impliziert die Aussage, daß dieser den Brief auch in nächster Zeit zu erhalten hat. Jedenfalls hat der Kläger den ihm obliegenden Beweis einer fehlerhaft unzureichenden Sicherheitsaufklärung nicht erbracht und kein geeignetes Beweismittel angeboten. Im übrigen wäre selbst dann, wenn etwa im Hinblick auf die Gefahr eines erneuten Krampfanfalles eine unzureichende Sicherheitsaufklärung anzunehmen wäre, diese nicht kausal geworden. Die Eltern des Klägers haben ihn bereits am 07.08. bei der ersten Auffälligkeit wieder bei den Beklagten vorgestellt. Damit ist ausgeschlossen, daß sich eine unzureichende Sicherheitsaufklärung kausal ausgewirkt hat. Mehr als sofort vorstellig zu werden, hätten die Eltern auch bei einer umfassenden Sicherheitsaufklärung nicht tun können.

3.

a)

Fehler während des zweiten stationären Aufenthaltes seit dem 07.08.1994 waren ebenfalls nicht feststellbar, insbesondere ist die Spülung der Drainage nicht verspätet erfolgt. Für den 25.08. findet sich in den Krankenunterlagen die Eintragung "Drainagen laufen gut" und "Drainagen laufen ab". Der Zustand des Klägers wird für die Zeit danach so beschrieben, daß er kräftig bzw. etwas spucke, teilweise ruhig schlafe, teilweise wieder sehr unruhig sei. Der Allgemeinzustand wird für den 26. und 27.08. als gut bezeichnet. Am 28.08. schlief der Kläger bis 5.30 Uhr fest, war seit 13.00 Uhr etwas unruhig und schrie erst den ganzen Nachmittag über. Um 21.30 Uhr wurden dann die Drainagen gespült.

Bei dieser Sachlage ist es ausgeschlossen, daß die Spülung zu spät erfolgte. Die Sachverständige Prof. Dr. K-M hat überzeugend ausgeführt, daß angesichts der klinischen Situation für den Kläger keinerlei Gefahr bestand. Ein gefährlicher Zustand hätte vom Pflegepersonal auch nicht unbemerkt eintreten können. Wegen der weit offenen Schädelnähte ist bei einem Säugling ohnehin erst nach einer gewissen Zeit eine Drainierung erforderlich. Selbst bei einer Verstopfung der Drainage und einem sich hierdurch entwickelnden Rückstau wäre der Kläger angesichts der klinischen Situation nicht in Gefahr gewesen. Gefährlich wird die Situation für einen Säugling erst dann, wenn sich infolge des Hirndrucks Veränderungen zeigen oder Erbrechen auftritt. Solche klinischen Anzeichen sind nicht dokumentiert. Hinweise dafür, daß solche Anzeichen entgegen der Dokumentation vorgelegen haben könnten, sind nicht ersichtlich. Ein solcher gefährlicher Hirndruck konnte auch deshalb nicht entstehen, weil dafür die dokumentierte drainierte Fördermenge zu gering ist.

b)

Darüber hinaus wäre eine verspätete Drainagenspülung nicht kausal geworden. Auch insoweit hat die Sachverständige überzeugend ausgeführt, daß hierzu "grotesk viel Blut im Gehirn gewesen sein" mußte. Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt. Selbst die Beeinflussung der Hirnschäden durch den Hirndruck hielt die Sachverständige vorliegend für extrem unwahrscheinlich bzw. für nicht vorstellbar. Das von der Mutter des Klägers angesprochene "Pumpen" konnte die Verstopfung der Drainage nicht bewirken und hätte sich, selbst wenn es zur Verstopfung geführt hätte, ebenfalls aus den gleichen Gründen nicht kausal ausgewirkt.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5.

Das Urteil beschwert den Kläger mit mehr als 60.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

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