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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 29.10.2007
Aktenzeichen: 3 U 170/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, VVG


Vorschriften:

ZPO § 287 Abs. 1
ZPO § 323
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 529 Abs. 1
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
ZPO §§ 578 ff.
ZPO § 580 Nr. 3
BGB § 826
VVG § 155
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 22.06.2006 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der am 03.12.1985 geborene Kläger begehrt zunächst weiteren materiellen Schadensersatz (Mehrbedarf) für einen Zeitraum seit dem 01.01.1996 aufgrund eines Urteils des Landgerichts Münster vom 16.03.1989 (XXXXXXX, bestätigt durch Senatsurteil vom 31.01.1990, 3 U 158/89, und Nichtannahmebeschluss des BGH vom 05.02.1991, XXXXXXX), in dem u.a. rechtskräftig festgestellt wurde, dass der Beklagte dem Kläger für alle materiellen und immateriellen Zukunftsschäden haftet, die dem Kläger aus den Folgen eines Undine-Fluch-Syndroms entstehen. Darüber hinaus begehrt er ein weiteres - nunmehr zeitlich unbefristetes - Schmerzensgeld in Höhe von 75.000,- €, nachdem das seinerzeit ausgeurteilte Schmerzensgeld (50.000,- DM) für den Zeitraum von der Geburt des Klägers bis zum Schluss der damaligen letzten mündlichen Verhandlung am 16.03.1989 befristet worden war.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des erstinstanzlichen Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat ein schriftliches Sachverständigengutachten des Facharztes für Kindermedizin Prof. Dr. y den Ursachen und Auswirkungen der Erkrankung des Klägers sowie dessen Betreuungs- und Pflegeaufwand eingeholt, welches der Sachverständige im Termin vom 11.05.2006 mündlich erläutert hat. Das Landgericht hat ferner die Mutter und den Bruder des Klägers als Zeugen vernommen. Es hat sodann der Klage überwiegend stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Einstandspflicht des Beklagten sei durch das Urteil vom 16.03.1989 rechtskräftig festgestellt, so dass es nicht mehr darauf ankomme, ob die Erkrankung des Klägers tatsächlich durch den Beklagten verursacht worden oder ob dies durch neuere medizinische wissenschaftliche Erkenntnisse inzwischen auszuschließen sei. Eine Durchbrechung der Rechtskraft nach § 826 BGB komme nicht in Betracht, da der Titel nicht so eindeutig und schwerwiegend materiell unrichtig sei, dass dessen Ausnutzung als sittenwidrig beurteilt werden müsste. Deshalb stehe dem Kläger auch für die Zeit nach dem 16.3.1989 ein weiteres Schmerzensgeld sowie die Erstattung des ab 1.1.1996 angefallenen Pflegemehrbedarfs zu. Hinsichtlich der Höhe des Betreuungsaufwandes sei ein Rückgang von zunächst 8 Stunden täglich über 5 Stunden auf nunmehr 2 Stunden pro Tag anzunehmen, da sich der Zustand des Klägers zunehmend verbessert habe, dieser insbesondere mittlerweile nicht mehr auf eine Trachealkanüle angewiesen sei.

Mit seiner form- und fristgerechten Berufung hält der Beklagte an seinem erstinstanzlichen Sachvortrag fest und vertritt weiterhin die Auffassung, eine Zuerkennung weiteren Schadensersatzes auf der Grundlage des Urteils vom 16.03.1989 komme nicht in Betracht. Der Kläger könne sich nach den Grundsätzen zu § 826 BGB nicht auf die Rechtskraft des Urteils berufen, da dieses nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen materiell unrichtig sei, was der Kläger auch wisse. Zudem sei die Ausnutzung dieses Urteils unbillig und schlechterdings unerträglich. Zunächst handele es sich nur um einen Feststellungstenor, dessen Rechtskraft leichter zu überwinden sei als die eines Leistungsurteils. Der Kläger sei zudem nicht länger schutzwürdig, da er die geltend gemachten Aufwendungen in Kenntnis der Unrichtigkeit des Ausgangsurteils getätigt habe. Schließlich sei der Beklagte angesichts des Umstands, dass er für die Erkrankung des Klägers verantwortlich gemacht werde, des andauernden Verfahrens und der ständigen Angst, seiner Existenzgrundlage beraubt zu werden, seinerseits erkrankt und arbeitsunfähig geworden.

Des Weiteren wendet sich der Beklagte gegen die Höhe des für den Zeitraum ab dem 31.05.2003 zuerkannten Pflegeaufwandes.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil mit näheren Ausführungen und behauptet weiterhin, er sei von der Richtigkeit des Ausgangsurteils überzeugt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Prozesskostenhilfebeschluss des Senats vom 03.11.2004 (XXXXXX) sowie die beigezogenen Akten XXXXX LG Münster = XXXXXX OLG Hamm = XXXXXX BGH, XXXXX LG Münster = XXXXX OLG Hamm und XXXXX = XXXXXX OLG Hamm Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Beklagte ist dem Kläger aufgrund des rechtskräftigen Urteils vom 16.03.1989 zur Zahlung weiteren materiellen und immateriellen Schadensersatzes im zuerkannten Umfang verpflichtet.

1.

Zu Recht hat das Landgericht diese Verpflichtung aus dem o.g. Urteil hergeleitet. Die Einwendungen des Beklagten hiergegen greifen nicht durch. Zur Begründung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Gründe des Prozesskostenhilfebeschlusses vom 03.11.2004 (XXXXX) und des in dieser Sache erteilten Hinweisbeschlusses gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO vom 07.03.2007 Bezug, an denen der Senat weiterhin festhält. Ergänzend ist auszuführen:

Die Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger sämtliche aus dem Undine-Fluch-Syndrom entstehenden Schäden zu ersetzen, ist rechtskräftig festgestellt. Eine Durchbrechung dieser Rechtskraft kommt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.

a.

Entgegen der Auffassung des Beklagten erstreckt sich die Rechtskraft des Urteils vom 16.03.1989 gerade auch auf den haftungsbegründenden Zusammenhang zwischen dem festgestellten groben Behandlungsfehler des Beklagten und dem beim Kläger aufgetretenen Undine-Fluch-Syndrom. Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich um einen Feststellungstenor handelt. Durch das Feststellungsurteil wird der Bestand des Rechtsverhältnisses einschließlich des Haftungsgrundes zwischen den Parteien festgestellt. Haftungsgrund war im Ausgangsprozess der grobe Behandlungsfehler des Beklagten sowie dessen Ursächlichkeit u.a. für das Undine-Fluch-Syndrom, die durch den seinerzeit beweisbelasteten Beklagten nach den damaligen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden konnte. Die Rechtskraft des Feststellungsurteils führt dazu, dass das auf eine Verpflichtung des Beklagten zum Schadensersatz gerichtete Rechtsverhältnis zu Grunde zu legen ist, ohne dass die materielle Berechtigung des Anspruchs erneut geprüft werden kann (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 66. Aufl. 2007, § 322 Rn. 6). Dabei ist es dem Beklagten nach nahezu einhelliger Meinung in Literatur und ständiger Rechtsprechung verwehrt, Einwendungen vorzutragen, die sich auf Tatsachen stützen, welche schon zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorgelegen haben (vgl. etwa BGH NJW 1982, 2257). Die daraus folgende Konsequenz, dass die Prozessparteien auch an einem Urteil festgehalten werden, welches sich nachträglich als unrichtig erweist, ist im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens grundsätzlich hinzunehmen, wenn nicht ausnahmsweise die Rechtskraft überwunden werden kann.

b.

Eine Durchbrechung dieser Rechtskraft kommt jedoch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Betracht.

aa.

Die Voraussetzungen der Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß §§ 578 ff. ZPO sind vorliegend nicht erfüllt. Insbesondere hat sich der Sachverständige seinerzeit nicht entsprechend § 580 Nr. 3 ZPO einer Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht. Vielmehr hat er den Sachverhalt auf der Grundlage damaliger wissenschaftlicher Erkenntnisse zutreffend beurteilt. Lediglich der Fortschritt der Wissenschaft lässt seine Schlussfolgerungen aus heutiger Sicht unrichtig erscheinen.

Auch eine analoge Anwendung der Wiederaufnahmevorschriften kommt nicht in Betracht. Dabei hat der Senat schon Zweifel, ob überhaupt eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke vorliegt, denn der Fall eines Urteils, welches auf einem sich nachträglich als unrichtig herausstellenden Sachverständigengutachten beruht, ist in

§ 580 Nr. 3 ZPO bereits geregelt und knüpft wie die anderen Wiederaufnahmegründe an strafbares Verhalten an. Ein solches liegt hier aber nicht vor, so dass Bedenken bestehen, ob eine vergleichbare Interessenlage besteht, die eine analoge Anwendung rechtfertigen würde. Denn der Gesetzgeber hat damit gezeigt, dass eine Wiederaufnahme nur unter besonders engen Voraussetzungen in Betracht kommen soll. Daher wird auch nach der Rechtsprechung des BGH eine analoge Anwendung der Wiederaufnahmevorschriften abgelehnt (vgl. BGHZ 101, 380; so auch Zöller-Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 580 Rn. 3; Würthwein, Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und materielle Rechtskraft, ZZP 1999, 447, 459; Walker, Beseitigung und Durchbrechung der Rechtskraft, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof, S. 367, 379).

bb.

Der Senat schließt sich auch nicht der vereinzelt in der Literatur geäußerten Auffassung an, dass bei einer Neubewertung alter Tatsachen aufgrund wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts dies gleichzusetzen sei mit neuen Tatsachen, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung aufgetreten sind, weshalb eine (ggfs. analoge) Anwendung des § 323 ZPO in Betracht komme (so Würthwein, a.a.O., S. 468; ihr offenbar folgend Zöller-Vollkommer, a.a.O., vor § 322 Rn. 53; anders aber wieder Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 323 Rn. 32). Auch insoweit bestehen aus bereits erörterten Gründen im Hinblick auf § 580 Nr. 3 ZPO Bedenken, ob überhaupt eine ergänzungsbedürftige Regelungslücke vorliegt. Die Gleichsetzung von Tatsache und deren Bewertung findet zudem rechtsdogmatisch keine Stütze und ist mit dem geltenden Recht nicht zu vereinbaren, da sie insbesondere bei den nicht seltenen Verfahren, die unter Heranziehung von Sachverständigen entschieden wurden, zu einer uferlosen Neuaufnahme bereits abgeschlossener Verfahren führen könnte (vgl. hierzu auch BGHZ 112, 54). Mit dieser Bewertung übereinstimmend hat schon das Reichsgericht die Korrektur eines früheren Urteils abgelehnt und mit den Grundsätzen der Rechtskraft für nicht vereinbar gehalten, wenn man diese abhängig machen wollte von der jeweiligen Ansicht der Wissenschaft über das, was von vorn herein richtig gewesen wäre (RGZ 126, 239 zu § 323 ZPO, ferner BGH VersR 81, 280 ff., BGH NJW-RR 92, 1092). Deshalb muss es dabei verbleiben, dass eine Durchbrechung der Rechtskraft in Fällen wie diesem nur im Rahmen der Anwendbarkeit des § 826 BGB in Betracht kommen kann.

cc.

Auch die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Anwendung des § 826 BGB verhelfen der Berufung jedoch nicht zum Erfolg. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH muss die Rechtskraft ausnahmsweise zurücktreten, wenn es mit dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Gläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt. Eine solche Anwendung des § 826 BGB muss danach jedoch auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen es schlechterdings unerträglich wäre, dem Gläubiger seine formale Position zu belassen, weil jede Ausdehnung das Institut der Rechtskraft aushöhlen, die Rechtssicherheit beeinträchtigen und den Eintritt des Rechtsfriedens in untragbarer Weise in Frage stellen würde (u.a. BGHZ 26, 391, BGH VersR 1982, 975, 976, BGHZ 101, 380, BGHZ 112, 54, BGHZ 151, 316, BGH NJW 1998, 2818, BGH NJW 1999, 1257, BGH NJW 2006, 154).

Nach dieser Rechtsprechung ist die Anwendung des § 826 BGB zur Überwindung der Rechtskraft an folgende Voraussetzungen geknüpft:

(1)

Der Titel muss materiell unrichtig sein; der titulierte Anspruch darf nicht oder nicht im titulierten Umfang bestehen (BGHZ 101, 380). Dies ist hier zweifellos der Fall, obgleich der Kläger auch weiter behauptet, er halte die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler des Beklagten und dem Undine-Fluch-Syndrom für möglich. Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. T im Senatstermin vom 20.01.1997 (XXXXX OLG Hamm) und des in diesem Verfahren beauftragten Prof. Dr. y besteht nach neueren Erkenntnissen der Wissenschaft kein Zweifel mehr am genetischen Ursprung der Krankheit. Wie die Sachverständigen überzeugend ausgeführt haben, war das Undine-Fluch-Syndrom zur Zeit des Ausgangsverfahrens noch nicht ausreichend erforscht, so dass ein Sauerstoffmangel unter der Geburt als mögliche Ursache für möglich gehalten wurde. Mittlerweile ist jedoch durch die weiter fortgeschrittene medizinische Forschung gesichert, dass die Krankheit während der Schwangerschaft intrauterin entsteht und in nahezu allen Fällen eine genetische Ursache nachgewiesen werden kann (PHOX2B-Mutation). Die Richtigkeit dieser neuerlichen Erkenntnisse wird durch den - hieran zweifelnden -Vortrag des Klägers nicht ernsthaft in Frage gestellt.

Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse wäre trotz des im Ausgangsurteil festgestellten groben Behandlungsfehlers durch Alleinlassen der gebärenden Mutter mit einer Hebamme nach erkanntem Hydramnion (3.800 ml Fruchtwasser) als deutlichem Risikohinweis der Ursachenzusammenhang zwischen Fehler und Undine-Fluch-Syndrom auszuschließen und die Ursprungsklage insoweit abzuweisen gewesen. Das stattgebende Urteil vom 16.03.1989 ist damit objektiv unrichtig.

(2)

Der Gläubiger muss die materielle Unrichtigkeit des Titels kennen, wobei es ausreicht, wenn ihm die Kenntnis während des Folgeprozesses um die Überwindung der Rechtskraft vermittelt wird (BGHZ 101, 380, BGH NJW 1999, 1257). Hier kennt der Kläger spätestens seit dem ihm bekannt gewordenen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. T aus dem Jahr 1997 die Umstände, aus denen sich die Unrichtigkeit des Urteils ergibt. Dass er diese abweichend bewertet und die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht für überzeugend hält, ändert nichts an seiner Kenntnis.

(3)

Es müssen grundsätzlich besondere Umstände hinzutreten, die sich aus der Art der Titelerlangung oder der Vollstreckung ergeben, aufgrund derer es dem Gläubiger zugemutet werden kann, die unverdient erlangte Rechtsposition aufzugeben. Die Umstände, auf denen die materielle Unrichtigkeit des Titels beruht, reichen jedoch für sich genommen hierzu nicht aus (BGHZ 101, 380, BGHZ 112, 54, BGHZ 151, 316, BGH NJW 1998, 2818, BGH NJW 2005, 1991).

Von dem Erfordernis besonderer Umstände kann allenfalls in Extremfällen abgesehen werden, wenn die materielle Unrichtigkeit des Titels aufgrund der Sittenwidrigkeit des Vertrags so eindeutig und schwerwiegend ist, dass jede Vollstreckung schon deshalb das Rechtsgefühl in schlechthin unerträglicher Weise verletzen würde (BGHZ 101, 380 zum Ratenkredit, BGHZ 112, 54, BGHZ 151, 316, offen gelassen in BGH NJW 1998, 2818).

Diese primär für sittenwidrige Ratenverträge entwickelte Rechtsprechung führt vorliegend indes nicht weiter, da das Ausgangsurteil vom 16.03.1989 nicht auf sittenwidrigen Geschäften o.ä. beruht. Eine derartig eindeutige und schwerwiegende materielle Unrichtigkeit des Urteils vom 16.03.1989 liegt nicht vor, wie der Senat schon im Prozesskostenhilfebeschluss vom 3.11.2004 ausgeführt hat, auf den auch insoweit Bezug genommen wird.

Besondere Umstände, die eine Ausnutzung des materiell unrichtigen Ausgangsurteils schlechterdings unerträglich erscheinen ließen, liegen auch unter Berücksichtigung des Umstands nicht vor, dass es vorliegend nicht nur um die Vollstreckung aus einem Leistungsurteil geht, sondern um Zuerkennung weiterer Ansprüche auf der Grundlage eines Feststellungsurteils. Der Kläger hat den Titel ordnungsgemäß aufgrund eines aus damaliger Sicht richtig erscheinenden Gutachtens nach dem Stand der damaligen Wissenschaft erwirkt und damit in keiner Weise unredlich erschlichen.

Zwar trifft es zu, dass im Gegensatz zum vor dem Senat geführten Verfahren XXXXX der Kläger nun die Aufwendungen nicht mehr im Vertrauen auf die Richtigkeit des Ausgangsurteils getätigt hat, so dass ihm insoweit kein besonderer Vertrauensschutz mehr zuzubilligen ist. Wie bereits ausgeführt, wusste der Kläger von der materiellen Unrichtigkeit des Ausgangsurteils. Ein besonderer Umstand im Sinne der Rechtsprechung des BGH liegt hierin gleichwohl nicht, bleibt es doch dabei, dass der Kläger lediglich bewusst aus einem unrichtigen Urteil vorgeht, was ohne Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig noch nicht zu einer Durchbrechung der Rechtskraft führen kann (vgl. die oben zitierten Nachweise). Der Kläger geht auch nicht gegen den Beklagten vor, um diesen zu schädigen und sich zu Unrecht zu bereichern, sondern macht - neben immateriellen Schäden - Aufwendungen für Pflege geltend, auf die er existenziell und dauerhaft angewiesen ist. Die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse durch den wegen eines erwiesenen groben Behandlungsfehlers rechtskräftig verurteilten Beklagten verletzt das Rechtsgefühl nicht schon deshalb in unerträglicher Weise, weil neue wissenschaftliche Erkenntnisse nunmehr die Kausalität seines Fehlers zu den Schäden des Klägers verneinen.

Dabei ist es keine Besonderheit, sondern im Gegenteil nach den für grobe Behandlungsfehler entwickelten Beweislastregeln eine für das Arzthaftungsrecht geradezu typische Konstellation, dass ein behandelnder Arzt unter Umständen für Fehler haftet, obwohl deren Kausalität zu den eingetretenen Gesundheitsschäden völlig offen geblieben ist und deshalb eventuell nicht besteht, wie der Senat bereits in dem in Bezug genommenen Urteil vom 10.09.1997 (XXXXX) ausgeführt hat.

Soweit sich der Beklagte auf besondere Umstände beruft, die in einer Existenzgefährdung aufgrund unzureichender Haftpflichtversicherung sowie einer angeblich durch vorliegendes Verfahren ausgelösten depressiven Erkrankung und Berufsunfähigkeit liegen sollen, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung.

Für eine Existenzgefährdung des Beklagten ist nichts ersichtlich. Der Beklagte ist haftpflichtversichert. Die Deckungssumme beträgt 2 Mio. DM. Gezahlt wurden bisher anrechenbar 423.674,86 €. Selbst unter Berücksichtigung der nunmehr ausgeurteilten Beträge ist angesichts der nur geringen monatlichen Rente von 70,- € ein Überschreiten der Deckungssumme mit der Folge einer etwaigen persönlichen Inanspruchnahme des Beklagten auch in Zukunft nicht ersichtlich. Auch das seitens des Beklagten angeführte befürchtete Verteilungsverfahren seines Versicherers gemäß § 155 VVG ist daher nach dem Vortrag des Beklagten nicht konkret zu erwarten. Schließlich sind auch keine Regresse von Sozialversicherungsträgern zu befürchten, auf die sich die Rechtskraft des Urteils vom 16.03.1989 nicht erstrecken kann.

Ob dem Kläger zukünftig weitere Ansprüche zuerkannt werden können, wenn diese zu einer unzumutbaren persönlichen finanziellen Belastung des Beklagten führen, kann daher jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt offen bleiben, solange die Deckungssumme nicht annähernd erreicht ist.

Die Behauptung des Beklagten, aufgrund dieses Prozesses depressiv und berufsunfähig geworden zu sein, kann für die Beurteilung des Falles dahinstehen. Die Angst des Beklagten vor finanzieller Inanspruchnahme ist nach obigen Ausführungen unbegründet, da eine solche nicht zu erwarten ist. Dass er sich den langwierigen Gerichtsverfahren seit Ende der 80er Jahre stellen musste, ist Folge seines groben Behandlungsfehlers und daher von ihm selbst zu vertreten. Soweit er schließlich geltend macht, er leide unter dem ungerechtfertigten Vorwurf, die Erkrankung des Klägers verursacht zu haben, ist dieser Vorwurf mittlerweile durch mehrere Urteile jedenfalls hinsichtlich der Kausalitätsfrage widerlegt und die fehlende materielle Verantwortung des Beklagten für die gesundheitlichen Auswirkungen festgestellt. Daher bedurfte es keiner Beweisaufnahme zu den reklamierten psychischen Beeinträchtigungen des Beklagten, unter denen er - wie im Senatstermin bekräftigt wurde - schon von Anbeginn an leide.

Unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Aspekte sind besondere Umstände, die ausnahmsweise eine Anwendung des § 826 BGB rechtfertigen würden, nicht ersichtlich, so dass eine Durchbrechung der Rechtskraft auch auf diesem Weg nicht zulässig ist. Daran ändert - wie erwähnt - auch der Umstand nichts, dass der Kläger vorliegend nicht lediglich aus einem Leistungstitel vollstreckt, sondern aufgrund eines Feststellungsurteils die Zuerkennung weiterer Ansprüche begehrt. Insbesondere auch hinsichtlich der immateriellen Schäden wäre es aus Sicht des Senats umgekehrt nicht vereinbar mit den Grundsätzen von Treu und Glauben, wenn der Kläger dadurch schlechter gestellt würde, dass das Landgericht im Urteil vom 16.03.1989 ein Schmerzensgeld nur für die Vergangenheit betragsmäßig festgelegt hat und nicht - wie es im Regelfall geschieht - schon im Ausgangsverfahren ein zeitlich unbefristetes Schmerzensgeld unter Einbeziehung der zukünftigen absehbaren Folgen zuerkannt hat.

Auch dies zeigt, dass ein Festhalten am rechtskräftigen Titel hier nicht als schlechterdings unerträglich angesehen werden kann.

2.

Hinsichtlich der Schadenshöhe, die der Beklagte nur unter dem Gesichtspunkt des täglichen Pflegemehraufwandes seit dem 31.05.2003 angegriffen hat, folgt der Senat ebenfalls gemäß § 529 Abs. 1 ZPO den zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils und nimmt auch insoweit auf diese und den Beschluss vom 07.03.2007 Bezug. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. y und der weiteren Beweisaufnahme steht fest, dass aus der Krankheit des Klägers ein Mehrbedarf resultiert, den das Landgericht beanstandungsfrei gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf zwei Stunden täglich geschätzt hat. Den entsprechenden Ausführungen des Senats im Hinweisbeschluss ist der Beklagte auch nicht weiter entgegen getreten, so dass es einer erneuten eingehenden Erläuterung der hierfür tragenden Erwägungen nicht bedarf.

Das zuerkannte Schmerzensgeld ist gleichfalls angemessen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des bereits im Urteil vom 16.03.1989 für die Vergangenheit zugesprochenen Teilbetrages von 50.000,- DM. Das Landgericht hat insbesondere bei der Bemessung der Höhe zutreffend berücksichtigt, dass mittlerweile eine Verantwortlichkeit des Beklagten für die Erkrankung des Klägers auszuschließen ist, so dass es einer Genugtuung des Klägers für erlittenes Unrecht nicht bedarf. Gleichwohl ist die nunmehr insgesamt zuerkannte Summe von ca. 100.000,- € unter Billigkeitsgesichtspunkten zum Ausgleich der durch die Erkrankung erlittenen und vorhersehbaren weiteren Beeinträchtigungen angemessen, aber auch ausreichend.

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4.

Hinsichtlich der Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat der Senat wegen einer offensichtlichen Unrichtigkeit (Parteiverwechslung) den Tenor gemäß § 319 Abs. 1 ZPO von Amts wegen berichtigt.

5.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Vielmehr handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung vor dem Hintergrund einer durch obergerichtliche Rechtsprechung hinreichend geklärten Rechtsfrage.

Der Senat ist bei seiner Entscheidung der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung zur Rechtskraft und deren ausnahmsweise zulässiger Durchbrechung gefolgt, die schon durch das Reichsgericht (vgl. RGZ 126, 239) begründet und seitdem kontinuierlich fortgeführt wurde. Der BGH hat diese Rechtsprechung erst kürzlich erneut bestätigt (Urteil vom 13.09.2005, VI ZR 137/04, BGHZ 164, 87). Daher erfordern auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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