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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 19.03.2001
Aktenzeichen: 3 U 193/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 847
BGB § 823
BGB § 831
BGB § 276
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 278
ZPO § 498
ZPO § 448
3 U 193/00 OLG Hamm

Überschrift: Beweislast bei der konservativen Behandlung einer Fraktur

Leitsatz:

Der Arzt hat die tatsächlichen Gründe für eine konservative Frakturversorgung darzulegen und zu beweisen, wenn feststeht, daß die operative und nicht die konservative Versorgung dem medizinischen Standard entsprach. Die Pflicht zur Benennung solcher tatsächlicher Gründe ist abzugrenzen von der (Neben-)Pflicht des Arztes, auf Behandlungsalternativen hinzuweisen.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 193/00 OLG HAMM 11 O 1026/99 LG Münster

Verkündet am 19. März 2001

Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2001 durch den Richter am Oberlandesgericht Kamps und die Richter am Oberlandesgericht Rüthers und Lüblinghoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 15. Juni 2000 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die im Jahre 1999 geborene Klägerin rutschte am 21.02.1996 auf Glatteis aus und zog sich im Bereich des rechten Handgelenks einen Speichenbruch (Radiusfraktur rechts) zu. In Begleitung ihrer Kollegin, der Zeugin begab sie sich noch am selben Tag in die Privatsprechstunde des Beklagten, der leitender Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfall- und Handchirurgie der ist. Dort wurde sie von dem damaligen Vertreter des Beklagten dem Zeugen Dr. behandelt. Nach Fertiqung der Röntgenaufnahme und Diagnose wurde der Bruch unter Plexus-Anästhesie gerichtet und sodann eine Gipsschiene angelegt. Am Folgetag - dem 22.02.7.996 - wurde die Klägerin durch den Beklagten selbst untersucht und in der Folgezeit entweder von ihm oder seinem Vertreter ambulant behandelt. Spätestens nach Abnahme der Gipsschine am 28.03.1996 und nochmaliger Röntgenkontrolle stand fest, dass die ursprüngliche Funktionstauglichkeit der Hand - insbesondere ihre Beugefähigkeit - nicht ohne weitere therapeutische Maßnahmen - insbesondere Krankengymnastik - hergestellt werden könnte. Es stand auch fest, dass ein optimales Ergebnis durch die vorangegangene konservative Behandlung nicht erreicht worden war. Im Bereich der Radiusgelenkfläche war eine Stufenbildung von etwa 2 mm sowie eine diskrete Abkippung der Radiusgelenkfläch festzustellen. Daraus resultiert die eingeschränkte Beugefähigkeit des Handgelenks.

Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes - Vorstellung 20.000,00 DM - und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz materieller und weiterer immaterieller Schäden in Anspruch genommen. Sie hat behauptet, den behandelnden Arzt Dr. am Unfalltag ausdrücklich angewiesen zu haben, alles zu machen, was für eine erfolgreiche Behandlung notwendig sei. Am 22.02.1996 habe der Beklagte eine operative Versorgung und das damit verbundene Risiko tiefer Narben mit ihr besprochen. Auf die Gefahr einer funktionellen Beeinträchtigung sei bei diesem Gespräch und auch später nicht hingewiesen worden. Der Beklagte hat behauptet, dass der Zeuge Dr. der Klägerin die Stabilisierung des Bruches mittels eines Fixateur externe angeboten, die Klägerin dies jedoch abgelehnt habe. Am Folgetag, dem 22.02.1996 habe der Beklagte auch auf die Gefahren von funktionellen Beeinträchtigungen hingewiesen und der Klägerin die operative Behandlung angeraten. Hiermit habe sich die Klägerin jedoch nicht einverstanden erklärt.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines Sachverständengutachtens und Vernehmung von Zeugen mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin nicht den Beweis geführt habe, vom Beklagten unzureichend über das Risiko der vorgenommenen konservativen Behandlung und der deutlich besseren Erfolgschance der alternativ in Betracht kommenden operativen Behandlung aufgeklärt worden zu sein.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung und beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den erstinstanzlich gestellten Schlussanträgen zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die gegnerische Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Parteien und den Sachverständigen Prof. Dr. zur Erläuterung seines Gutachtens angehört sowie die Kollegin der Klägerin den Ehemann der Klägerin und die behandelnden Ärzte Dr. und Dr. uneidlich als Zeugen vernommen. Zudem ist der Beklagte gemäß § 498 ZPO als Partei vernommen worden. Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 19. März 2001 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keine Schadensersatzansprüche aus den §§ 847, 823, 831 BGB oder - soweit die Feststellung materieller Schäden geltend gemacht wird - aus einer schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten des Behandlungsvertrages i.V.m. §§ 276, 278 BGB.

Die erneute Beweisaufnahme durch den Senat hat zwar ergeben, dass die konservative Behandlung der Kläger in nicht dem zu fordernden medizinischen Standard entsprochen hat. In der Beurteilung des Behandlungsgeschehens macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. der sein Gutachten überzeugend erläutert hat, zu eigen. Danach konnte der geschuldete handchirurgische Standard, und zwar vom Unfalltage an allein durch ein operatives Vorgehen erfüllt werden. Diese Tatsache ist - entgegen den protokollierten Angaben im Kammertermin, Seite 2 des Protokolls vom 21.10.1999 (Bl . 136 d. A. ) - im Senatstermin von dem Beklagten ausdrücklich bestätigt und damit unstreitig gestellt worden. Danach ist bereits mit dem Versuch einer konservativen Reposition am 21.02.1996 der handchirurgische Standard nicht gewahrt worden.

Die Unterschreitung des zu fordernden medizinischen Standards war aber weder widerrechtlich i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB noch haben die behandelnden Ärzte damit rechtswidrig gegen die Sorgfaltspflicht des Behandlungsvertrages i.V.m. §§ 276, 278 BGB verstoßen. Die Klägerin hat es weder dem Beklagten noch den Ärzten, die für den Beklagten gehandelt haben, ermöglicht, die regelrechte Behandlung durchzuführen. Sie hat sich von Anfang an gegen eine Operation - dem ärztlichen Rat und Standard entsprechend - ausgesprochen.

Die Beweislast dafür, dass der Klägerin der ärztliche Rat zur - standardgemäßen - Operation erteilt und sie diesen Rat nicht befolgt hat, trägt der Beklagte. Wenn feststeht, dass die konkret durchgeführte Behandlung nicht dem medizinischen Standard entsprach, dann hat der Arzt darzulegen und zu beweisen, warum eine Hauftung ausgeschlossen sein soll. Die Pflicht zur Benennung der tatsächlichen Gründe, die zum Ausschluß der Haftung führen, ist abzgrenzen von der (Neben-)Pflicht des Arztes auf Behandlungsalternativen hinzuweisen. Die Hinweispflicht auf eine solche Behandlungsalternative setzt allerdings voraus, dass auch diese Behandlungsalternative dem medizinischen Standard entspricht. Ein solcher Fall lag der Entscheidung des Senats vom 06.05.1985 (- 3 U 216/84 - AHRS 5000/10 = VersR 1987, 106) zugrunde. Eine standardgemäße Behandlungsalternative zum operativen Vorgehen gab es bei der hier in Rede stehenden medizinischen Versorgung - aus den oben erwähnten Gründen - indes nicht.

Der Beklagte hat den Beweis geführt, dass der Klägerin der ärztliche Rat zur - standardgemäßen - Operation erteilt worden ist und sie diesen Rat nicht befolgt hat. Der Zeuge Dr. hat dies für die Behandlung am Unfalltag glaubhaft bestätigt. Ein deutlicher Hinweis findet sich zwar nicht in der schriftlichen Einverständniserklärung vom 21.02.1996, wohl aber im Operationsbericht vom 21.02.1996, den der Zeuge Dr. selben Tag verfasst hat. Dort ist niedergelegt: "Präoperativ wurde der Patientin die primäre Stabilisierung mittels Fixateur externe angeboten, was von der Patientin jedoch abgelehnt wurde. Aus diesem Grunde ist hier die Reposition und Gipsanlage geplant." Diese Angaben im Operatinosbericht widersprechen nicht denjenigen in der Einverständniserklärung vom selben Tage. Denn auch in der Einverständniserklärung ist die "Anlage eines Fixateur externe" erwähnt "falls keine zufriedenstellende Bruchstellung zu erwarten ist". Dies deckt sich mit der Angabe im Operationsbericht: "Bei sekundärer Dislokation ist eine Fixateur-Anlage vorgesehen".

Die Richtigkeit dieser Angaben wird nicht durch die Aussagen der Zeugin und des Zeugen in Frage gestellt. Die Zeugin vermochte sich im Senatstermin zunächst nicht daran zu erinnern, ob Dr. die in Betracht kommenden zwei Behandlungsmöglichkeiten unter schiedlich bewertet hat. Zudem mag es durchaus sein, dass die Zeugin die tatsächlich durchgeführte Behandlungsmethode schlussfolgernd - als diejenige in Erinnerung behalten hat, die der Klägerin als "richtige" Möglichkeit empfohlen worden ist. Die Aussage des Ehemanns der Klägerin hat als sogenannte Zeugenaussage vom Hörensagen, worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, nur einen beschränkten Beweiswert. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass die Klägerin ihrem Ehemann den Hinweis auf die funktionelle Beeinträchtigung auch deshalb nicht mitgeteilt haben mag, weil eine solche funktionelle Beeinträchtigung zwar wahrscheinlich eintreten konnte aber nicht zwingend eintreten musste. So mag die Klägerin die Gefahr der Funktionsbeeinträchtigung verdrängt und darauf vertraut haben, dass diese Folge nicht eintreten werde.

Dass die Klägerin auch am Tag nach dem Unfall auf die dringende Notwendigkeit der Operation hingewiesen worden ist, hat der Zeuge Dr. glaubhaft bestätigt. Entscheidend für diese Darstellung spricht die Dokumentation vom selben Tag: "Lehnt nach langem Gespräch über Methode und Vorteile der Op. diese ab: "Narben finde ich scheußlich". Folgen der Einsinterung der Frakt. deutl. erklärt". Schon dem äußeren Erscheinungsbild nach bestehen keine Anzeichen dafür, dass diese Eintragung später nachgefertigt worden sein könnte. Um seine Überzeugung von der Richtigkeit des Karteikarteneintrages vom 22.02.1996 zu begründen und um letzte Zweifel auszuschließen, hat der Senat den Beklagten hierzu gemäß § 448 ZPO als Partei vernommen. Der Beklagte hat überzeugend ausgeführt, dass, wann und warum er diese Eintragung vorgenonnnen hat. Der Grund, die Äußerung der Klägerin wörtlich niederzulegen, habe für ihn deshalb bestanden, weil es für ihn nicht nachvollziehbar gewesen sei, dass eine Patientin eine solche Operation der Narbenbildung wegen ablehnen würde.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713; das Urteil beschwert die Klägerin mit weniger als 60.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

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