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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.09.2000
Aktenzeichen: 3 U 211/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
BGB § 1004
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 108
ZPO § 515 Abs. 3
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
1. Bei persönlichkeitsrechtsverletzenden Werturteilen streitet eine Vermutung für dei Freiheit der Rede, wenn die Äußerungen eine die breite Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage betreffen. Schulische Fragestellungen weisen nahezu stets eine hohe gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Relevanz auf.

2. Sind mehrere sich gegenseitig ausschließende Deutungen des Inhaltes einer Äußerung möglich, so ist der rechtlichen Beurteilung diejenige zugrunde zu legen, die dem auf Unterlassen in Anspruch Genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger beeinträchtigt.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 211/99 OLG Hamm

Verkündet am 20. September 2000

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Pelz und die Richter am Oberlandesgericht Kamps und Lüblinghoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen der Kläger gegen das am 12. August 1999 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld werden zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,-- DM abzuwenden. Allen Parteien wird nachgelassen, die Sicherheitsleistung auch durch unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Veröffentlichung eines Buches mit dem Titel "Pestalozzis Erben".

Die Kläger zu 1) und 2) waren Lehrer am städtischen Gymnasium Oerlinghausen, dessen Leiter der Beklagte zu 1) ist. Die Klägerin zu 3), Tochter des Klägers zu 2), war dort Schülerin. Der Kläger zu 1) befindet sich seit 1995 wegen Dienstunfähigkeit im Ruhestand; der Kläger zu 2) und die Klägerin zu 3) haben inzwischen die Schule gewechselt.

Im Herbst 1997 erschien im Verlag des Beklagten zu 2) das vom Beklagten zu 1) verfaßte Buch "Pestalozzis Erben". In dem Buch erzählt der Leiter des Gymnasiums einer fiktiven Kleinstadt Rodenburg namens Heinrich Kah eine Vielzahl von Geschehnissen am Gymnasium und im Bereich der Stadt Rodenburg. Die Stadt Rodenburg in dem genannten Buch hat etwa 19000 Einwohner, genauso wie die Stadt Oerlinghausen.

Ein Teil der im Buch beschriebenen Ereignisse am Gymnasium und in der Stadt Rodenburg hat sich tatsächlich so abgespielt. Über 20 im Buch agierende Personen haben große Ähnlichkeit mit tatsächlich existierenden Personen, die u.a. am Gymnasium Oerlinghausen und in der Stadt - oder in der Schulverwaltung -aufgetreten sind und zum Teil für Aufsehen gesorgt haben.

Die Kläger erkennen sich in bestimmten Buchfiguren wieder und fühlen sich aufgrund verschiedener Passagen im Buch in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Für den Kläger zu 1) gilt dies insbesondere für folgende Abschnitte: Kapitel 11 (Seite 34, 35 des Buches):

"Mit Oswald Zuche hatte Kah schon seit Jahren Ärger. Zuche gehörte zu jener Spezies, die durch ihr Verhalten jedes Vorurteil über Lehrer bestätigte: Er war faul, anmaßend, unpünktlich und feierte - im wahrsten Sinne des Wortes - einmal monatlich krank. Eltern, deren Kinder vorzeitig wegen Unterrichtsausfalls nach Hause kamen, riefen Kah an, um ihm zu berichten, daß sie Zuche auf dem Tennisplatz gesehen hatten und warum denn dann der Deutschunterricht ausfiele. Ein Vater, der allerdings nicht genannt sein wollte, erzählte, daß Zuche ihm beim Bier seine Strategie für die letzten zehn Dienstjahre erläutert hatte. Zusammenfassend habe sie gelautet: "Da wird sich der Kah noch eine Menge einfallen lassen müssen, um den Vertretungsunterricht für mich zu organisieren."

Und so kam es dann auch. Zuche fehlte zwei Wochen, tat einen Monat lang seinen Dienst und fehlte erneut. Sein Rückenleiden, so erklärte er Kah, sei chronisch und mit herkömmlichen Mitteln nicht zu heilen.

Nach einem fast sechswöchigen Sanatoriumsaufenthalt erschien Zuche mit einer ärztlichen Bescheinigung. Es wurde ihm attestiert, daß er vorübergehend nur bedingt dienstfähig sei. Als Kah die Schulaufsicht einschaltete, wurde Zuches wöchentliche Pflichtstundenzahl prompt um die Hälfte reduziert. Kah erhielt außerdem Anweisung, ihn im Fach Sport, das er bis dahin neben Deutsch unterrichtet hatte, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr einzusetzen.

Unterrichtsverteilung und Stundenplan zu ändern war ein mühseliges Unterfangen. Als alles geschafft war, erschien Zuche in Kahs Dienstzimmer. Er wolle sich in aller Form beschweren, ließ er vernehmen. Der Belastung, in vier Klassen Deutsch unterrichten und Klassenarbeiten zu korrigieren zu müssen, sei er keinesfalls gewachsen. Kah gab seine Ratlosigkeit zu erkennen. Er versuchte zu erklären, daß außer Zuches Gesundheitszustand am Gymnasium Rodenburg auch die Interessen der Schülerinnen und Schüler von gewissem Belang seien. Zuche war das egal. Nach einer Woche meldete er sich krank.

14 Tage später bekam Kah Post von der Bezirksregierung. Es wurde ihm mitgeteilt, daß Zuche eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn eingelegt habe und zwar "wegen vorsätzlicher Herbeiführung der Dienstunfähigkeit eines Untergebenen".

Zuche wurde danach am Gymnasium Rodenburg nicht wieder gesehen. Seine letzte Krankmeldung lautete "... auf unbestimmte Zeit". Nach über einem Jahr erfuhr Kah, daß Zuche immer noch bei vollem Gehalt in Staatsdiensten stand. Gegen eine vorzeitige Pensionierung hatte er Einspruch eingelegt.

Seine Kalkulation war simpel: Bei der Differenz zwischen vollem Gehalt und Pension zählte jeder Monat - erst recht solange das Ferienhaus auf Teneriffa noch nicht vollständig bezahlt war."

Kapitel 19 (Seite 60 des Buches):

"Wenn Zuche Kahs einziger Problemfall am Gymnasium Rodenburg gewesen wäre, hätte Kah keinen Grund zur Klage gesehen. Er war bereit, sich an die alte Maurerweisheit "Eine Flasche kann jede Baustelle vertragen", zu halten."

Die Kläger zu 2) und 3) fühlen sich insbesondere durch die sich anschließender Passagen in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt:

"Aber außer Zuche gab es noch Carl-Gottfried Albers, dessen Hauptanliegen darin bestand, gegen die blinden Mächte einer Kultusbürokratie zu kämpfen, die er vornehmlich durch Kah repräsentiert sah. Im Normalzustand war Albers von herausragendem Intellekt, ausgestattet mit einem geistigen Potential, das er zum Leidwesen seines akademisch gebildeten Elternhauses nicht imstande gewesen war, seinen Kindern zu hinterlassen. In dem dumpfen Bewußtsein dieses familiären Defizits hatte er sowohl Sohn wie auch Tochter am Gymnasium Rodenburg untergebracht, wohl in der Hoffnung daß sie unter seinem Schutz der begehrten Weihen einer höheren Schulausbildung teilhaftig werden konnten.

Als Sohn Martin schon in der 5. Klasse scheiterte, sah Albers die Ursache in der kindlichen Verspieltheit seines Sprosses. Die großen Pausen wahrend des Vormittags nutzte er fortan, um die Kollegen, die Martin unterrichteten, über das psychische Profil eines Spätentwicklers zu informieren. In der Forderung schlummernder Begabung sah er eine besondere Herausforderung für das Gymnasium.

In Klasse 7 blieb Martin erneut sitzen.

Diesmal legte Albers formell Einspruch gegen den Beschluß der Versetzungskonferenz ein. Der Fall ging durch alle Instanzen bis zum Oberverwaltungsgericht. Dabei hatte Martin am Ende der Sommerferien eine Nachprüfung abgelegt und die Versetzung dank des Bemühens diverser Nachhilfelehrer längst geschafft. Aber nun ging es ums Prinzip. Albers wurde zum Berserker. Seine Eingaben an die Bezirksregierung, das Ministerium, die Presse wurden Legion. Kein Elternabend, an dem er nicht zum Kampf gegen die Versetzungsordnung aufgerufen hatte, keine Konferenz, bei der er nicht gegen den menschenverachtenden Leistungsdruck des Gymnasiums Rodenburg zu Felde gezogen wäre.

Am Ende des Schuljahres kam das monomanische Meisterstück: Albers erklärte, daß er als Klassenlehrer fürderhin die gültige Versetzungsordnung aus Gewissensgründen nicht mehr anwenden werde.

Bevor er eines Schlechteren belehrt wurde, hatte Kah geglaubt, daß auch Lehrer an die Vorgaben ihres Arbeitgebers gebunden seien und für den Fall eines Konflikts zwischen Pflicht und Gewissen gegebenenfalls kündigen müßten.

Albers bewies sich und der Welt die Unhaltbarkeit einer solchen Annahme. Zwar gelang es ihm, aus seiner Personalakte einen veritablen Vorgang werden zu lassen, aber mehr geschah nicht."

Die Veröffentlichung des streitgegenständlichen Buches hat ein lebhaftes Presseecho ausgelöst, und zwar sowohl in der Lokalpresse als auch zum Beispiel in der Wochenzeitung "Die Zeit", in der der Beklagte zu 1) gelegentlich Artikel veröffentlicht. Auch in Rundfunk und Fernsehen wurde das Buch thematisiert. Zum Zeitpunkt des Kammertermin am 18.06.1998 waren 18.000 und zum Zeitpunkt des Senatstermin ca. 39.000 Exemplare des Buchs verkauft.

Die Kläger haben die Beklagten auf Unterlassung der weiteren Verbreitung des Buches sowie Geldentschädigung - Vorstellung von jeweils 50.000,-- DM - in Anspruch genommen. Sie haben behauptet, daß es den Beklagten bei der Veröffentlichung des Buches um ihre Diffamierung und um eine persönliche Abrechnung ginge.

Die Beklagten haben behauptet, bei den Figuren in den streitgegenständlichen Buch handele es sich um frei erfundene Personen, es seien lediglich Typen von Beamten, Politikern und Lehrern beschrieben. Durch eine überzogene Kritik sollen insbesondere die Schwachstellen des gymnasialen Bildungssystems aufgezeigt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Gutachtens zur Frage, ob das streitgegenständliche Buch ein Kunstwerk sei, die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß die beeinträchtigten Persönlichkeitsrechte hinter dem Grundrecht der Kunstfreiheit zurückzutreten hätten.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit der Berufung. Der Kläger zu 1) beantragt,

die angefochtene Entscheidung abzuändern und die Beklagten zu verurteilen,

1.

es zu unterlassen, das Buch "Pestalozzis Erben", bislang erschienen im Wolf Schwartz Verlag, Heidelberg, - ISBN 3 - 927800 - 03 - 1 - selbst oder durch Dritte zu vertreiben, zu verbreiten oder auf andere Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, solange das Buch folgende, den Kläger zu 1) betreffende Passagen enthält:

Seite 34: Von

Mit Oswald Zuche...

bis Seite 35 einschließlich

... solange das Ferienhaus auf Teneriffa noch nicht vollständig bezahlt war,"

Seite 45:

"Zuche und Lausbach argumentierten am lautesten. Nach ihren Worten zu urteilen, war es die Berufung ihres Lebens, als Pädagogen das Wohl der ihnen anvertrauten Schützlingen segensreich zu beeinflussen. Da gab es nichts zu diskutieren oder in Frage zu stellen."

Seite 60:

Von

"Wenn Zuche Kahs einziger Problemfall am Gymnasium Rodenburg gewesen wäre, hätte er keinen Grund zur Klage gesehen. Er war bereit, sich an die alte Maurerweisheit "Eine Flasche kann jede Baustelle vertragen", zu halten ...

bis einschließlich

Aber außer Zuche gab es noch ..."

Seite 64:

"Zuche, Borg und vor allem Röckmann schalteten sich aus dem Kollegium ein, wobei letzterer neben einer Unterschriftenaktion auch gleich einen abendlichen Schweigemarsch durch die Rodenburger Innenstadt organisierte."

Seite 81:

"In der Tat: Auf seine 68er war Verlaß. Matzrath hatte kaum ihre Begrüßungsfloskeln beendet, als sie von Zuche nach dem sonntäglichen Vorfall befragt wurde";

2.

Den Beklagten für jeden Verstoß gegen die Verpflichtung zu Ziffer 1) ein Ordnungsgeld bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft, anzudrohen und

3.

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn eine angemessene Geldentschädigung zu zahlen.

Die Kläger zu 2) und 3) beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils,

1.

den Beklagten zu 1) zu verurteilen, es zu unterlassen, sein Buch "Pestalozzis Erben", bislang erschienen im Wolf Schwartz Verlag, Heidelberg, - ISBN 3 - 927800 - 03 - 1 - selbst oder durch Dritte zu vertreiben, zu verbreiten oder auf andere Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen;

hilfsweise beantragt der Kläger zu 2), die genannte Unterlassung mit dem Zusatz solange das Buch folgende Passagen enthält:

Seite 60 (115):

Von:

"Albers hatte sich eine neue Masche einfallen lassen ..."

bis einschließlich

"... vor einem anderen als sich selbst hatte er nie zugegeben, daß er ihn fast ein wenig beneiden"

Seite 121:

Von:

"Kah zögerte nicht lange ...

bis einschließlich

... Dies war die Stelle, an der Albers großzügig war";

hilfsweise beantragt die Klägerin zu 3),

die im Hauptantrag genannte Unterlassung mit dem Zusatz, solange das Buch folgende Passagen enthält:

Seite 60:

Von

"Im Normalzustand war Albers von herausragendem Intellekt,

bis einschließlich

"... die Versetzung dank des Bemühens diverser Nachhilfelehrer längst geschafft";

die Kläger zu 2) und 3) beantragen ferner,

2.

den Beklagten zu 1) für jeden Verstoß gegen die Verpflichtung zu Ziffer 1) ein Ordnungsgeld bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft, anzudrohen und

3.

den Beklagten zu 1) zu verurteilen, an sie jeweils eine angemessene Geldentschädigung zuzüglich 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte zu 1) beantragt,

1.

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen;

2.

hilfsweise, Vollstreckungsnachlaß.

Der Beklagte zu 2) beantragt,

1.

die gegnerische Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen;

2.

Vollstreckungsnachlaß.

Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf den in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Kläger bleibt ohne Erfolg.

I.

Dem Kläger zu 1) stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung oder Geldentschädigung gem. §§ 823, 847, 1004 BGB nicht zu.

1.

Mit dem Landgericht geht der Senat davon aus, daß ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers zu 1) gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vorliegt. Für eine nicht unbeträchtliche Zahl, insbesondere von jetzigen und ehemaligen Gymnasiasten in Oerlinghausen sowie deren Eltern läßt sich die Person Oswald Zuche als Ronald H, den Kläger zu 1), identifizieren. Daß der Beklagte zu 1) aus der Sicht des Schulleiters tatsächlich auch über das Verhalten des Klägers zu 1) schreibt, läßt sich unter anderem aufgrund der Fächerkombination (Deutsch und Sport) und aufgrund der Frühpensionierung (2 Jahre vor der Herausgabe des Buches) leicht erschließen.

Durch die Ausführungen auf Seite 34: "Zuche gehörte zu jener Spezies, die durch ihr Verhalten jedes Vorurteil über Lehrer bestätigte: Er war faul, anmaßend, unpünktlich und feierte - im warsten Sinne des Wortes - mindestens einmal monatlich krank" und auf Seite 60: "Wenn Zuche Kahs einziger Problemfall am Gymnasium Rodenburg gewesen wäre, hätte er keinen Grund zur Klage gesehen. Er war bereit, sich an die alte Maurerweisheit "Eine Flasche kann jede Baustelle vertragen", zu halten." wird in das Persönlichkeitsrecht des Klägers zu 1) eingegriffen.

2.

Jedoch sind die den Kläger zu 1) beeinträchtigenden Äußerungen nicht rechtswidrig, weil sie unter dem Schutz der Grundrechte, und zwar der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und der Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG stehen. Unter Abwägung der für die Parteien streitenden Grundrechte ist der Senat zu der Auffassung gelangt, daß der Kläger zu 1) die Veröffentlichung des Buches "Pestalozzis Erben" in vollem Umfang entschädigungslos hinzunehmen hat.

a)

Bei den in Rede stehenden Äußerungen handelt es sich um Werturteile, die eine die breite Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage betreffen. Bei diesen - den Schulbetrieb am Gymnasium wiedergebenden - Problemen handelt es sich um Fragestellungen, die nahezu stets hohe gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Relevanz aufweisen. Ist eine Fragestellung von solch einer Relevanz Gegenstand eines Werturteils, so streitet eine Vermutung für die Freiheit der Rede. Dies deshalb, weil ein Untersagen nicht allein die streitenden Parteien betreffen würde, sondern Auswirkungen auf den öffentlichen Kommunikationsprozeß haben könnte (vgl. Rühl, Tatsachen-Interpretationen-Wertungen, 1998, Seite 64 f. m. w. N.; Seyfarth, NJW 1999 1287, 1289).

b)

Die Grundrechtsbelastung des Klägers zu 1) ist nicht von einer derartigen Intensität, daß allein dies zum Erfolg der Klage führen müßte. Dabei verkennt der Senat nicht, daß der Kläger zu 1) sich infolge der ihn betreffenden Äußerungen zutiefst betroffen fühlt und durch die bissigen Bemerkungen dem Hohn und Spott ausgesetzt ist.

Regelmäßig treten Belange der Meinungsfreiheit allerdings nur dann zurück, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde, als Formalbleidigung oder als Schmähkritik darstellt (BVerfG E 93, 266, 293 f. = NJW 1995, 3303). An eine solche Einstufung sind strenge Anforderungen zu stellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts liegt eine solche Schmähkritik oder Formalbeleidigung und ein damit einhergehender Angriff auf die Menschenwürde erst dann vor, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Die Äußerung muß sich jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik in der Herabsetzung der angegriffenen Person erschöpfen (BGH NJW 1974, 1762, 1763; BVerfG E 82, 272, 283 = NJW 1991, 95). Wird die geäußerte Meinung und Kritik am Verhalten anderer Personen in Form einer Satire geäußert, so ist die der Satire zukommende Sonderstellung zu berücksichtigen. Dabei ist diese Sonderstellung so zu fassen, daß der Aussagekern von der Einkleidung zu trennen und beides gesondert zu prüfen ist (BVerfG NJW 1987, 2661; BGH NJW 2000, 1036, 1039). Daß es sich bei dem in Rede stehenden Buch um eine Darstellung handelt, die in pointierter satirischer Überzeichnung die Unzulänglichkeit des Schulbetriebs in spöttischer und bissiger Weise kritisieren will, ist bereits dem Einband ausdrücklich zu entnehmen und wird schon beim Lesen der ersten Seite offenkundig: Der dort beschriebene Musiklehrer war der Auffassung, "daß die Welt seiner nicht wert war", der Religionslehrer hielt "sich für den direkten Nachfolger Jesu-Christi".

Der naheliegende Aussagekern des Buches dürfte es sein, Mißstände oder Merkwürdigkeiten des gymnasialen Schulbetriebs aufzuzeigen, betreffend die übergeordnete Bürokratie, betreffend den Schulträger und - im Stil der "Feuerzangenbowle", so Seite 17 des Buches - die skurillen Lehrertypen darzustellen. In diesem Zusammenhang ist auch der Aussagekern der von dem Kläger zu 1) beanstandeten Passagen zu sehen. Ein vertretbarer Aussagekern der Darstellung auf Seite 34, 35 dürfte es sein, daß ein Lehrer, der häufig krank ist, während dieser Zeit auf dem Tennisplatz gesehen und über ein Ferienhaus im Ausland verfügt, - diese Tatsachen sind unstreitig - das Vorurteil über Lehrer bestätigt, nämlich "faul, anmaßend, unpünktlich zu sein und - im warsten Sinne des Wortes - krank zu feiern". Daß für einen Schulleiter ein Lehrer mit diesen Eigenschaften zum Problemfall werden kann, ist kaum zu leugnen.

Der Senat geht davon aus, daß noch andere - möglicherweise auch sehr verletzende - Aussagekerne der vom Kläger zu 1) monierten Passagen gedeutet werden können. Sind mehrere sich gegenseitig ausschließende Deutungen des Inhalts einer Äußerung möglich, so ist der rechtlichen Beurteilung diejenige zugrunde zu legen, die dem auf Unterlassen in Anspruch genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger beeinträchtigt (BVerfG NJW 1995, 3303, 3305; BGHZ 139, 95 = NJW 1998, 3047; BGH NJW 2000, 1036, 1037, 1039). Nach Auffassung des Senats enthalten die beanstandeten Passagen weder in ihrem Aussagekern noch in ihrer Einkleidung den naheliegenden oder zwingenden Schluß, daß der Kläger zu 1) persönlich herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll.

c)

Bei der Abwägung hat der Senat auch berücksichtigt und dies streitet für das betroffene Grundrecht des Klägers zu 1), daß der Beklagte zu 1), wenn auch nicht in der Funktion eines Dienstvorgesetzten im Sinne der beamtenrechtlichen Regelungen, so doch aus einer faktisch übergeordneten Funktion heraus, über den Kläger zu 1) geschrieben hat. Vieles von dem Niedergelegten hätte der Beklagte zu 1) nicht so realitätsnah schreiben können, wenn er nicht die Schulleiterfunktion innegehabt hätte. Auf diesen Umstand hat bereits das Landgericht ebenso zu Recht hingewiesen wie darauf, daß ein solches Verhalten als stillos empfunden werden mag. Jedoch gilt der Schutz der Meinungsfreiheit unabhängig davon, ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, emotional oder rational, stilvoll oder stillos ist (BverfGE 61, 1, 7 = NJW 1983, 1415). Wenn auch der Schluß möglich ist, daß das Motiv des Beklagten zu 1), die monierten Stellen zu schreiben, in einer persönlichen Abrechnung liegen könnte, so ist dieser Schluß nicht naheliegend und erst recht nicht zwingend.

Die mit dem Wiedererkennungsprozeß verfolgte Absicht des Beklagten zu 1) ist nicht zwingend auf den Kläger zu 1) persönlich, sondern eher auf einen solch beschriebenen Lehrertypen zu beziehen. Die teilweise Realität des Geschehens deutet nicht in erster Linie auf den Kläger zu 1), sondern darauf hin, daß Lehrer mit den im Buch beschriebenen Eigenarten auch in der Wirklichkeit vorkommen.

d)

Schon allein die Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht der Meinungsfreiheit führt dazu, daß die den Kläger zu 1) beeinträchtigenden Äußerungen nicht als rechtswidrig einzustufen sind. Darüber hinaus streitet für die Beklagten das Grundrecht der Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, daß es sich bei dem Buch zumindest um einen ernsthaften Versuch eines Kunstwerks handelt. Jedenfalls ist das Bemühen um einen schöpferischen Prozeß zu erkennen, der darauf gerichtet ist, Dasein von und in der Realität zu klären, in dem der Beklagte zu 1) seine subjektiven Erfahrungen der Realität einbringt. Dagegen spricht weder die Identifizierbarkeit einzelner Personen, noch der Umstand, daß sich Satire geradezu als Gegenkunst begreift, gegen den Charakter eines Kunstwerks (vgl. Steffen in Löffler Presserecht, 4. Aufl. 1997, § 6 LPG Rdnr. 31 b) m.w.N.).

II.

Auch dem Kläger zu 2) stehen die geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung oder Geldentschädigung nicht zu.

1.

Der Eingriff in das allgemeine Presönlichkeitsrecht des Klägers zu 2) liegt darin, daß die auf Seite 60 zitierte "Maurerweisheit": "Eine Flasche kann jede Baustelle vertragen" auf die Buchfigur des Carl-Gottfried Albers bezogen wird. Daß es sich bei dieser Buchfigur um den Kläger zu 2) handelt, läßt sich, wie das Landgericht zu Recht festgestellt hat, leicht erschließen.

2.

Allerdings ist auch diese den Kläger zu 2) betreffende Äußerung nicht rechtswidrig, weil auch sie unter dem Grundrechtsschutz der Meinungs- und Kunstfreiheit steht und die Abwägung zu dem Ergebnis führt, daß das Buch ohne Einschränkung und entschädigungslos veröffentlicht werden durfte und darf.

a)

Auch dieses Werturteil bezieht sich auf das Thema Schule und somit auf eine die breite Öffentlichkeit wesentlich betreffende Frage. Schon die Relevanz dieses Themas streitet für die Freiheit der Rede.

b)

Durch die Äußerung ist die bereits oben dargestellte Grenze der Schmähkritik nicht überschritten worden. Der naheliegende Aussagekern dieser erkennbar satirischen Äußerung liegt darin, daß Probleme im Schulbetrieb auftreten können, wenn sich ein Lehrer für sein eigenes Kind in der Schule engagiert. Die Schärfe der zitierten Äußerung: "Eine Flasche kann jede Baustelle vertragen" wird erkennbar durch den ausdrücklichen Bezug auf den Jargon "alte Maurerweisheit" relativiert. Im Anschluß an das Zitat wird der "Problemfall" in einer Weise beschrieben, der aus objektiver Sicht nicht persönlichkeitsverletzend wirkt. Die satirische Einkleidung, insbesondere die Anknüpfung an die alte Maurerweisheit "bewegt sich noch im zulässigen Rahmen."

c)

Dabei verkennt der Senat auch hier nicht, daß der Beklagte zu 1) auch den Kläger zu 2) aus einer faktisch übergeordneten Position heraus angreift und persönlich tief getroffen haben mag. Auch hier erscheint das Motiv einer persönlichen Abrechnung denkbar, keinesfalls aber naheliegend oder gar zwingend.

d)

Hinzu kommt, daß das Recht der Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 aus den bereits zuvor erwähnten Gründen für den Beklagten zu 1) streitet.

III.

Ein Anspruch der Klägerin zu 3) auf Unterlassung oder Geldentschädigung scheidet schon deshalb aus, weil die Klägerin zu 3) als Buchfigur Martin Albers nicht hinreichend als Tochter des Klägers zu 2) identifizierbar ist. Zudem liegt keine Persönlichkeitsverletzung darin, wenn ein Kind als weniger intelligent als sein Vater beschrieben wird. Selbst wenn man von einem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 3 ausgehen wurde, wäre die Grenze zur verbotenen Schmähkritik weit entfernt, überschritten worden ist diese Grenze jedenfalls nicht.

IV.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 108, 515 Abs. 3, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Das Urteil beschwert die Kläger mit jeweils mehr als 60.000,-- DM.



Ende der Entscheidung

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