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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.06.2000
Aktenzeichen: 3 U 244/99
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 847
BGB § 823
ZPO § 539
ZPO § 540
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
Indikation für die Gebärmutterentfernung (Hysterektomie)

Vor Durchführung einer vaginalen Hysterektomie sind andere in Betracht kommenden Ursachen der klinischen Beschwerden im gebotenen Umfang abzuklären. Eine sofortige vaginale Hysterektomie darf allenfalls dann vorgenommen werden, wenn die Patientin eingehend über diese Verfahrensweise und dem Verzicht auf eine Abrasio (Ausschabung) aufgeklärt worden ist.


OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 244/99 OLG Hamm 1 O 54/98 LG Arnsberg

Verkündet am 14. Juni 2000

als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 2000 durch den Vorsitzenden

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 05. November 1999 verkündete Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 20.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 07. Juni 1997 zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeden materiellen und weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Entfernung der Gebärmutter entstanden ist und noch entsteht, den materiellen Schaden jedoch nur vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf Dritte.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Die im Jahr 1943 geborene Klägerin befand sich seit dem Jahr 1991 in der ambulanten Behandlung des Beklagten, der als niedergelassener Gynäkologe sowie als Belegarzt praktiziert. Am 24.08.1991 und am 29.05.1992 klagte die Klägerin über Blutungsstörungen. Der Beklagte diagnostizierte einen "plumpen, metropathischen Uterus". In der Folgezeit stellte sich die Klägerin mehrfach in der Gemeinschaftspraxis, die der Beklagte mit dem Gynäkologen Dr. betreibt, wegen fortdauernder Beschwerden vor. Der Beklagte empfahl der Klägerin, zur Behebung ihrer Beschwerden die Gebärmutter operativ zu entfernen. An ihrem 50. Geburtstag, dem 06.04.1993, wurde die Klägerin stationär aufgenommen und unterzeichnete einen entsprechenden Aufklärungsbogen. Einen Tag später, am 07.04.1993, führte der Beklagte die Operation (vaginale Hysterektomie) durch. Die histologische Untersuchung des entfernten Gewebematerials ergab keinen Anhalt für Malignität. Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes - Vorstellung: 20.000,00 DM - und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz jedweder materieller und weiterer immaterieller Schäden in Anspruch genommen. Sie hat behauptet, die operative Gebärmutterentfernung sei medizinisch nicht indiziert gewesen. Aufgrund der operativen Entfernung ihrer Gebärmutter leide sie an einem "Verwachsungsbauch", an Blasen- und Nierenbeckenentzündungen bis hin zum Nierenstau und an ständigen Schmerzen, so daß sie fortlaufend Schmerztabletten zu sich nehmen müsse. Der Beklagte hat behauptet, daß die vaginale Hysterektomie medizinisch indiziert gewesen sei. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung zweier gynäkologischer Fachgutachten abgewiesen. Dabei hat das Landgericht nur einen dieser Sachverständigen im Kammertermin zur Erläuterung seines Gutachtens angehört und ist der Begründung dieses Sachverständigen gefolgt, wonach ein "wahrer Fächer an typischen Beschwerden" vorgelegen und die Operationsindikation ausgemacht habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung und beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den Schlußanträgen erster Instanz zu erkennen, die Feststellung der Ersatzpflicht jedweden materiellen Schadens mit der Maßgabe, "soweit kein Forderungsübergang stattgefunden hat".

Der Beklagte beantragt,

die gegnerische Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Parteien angehört und die Sachverständigen Profes. Dres. ihre schriftlichen Gutachten erläutern lassen. Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 19. Juni 2000 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin war erfolgreich.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aus den §§ 847, 823 BGB und - die Feststellung materieller Schäden betreffend - wegen Schlechterfüllung des ärztlichen Behandlungsvertrages.

Ein Behandlungsfehler ist darin zu sehen, daß am 07.04.1993 keine medizinische Indikation für die vaginale Hysterektomie vorgelegen hat. In der Beurteilung des Behandlungsgeschehens macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. der sein Gutachten überzeugend erläutert hat und dem Senat als erfahren und sachkundig bekannt ist, zu eigen. Danach bestand für die am 07.04.1993 erfolgte Gebärmutterentfernung keine medizinische Notwendigkeit. Dagegen folgt der Senat nicht den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. in erster Instanz, wonach ein "wahrer Fächer an typischen Beschwerden" vorgelegen habe und wonach "die Vielzahl der Beschwerden zusammengenommen" die Operation ausgemacht hätten (Seite 2, 3 des Protokolls vom 05.11.1999, Bl. 184, 185 d.A.), weil diese pauschalen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. im Senatstermin selbst nicht konkretisiert worden sind. Vielmehr ist der Sachverständige Prof. Dr. von seinen schriftlichen Ausführungen und von denjenigen im Kammertermin erkennbar abgerückt.

Nach den Ausführungen beider Sachverständiger im Senatstermin konnten allenfalls die Rückenschmerzen und/oder die Blutungsstörungen die vaginale Hysterektomie dem Grunde nach indizieren. Weder die leichte Gebärmuttersenkung noch die Größe der Gebärmutter machten die Uterusentfernung notwendig, weil beides nicht mit klinischen Beschwerden verbunden war. Die leichte Gebärmuttersenkung hat insbesondere zu keiner Insuffizienz geführt. Es bestand und besteht kein Anlaß zu der Annahme, daß die Größe der Gebärmutter zu irgendeiner Beeinträchtigung geführt hat. Auch aus dem histo-pathologischen Befund kann eine Beeinträchtigung nicht geschlußfolgert werden. Vielmehr hatte der Uterus mit 9 cm eine nahezu normale Länge. Daß die im Myometrium - zufällig - vorgefundenen 2 cm großen Knoten, deren Malignität ausgeschlossen werden konnte, die Operation hätten indizieren können, wird auch von Prof. Dr. nicht angenommen. Prof. Dr. zieht nicht in Zweifel, daß postoperativ eine Erkrankung der Gebärmutter nicht festgestellt worden ist.

Entgegen der Annahme von Prof. Dr. in erster Instanz (S. 2 des Protokolls vom 05.11.1999, Bl. 184 d.A.), entgegen der Angabe auf S. 2 des Aufklärungsbogens vom 06.04.1993 ("Bei den Untersuchungen wurde eine Erkrankung der Gebärmutter festgestellt.") und entgegen den Angaben im Operationsbericht ("Metropathischer Uterus mit Beschwerden") ist auch präoperativ eine Erkrankung der Gebärmutter weder festgestellt noch mit der gebotenen - und eine Operation rechtfertigenden - Sicherheit diagnostiziert worden.

Der Umfang der Diagnostik muß sich am jeweiligen Krankheitsbild orientieren. Verdachtsdiagnosen müssen im gebotenen Umfang abgeklärt werden (Steffen/Dressier, Arzthaftungsrecht, 1999 Rdn. 155 m.w.N.). Diese gebotene Abklärung ist vorliegend nicht erfolgt.

Beide Sachverständigen gehen davon aus, daß die Ursache der allein in Betracht kommenden klinischen Beschwerden (Rückenschmerzen und Blutungsstörungen) hätten abgeklärt werden müssen. So habe es nahegelegen, die Ursache der Rückenbeschwerden primär in einer Wirbelsäulenerkrankung zu sehen und eine orthopädische Untersuchung zu veranlassen. Die von dem Beklagten zur Abklärung nicht dokumentierte und erst im Senatstermin behauptete Untersuchung: "Ich mache es so, daß ich mit einem Instrument an der Gebärmutter ziehe und frage, ob dies die Rückenschmerzen ausmache" reicht zur Abklärung und insbesondere zum Ausschluß einer Wirbelsäulenerkrankung evident nicht aus.

Auch die Ursache der Blutungen hätte, wie beide Sachverständigen im Senatstermin bestätigt haben, abgeklärt werden müssen. Gerade weil die Ursachen dieser Blutungsstörungen unterschiedlichster Art sein konnten, waren diese Störungen durch eine Hysteroskopie oder eine Abrasio, so Prof. Dr. (abzuklären. Dem hat Prof. Dr. im Senatstermin ausdrücklich zugestimmt. Dem Senat ist aus anderen Verfahren bekannt, daß eine sofortige vaginale Hysterektomie allenfalls dann vorgenommen werden darf, wenn die Patientin eingehend über diese Verfahrensweise und den Verzicht auf eine Abrasio aufgeklärt worden ist (Urteil vom 24.03.1999 - 3 U 182/98 -). Unstreitig aber hat die Klägerin nicht auf die erforderliche Abklärung mittels Abrasio verzichtet. Hinzu kommt, daß die letzte Blutungsstörung für den 29.05.1992 dokumentiert ist und damit zum Zeitpunkt der Operation am 07.04.1993 fast ein Jahr zurücklag. Weitere Blutungsstörungen sind jedenfalls nicht dokumentiert, obwohl ihre Dokumentation aus medizinischen Gründen erforderlich war.

Nur ergänzend weist der Senat auf die Besonderheit hin, daß dem Beklagten die Angst und die Depressionen der Patientin ausweislich der Dokumentation bekannt waren und daß auch deshalb Zurückhaltung gegenüber der Indikationsfeststellung zur Hysterektomie geboten war.

Der Senat hat davon abgesehen, den Zeugen Dr., der die Klägerin häufig in der gynäkologischen Gemeinschaftspraxis behandelt hat, als Zeugen zu laden. Der Beklagte selbst hat nicht behauptet, daß der Zeuge Dr. die entscheidenden klinischen Beschwerden (Rückenschmerzen und Blutungsstörungen) abgeklärt oder eine solche Abklärung veranlaßt hat. Eine solche Abklärung aber war aus den vorgenannten Gründen vor Durchführung der vaginalen Hysterektomie zwingend erforderlich.

Für die nicht indizierte Utersextirpation, die komplikationslos erfolgt und deren Verlauf komplikationsfrei gewesen ist, so Prof. Dr., hält der Senat ein Schmerzensgeld von 20.000,00 DM für angemessen und ausreichend. Dabei hat der Senat berücksichtigt, daß ausgedehnte Verwachsungen als Operationsfolge kaum denkbar sind und nur die Möglichkeit besteht, daß - so Prof. Dr. - sich eine Dünndarmschlinge anlegen könnte. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß an die Darlegung der erforderlichen Wahrscheinlichkeit des Eintritts späterer Schadensfolgen nur maßvolle Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Steffens/Dressier, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl. 1999, Rdn. 632 m.w.N.), hat der Senat den Feststellungsantrag für begründet erachtet.

Der Senat hat, obwohl ein wesentlicher Verfahrensfehler im Sinne des § 539 ZPO darin zu sehen ist, daß der gerichtlich bestellte Gutachter Prof. Dr. trotz rechtzeitigen Antrags vom 20.05.1999 (Bl. 164 d.A.) nicht zum Kammertermin geladen worden ist (vgl. Steffen/Dressier Rdn. 589 ff. m.w.N.), von einer Zurückverweisung abgesehen und es gemäß § 540 ZPO für sachdienlich gehalten, in der Sache selbst zu entscheiden.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Beschwer des Beklagten übersteigt nicht 60.000, 00 DM.

Ende der Entscheidung

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