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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.03.2007
Aktenzeichen: 3 U 54/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 287
ZPO § 412
ZPO § 540
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 278 Satz 1
BGB § 280
BGB § 286
BGB § 831
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 23.01.2006 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 09.11.2004 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die auf Grund der verspäteten Faszienspaltungsoperation am 23.01.2003 entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der am 26.02.1956 geborene Kläger verlangt von dem beklagten Krankenhausträger Schadensersatz aufgrund des Vorwurfs, dass nach Durchführung einer valgisierenden Umstellungsosteotomie am 20.01.2003 im St. Vincenzhospital C die Ausbildung eines Kompartmentsyndroms in seinem rechten Bein nicht rechtzeitig erkannt und behandelt worden sei, wodurch der Peronaeusnervs in diesem Bein geschädigt worden sei.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird zunächst gemäß § 540 ZPO auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.

Mit der Berufung vertieft der Kläger seine Behauptung, dass die bei ihm aufgetretene Symptomatik schon zu einem früheren Zeitpunkt auf ein Kompartmentsyndrom hingedeutet habe. Insbesondere hätten erhebliche Schmerzen bestanden, die - entgegen den Ausführungen des Sachverständigen Dr. N - auf diese Erkrankung hingedeutet hätten. Aufgrund der fehlerhaften Behandlung leide er weiterhin erheblichen Schmerzen und Behinderungen.

Der Kläger beantragt,

das am 23.01.2006 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn abzuändern und

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld (Vorstellung: 10.000,00 Euro) zuzüglich 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.11.2004 zu zahlen,

2.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten, die aufgrund der Behandlungen im Zeitraum vom 17.01.2003 bis zum 04.04.2003 entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und wiederholt ihre Behauptung, dass die Behandlung des Klägers lege artis erfolgt sei. Ferner sei selbst bei rechtzeitiger Diagnose und Dekompression eines Kompartmentsyndroms ein Dauerschaden nicht immer vermeidbar.

Der Senat hat den Kläger sowie Dr. I als ärztlichen Vertreter der Beklagten angehört und Beweis erhoben zunächst durch ergänzende Anhörung des Sachverständigen Dr. N sowie durch Einholung eines weiteren Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. N3 gemäß § 412 ZPO und durch ergänzende Anhörung dieses Sachverständigen. Wegen der Ergebnisse der Parteianhörung wird auf die Berichterstattervermerke zu den Senatsterminen vom 20.09.2006 und vom 14.03.2007, wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Ferner wird wegen der Ergebnisse der Anhörung des Sachverständigen Dr. N ebenfalls auf den Berichterstattervermerk vom 20.09.2006 und der Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. N3 auf den Berichterstattervermerk vom 14.03.2007, schließlich wegen der Ergebnisse der schriftlichen Begutachtung des Sachverständigen Prof. Dr. N3 auf sein schriftliches Gutachten vom 04.12.2006 (Bl. 255 GA) verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Dem Kläger steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 280, 831, 253 Abs. 2 BGB zu. Nach dem Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senates fest, dass der Kläger im Krankenhaus der Beklagten fehlerhaft behandelt wurde (dazu 1.). Dadurch ist das rechte Bein des Klägers dauerhaft geschädigt worden (dazu 2.). Aus diesem Grunde war sowohl der Schmerzensgeldvorstellung des Klägers wie seinem Feststellungsbegehren zu entsprechen (dazu 3.).

Bei der Beurteilung des medizinischen Sachverhaltes folgt der Senat den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N3. Der Sachverständige, der dem Senat aus zahlreichen Verfahren als zuverlässig und kompetent bekannt ist, hat auch im vorliegenden Verfahren ein in jeder Hinsicht nachvollziehbares und schlüssiges Gutachten erstattet. Seine Ausführungen beruhen auf einer sorgfältigen Auswertung der Krankenunterlagen wie der einschlägigen medizinischen Fachliteratur. Die Einwendungen der Beklagten gegen sein schriftliches Gutachten vermochte er bei seiner Anhörung überzeugend zu entkräften. Die Richtigkeit seiner Ausführungen wird auch nicht durch die entgegenstehenden Bewertungen des zuvor tätigen Sachverständigen Dr. N sowie der Kommissionsgutachter Prof. Dr. L/Dr. D und Dr. T erschüttert. Ihre Gutachten beruhen sämtlich auf einer unvollständigen Auswertung des maßgeblichen Sachverhaltes. So hat keiner dieser Gutachter gesehen und gewürdigt, dass bei dem Kläger bereits am 21.01.2003 erstmals eine Fußheberschwäche und damit eine neurologische Störung als möglicher Hinweis auf ein beginnendes Kompartmentsyndrom in den Krankenunterlagen dokumentiert ist. Auf diesem wichtigen Gesichtspunkt beruhen jedoch maßgeblich die Beurteilungen des Sachverständigen Prof. Dr. N3. Ebenso hat dieser Sachverständige als einziger dem histologischen Befund vom 03.03.2003 Beachtung geschenkt und hieraus - überzeugend - Folgerungen gezogen. Die Ausführungen des Sachverständigen Dr. N ließen darüber hinaus jegliche Überzeugungskraft vermissen, weil dieser Gutachter nach eigenem Eingeständnis weitgehend unvorbereitet zu seiner Anhörung vor dem Senat erschienen war, die ihm erneut übersandten Krankenunterlagen nicht mehr eingesehen hatte und daher Vorgänge wie etwa das Erfolgen des neurologischen Konsils nicht mehr einordnen konnte. Schließlich zog er entgegen allen anderen ärztlichen Stellungnahmen einschließlich der eigenen Einschätzung der Beklagten das Vorliegen eines Kompartmentsyndroms in Zweifel, ohne andererseits erklären zu können, wie es dann zu der Schädigung des Peronaeusnervs beim Kläger kommen konnte.

1.

Die Behandlung des Klägers im Krankenhaus der Beklagten war fehlerhaft, wofür die Beklagte als Krankenhausträger gemäß §§ 278 Satz 1, 831 BGB einzustehen hat. So erfolgte seit dem Abend des 21.03.2003 eine unzureichende klinische Überwachung des Beins und wurde auf die am Morgen des 23.01.2003 aufgetretenen und schon für 5.30 Uhr dokumentierten Schmerzen bei Schwellung des Unterschenkels verspätet reagiert. Soweit der Sachverständige Prof. Dr. N3 darüber hinaus - durchaus nachvollziehbar - weitere Zweifel hatte, dass die am Vormittag des 23.01.2003 durchgeführte Kompartmentspaltung selbst fachgerecht durchgeführt wurde, kann diese Frage letztlich dahin stehen, da sich die Haftung der Beklagten jedenfalls aufgrund der übrigen Versäumnisse ergibt.

a)

Der Sachverständige Prof. Dr. N3 hat zunächst überzeugend dargelegt, dass es -entgegen der Bedenken des Sachverständigen Dr. N - ohne jeden Zweifel bei dem Kläger zum Entstehen eines Kompartmentsyndroms im Unterschenkel des rechten Beins gekommen ist. Er hat dies insbesondere aus dem pathologischen Befund vom 04.03.2003 (Bl. 40 der Krankenunterlagen) gefolgert, der in dem am 03.03.2003 entnommenen Resektat ausgedehnte frische, areaktive Nekrosen der Skelettmuskulatur feststellt. Gerade dieser Befund - den der Sachverständige zur Absicherung seiner Ausführungen nochmals nachbefunden ließ - beweist, dass es zu einer Ischämie des Muskelgewebes gekommen sein muss, welches daraufhin teilweise abstarb. Aufgrund der im Mikroskop erkennbaren feingeweblichen Veränderungen konnte ausgeschlossen werden, dass eine andere Ursache, insbesondere die die Revisionsoperation vom 03.03.2003 bedingende bakterielle Infektion, die Nekrose ausgelöst hat. Die Ischämie des Muskelgewebes war schlüssig nur durch eine Einlagerung von Flüssigkeit zwischen den Zellen des Muskelgewebes als Folge eines Kompartmentsyndroms zu erklären. Daher spricht auch die Beschreibung des bei der Faszienspaltung am 23.01.2003 vorgefundenen Befundes im Operationsbericht, wonach sich weder größere Mengen Flüssigkeit aus der eröffneten Muskelloge entleert haben, noch eine Hämatomansammlung zu bemerken war, daneben auch die Färbung des Muskels unauffällig erschien, nicht gegen das Auftreten eines Kompartmentsyndroms. Der Sachverständige Prof. Dr. N3 hat auch insofern plausibel darauf hingewiesen, dass allein der subjektive Eindruck eines Operateurs bei der Faszienspaltung für die Beurteilung nicht maßgeblich sein kann, da das betroffene Muskelgewebe makroskopisch unauffällig erscheinen kann, tatsächlich jedoch bereits irreversibel geschädigt ist.

b)

Die Behandlung des Klägers war in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft.

Der Sachverständige Prof. Dr. N3 hat überzeugend dargelegt, dass bereits der am 21.01.2003 - wohl abends - in den Krankenunterlagen dokumentierte Befund einer Fußheberschwäche bei starker Schmerzhaftigkeit des rechten Beins und dem Vorliegen einer Schwellung zu einer engmaschigen Überwachung des Beins hätte Anlass geben müssen. Nach der Überprüfung des Beins im Anschluss an die Umstellungsosteotomie am 20.01.2003, die eine intakte Durchblutung, Motorik und Sensibilität ergeben hatte, war auszuschließen, dass durch diese Operation eine Schädigung des für die Fußhebung verantwortlichen Nervs eingetreten sein konnte. Die daher am 21.01.2003 neu aufgetretene schwellungsbedingte Nervenfunktionsstörung musste daher für die Ärzte der Beklagten die Möglichkeit der Ausbildung eines Kompartmentsyndroms nahe legen. Weil bei einem Kompartmentsyndrom nur bei raschem Handeln und früher Entlastung dauerhafte Schäden regelmäßig vermeidbar sind, war daher eine engmaschige, wenn auch nicht unbedingt stündliche klinische Überwachung geboten. Eine derartige Überwachung ist jedoch nicht erfolgt. Aufgrund des Umstandes, dass derartige regelmäßige Kontrollen in den Krankenunterlagen entgegen der aus medizinischen Gründen folgenden Verpflichtung hierzu nicht dokumentiert wurden, spricht eine Vermutung für das Unterbleiben regelmäßiger Kontrollen. Der Sachverständige hat überzeugend darauf hingewiesen, dass zwar nicht jede Kontrolle und jeder unauffällige Befund zu dokumentieren seien, jedoch durch regelmäßige Dokumentationen die Entwicklung des Zustands des Beins für einen anderen Arzt nachzuvollziehen sein muss. Die allein dokumentierte ärztliche Kontrolle am Abend des 22.03.2003 gegen 21.30 Uhr war daher nicht ausreichend. Zudem ist die Richtigkeit der dort gewonnenen Einschätzung in Zweifel zu ziehen. Zwar wurden bei dieser Kontrolle Durchblutung, Motorik und Sensorik (DMS) als intakt beschrieben und ein Kompartmentsyndrom ausdrücklich verneint, jedoch spricht die gesamte Entwicklung beim Kläger gegen die Verlässlichkeit dieser Beobachtungen. Der Sachverständige konnte insbesondere nicht nachvollziehen, dass am 21. und am 23.01.2003 Schwellungen und neurologische Ausfälle vorhanden waren, diese aber am 22.01.2003 vollständig abgeklungen gewesen sein sollten. Auch die weiter dokumentierte Anordnung der Gabe von Eis und Hochlagerung des rechten Beines am Abend des 22.01.2003 spricht gegen einen unauffälligen Zustand des Beines, sondern für das weitere Vorhandensein einer Schwellung. Aus diesen Gründen besteht auch kein Anlass, statt an der Richtigkeit der Eintragung vom 22.01.2003 etwa an derjenigen vom 21.01.2003 zu zweifeln, wonach bereits zu diesem Zeitpunkt eine Fußheberschwäche aufgefallen war. Die aus der fehlenden Dokumentation folgende Vermutung ist von der Beklagten auch nicht erschüttert worden.

Die Überwachung des rechten Beines des Klägers war aber darüber hinaus auch deshalb fehlerhaft, weil nach der abendlichen Kontrolle am 22.01.2003 bis zum Morgen des 23.01.2003 keine weiteren ärztlichen Kontrollen erfolgt sind. Der Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund der Befundlage nach dem 21.01.2003 weitere klinische Kontrollen um Mitternacht und am frühen Morgen des 23.01.2003 geboten waren. Die ärztliche Kontrolle am 23.01.2003 um 7.30 Uhr erfolgte verspätet. Denn schon für 5.30 Uhr sind erneut Schmerzen, die Schwellung des Unterschenkels und die Erfolglosigkeit der am Vortag verabreichten Medikation (Voltaren) dokumentiert. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt wären die unverzügliche Hinzuziehung eines Arztes, die Durchführung einer erneuten klinischen Diagnostik und bei Erhärtung des nahe liegendenVerdachts eines Kompartmentsyndroms die unverzügliche Durchführung der Kompartmentspaltung geboten gewesen. Dass dies unterblieb, beruht entweder auf dem Versäumnis, die für die Pflege des Klägers verantwortliche Krankenschwestern auf die Gefahr eines Kompartmentsyndroms beim Kläger hinzuweisen und sie anzuweisen, bei jeder Verschlechterung sofort einen Arzt zu rufen, oder, soweit eine derartige Anweisung erfolgt wäre, auf einem Versäumnis des Pflegepersonals, welches der Beklagten ebenfalls zuzurechnen wäre.

Schließlich war es fehlerhaft, im Anschluss an die ärztliche Untersuchung vom 23.01.2003 um 07.30 Uhr, bei welcher der Verdacht des Kompartmentsyndroms aufgrund der starken Schmerzen, der Schwellung des Unterschenkels und der Unfähigkeit des Klägers, den Fuß hoch zu ziehen, gestellt wurde, nochmals rund drei Stunden abzuwarten, bis die Entlastung des Kompartments durch die Faszienspaltung endlich erfolgte. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass aufgrund der Gefahr des Absterbens von Muskelgewebe und von Nervschädigungen innerhalb weniger Stunden unmittelbarer Handlungsbedarf bestand, zumal davon auszugehen war, dass die Situation jedenfalls um 5.30 Uhr bereits pathologisch gewesen sein musste. Aufgrund der hohen Gefährlichkeit eines Kompartmentsyndroms für Gewebe, Nerven und die Extremität insgesamt konnten auch die mit der Entlastung verbundenen Operationsrisiken nicht mehr entscheidend ins Gewicht fallen. Ebenso war es nicht mehr vertretbar, die Entlastungsoperation hinaus zu schieben, um zuvor noch das Vorliegen einer Thrombose abzuklären. Insofern hat der Sachverständige Prof. Dr. N3 überzeugend darauf hingewiesen, dass das Vorhandensein neurologischer Ausfälle in der Fußhebung entscheidend gegen das Vorliegen einer Thrombose sprach und den begründeten Verdacht eines Kompartmentsyndroms nahe legte. Schließlich ist auch anzunehmen, dass sowohl um 5.30 Uhr als auch um 7.30 Uhr die räumlichen und personellen Möglichkeiten für eine Entlastungsoperation bestanden hätten, weshalb auch im Übrigen keine nachvollziehbaren Gründe für die zeitliche Verzögerung bei der Entlastungsoperation erkennbar sind.

2.

Infolge der fehlerhaften Behandlung des Klägers ist es bei dem Kläger vermeidbarerweise zu Muskelnekrosen und zu einer Schädigung des Peronaeusnervs mit Störung der Fußhebung gekommen. Auch diese Feststellung trifft der Senat aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N3. Zwar vermochte auch dieser Sachverständige wie die übrigen Gutachter nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, dass es auch bei einer frühzeitigen Entlastung des Kompartmentsyndroms gleichwohl zu einer derartigen Schädigung gekommen wäre. Die verbleibende Ungewissheit im Kausalverlauf geht jedoch nicht zu Lasten des Klägers, sondern der Beklagten. Denn ihr oblag die Beweislast dafür, dass ein Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem eingetretenen Schaden gänzlich unwahrscheinlich ist. Die Umkehr der Beweislast zu ihren Lasten beruht darauf, dass die von der Beklagten zu verantwortenden Versäumnisse als grobe Behandlungsfehler einzustufen sind. Darüber hinaus greifen auch die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln einer Beweislastumkehr bei Befunderhebungsversäumnissen zugunsten des Klägers ein.

Der Sachverständige Prof. Dr. N3 hat überzeugend ausgeführt, dass das ärztliche Management auf Seiten der Ärzte der Beklagten angesichts des sich aufdrängenden Verdachts auf ein Kompartmentsyndrom insgesamt nicht mehr verständlich gewesen sei, gegen elementare Behandlungsregeln verstoßen hat und schlechterdings nicht unterlaufen durfte. Damit liegen die Voraussetzungen eines groben Behandlungsfehlers vor. Der Senat hat keine Bedenken, auch insofern dem Sachverständigen zu folgen, nachdem dieser die erheblichen Verdachtsmomente für ein Kompartmentsyndrom im vorliegenden Fall herausgearbeitet hat und auf die möglichen Konsequenzen bis hin zum Verlust der Extremität bei der verspäteten Erkennung und Behandlung eines Kompartmentsyndroms hingewiesen hat.

Darüber liegt auch ein Verstoß gegen die Befunderhebungspflicht vor. Jedenfalls am Morgen des 23.01.2003 um 5.30 Uhr war eine klinische Untersuchung des Beins des Klägers geboten, aber unterblieben. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N3 ist ferner davon auszugehen, dass zu diesem Zeitpunkt mit Wahrscheinlichkeit bereits ein pathologischer Zustand festgestellt worden wäre, der unmittelbar Anlass zur Durchführung einer Entlastungsoperation hätte geben müssen. Wäre die Entlastungsoperation bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgt, hätte auch eine realistische Chance zugunsten des Klägers bestanden, das Eintreten von Muskelnekrosen und die Schädigung des Peronaeusnervs zu vermeiden.

3.

Aufgrund der vermeidbaren Schädigung des Muskelgewebes und des Peronaeusnervs mit Störung der Fußheberschwäche war dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 Euro gemäß § 253 Abs. 2 BGB als Ausgleich für die erlittenen Beeinträchtigungen zuzusprechen. Die Störung der Fußhebung bei dem Kläger ist dauerhaft und führt zu erheblichen Beeinträchtigungen beim Bewegungsablauf. Dies wirkt sich insbesondere auch auf die Berufstätigkeit des Kläger aus, da der Kläger als Koch seine Arbeit überwiegend stehend und gehend verrichtet. Darüber hinaus war zu berücksichtigen, dass aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Behandlung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 287 ZPO jedenfalls der negative Verlauf der Wundinfektion im Operationsgebiet der Faszienspaltung wegen der Nekrosen als Sekundärschädigung begünstigt wurde, welche mit weiteren erheblichen Beschwerden, einer erheblichen Verzögerung der Wundheilung, einem weiteren Krankenhausaufenthalt vom 09.04. bis zum 19.05.2003 im Brüderkrankenhaus St. Josef Paderborn und mehreren Revisionsoperationen am 03.03., 11.04., 12.04., 14.04., 17.04., 22.04. und 28.04.2003 verbunden war. Insofern hat der Sachverständige Prof. Dr. N3 dargelegt, dass aufgrund der vermeidbar entstandenen Muskelnekrosen eine Störung bei der Granulationsbildung eingetreten war, wodurch sich ein guter Nährboden für Bakterien ergab. Bei gut durchbluteten Verhältnissen hätte sich mit Wahrscheinlichkeit nur eine oberflächliche Infektion gebildet, die leicht zu beherrschen gewesen wäre und nicht zu einer operativen Revision geführt hätte. Auch wenn weiterhin davon auszugehen ist, dass die Ausbildung des Kompartmentsyndroms selbst eine schicksalhafte Komplikation der Operation vom 20.01.2003 war, hinsichtlich derer die Beklagte kein Verantwortung trifft, dem Kläger daher die Faszienspaltung und die Deckung der hierdurch verursachten Wunde mit Spalthaut nicht hätte erspart bleiben können, ferner weder die neuerlich aufgetretene Osteitis noch das Ulkusgeschwür am Oberschenkel mit Wahrscheinlichkeit durch die Verzögerung bei der Kompartmentspaltung verursacht wurden, rechtfertigen die erheblichen Beeinträchtigungen, die als Folge der fehlerhaften Behandlung festzustellen sind, bereits die Zuerkennung des Schmerzensgeldes in der von dem Kläger vorgestellten Höhe von 10.000,00 Euro.

Der Zinsanspruch des Klägers beruht auf §§ 280, 286 BGB.

Darüber hinaus war auch dem Feststellungsantrag des Klägers zu entsprechen, da die Möglichkeit einer weiteren Verschlechterung der gesundheitlichen Situation als Folge der verspäteten Kompartmentspaltung ebenso wenig auszuschließen ist wie das Entstehen künftiger materieller Schäden. Bei der Formulierung des Feststellungstenors war jedoch dahin klarzustellen, dass die Beklagte nicht für sämtliche weiteren Folgen der streitgegenständlichen Behandlung haftet, sondern nur für diejenigen Folgen, die auf die vorwerfbare Verzögerung bei der Kompartmentspaltung zurückzuführen sind. Folgeschäden, die auf die Umstellungsosteotomie oder die unvermeidbar gewordene Kompartmentspaltung selbst zurückzuführen sind, sind schicksalhaft und von der Beklagten nicht auszugleichen.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO war nicht geboten. Die Entscheidung des Senats betrifft einen Einzelfall, der keine grundsätzliche Bedeutung besitzt. Von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofs ist der Senat nicht abgewichen.

Das Urteil beschwert die Beklagte mit weniger als 20.000,00 Euro.

Ende der Entscheidung

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